28.11.2019
Autor*in
Julia Jakob
studierte Musikwissenschaft und Kulturmanagement in Weimar. Praktische Erfahrungen im Kulturbetrieb sammelte sie bei unterschiedlichen Festivals und in verschiedenen Veranstaltungsbüros sowie als Agentin bei weim|art e. V. Seit 2021 ist sie die Chefredakteurin des Kultur Management Network Magazins und stellvertretende Leiterin der Redaktion.
Rückblick MOST WANTED: MUSIC 2019
Zukunftsmusik schon jetzt zum Klingen bringen
Diversität, ökologischer Fußabdruck, faire Vergütung und Beteiligung - wer über künftige Entwicklungen der Musikbranche reden möchte, begibt sich auf ein weites Feld. Nimmt man dorthin auch noch unterschiedlichste Beteiligte mit, verspricht die Unterhaltung lebhaft und kontrovers zu werden. Dass es zudem auch Interessenskonflikte braucht, um Zukunftsmusik zum Klingen zu bringen, zeigte die MOST WANTED: MUSIC 2019.
Unter dem Motto "A modern, better, weirder music convention" wollte der internationale Branchentreff für die Musik- und Kreativbranche in diesem Jahr einen Perspektivwechsel herbeiführen und zukünftige Herausforderungen sichtbar machen. Um diese Ziele zu erreichen, waren rund 2.000 internationale Fachbesucher*innen am 6. und 7. November 2019 in der Alten Münze Berlin aufgefordert, gemeinsam mit 150 Referent*innen über ein vielfältiges Themenspektrum in vier parallel stattfindenden Panels zu diskutieren: Neben ökologischer Nachhaltigkeit standen dazu Panels zu Diversität in der Musikbranche, der Wert und Social Impact von Musik oder neue (Live-)Musikerlebnisse und -märkte auf der Agenda. Dabei experimentierten die Veranstalter von der Berlin Music Commission (BMC) mit neuen Methoden des Know how-Transfers und neuen Formen der Vernetzung.
Power to the (creative) people
So hatten Teilnehmende mit Voranmeldung beispielsweise die Möglichkeit, beim Format "Meet the Expert" Gespräche mit den Berlin Music Commission's Music Ambassadors oder den "Music Publishing Pros" führen. Ebenso konnte man im Format "Ask me anything" mit Scott Cohen, Berthold Seliger und Holley M. Kholi-Murchison zu ihrem jeweiligen Vortrag ins Gespräch kommen.
Eine erfolgreiche Premiere feierte darüber hinaus der "Salon #Zukunftsmusik". Die Idee: keine starre Podiumsdiskussion, kein passives Publikum, keine altmodischen PowerPoint-Präsentationen; stattdessen konstruktive Diskussionen auf Augenhöhe mit Perspektiven für die Musikindustrie von morgen. Dabei hatten zwölf "kreative junge Menschen" die Möglichkeit, eine Stunde bei einem exklusiven Speed-Dating "erfahrene Macher" zu treffen, um gemeinsam Ideen und Themen hervorzubringen. Besonders beeindruckend war für die Initiatoren dabei vor allem die Eloquenz und Zielstrebigkeit, mit der die jungen Musiker*innen auftraten, wie Moderator Frand Sonder (7R3NK) betonte. Bessere und preisgünstigere Ausbildungsmöglichkeiten mit einem praxisbezogenen Wissensaustausch, bei dem alle Beteiligten von einander lernen können, waren dabei ein zentraler Punkt, den sich die jungen Musikschaffenden wünschen. Ebenso sprachen sie sich für eine Social Media-App für die Vernetzung der Berliner Musikszene aus. Anschließend wurden diese Inhalte in einer offenen Debatte mit weiteren jungen und erfahrenen Musik-Kreativen diskutiert und präzisiert. #Zukunftsmusik ist dabei als Projekt langfristig und handlungsorientiert angelegt, um "einen neuen Musikwirtschaftszweig" hervorzubringen, wie Mitinitiator Christian Ogrinz (Sound Dogma Berlin) mitteilte. So gibt es Anfang 2020 mit "ZUKUNFTSMUSIK 2020 OPEN UP" eine Folgeveranstaltung, ebenso wird die Realisierung von drei Projekten für 2020 bereits geplant.
