Rückblick Europa eine Seele geben 2008
Aufbruch, Umbruch, Durchbruch
Ein Rückblick von Uta Petersen auf die dritte Berliner Konferenz "Europa eine Seele geben" vom November 2008.
Aller guten Dinge sind drei: die bekannte Redewendung, auf das dritte Treffen der Initiative Europa eine Seele geben angewendet, bedeutet, dass die vor fünf Jahren angeschobenen Aktivitäten dieser Bürgerinitiative ab 2009 nunmehr in junge Hände abgegeben werden. Wir erinnern uns: Ziel ist, Europas kulturelle Kräfte wirksamer nutzen für die europäische Idee, den inneren Aufbau Europas, die Rolle Europas in der Welt und für die Struktur und Förderpolitik. Zu den Initiatoren gehören u.a. Nele Hertling, Vizepräsidentin der Akademie der Künste Berlin, Dr. Volker Hassemer, ehemaliger Berliner Senator, der US-Botschafter John Kornblum a.D., Star- Unternehmensberater Roland Berger, zum Kuratorium gehört u.a. Dr. Richard von Weizsäcker. Nahtstelle zum Europäischen Parlament (EP) ist das Steering Committee unter Vorsitz von Hans-Gert Pöttering, dem Präsidenten des EPs. Illustre Namen, große Pläne. Auch große Möglichkeiten?
War beim ersten Treffen 2004 noch eine erhebliche Euphorie und Aufbruchsstimmung zu spüren (nicht zuletzt durch den damals frischen Beitritt von zehn neuen EU-Staaten und die flammenden Reden u.a. von EU-Kommissions-Präsident J.M. Barroso und Filmregisseur Wim Wenders), gab es bei der zweiten Zusammenkunft 2006 ein gewisses "Im-Kreis-Herum-Laufen", ein heftiges Suchen nach einer Kultur-Definition, jede Menge Bestandsaufnahmen und einige vorsichtige Vorschläge der Ruf nach der Jugend wurde lauter. Das dritte Beisammensein nun gestaltet sich als eine Art Geschenk-Übergabe. Deutlich zeichnet sich ab, dass von Alt zu Jung, vom Reden zum Handeln übergegangen werden muss. Und tatsächlich: 2009 wird die Initiative Europa eine Seele geben neu beginnen als dezentrales Netzwerk, als Strategiegruppe mit anderer Struktur und jüngeren Gesichtern. Sie wird Konzepte erarbeiten, Vorschläge und Entwürfe in das Europäische Parlament einbringen und verstärkt auf Umsetzung und Verankerung auf lokaler, regionaler und staatlicher Ebene achten.
Erneut trifft man sich im November 2008 in der Dresdner Bank unmittelbar am Brandenburger Tor: Die Mitglieder der Initiative und mit ihnen 450 Gäste aus allen nur denkbaren Kulturinitiativen Europas. Europa eine Seele geben. Das Jacques-Delors-Zitat* ist ein großes, ein großartiges Unterfangen. Die Frage, ob Europa nicht bereits viele Seelen hat oder wozu Europa EINE Seele braucht, kann und wird nicht final geklärt werden. Europa ein Gesicht geben, einen Sinn geben, in seiner Einzigartigkeit zu begreifen darauf laufen nahezu alle Statements und Überlegungen hinaus. Doch wo ist die anfängliche Euphorie? Die EU existiert, die Gemeinschaft noch nicht Den Europäischen Gedanken und damit die unendlichen Möglichkeiten von Kultur, Politik und Wirtschaft unter Friedensbedingungen bis in den Alltag eines jeden zu tragen, daran wird noch immer hart gearbeitet. Nicht den einen oder anderen Bereich stärker gewichten, sondern den Zusammenhang zwischen den drei Bereichen (wieder)herstellen, das sei das Gebot der Stunde, glaubt man den Worten aus der Begrüßungsrede von Norbert Lammert, dem Präsidenten des Deutschen Bundestages. Das Gebot der Stunde scheint aber auch, die aktuelle Wirtschaftskrise weniger als ein Desaster als eine hervorragende Gelegenheit anzusehen, die Dinge neu anzupacken und von alten Strukturen, Ballast und Fehlern zu befreien. Nichts aber geht ohne die Werte der Europäischen Union, die uns miteinander verbinden: "Die Würde des Menschen steht an vorderster Stelle, die Menschenrechte, die Demokratie, die Rechtsordnung, der