17.04.2010
Autor*in
Lukas Krohn-Grimberghe
Lukas Krohn-Grimberghe ist BA Studierender im Studiengang Cultural Management and Communication an der Zeppelin University und führt derzeit eine umfangreiche empirische Studie zum Online-Angebot der "Digital Concert Hall" - in Zusammenarbeit mit der Berlin Phil Media GmbH und dem Lehrstuhl für Kulturbetriebslehre & Kunstforschung der Zeppelin University - zum Thema Audience Development durch.
Rückblick "Zukunft der klassischen Musik im Zeitalter der Digitalisierung" 2010
Wir wollen das Hochkultur-Ufo landen
Rückblick auf eine Podiumsdiskussion in Friedrichshafen zur Zukunft der klassischen Musik im Zeitalter der Digitalisierung mit Tobias Möller, Dr. Alfred Wendel, Intendant der Duisburger Philharmoniker, sowie Dr. Martin Tröndle, Juniorprofessor am Lehrstuhl für Kulturbetriebslehre und Inszenatorische Praxis der Zeppelin Universität am 6. Dezember 2009.
Es waren ungewohnte Klänge, die das Foyer der Zeppelin Universität am Morgen des 6. Dezembers 2009 erfüllten. Wo normalerweise Dozenten und Studenten ihre Mittagspause verbringen erklangen Werke von Schubert, Bartók und Beethoven, gespielt von den Berliner Philharmonikern unter der Leitung von Zubin Metha.
Seit Beginn des vergangenen Jahres überträgt das Berliner Orchester um die 35 Konzerte pro Spielzeit über das Internet. Diese können gegen Gebühr live oder auch on Demand in bester Ton- und Bildqualität in der sogenannten "Digital Concert Hall" abgerufen werden.
Als sich Studenten der Zeppelin Universität mit dem Thema befassten, wurde die Idee geboren diese Angebote zu nutzen, Ton und Bild des Berliner Orchester in Form eines Public Viewings an den Bodensee zu holen und die Thematik in einem Podium diskutieren zu lassen.
Welche Chancen bietet die Digitalisierung für die klassische Musik
Im 8. KulturBarometer (2005) des Zentrums für Kulturforschung (ZfKf) geben 42 % der Befragten an, mindestens einmal im Jahr ein E-Musikkonzert besucht zuhaben. Von den 18 bis 34 Jährigen allerdings nur ca. 20%. Bemerkenswert ist auch, dass das Durchschnittsalter des Klassikpublikums dreimal so schnell ansteigt wie das der Gesamtbevölkerung für das junge Publikum hat das Foramt des Klasssik-Konzerts nur geringe Attraktivität. Gründe für diese Entwicklung sind unter anderem: mangelnde Vertrautheit, klassikferne musikalische Sozialisation, Informationsmangel, mangelnde gefühlsmäßige Ansprache und das Negativ-Image klassischer Musik.1
Für viele Menschen stellt das Konzert nach wie vor eine elitäre Veranstaltung dar und ist mit dem Anspruch an gute Unterhaltung in ihren Augen nicht vereinbar. Ihnen muss daher zunächst die Scheu vor der klassischen Musik genommen werden, so auch der Tenor in der Diskussionsrunde: Wir wollen also gewissermaßen das Hochkulturufo endlich landen und zum Publikum hinkommen, so Alfred Wendel, Intendant der Duisburger Philharmoniker.
Nicht nur die Berliner sondern auch die Duisburger Philharmoniker sind im Internet aktiv. Mit ihrem Webblog "Dacapo" wollen sie im Rahmen der Philharmonie 2.0 einen Diskurs über Klassik im Internet anstoßen und eine neue Nähe zwischen Publikum und Orchester schaffen.