Wer allein auf der Konferenz unterwegs war oder gezielt neue Leute kennenlernen wollte, konnte sich vorab für das "Lunch-Buddy"-Programm anmelden. Hier wurde man themengebunden zusammengesetzt und konnte sich beim gemeinsamen Mittagessen vernetzen. Um generell besser ins Gespräch zu kommen, gab es außerdem sogenannte "Icebreaker"-Karten mit spannenden (Fun-)Facts aus dem Musikbusiness, wie etwa, dass Prince auf seinem Debütalbum 27 Instrumente selbst eingespielt oder Mozart 2016 mehr Alben als Beyoncé verkauft hat. Auf Morgenmenschen wartete zudem mit "Most Wanted: Walks" ein Spaziergang durch’s Berliner Zentrum, um inspiriert in den zweiten Konferenztag zu starten. Im Anschluss daran gab es mit dem Musikalischen Frühshoppen ein weiteres Vernetzungsformat.
Geschmälert wurde der Vernetzungsgedanke allerdings durch die Verwendung von Slido als Fragetool im größten der vier Vortragsräume. Hierbei konnte das Publikum anonym Fragen an die Referent*innen stellen, die dann von diesen vorm Plenum beantwortet wurden. Mit persönlich gestellten Fragen hätte die Interaktionsrate sicherlich noch gesteigert werden können, was allerdings bei der Vielzahl an Teilnehmer*innen auch eine Herausforderung ist. So kamen jedoch zumindest in den anderen Räumen aktive Teilnehmer*innen aufgrund ihrer Fragen im Anschluss an das Panel mit den Referent*innen oder mit anderen Teilnehmer*innen ins Gespräch.
Make it a better place
Vernetzung ist aber nicht nur für jede*n Einzelne*n wichtig, sondern für die gesamte Branche, insbesondere wenn es um ökologische Nachhaltigkeit geht. Denn so bereichernd Musik auch für unser Leben sein mag, so verheerend ist ihr Konsum z. T. für die Umwelt: Musikstreaming verursacht zwar weniger Müll als analoge Musikträger, erzeugt aber fast doppelt so viele CO2-Emissionen. Für weitere 10 bis 20 Prozent der von der Musikindustrie verursachten Treibhausgasemissionen ist zudem das weltweilte Tourneegeschäft verantwortlich, wie die französische Alliance des Managers d’Artistes (AMA) bei MW:M zusammenfasste. Wenn Coldplay vorerst dem Klima zuliebe nicht mehr touren wollen oder Billie Eilish ihre Konzerte "as eco-friendly and green as possible" machen will, setzen sie also neue Maßstäbe, für die sie auch Einbußen bei sich und ihren Fans in Kauf nehmen.
Diese Musiker*innen machen damit einen Schritt in die richtige Richtung, dem das komplette Musikbusiness folgen muss. Wie man Nachhaltigkeits-Engagement über Ländergrenzen hinweg bündeln und Synergien schaffen kann, diskutierten bei MW:M daher verschiedene Gesprächsrunden und Panels. Etwas vage fiel jedoch Rüdiger Kruses formulierte Maßnahmen zu mehr Nachhaltigkeit aus: "Die internationale Vernetzung der Kreativindustrie ist einer der wichtigsten Schritte in Richtung der eigenen Nachhaltigkeit - dafür bietet MW:M eine tolle Plattform!”