Frieden. Dazu gehören auch die Prinzipien von Solidarität und Subsidiarität", betont EP-Präsident Hans-Gert Pöttering mit Herzblut. "Auf dieser Grundlage können wir dann auch die Meinungsunterschiede, die ja ganz natürlich sind im politischen wie im menschlichen Leben, austragen aber eben auf zivilisierte Weise, friedlich miteinander." Und wie kann der einzelne Bürger Europa eine Seele geben? "Man könnte auch fragen, was ist das Herz Europas, was ist der Kern. Und da muss man sich an unsere leidvolle Geschichte erinnern mit den vielen Kriegen in nahezu jeder Generation. Die Europäische Einigung ist unsere Antwort auf die Tragödie Europas. Der einzelne Bürger kann durch das Gespräch, das er mit anderen Bürgern und Bürgerinnen führt, darauf hinweisen kann, wie wichtig Europa für uns ist. Europa beginnt nicht in Straßburg und Brüssel, Europa beginnt dort, wo wir zu Hause sind: in der Heimat. Wir haben eine Verantwortung für die Welt, wenn die Menschen sich darüber mehr miteinander austauschen, würde es auch dazu führen, dass sich mehr Menschen an der so wichtigen Europawahl beteiligen, als es bisher der Fall war. Europäische Einigung bedeutet, dass wir die Einheit schaffen, um die Vielfalt zu verteidigen. Das bedeutet: wir müssen zuhören, voneinander lernen, und wenn wir uns besser verstehen und auf dieser Grundlage des gegenseitigen Respekts handeln, können wir Europa voran bringen."
Die Rückkehr zur krummen Gurke
Man kommt nicht drum herum, um die europäische Gurke: Die aktuelle Entscheidung der EU, dass Gurken in der EU demnächst wieder wachsen dürfen wie Mutter Natur es vorsieht, scheint ein Synonym für die Besinnung auf ursprüngliche, auf gesunde Kräfte. Ein vermeintlicher Rückschritt entpuppt sich als Fortschritt und Anerkennung dessen, was bereits vorhanden ist. Die Besinnung auf eine Kultur, die so gedeihen soll wie sie eben ist. Kulturelle Vielfalt, der Begriff fällt wieder und wieder - und während man sich in Berlin und anderswo warm diskutiert, was Kultur eigentlich sei und wie sie einen europäischen Charakter erhalten könnte, existiert sie bereits, findet statt, wird gelebt. Aus Sicht des Unternehmensberaters Roland Berger kann der einzelne Bürger Europa eine Seele geben, indem er: "..tolerant ist und erkennt, dass Europa deswegen so schön ist, weil es so unterschiedlich ist, die Menschen, die Lebensgewohnheiten, die Kulturen, die Landschaften, die Gebäude, die Architektur, das Essen, die Sprachen. Er sollte sich daran erfreuen, dass es uns in Europa gelungen ist, in einem einmaligen politischen Modell dieses Europa so zu öffnen, dass er nicht mal mehr sein Geld umtauschen und nicht mal mehr seinen Pass zeigen muss, um in Europa zu reisen." Über eine Kultur-Definition wird man auf diesem und auf allen ähnlich gelagerten Kongressen bis zum jüngsten Tag diskutieren. "Kultur ist die Möglichkeit, die Dinge durch die Augen eines Künstlers zu sehen," ausgesprochen von Frans Timmermans, niederländischer Außenminister für Europäische Angelegenheiten. Es ist anzunehmen, dass er damit einem allgemein verständlichen Kulturbegriff, der Politik und Wirtschaft mit einbezieht, am nächsten kommt. Kultur sei doch all das, was uns Menschen ausmacht, wurde auf einem der vorangegangenen Kongresse festgestellt. Dagegen stehen die sich immer mehr angleichenden Erscheinungsbild von Einkaufszentren in allen europäischen Städten, dieselben Label, die austauschbaren Konzerte in allen Musiksälen, dieselben Restaurantketten, dieselben Showformate im Fernsehen. Schwierig, schwierig. Da will man Vielfalt und nun? Möglicherweise muss die Kultur wieder krumm werden, wachsen und gedeihen, wie es das jeweilige Potenzial und die jeweilige Entwicklung vorsieht.