Duisburger wie Berliner Philharmoniker verfolgen im Grunde das selbe Ziel, "Brücken bauen zu einem Publikum das wir noch nicht haben, nennt es Alfred Wendel. Beide Orchester tun dies mit Hilfe des Internet, wenn auch mit unterschiedlichen Inhalten. Während die Berliner ganze Konzerte ins Internet übertragen, bloggen und twittern in Duisburg einzelne Musiker über das tägliche Leben und die Proben, schreiben Backstage-Geschichten oder senden Interviews.
Insbesondere für die Bereiche der Musikvermittlung und des Audience Development, so die Meinung der Studenten, birgt das Internet die Möglichkeit, Menschen, die wenig oder gar keine Berührung mit der klassischen Musik haben, selbige näher zu bringen.
"Wir wollen raus aus dieser Anonymität, welche die Orchester prägt," so Wendel. "Für uns ist das Web 2.0 eine Möglichkeit zu kommunizieren." Die Zielgruppen der Duisburger Philharmoniker sind damit, neben dem bestehenden Publikum, ganz klar jüngere Menschen, die, so die Hoffnung, angeregt durch die Präsenz im Internet, letztlich den Weg in den Konzertsaal finden werden.
Die Berliner Philharmoniker wollen vor allem "regelmäßiger" mit dem Publikum kommunizieren, das bereits Interesse an den Berliner Philharmonikern hat. Aber auch Tobias Möller ist davon überzeugt, "dass eine solche Übertragung neugierig machen kann, ein Konzert live zu erleben."
Seit Beginn des vergangenen Jahres überträgt das Berliner Orchester um die 35 Konzerte pro Spielzeit über das Internet. Diese können gegen Gebühr live oder auch on Demand in bester Ton- und Bildqualität in der sogenannten "Digital Concert Hall" abgerufen werden.
Als sich Studenten der Zeppelin Universität mit dem Thema befassten, wurde die Idee geboren diese Angebote zu nutzen, Ton und Bild des Berliner Orchester in Form eines Public Viewings an den Bodensee zu holen und die Thematik in einem Podium diskutieren zu lassen.
Welche Chancen bietet die Digitalisierung für die klassische Musik
Im 8. KulturBarometer (2005) des Zentrums für Kulturforschung (ZfKf) geben 42 % der Befragten an, mindestens einmal im Jahr ein E-Musikkonzert besucht zuhaben. Von den 18 bis 34 Jährigen allerdings nur ca. 20%. Bemerkenswert ist auch, dass das Durchschnittsalter des Klassikpublikums dreimal so schnell ansteigt wie das der Gesamtbevölkerung für das junge Publikum hat das Foramt des Klasssik-Konzerts nur geringe Attraktivität. Gründe für diese Entwicklung sind unter anderem: mangelnde Vertrautheit, klassikferne musikalische Sozialisation, Informationsmangel, mangelnde gefühlsmäßige Ansprache und das Negativ-Image klassischer Musik.1
Für viele Menschen stellt das Konzert nach wie vor eine elitäre Veranstaltung dar und ist mit dem Anspruch an gute Unterhaltung in ihren Augen nicht vereinbar. Ihnen muss daher zunächst die Scheu vor der klassischen Musik genommen werden, so auch der Tenor in der Diskussionsrunde: Wir wollen also gewissermaßen das Hochkulturufo endlich landen und zum Publikum hinkommen, so Alfred Wendel, Intendant der Duisburger Philharmoniker.
Nicht nur die Berliner sondern auch die Duisburger Philharmoniker sind im Internet aktiv. Mit ihrem Webblog "Dacapo" wollen sie im Rahmen der Philharmonie 2.0 einen Diskurs über Klassik im Internet anstoßen und eine neue Nähe zwischen Publikum und Orchester schaffen.
Duisburger wie Berliner Philharmoniker verfolgen im Grunde das selbe Ziel, "Brücken bauen zu einem Publikum das wir noch nicht haben, nennt es Alfred Wendel. Beide Orchester tun dies mit Hilfe des Internet, wenn auch mit unterschiedlichen Inhalten. Während die Berliner ganze Konzerte ins Internet übertragen, bloggen und twittern in Duisburg einzelne Musiker über das tägliche Leben und die Proben, schreiben Backstage-Geschichten oder senden Interviews.