An alle Ladies
Als Unterzeichner der Keychange-Initiative zum Gendergleichgewicht erreichte MW:M darüber hinaus sowohl bei den Referent*innen als auch bei den Moderator*innen und Live-Acts ein 50/50-Geschlechterverhältnis. Ein Erfolg, der jedoch (noch) nicht in der Musikindustrie Deutschlands, dem drittgrößten Markt für Tonträger, verbucht werden kann, weshalb das Thema im Rahmen der Veranstaltung breit diskutiert wurde. So brachte Andrea Rothaug (Gründerin von Music Women Germany) niederschmetternde Zahlen vor:
Power to the (creative) people
So hatten Teilnehmende mit Voranmeldung beispielsweise die Möglichkeit, beim Format "Meet the Expert" Gespräche mit den Berlin Music Commission's Music Ambassadors oder den "Music Publishing Pros" führen. Ebenso konnte man im Format "Ask me anything" mit Scott Cohen, Berthold Seliger und Holley M. Kholi-Murchison zu ihrem jeweiligen Vortrag ins Gespräch kommen.
Eine erfolgreiche Premiere feierte darüber hinaus der "Salon #Zukunftsmusik". Die Idee: keine starre Podiumsdiskussion, kein passives Publikum, keine altmodischen PowerPoint-Präsentationen; stattdessen konstruktive Diskussionen auf Augenhöhe mit Perspektiven für die Musikindustrie von morgen. Dabei hatten zwölf "kreative junge Menschen" die Möglichkeit, eine Stunde bei einem exklusiven Speed-Dating "erfahrene Macher" zu treffen, um gemeinsam Ideen und Themen hervorzubringen. Besonders beeindruckend war für die Initiatoren dabei vor allem die Eloquenz und Zielstrebigkeit, mit der die jungen Musiker*innen auftraten, wie Moderator Frand Sonder (7R3NK) betonte. Bessere und preisgünstigere Ausbildungsmöglichkeiten mit einem praxisbezogenen Wissensaustausch, bei dem alle Beteiligten von einander lernen können, waren dabei ein zentraler Punkt, den sich die jungen Musikschaffenden wünschen. Ebenso sprachen sie sich für eine Social Media-App für die Vernetzung der Berliner Musikszene aus. Anschließend wurden diese Inhalte in einer offenen Debatte mit weiteren jungen und erfahrenen Musik-Kreativen diskutiert und präzisiert. #Zukunftsmusik ist dabei als Projekt langfristig und handlungsorientiert angelegt, um "einen neuen Musikwirtschaftszweig" hervorzubringen, wie Mitinitiator Christian Ogrinz (Sound Dogma Berlin) mitteilte. So gibt es Anfang 2020 mit "ZUKUNFTSMUSIK 2020 OPEN UP" eine Folgeveranstaltung, ebenso wird die Realisierung von drei Projekten für 2020 bereits geplant.
Wer allein auf der Konferenz unterwegs war oder gezielt neue Leute kennenlernen wollte, konnte sich vorab für das "Lunch-Buddy"-Programm anmelden. Hier wurde man themengebunden zusammengesetzt und konnte sich beim gemeinsamen Mittagessen vernetzen. Um generell besser ins Gespräch zu kommen, gab es außerdem sogenannte "Icebreaker"-Karten mit spannenden (Fun-)Facts aus dem Musikbusiness, wie etwa, dass Prince auf seinem Debütalbum 27 Instrumente selbst eingespielt oder Mozart 2016 mehr Alben als Beyoncé verkauft hat. Auf Morgenmenschen wartete zudem mit "Most Wanted: Walks" ein Spaziergang durch’s Berliner Zentrum, um inspiriert in den zweiten Konferenztag zu starten. Im Anschluss daran gab es mit dem Musikalischen Frühshoppen ein weiteres Vernetzungsformat.
Geschmälert wurde der Vernetzungsgedanke allerdings durch die Verwendung von Slido als Fragetool im größten der vier Vortragsräume. Hierbei konnte das Publikum anonym Fragen an die Referent*innen stellen, die dann von diesen vorm Plenum beantwortet wurden. Mit persönlich gestellten Fragen hätte die Interaktionsrate sicherlich noch gesteigert werden können, was allerdings bei der Vielzahl an Teilnehmer*innen auch eine Herausforderung ist. So kamen jedoch zumindest in den anderen Räumen aktive Teilnehmer*innen aufgrund ihrer Fragen im Anschluss an das Panel mit den Referent*innen oder mit anderen Teilnehmer*innen ins Gespräch.
