11.04.2014

Autor*in

Kristin Oswald
leitet die Online-Redaktion von Kultur Management Network. Sie studierte Geschichte und Archäologie in Jena und Rom sowie Social Media-Marketing in Berlin. Sie ist freiberuflich in der Wissenschaftskommunikation und im Museumsmarketing mit Schwerpunkt online tätig.
Rückblick auf das erste stARTcamp in Münster

Vom Mehrwert einer Unkonferenz

Nicht nur das sonnige Frühlingswetter und die Cupcakes zur Kaffeepause stimmten die Teilnehmer des ersten stARTcamps in Münster am 29. März fröhlich. Die Vielfalt der Themen, die Räumlichkeiten im LWL-Landeshaus und die angeregten Diskussionen machten das erste Kultur-Barcamp 2014 zu einem gelungenen Start in das Social-Media-Jahr. Kristin Oswald von Kulturmanagement Network war für uns vor Ort.
Kunst und Kultur im virtuellen Raum - ein Rahmenthema für das stARTcamp, das mehr umfasst, als die inzwischen beinahe als klassisch zu bezeichnenden sozialen Medien für Kultureinrichtungen Facebook, Twitter, vielleicht ein Blog oder ein Bildportal. Dieser Anspruch schreckte jedoch die ca. 70 Angemeldeten keineswegs ab. So gehörten zu den Teilnehmern stARTcamp-Profis wie Christian-Henner Fehr, Anke von Heyl oder Steffen Peschel, entsprechend dem Thema zahlreiche Museums-, aber auch Theatermitarbeiter, Fachleute aus Kulturämtern, Künstler, Studenten und recht viele Social-Media-Neulinge. Die Kulturabteilung des Mitorganisators LWL (Landschaftsverband Westfalen-Lippe) zeigte sich anfangs dem auch Unkonferenz genannten Barcamp-Format eher skeptisch und wusste nicht recht einzuschätzen, welchen Mehrwert dieses mit sich bringen würde. Genau wie die Neulinge unter den Teilnehmern, waren aber auch deren Vertreter bereits nach der Vorstellungsrunde und den ersten Workshops überzeugt von Format Barcamp. Bei diesem gibt es meist einen Tag Workshops und Diskussionsrunden rund um ein Rahmenthema, die von den Teilnehmern selbst am Morgen vor Ort vorgeschlagen werden. Vorbereitete Frontalvorträge entfallen, Spontanität und Offenheit sind die wichtigsten Regeln und Verhaltensweisen.

Schon am Anfang des stARTcamp wurde schnell klar, wie sehr Social Media in den letzten Jahren zu einer eigenen Disziplin mit eigener Sprache und z.T. auch eigener Weltsicht geworden ist. Die Selbstvorstellung der Teilnehmer mit Hashtags (Schlagwörtern), die Überraschung der Newbies über die Planung der Sessions, die Twitterwall im Hauptraum und nicht zuletzt das Tagesprogramm mit den Themen Social Impact (gesellschaftliche Wirkung), Crowdfunding, Foursquare oder dem EU-Programm Creative Europe machten dies deutlich. Aus diesem Grund beschlossen einige der geübteren Teilnehmer, Einsteiger-Workshops anzubieten, so zu Twitter oder Social-Media-Recht. Zwischen Themen für Einsteiger und für Fortgeschrittene fanden sich mit virtuellen Museen, Kunst und Architektur im digitalen Raum auch Inhalte, die das Rahmenthema aufgriffen. Da das Programm eines stARTcamps immer erst an dem Tag selbst entsteht, spiegelt es stark die Interessen der anwesenden Teilnehmer wieder, sodass sich für jeden ein informationsreicher Tag ergibt.

Die erste Session zu Social Impact von Anke von Heyl stieg direkt in die Tiefen aktueller Diskussionen ein. Sie thematisierte den gesellschaftlichen Auftrag von Kultureinrichtungen. Dieser besteht neben der Zugänglichmachung von Kulturgütern auch darin, soziale oder kulturelle Problemstellungen aufzuzeigen oder einen anderen Blick darauf zu ermöglichen. Das kann die Parallelität von aktuellen Geschehnissen und historischen Gegebenheiten sein und die Frage danach, wie ähnliche Situationen in der Vergangenheit angegangen worden und welche Folgen dies mit sich brachte. Es kann auch das Aufzeigen von Toleranz gegenüber Fremden oder Randgruppen anhand eines Theaterspiels oder Kunstwerkes meinen. Immer spielt eine Rolle, wie solche Themen vermittelt werden. Hier bieten die digitalen Medien neue Möglichkeiten, eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen, multimedial mit Bildern, Tönen und Texten zu erzählen und damit Themen ins öffentliche Gespräch zu bringen. Der Erfolg der Nutzung von Social Media, das machte die Diskussion deutlich, sollte dabei nicht an Zahlen festgemacht und auf die Erhöhung der Besucherzahlen beschränkt werden. Stattdessen ist es die Aufgabe jeder Kultureinrichtung, sich den eigenen gesellschaftlichen Bildungsauftrag bewusst zu machen und neue Ideen zu entwickeln, diesem nachzukommen. Ein stARTcamp kann dabei, wie in Münster, ein geeigneter Rahmen sein, sich mit anderen über gute Beispiele und darüber auszutauschen, was das für die Mitarbeiter und das Selbstverständnis einer Kultureinrichtung bedeutet.

