28.07.2011

Autor*in

Dirk Heinze
Rückblick 6. Kulturpolitischer Bundeskongress 2011

Kulturpolitik & Internet

Am 4. Juli 2011 wurden die ersten Handlungsempfehlungen der Enquete-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft" zum Thema Urheberrecht verabschiedet. Etwa einen Monat zuvor fand der 6. Kulturpolitische Bundeskongress in Berlin statt. Die zeitliche Nähe macht deutlich: die Kulturpolitik schickt sich endlich an, die Entwicklungen im Internet mitzugestalten und Rahmenbedingungen zu setzen. Ob ihr dies gelingt ist, soll dieser Beitrag klären.
Bei seiner Begrüßung stellte Kulturstaatsminister Bernd Neumann klar: eine generelle Neuformulierung des Urheberrechts ist nicht geplant, vielmehr eine "angemessene Novellierung". Für Änderungen zugunsten der Internetnutzer sehe er keinen Anlass. Auch die vom Chaos Computer Club vorgeschlagene Kulturwertmark als neues Vergütungsmodell für die Urheber sieht er nicht als geeignete Lösung. Mit der Auszeichnung pädagogisch wertvoller Computerspiele möchte die Politik ein Zeichen für Qualität setzen und die Game-Industrie aus der "Schmuddelecke" herausholen. Die allein finanziell wohl größte politische Unterstützung erfährt das kulturelle Erbe, das durch verschiedene Digitalisierungsprojekte zumindest virtuell vor dem kollektiven Gedächtnisverlust gerettet werden soll. Ob dies in diesem Umfang sinnvoll ist und inwieweit auch der Aspekt der Vermittlung Berücksichtigung findet, blieb offen.
 
Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, schilderte seine ambivalenten Eindrücke bei der Betrachtung des Themas: Einerseits gebe es aus seiner Sicht Aufbrüche und nannte als Beispiel den "Arabischen Frühling", bei dem soziale Netzwerke maßgeblich die Demokratiebewegung durch Informationen und deren Verbreitung unterstützten. Andererseits sieht Krüger, so wörtlich, eine "bewahrpädagogische Duldungsstarre", also offenkundig eine Angst vor falschem Umgang mit den neuen Medien. Er forderte eine "digitale Renaissance der bürgerlichen Kultur" und die Öffnung zu frei zugänglichen, digitalen Kulturnetzen. Man müsse "den Nutzer als Teilsouveräne noch ernster nehmen". Wie sieht es z.B. mit Zugriffsmöglichkeiten auf Museums- und Theaterdepots aus? Und braucht es nicht eine "Künstlersozialkasse 2.0", die auf neue Verwertungsmodelle (ver)gütliche Antworten kennt?
 
Für den Medienwissenschaftler und Netzkritiker Geert Lovink ist die Digitalisierung in Deutschland abgeschlossen. 46,1 Mio. Menschen besäßen inzwischen einen Internetanschluss. Soweit, so gut. Doch es sind inzwischen die Institutionen, die nicht mehr Schritt halten mit der Entwicklung. Für Lovink ist das Urheberrecht längst tot, es stamme noch aus früheren Jahrhunderten. Auch er richtete wie Thomas Krüger seine Hoffnungen auf neue Formen der Kunstproduktion und -rezeption durch die digitalen Medien. Allerdings nicht so, wie es das Zentrum für Kunst- und Medientechnologie (ZKM) in Karlsruhe betreibe. "Wir brauchen kein solches Mausoleum der Medienkunst", so Lovink.
 
Gewissermaßen als Gegenmodell zum ZKM trat danach Inke Arns vom Hartware MedienKunstverein aus Dortmund auf. Sie stellte klar, dass Digitalisierung die Kunst nicht grundlegend verändert. Es entstünden vielmehr neue Kulturtechniken wie z.B. das Sampeln, User Generated Content oder die Game Art. Bei dieser "Remix Culture" habe man es zunehmend mit einer Laien- oder Massenkreativität zu tun. Gelungene Beispiele dafür sind Cornelia Sollfranks Net.Art Generator (www.medienkunstnetz.de/werke/net-art-generator/) oder The Grey Video, ein Mashup (www.youtube.com/watch?v=3zJqihkLcGc). Entsprechend stellen sich neue Fragen, wer hier eigentlich Urheber und wer Verwerter ist.
 