Make it a better place
Vernetzung ist aber nicht nur für jede*n Einzelne*n wichtig, sondern für die gesamte Branche, insbesondere wenn es um ökologische Nachhaltigkeit geht. Denn so bereichernd Musik auch für unser Leben sein mag, so verheerend ist ihr Konsum z. T. für die Umwelt: Musikstreaming verursacht zwar weniger Müll als analoge Musikträger, erzeugt aber fast doppelt so viele CO2-Emissionen. Für weitere 10 bis 20 Prozent der von der Musikindustrie verursachten Treibhausgasemissionen ist zudem das weltweilte Tourneegeschäft verantwortlich, wie die französische Alliance des Managers d’Artistes (AMA) bei MW:M zusammenfasste. Wenn Coldplay vorerst dem Klima zuliebe nicht mehr touren wollen oder Billie Eilish ihre Konzerte "as eco-friendly and green as possible" machen will, setzen sie also neue Maßstäbe, für die sie auch Einbußen bei sich und ihren Fans in Kauf nehmen.
Diese Musiker*innen machen damit einen Schritt in die richtige Richtung, dem das komplette Musikbusiness folgen muss. Wie man Nachhaltigkeits-Engagement über Ländergrenzen hinweg bündeln und Synergien schaffen kann, diskutierten bei MW:M daher verschiedene Gesprächsrunden und Panels. Etwas vage fiel jedoch Rüdiger Kruses formulierte Maßnahmen zu mehr Nachhaltigkeit aus: "Die internationale Vernetzung der Kreativindustrie ist einer der wichtigsten Schritte in Richtung der eigenen Nachhaltigkeit - dafür bietet MW:M eine tolle Plattform!”
An alle Ladies
Als Unterzeichner der Keychange-Initiative zum Gendergleichgewicht erreichte MW:M darüber hinaus sowohl bei den Referent*innen als auch bei den Moderator*innen und Live-Acts ein 50/50-Geschlechterverhältnis. Ein Erfolg, der jedoch (noch) nicht in der Musikindustrie Deutschlands, dem drittgrößten Markt für Tonträger, verbucht werden kann, weshalb das Thema im Rahmen der Veranstaltung breit diskutiert wurde. So brachte Andrea Rothaug (Gründerin von Music Women Germany) niederschmetternde Zahlen vor:
- 2015 waren in nur 7,4% der Unternehmen im Verband der unabhängigen Musikverbände (VUT) Frauen in Führungspositionen
- 2016 schwankte das geschlechtsspezifische Lohngefälle zwischen 22 und 64%
- nur etwa 10% der Künstler*innen auf Mainstream-Festivals in Deutschland sind weiblich
Damit sich daran etwas ändert, könnten nationale Netzwerke wie die Music Industry Women der VUT mit lokalen Netzwerk-Sponsoren wie der Berlin Music Commission zusammenarbeiten. Für mehr Vernetzung von Frauen in der Musikindustrie hat der Verband bereits eine Datenbank erstellt, durch die die Sichtbarkeit von Jobangeboten und Talenten erhöht werden soll. Damit soll eine hartnäckige These entkräftet werden, die sich laut Rothaug im Musikbiz immer noch hält und besagt, es gäbe einfach nicht genügend Frauen in der Branche. Ihre eindringliche Forderung lautete daher: "Wir wollen 50/50 - alles andere steht nicht zur Debatte.”
Should I pay or should I go?
Neben Diversität und Nachhaltigkeit waren auch der Wert und Social Impact von Musik weitere wichtige Themen von MW:M19. Eine Grundsatzfrage warf dazu Scott Cohen (Chief Innovation Officer Recorded Music bei der Warner Music Group) in seiner Keynote auf. Er erörterte sowohl den finanziellen als auch den sozialen Wert von Musik und zeichnete die Geschichte der Musikwirtschaft seit den 90er Jahren nach. Die Wurzel allen Übels: Napster und Online-Piraterie. Mit Streaming-Plattformen habe man zwar wieder an die Monetarisierung anknüpfen können, aber den Wert von Musik nur an der Download- oder Streamingrate festzumachen, sei abwertend.