Insbesondere für die Bereiche der Musikvermittlung und des Audience Development, so die Meinung der Studenten, birgt das Internet die Möglichkeit, Menschen, die wenig oder gar keine Berührung mit der klassischen Musik haben, selbige näher zu bringen.
"Wir wollen raus aus dieser Anonymität, welche die Orchester prägt," so Wendel. "Für uns ist das Web 2.0 eine Möglichkeit zu kommunizieren." Die Zielgruppen der Duisburger Philharmoniker sind damit, neben dem bestehenden Publikum, ganz klar jüngere Menschen, die, so die Hoffnung, angeregt durch die Präsenz im Internet, letztlich den Weg in den Konzertsaal finden werden.
Die Berliner Philharmoniker wollen vor allem "regelmäßiger" mit dem Publikum kommunizieren, das bereits Interesse an den Berliner Philharmonikern hat. Aber auch Tobias Möller ist davon überzeugt, "dass eine solche Übertragung neugierig machen kann, ein Konzert live zu erleben."
Wie wirkt die Musik beim Besucher des virtuellen Konzerts?
"Man schaut auf eine Leinwand und beklatscht sie nach dem Konzert. Das fand ich zunächst absurd, dann großartig," so Martin Tröndle im Anschluss an die Übertragung. "Natürlich sind es zwei unterschiedliche Dinge," argumentiert Alfred Wendel, "im Konzertsaal zu sitzen, oder eine Leinwand anzusehen. Ich habe dies hier aber als wunderbare Zwischenform empfunden," stellt Wendel fest.
Übertragungen von Konzerten sind natürlich zwangsläufig Interpretationen der Interpretation: Die Einschätzung der Kameraleute ersetzt die Freiheit des menschlichen Auges. Doch eben dies kann auch eine Chance darstellen. Tröndle spricht von der "Sichtbarmachung der musikalischen Struktur. Die visuelle Dramaturgie, welche im Idealfall vom Betrachter als solche nicht mehr bewusst wahrgenommen wird, kann gerade für unerfahrene Konzerthörer hilfreich sein und damit neugierig machen, führt Wendel aus. Der Duisburger Intendant sieht hier eine klare Chance für den Bereich des Audience Development.
Insbesondere langjährige Konzertgänger können sich hingegen vom vorgegebenen Blickwinkel eingeschränkt oder sogar bevormundet fühlen. Der Vergleich zum Fußballspiel liegt nahe: Manche genießen es die Spieler aus nächster Nähe zu beobachten und vertrauen den Interpretationen der Fernsehregie, wohingegen andere den Überblick und die Emotionen im Stadion bevorzugen.
Zudem hat jeder Raum hat seinen eigenen Klang, seinen typischen Geruch, seine Atmosphäre. Das bedeutet aber nicht, wie seid Walter Benjamin gerne befürchtet wird, dass die Aura bei einer online Übertragung fehlen muss. Die Musik wird in einen neuen Raum transferiert, in dem sie eine neue und andere Wirkung entfalten kann und live erzeugt sie immer noch den magischen Moment - in der Einheit des Werkes und seiner Interpretation im Zeitfluss.
Dabei geht es nach Tobias Möller nicht darum die tatsächlichen Konzerte überflüssig zu machen. Übertragungen von Konzerten sollen diese nicht ersetzen sondern in eine andere Form übertragen um durch eine andere Inszenierung der Musik anderen, neuen Zielgruppen zu erschließen. Funktioniert diese neue Variation des Konzertes, überzeugt sie ästhetisch und ist sie sozial attraktiv genug um die Aufmerksamkeit bestimmter Besuchergruppen an sich zu binden?
Live dabei aber nicht Mittendrin?