Auch für Till Kreutzer von iRights.info ist kreatives Schaffen ein Grundbedürfnis der Gesellschaft. Mit der Digitalisierung, insbesondere den sozialen Netzwerken, wandle sich nun die Schaffens- und Verwertungsrealität weg vom Prinzip Some-to-Many zu Many-to-Many. In dem Moment, wo man gleichzeitig verwertend als auch schöpferisch tätig sei, verschwimmen die Grenzen zwischen Urheber und Nachahmer. Welche Rechte sollen dann geschützt werden? Rechtliche Klarheit ist für Kreutzer nichts weniger als die Voraussetzung für wirtschaftlichen Erfolg.
 
Der bekannte Sozialforscher Gerhard Schulze (www.gerhardschulze.de) sprach anschließend über den Strukturwandel der Öffentlichkeit, über Kunst und Publikum im digitalen Zeitalter. Es gibt für ihn keinen gemeinsamen kulturellen Kristallisationspunkt mehr, stattdessen lauter Nischen. Schulze stellte bei dieser digitalen Entwicklung drei Hauptlinien fest: die einer immer weiter segmentierten Öffentlichkeit, die einer Auflösung, welche die Kunstwahrnehmung obsolet macht sowie die durch Netze mögliche noch intensivere Erfahrung der Welt. Schulze gelang es aus unserer Sicht nicht ganz, diese Punkte schlüssig darzustellen.
 
Die Kulturpolitische Gesellschaft als Veranstalter hatte sich am zweiten Kongresstag richtigerweise für die Aufteilung der Themen in 2 x 5 Foren entschieden. Die dadurch kleinere Teilnehmerzahl ermöglichte eine praktische Wissensvermittlung und intensiveren Austausch mit dem Publikum. Besonderen Zuspruch fanden die Foren zur Gewinnung des Kulturpublikums durch soziale Medien, die Diskussion über alternative Formen der Kulturfinanzierung (siehe auch www.cofunding.de) sowie zur Wirksamkeit netzbasierter Kulturinformationen durch Internetportale. Dank der umfassenden Berichterstattung auf der Kongress-Website (www.netz-macht-kultur.de/93.html) lassen sich die wichtigsten Inhalte der Foren auch für den Nicht-Besucher gut nachvollziehen.
 
Trotz der vielen angeschnittenen Themen litt der Kongress etwas daran, dass das Publikum "gespalten" war. Die einen sahen ihre Rolle eher darin, im Sinne eines Kulturpessimismus die Risiken zu betonen. Die anderen waren die Fürsprecher der Digitalisierung und hoben vor allem die Chancen hervor. Letztere waren insofern im Vorteil, dass ihre Argumente in Windeseile um die Welt gingen - dank einer eingerichteten Twitterwall. Insbesondere jene, die nicht am Kongress teilnahmen, waren so Teil einer lebhaften Debatte. Philipp Geisler brachte es am Ende des Kongresses auf den Punkt: die Kulturakteure sollten "lernen, dass all das keine Option ist, sondern bereits gesellschaftliche Realität". Die Institutionen müssten insofern bei diesem Prozess aufholen. Ob dies gelingt, hängt stark davon ab, ob man eigene Wissenslücken schließt und damit Ängste vor diesen Entwicklungen abbaut. Dem Kongress fehlte es letztlich an Visionen und ausreichend starken Vortragenden, um wirklich nach vorn zu weisen und die Leute zu begeistern. Dabei könnte die Kultur zum Motor eines gesellschaftlichen Wandels werden. Nichtsdestotrotz bleibt es das Verdienst der Kulturpolitischen Gesellschaft, sich des Themas Digitalisierung so engagiert angenommen zu haben.
 
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