Dass die Musikindustrie durchaus anfangs unter der Digitalisierung gelitten hat, ist natürlich keine neue Erkenntnis. Jedoch wurden die damit einhergehenden Veränderungen anfangs auch unterschätzt. Hätte man rechtzeitig die Chancen und Risiken des Online-Vertriebs erkannt, stünde man heute womöglich nicht vor dem Problem, Konsument*innen dafür zu sensibilisieren, dass auch ein Monatsabo für 9,99 € die Kreativen immer noch nicht fair entlohnt. Immerhin versucht mittlerweile der Streaming-Anbieter Deezer, sein Modell zugunsten der Künstler*innen zu ändern. Und im Vergleich zu anderen Kulturbereichen oder auch dem Journalismus kann die Musikindustrie bezüglich der Monetarisierung digitaler Kunst heute durchaus als Vorreiter gelten.
Neue Einnahmequellen verspricht Cohen sich darüber hinaus von neuen Technologien wie Blockchain und VR, sofern die Branche mutiger und erfinderischer denkt. Insbesondere Musikkonsum könne durch VR noch besser werden und den Konsument*innen erlauben, aktiv am Musikgeschehen teilzunehmen: "Imagine using an AI-powered instrument like the Artiphon: you put the headset on, and you’re suddenly onstage with Led Zeppelin. And then, without ever having played a note before, you can take over the solo on Stairway to Heaven in front of a stadium crowd. That’s a lot more compelling.” Einen ersten Vorgeschmack darauf gab es auf der Konferenz selbst mit VRJAM, der weltweit ersten Live-VR-Experience-Plattform für mobiles VR. Damit bekam man einen Blick in die Zukunft der Live-Musik mit einer immersiven, virtuellen Reality-Musik-Erfahrung.
Marktmacht kills the Independent-Star
Fairer - vor allem für ihr geistiges Eigentum - entlohnt werden sollen Künstler*innen aber bestenfalls durch die EU-Urheberrechtsrichtlinie und die darin enthaltenen Uploadfilter, mit denen die illegale Verbreitung geschützter Inhalte im Netz verhindert werden soll. Im Panel zum aktuellen Stand der Richtlinie wurde ein damit einhergehender Interessenskonflikt deutlich: Florian Drücke (CEO des Bundesverbands Musikindustrie) sprach sich klar dafür aus, um die wirtschaftliche Grundlage der Branche - das geistige Eigentum - zu schützen. Bisher sei es immer noch so, dass Upload-Dienste wie YouTube Künstler*innen und Musikmanager*innen nicht fair an den Erlösen beteiligen. Dass das mit dieser Reform hinreichend geändert werden kann, bezweifelte hingegen Markus Beckedahl (Journalist und Gründer von netzpolitik.org). Damit würde sich die Marktmacht von YouTube schlimmstenfalls sogar noch steigern: "Denn YouTube gibt dann mehr Geld an die Musikindustrie und kann als einzige Plattform eine gute Infrastruktur für 'Uploadfilter' aufbauen, im Gegensatz zu kleineren Diensten." Ebenso machte Beckedahl darauf aufmerksam, dass auf Samples basierende Musikstile wie HipHop kaum noch verbreitet werden könnten. Im Zuge dessen sprach sich Beckedahl für ein "Recht auf Remix" aus, das im Deutschen Recht in das Zitatrecht ausgedehnt werden solle. Ebenso plädierte er dafür, die Marktmacht von Google und YouTube zu beschränken.