"Manch einer schreibt uns in einer e-Mail, was für ein wunderbarer Gedanke das sei, dass über die ganze Welt verteilt Menschen an ihren Computern sitzen und zur gleichen Zeit genau das selbe erleben," berichtet Tobias Möller. Das bloße Wissen um eine Gemeinschaft im Geiste kann offensichtlich schon ein Anreiz sein sich die Konzerte live anzusehen. "Das ist diese Gänsehautsituation, alle denken und fühlen in einem bestimmten Moment, wie man selbst fühlt." Auch Gerhard Schulze beschreibt in seinem Aufsatz zur Erfindung des Musikhörens Konzertantes Musikhören als ein gemeinsames Erlebnis mit Erlebnisimpulsen eigener Art." Das Publikum suche die Begegnung mit dem Einzigartigen im Resonanzraum der öffentlichen Würdigung." Gerade heute, in einer Zeit der Reproduzierbarkeit und Allgegenwart von Musik hat das "Unwiederholbare als öffentliches Ereignis Konjunktur wie nie zuvor." 2
Um die 500 Besucher verfolgen ein Konzert durchschnittlich live im digitalen Konzertsaal. Noch mehr sehen sich die aufgezeichneten Programme an. Interessanterweise tun sie dies vorzugsweise an den Wochenenden, an denen auch Live-Konzerte übertragen werden. "Dieses Wissen, da findet irgendetwas statt, lockt die Besucher an," vermutet Möller, "die Berliner Philharmoniker live im Internet" ist eine ganz andere, viel spannendere Geschichte, als die Berliner Philharmoniker im Internet".
Beim Public Viewing ist das Publikum nicht nur live dabei sondern eben auch mittendrin in einer Gruppe von Gleichgesinnten. Die Ästheitk und die soziale Form des Public Viewings geht also auf die ästhetisch-sozialen Bedürfnisse der Leute ein, dies begründet (neben dem Aspekt der räumlichen Distanz zum Aufführungsort) auch den Erfolg der öffentlichen Übertragungen aus der Metropolitan Opera in Kinos weltweit. Gerade die neue Qualität von Reproduzierbarkeit "kann Aura herstellen, statt sie zu zerstören."3
Ist das Internet somit auch für die Klassik das Medium der Zukunft?
Das Internet eröffnet Möglichkeiten: Es kann temporäre und lokale Distanz beseitigen, es vermag geistige Barrieren zu überwinden und Hemmschwellen abzubauen indem es die klassische Musik in neue Kontexte transportiert und in innovativer Form präsentiert. Auch im Bereich der klassischen Musik wird sich das Angebot ausdifferenzieren müssen, "da die Menschen den Anspruch haben, auf ganz unterschiedliche Weise Musik wahrzunehmen," so Tobias Möller.
Man stelle sich die Berliner Philharmoniker in einer Schulaula, Simon Rattle in einem Wartezimmer beim Arzt oder Konzerte im Foyer einer Hochschule vor. Ein Publikum, könnte sich eigene Konzertprogramme zusammenstellen und über das Internet im direkten Austausch mit den Musikern und anderen Zuschauern stehen. Das Potential an neuen Berührungsmöglichkeiten ist groß. So prognostiziert auch Alfred Wendel: "wir sind mit dem Internet ja noch ganz am Anfang, ich denke da ergeben sich ganz neue Kunstformen."
DCH und Dacapo sind Methoden die Aufmerksamkeit eines bisher nicht oder kaum erreichten Publikums auf das eigene Angebot zu lenken. Die Hemmschwelle zum Konzertbesuch im Internet ist gering und die Orchester sind auf einmal nur noch einen Mausklick entfernt.