Für die öffentliche Kommunikation jeder Art ist es unabhängig von der Zielstellung immer grundlegend, ein reflektiertes Selbstverständnis zu haben, Zielgruppenanalysen zu betreiben, Kampagnen zu planen und die Aktivitäten professionell zu beobachten. "Ich plädiere dafür, so fasste Steffen Peschel im erfolgreichsten Tweet des Tages zusammen, sich von dem Begriff Follower zu verabschieden. Wir wollen Dialog." Man müsse auch die Themen der anderen Seite aufgreifen, anstatt die sozialen Medien als neue Werbemittel zu betrachten. Oft scheitert dies am personellen Aufwand, den die Kultureinrichtungen nicht aufbringen können.

Dies zeigte sich auch beim stARTcamp in Münster. Die Teilnehmer ohne Vorerfahrung im professionellen Social-Media-Marketing waren begeistert von den Möglichkeiten des Erzählens, Präsentierens und Kommunizierens mit den Besuchern im Netz, die ihnen an diesem Tag aufgezeigt wurden. Zudem regte der Mehrwert des angeregten, hierarchielosen Austausches einige dazu an, auch für ihre Fachveranstaltungen Barcamp-Formate in Erwägung zu ziehen. Obwohl alle interessiert nachfragten und Ideen für ihre Einrichtungen mitschrieben, wurde schnell auch die Sorge um die zeitlichen und personellen Umsetzungsmöglichkeiten deutlich. Die Vielfalt und Tiefgründigkeit machte denn auch deutlich, dass zu Social Media mehr gehört, als eine Facebook-Seite, zum Beispiel:
 
  • das Selbstverständnis des Hauses in Bildern und Posts immer im Hinterkopf zu behalten
  • zu wissen, dass Facebook Anspruch auf Nutzungsrecht der veröffentlichten Bilder und Texte erhebt
  • informiert darüber zu sein, auf welchen Plattformen die Zielgruppen sind und sie mit ihren Bedürfnisse anzusprechen, nicht nur die eigenen Botschaften zu vermitteln
  • crossmedial zu arbeiten
  • digitale und reale Kommunikation und Aktionen zu verschränken
  • Transparenz auch für den Alltag in einem Kulturbetrieb zu erzeugen
  • und schließlich: immer die Inhalte in den Mittelpunkt zu stellen und aufzubereiten im Sinne der gesellschaftlichen, nicht nur der künstlerischen Relevanz
Wie wichtig dabei langfristige Planung, durchdachte Zielvorgaben und finanzielle Absicherung für digitale Projekte sind, zeigte die Vorstellung des Museum 24/7. Diese Version des LWL-Museum für Kunst und Kultur wurde gemeinsam vom LWL und einem Team von Informatikstudenten der Universität Münster realisiert. Es stellt einen virtuellen Nachbau des realen, derzeit geschlossenen Museums dar und verbindet spielerische Lernaspekte mit einem Zugang zu Kunstwerken, die sonst z.B. nur im Depot zu finden sind, oder bereits wieder abgebauten Sonderausstellungen. Schon am Tag vor dem stARTcamp gab es hierzu ein Bloggertreffen im kleinen Kreis. Dabei durften die Teilnehmer nicht nur einen ersten Blick auf das innere des Museumsneubaus werfen, sondern waren vor allem dazu eingeladen, ihre professionelle Meinung zum derzeitigen Stand des Projektes zu äußern. Die Idee des Museum 24/7 wurde gelobt, kam jedoch nicht ohne Kritik davon. In deren Zentrum stand, dass bei Planung und Umsetzung das inhaltliche zum Teil hinter dem technischen Konzept zurückgetreten war und sich die Informatiker vor allem beim Schwerpunkt Grafik auslebten. Meist kann bei einem solchen Projekt die optische Umsetzung mit der Grafik moderner Computerspiele jedoch nicht mithalten. Steht sie aber im Zentrum, sind die jungen Besucher des digitalen Hauses optisch und die älteren inhaltlich schnell gelangweilt. Eine ganzheitliche Marketing- und Vermittlungsstrategie, die auf dem Zusammenwirken von virtuellen und tatsächlichen Museumsräumen basieren sollte, tritt in den Hintergrund. Dabei ist es weniger notwendig, ein Museum möglichst originalgetreu nachzubauen, als die spielerischen Möglichkeiten und das Besuchererlebnis vielfältig zu gestalten. Der Vorteil eines digitalen Hauses liegt im Bereich Gamification, also Interessens- und Motivationssteigerung durch spielerische Elemente und kreativen Freiraum für den Nutzer.

Die Erkenntnis aller Teilnehmer nach dem ersten stARTcamp in Münster war demnach, dass vor jeder Aktivität im Internet, sei es Social-Media-Marketing oder digitale Projekte, immer eine Marktforschungsstudie, eine genaue Zielsetzung und eine Evaluation der Besuchergruppen stehen müssen. Neue Techniken wie iBeacon, mit dem die Bewegungen von Museumsbesuchern über das Bluetooth ihrer Handys statistisch erfasst werden, könnten dies in Zukunft stark erleichtern. Auf diesen Erkenntnissen sollten das inhaltliche Konzept, die Ideen zu Spielelementen oder Kommunikationsweisen und schließlich die technische und optische Umsetzung folgen, bevor die tatsächliche Social-Media-Aktivität beginnt. Wichtige Erkenntnis für mich war wie beim schon bei vorherigen Barcamp-Besuchen noch eine zweite: trotz aller Begeisterung für die neuen digitalen Kulturwelten, können diese nie einen regen, offenen Austausch in netter Atmosphäre, am besten bei sonnigem Frühlingswetter, ersetzen.

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