Alle haben Recht
Mit veränderten Diskussionsformaten löste man sich in diesem Jahr (endlich) von der herkömmlichen, ermüdenden Form des Plenarvortrags. Die akustische Teilnahme an zwei Kaffeetischrunden wird durch eine wahrlich fantastische Hightech-Vernetzung in drei Sprachen ermöglicht, verführt beabsichtigt zum Wechseln der Tische und damit zwischen den Themen. Zu wenig wird noch von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, sich über das Mikrofon an der Tischrunde zu beteiligen. Möglicherweise klang die Aufforderung von Initiativen-Mitglied Steve Austen nicht wirklich ermunternd: "... wer meint, unbedingt etwas dazu sagen zu müssen, der kann an das Mikrofon treten". Den überwiegend altväterlichen Tischmoderatoren gelang es nicht wirklich, den jungen, innovativen Blick der Jugend auf die europäische Kultur genügend herauszuarbeiten. Wir müssen, wir sollten, wir hätten, wir könnten, alle Redner haben Recht, alle Statements konnten abgenickt, niemandem widersprochen werden. Friede - Freude - Eierkuchen? Als einen elitären Diskutierclub bezeichnet eine junge Studentin diese Berliner Konferenz. Sie gehört zu den Erben, die ungeduldig mit den Hufen scharren und endlich loslegen wollen für 2010. Die Neuen Medien nutzen, Bilder schaffen, Motivationen, eigene Erfahrungen, mehr Gemeinsamkeiten entdecken Obama wird es uns vormachen und möglicherweise ist es einfacher, als man bisher dachte: die Menschen direkt und persönlich ansprechen, Gegnerschaft überwinden, sie miteinander verbinden, ihre Stärken stärken.
Was Du ererbt von Deinen Vätern ...
... erwirb es, um es zu besitzen. Was 2004 als eine Bürgerinitiative an einem runden Tisch als kulturelles Projekt entstand, wird nun zeitgemäß erneuert und den Generationen überlassen, die Europa bewohnen werden. Es wird jeweils ein internationales Büro eingerichtet, zunächst in den fünf europäischen Städten Amsterdam, Belgrad, Berlin, Brüssel, Porto und Tiflis. Welchen spannenden Weg Kultur und Wirtschaft in Zukunft miteinander gehen, wird u.a. der European Congress "World Culture Forum 2009" in Dresden zeigen: "Kultur ist mehr Europa im Spiegel seiner Städte".
Ein Lächeln für Europa
Gelächelt wurde zu selten auf dieser Konferenz, Kultur scheint eine ernste Sache.
Da wünscht man sich etwas von der Freude und dem Charme der ungarischen Außenministerin Kinga Göncz in so manches Gesicht von Politikern und Rednern, die von der wunderbaren europäischen Idee schwärmen, gesicherte Positionen inne haben und in allen möglichen Kultur-Gremien sitzen. Wichtige Fragen aus dem Auditorium beispielsweise, wie man Kinder am besten mit dem europäischen Bewusstsein vertraut machen könne oder ob nicht die familiäre Arbeit in der Familie als Job bezahlt werden sollte, verhallten im Nichts, auch eine gewisse Männerlastigkeit wurde bemängelt. So ist der europäische Alltag. Ein erfrischendes Beispiel: Der wohl jüngste Teilnehmer der Berliner Konferenz, der 22-jährige Farid Tabarki aus Amsterdam hat auf der Suche nach Inspiration schon vor Jahren eine Internetplattform geschaffen, auf der sich junge Menschen, die zwischen 1977 und 1987 geboren wurden, erfolgreich über alle europäischen Themen austauschen, Cross- Over-Projekte entwickeln, zusammen u.a. mit MTV Networks und Boomerang Medien arbeiten, aus allem und allen das Beste herausholen (www.coolpoliticsresearch.eu). Wer dann erlebt, mit welcher Dynamik und Freude dieser junge Mann, der gewissermaßen mit einem Obama-Appeal ausgestattet ist, völlig unbelastet ans Mikrofon geht, lächelt, den Zuhörern ins Gesicht schaut, dann merkt jeder, der Mann hat richtig Freude an dem, was er tut. Und spätestens jetzt ist sie wieder da die Euphorie.
* Zitat von Jacques Delors, (geb.1925), Politiker der Sozialistischen Partei Frankreichs
UTA PETERSEN ist Journalistin, Kulturmanagerin und Projektleiterin aus Hamburg. Aktuell ist sie vorrangig freischaffend journalistisch tätig mit Schwerpunkt auf internationalen Künstlerinterviews, Porträts und Kulturinformationen.
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