Zugleich warnen Tobias Möller und Alfred Wendel davor, im Internet ein Allheilmittel für die aktuellen Probleme der klassischen Musik zu sehen. Denn alle diese Online-Maßnamen verlangen einen langen Atem. Kurzfristig können über das Internet schnell neue Zielgruppen angesprochen werden, ob diese aber auf lange Sicht auch den Weg in die Konzerzsäle finden werden, wird sich erst noch zeigen müssen. So sieht es auch Alfred Wendel: "Wir senden Botschaften ins unbekannte Nichts, in der Hoffnung, dass dort Intelligenz ist, die hin und wieder mal was aufschnappt."
An der Zeppelin University hatte das Public Viewing im Dezember eine neue Hörkultur ausgelöst. Hier versammeln sich Gruppen von Studierende und Lehrende zu "Hauskonzerten" wo man sich gemeinsam zum "Konzert sehen" verabredet.
Über den Autor:
"Man schaut auf eine Leinwand und beklatscht sie nach dem Konzert. Das fand ich zunächst absurd, dann großartig," so Martin Tröndle im Anschluss an die Übertragung. "Natürlich sind es zwei unterschiedliche Dinge," argumentiert Alfred Wendel, "im Konzertsaal zu sitzen, oder eine Leinwand anzusehen. Ich habe dies hier aber als wunderbare Zwischenform empfunden," stellt Wendel fest.
Übertragungen von Konzerten sind natürlich zwangsläufig Interpretationen der Interpretation: Die Einschätzung der Kameraleute ersetzt die Freiheit des menschlichen Auges. Doch eben dies kann auch eine Chance darstellen. Tröndle spricht von der "Sichtbarmachung der musikalischen Struktur. Die visuelle Dramaturgie, welche im Idealfall vom Betrachter als solche nicht mehr bewusst wahrgenommen wird, kann gerade für unerfahrene Konzerthörer hilfreich sein und damit neugierig machen, führt Wendel aus. Der Duisburger Intendant sieht hier eine klare Chance für den Bereich des Audience Development.
Insbesondere langjährige Konzertgänger können sich hingegen vom vorgegebenen Blickwinkel eingeschränkt oder sogar bevormundet fühlen. Der Vergleich zum Fußballspiel liegt nahe: Manche genießen es die Spieler aus nächster Nähe zu beobachten und vertrauen den Interpretationen der Fernsehregie, wohingegen andere den Überblick und die Emotionen im Stadion bevorzugen.
Zudem hat jeder Raum hat seinen eigenen Klang, seinen typischen Geruch, seine Atmosphäre. Das bedeutet aber nicht, wie seid Walter Benjamin gerne befürchtet wird, dass die Aura bei einer online Übertragung fehlen muss. Die Musik wird in einen neuen Raum transferiert, in dem sie eine neue und andere Wirkung entfalten kann und live erzeugt sie immer noch den magischen Moment - in der Einheit des Werkes und seiner Interpretation im Zeitfluss.
Dabei geht es nach Tobias Möller nicht darum die tatsächlichen Konzerte überflüssig zu machen. Übertragungen von Konzerten sollen diese nicht ersetzen sondern in eine andere Form übertragen um durch eine andere Inszenierung der Musik anderen, neuen Zielgruppen zu erschließen. Funktioniert diese neue Variation des Konzertes, überzeugt sie ästhetisch und ist sie sozial attraktiv genug um die Aufmerksamkeit bestimmter Besuchergruppen an sich zu binden?
Live dabei aber nicht Mittendrin?