Auf ein weiteres Macht- bzw. Marktproblem der Livemusic-Branche machte Berthold Seliger (Konzertagentur Seliger) aufmerksam. In seinem Panel "Imperiengeschäft oder kulturelle Vielfalt - die Realität des Konzertgeschäfts" sprach er sich gegen das aktuelle Superstargeschäft aus. Das Problem: Zwar seien die Besucher*innen bereit, mehr Geld für den Musikkonsum auszugeben, jedoch würden davon nur die großen Konzerne und Stars profitieren. Dies fördere keine kulturelle Vielfalt, sondern mache das Konzert- zum Imperiengeschäft, da die Marketing- und Bookingmacht bei den großen Plattenfirmen und Ticketinganbietern liege. Sein Plädoyer: "Wir brauchen eine neue Ethik und vor allem neue Regeln in der Popkultur der Konzertwirtschaft." Dafür müssten Monopole wie die von CTS Eventim, Ticketmaster und Viagogo zerschlagen und Kartellrechte entworfen werden, so Seliger weiter. Auch bei diesem Vorhaben kann die Vernetzung von Independent-Labeln und -Künstler*innen dabei helfen, etwas einiges auf die Beine zu stellen. Aktionen wie der unabhängige Albenvertrieb von Kraftklubfrontmann Felix Kummer über den Plattenladen seines Vaters können als gute Beispiele dafür gesehen werden, dass auch eine Infrastruktur ohne die "big Player" funktionieren kann.
To pop some ads - with only 20 dollars in the pocket
Damit aber auch kleinere Clubs und Bands mit geringen finanziellen Ressourcen in den aktuellen Strukturen bestehen können, bietet die Digitalisierung im Bereich Marketing, insbesondere online, wichtige Chancen. Ausgehend von dieser These stellte der Live Music Accelerator Berlin (LMAB) im Panel "Mit Daten Events ausverkaufen?" die Ergebnisse seiner Datenanalyse vor. Initiierte hatte das Projekt die deutsche Booking-Plattform Gigmit und konnte dafür zahlreiche Unterstützer aus der Musikindustrie gewinnen. Für die Studie wurden zunächst ein Jahr lang Verantwortliche von 59 Agenturen, Live-Acts, Festivals und Clubs im Online-Marketing weitergebildet. Zudem wurde ihnen jeweils ein Werbebudget bereitgestellt. Das Überraschende: Selbst in dieser digitalaffinen Branche waren die Vorbehalte gegenüber Social Media-Marketing zum Teil sehr hoch. So berichtete Stefan Schumacher (LMAB-Teilnehmer, Booker bei All Rooms), dass er zu Beginn lieber weiter Plakate geklebt hätte und die Chancen des Digitalmarketings einfach unterschätzt hatte. Denn die Ergebnisse des Projekts sprechen für sich:
Should I pay or should I go?
Neben Diversität und Nachhaltigkeit waren auch der Wert und Social Impact von Musik weitere wichtige Themen von MW:M19. Eine Grundsatzfrage warf dazu Scott Cohen (Chief Innovation Officer Recorded Music bei der Warner Music Group) in seiner Keynote auf. Er erörterte sowohl den finanziellen als auch den sozialen Wert von Musik und zeichnete die Geschichte der Musikwirtschaft seit den 90er Jahren nach. Die Wurzel allen Übels: Napster und Online-Piraterie. Mit Streaming-Plattformen habe man zwar wieder an die Monetarisierung anknüpfen können, aber den Wert von Musik nur an der Download- oder Streamingrate festzumachen, sei abwertend.
Dass die Musikindustrie durchaus anfangs unter der Digitalisierung gelitten hat, ist natürlich keine neue Erkenntnis. Jedoch wurden die damit einhergehenden Veränderungen anfangs auch unterschätzt. Hätte man rechtzeitig die Chancen und Risiken des Online-Vertriebs erkannt, stünde man heute womöglich nicht vor dem Problem, Konsument*innen dafür zu sensibilisieren, dass auch ein Monatsabo für 9,99 € die Kreativen immer noch nicht fair entlohnt. Immerhin versucht mittlerweile der Streaming-Anbieter Deezer, sein Modell zugunsten der Künstler*innen zu ändern. Und im Vergleich zu anderen Kulturbereichen oder auch dem Journalismus kann die Musikindustrie bezüglich der Monetarisierung digitaler Kunst heute durchaus als Vorreiter gelten.