"Manch einer schreibt uns in einer e-Mail, was für ein wunderbarer Gedanke das sei, dass über die ganze Welt verteilt Menschen an ihren Computern sitzen und zur gleichen Zeit genau das selbe erleben," berichtet Tobias Möller. Das bloße Wissen um eine Gemeinschaft im Geiste kann offensichtlich schon ein Anreiz sein sich die Konzerte live anzusehen. "Das ist diese Gänsehautsituation, alle denken und fühlen in einem bestimmten Moment, wie man selbst fühlt." Auch Gerhard Schulze beschreibt in seinem Aufsatz zur Erfindung des Musikhörens Konzertantes Musikhören als ein gemeinsames Erlebnis mit Erlebnisimpulsen eigener Art." Das Publikum suche die Begegnung mit dem Einzigartigen im Resonanzraum der öffentlichen Würdigung." Gerade heute, in einer Zeit der Reproduzierbarkeit und Allgegenwart von Musik hat das "Unwiederholbare als öffentliches Ereignis Konjunktur wie nie zuvor." 2
Um die 500 Besucher verfolgen ein Konzert durchschnittlich live im digitalen Konzertsaal. Noch mehr sehen sich die aufgezeichneten Programme an. Interessanterweise tun sie dies vorzugsweise an den Wochenenden, an denen auch Live-Konzerte übertragen werden. "Dieses Wissen, da findet irgendetwas statt, lockt die Besucher an," vermutet Möller, "die Berliner Philharmoniker live im Internet" ist eine ganz andere, viel spannendere Geschichte, als die Berliner Philharmoniker im Internet".
Beim Public Viewing ist das Publikum nicht nur live dabei sondern eben auch mittendrin in einer Gruppe von Gleichgesinnten. Die Ästheitk und die soziale Form des Public Viewings geht also auf die ästhetisch-sozialen Bedürfnisse der Leute ein, dies begründet (neben dem Aspekt der räumlichen Distanz zum Aufführungsort) auch den Erfolg der öffentlichen Übertragungen aus der Metropolitan Opera in Kinos weltweit. Gerade die neue Qualität von Reproduzierbarkeit "kann Aura herstellen, statt sie zu zerstören."3
Ist das Internet somit auch für die Klassik das Medium der Zukunft?
Das Internet eröffnet Möglichkeiten: Es kann temporäre und lokale Distanz beseitigen, es vermag geistige Barrieren zu überwinden und Hemmschwellen abzubauen indem es die klassische Musik in neue Kontexte transportiert und in innovativer Form präsentiert. Auch im Bereich der klassischen Musik wird sich das Angebot ausdifferenzieren müssen, "da die Menschen den Anspruch haben, auf ganz unterschiedliche Weise Musik wahrzunehmen," so Tobias Möller.
Man stelle sich die Berliner Philharmoniker in einer Schulaula, Simon Rattle in einem Wartezimmer beim Arzt oder Konzerte im Foyer einer Hochschule vor. Ein Publikum, könnte sich eigene Konzertprogramme zusammenstellen und über das Internet im direkten Austausch mit den Musikern und anderen Zuschauern stehen. Das Potential an neuen Berührungsmöglichkeiten ist groß. So prognostiziert auch Alfred Wendel: "wir sind mit dem Internet ja noch ganz am Anfang, ich denke da ergeben sich ganz neue Kunstformen."
DCH und Dacapo sind Methoden die Aufmerksamkeit eines bisher nicht oder kaum erreichten Publikums auf das eigene Angebot zu lenken. Die Hemmschwelle zum Konzertbesuch im Internet ist gering und die Orchester sind auf einmal nur noch einen Mausklick entfernt.
Zugleich warnen Tobias Möller und Alfred Wendel davor, im Internet ein Allheilmittel für die aktuellen Probleme der klassischen Musik zu sehen. Denn alle diese Online-Maßnamen verlangen einen langen Atem. Kurzfristig können über das Internet schnell neue Zielgruppen angesprochen werden, ob diese aber auf lange Sicht auch den Weg in die Konzerzsäle finden werden, wird sich erst noch zeigen müssen. So sieht es auch Alfred Wendel: "Wir senden Botschaften ins unbekannte Nichts, in der Hoffnung, dass dort Intelligenz ist, die hin und wieder mal was aufschnappt."
An der Zeppelin University hatte das Public Viewing im Dezember eine neue Hörkultur ausgelöst. Hier versammeln sich Gruppen von Studierende und Lehrende zu "Hauskonzerten" wo man sich gemeinsam zum "Konzert sehen" verabredet.
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