Neue Einnahmequellen verspricht Cohen sich darüber hinaus von neuen Technologien wie Blockchain und VR, sofern die Branche mutiger und erfinderischer denkt. Insbesondere Musikkonsum könne durch VR noch besser werden und den Konsument*innen erlauben, aktiv am Musikgeschehen teilzunehmen: "Imagine using an AI-powered instrument like the Artiphon: you put the headset on, and you’re suddenly onstage with Led Zeppelin. And then, without ever having played a note before, you can take over the solo on Stairway to Heaven in front of a stadium crowd. That’s a lot more compelling.” Einen ersten Vorgeschmack darauf gab es auf der Konferenz selbst mit VRJAM, der weltweit ersten Live-VR-Experience-Plattform für mobiles VR. Damit bekam man einen Blick in die Zukunft der Live-Musik mit einer immersiven, virtuellen Reality-Musik-Erfahrung.
Marktmacht kills the Independent-Star
Fairer - vor allem für ihr geistiges Eigentum - entlohnt werden sollen Künstler*innen aber bestenfalls durch die EU-Urheberrechtsrichtlinie und die darin enthaltenen Uploadfilter, mit denen die illegale Verbreitung geschützter Inhalte im Netz verhindert werden soll. Im Panel zum aktuellen Stand der Richtlinie wurde ein damit einhergehender Interessenskonflikt deutlich: Florian Drücke (CEO des Bundesverbands Musikindustrie) sprach sich klar dafür aus, um die wirtschaftliche Grundlage der Branche - das geistige Eigentum - zu schützen. Bisher sei es immer noch so, dass Upload-Dienste wie YouTube Künstler*innen und Musikmanager*innen nicht fair an den Erlösen beteiligen. Dass das mit dieser Reform hinreichend geändert werden kann, bezweifelte hingegen Markus Beckedahl (Journalist und Gründer von netzpolitik.org). Damit würde sich die Marktmacht von YouTube schlimmstenfalls sogar noch steigern: "Denn YouTube gibt dann mehr Geld an die Musikindustrie und kann als einzige Plattform eine gute Infrastruktur für 'Uploadfilter' aufbauen, im Gegensatz zu kleineren Diensten." Ebenso machte Beckedahl darauf aufmerksam, dass auf Samples basierende Musikstile wie HipHop kaum noch verbreitet werden könnten. Im Zuge dessen sprach sich Beckedahl für ein "Recht auf Remix" aus, das im Deutschen Recht in das Zitatrecht ausgedehnt werden solle. Ebenso plädierte er dafür, die Marktmacht von Google und YouTube zu beschränken.
Auf ein weiteres Macht- bzw. Marktproblem der Livemusic-Branche machte Berthold Seliger (Konzertagentur Seliger) aufmerksam. In seinem Panel "Imperiengeschäft oder kulturelle Vielfalt - die Realität des Konzertgeschäfts" sprach er sich gegen das aktuelle Superstargeschäft aus. Das Problem: Zwar seien die Besucher*innen bereit, mehr Geld für den Musikkonsum auszugeben, jedoch würden davon nur die großen Konzerne und Stars profitieren. Dies fördere keine kulturelle Vielfalt, sondern mache das Konzert- zum Imperiengeschäft, da die Marketing- und Bookingmacht bei den großen Plattenfirmen und Ticketinganbietern liege. Sein Plädoyer: "Wir brauchen eine neue Ethik und vor allem neue Regeln in der Popkultur der Konzertwirtschaft." Dafür müssten Monopole wie die von CTS Eventim, Ticketmaster und Viagogo zerschlagen und Kartellrechte entworfen werden, so Seliger weiter. Auch bei diesem Vorhaben kann die Vernetzung von Independent-Labeln und -Künstler*innen dabei helfen, etwas einiges auf die Beine zu stellen. Aktionen wie der unabhängige Albenvertrieb von Kraftklubfrontmann Felix Kummer über den Plattenladen seines Vaters können als gute Beispiele dafür gesehen werden, dass auch eine Infrastruktur ohne die "big Player" funktionieren kann.
To pop some ads - with only 20 dollars in the pocket
Damit aber auch kleinere Clubs und Bands mit geringen finanziellen Ressourcen in den aktuellen Strukturen bestehen können, bietet die Digitalisierung im Bereich Marketing, insbesondere online, wichtige Chancen. Ausgehend von dieser These stellte der Live Music Accelerator Berlin (LMAB) im Panel "Mit Daten Events ausverkaufen?" die Ergebnisse seiner Datenanalyse vor. Initiierte hatte das Projekt die deutsche Booking-Plattform Gigmit und konnte dafür zahlreiche Unterstützer aus der Musikindustrie gewinnen. Für die Studie wurden zunächst ein Jahr lang Verantwortliche von 59 Agenturen, Live-Acts, Festivals und Clubs im Online-Marketing weitergebildet. Zudem wurde ihnen jeweils ein Werbebudget bereitgestellt. Das Überraschende: Selbst in dieser digitalaffinen Branche waren die Vorbehalte gegenüber Social Media-Marketing zum Teil sehr hoch. So berichtete Stefan Schumacher (LMAB-Teilnehmer, Booker bei All Rooms), dass er zu Beginn lieber weiter Plakate geklebt hätte und die Chancen des Digitalmarketings einfach unterschätzt hatte. Denn die Ergebnisse des Projekts sprechen für sich:
- Teilnehmende Veranstalter*innen verzeichneten durchschnittlich 1,5 mal mehr Zusagen und ein knapp dreimal höheres Interesse für ihre Veranstaltungen
- Teilnehmende Künstler*innen konnten im Schnitt knapp dreimal mehr Veranstaltungszusagen verbuchen
- Insgesamt wurden während des Projekts 18.000 Euro in Marketingmaßnahmen investiert und 33.400 Tickets verkauft, wovon 50 Prozent über Online-Vorverkauf abgewickelt wurden.
Thank you for the music(-conference)
Alles in allem ließ MW:M für Musikschaffende aufgrund der thematischen Vielfalt keine Wünsche offen (und falls doch, kann man den Veranstaltern dazu sicherlich fürs kommende Jahr Anregungen geben...). Ebenso waren die Vielzahl der Formate und die Einbindung der Teilnehmer*innen wirklich lobenswert und sollte ein Vorbild auch für Konferenzen zu anderen Kulturthemen sein. Allerdings führten die parallel stattfindenden Panels mitunter zu inneren Konflikten, die nur ein magischer Zeitumkehrer hätte lösen können.
Zudem war es schade, dass einige Vorträge nicht das einlösten, was ihr Titel suggerierte. So wurde beispielsweise im Panel "How African Music is Shaping the European Cultural Landscape" genau diese Frage nicht beantwortet. Stattdessen debattierten die beiden Referent*innen über die Definition von "Afromusic" und dergleichen als Etikett. Ähnlich vermittelte Jannik Huelshoff (Head of DACH Partnerships & Content bei Twitch) mehr grundlegende Informationen zu Twitch selbst als über dessen Live-Streaming-Tool Twitch Sings als Beispiel für den Nutzen von Trends aus anderen Entertainment-Branchen für die Musikbranche.
Ein weiterer positiver Aspekt an MW:M 2019: Musik war nicht nur Diskussionsgegenstand, sondern im Rahmen die Konferenz gab es auch Platz für zahlreiche musikalische Darbietungen. Den Auftakt machten beispielsweise am Vorabend die listen to berlin: awards 2019 für Akteur*innen der Berliner Musik- und Kreativbranche. Zudem gab es zum Wachwerden einen musikalischen Einstieg in den Tag und verschiedene "Zwischentöne" in den Panels selbst, bei denen die neusten Technologien für das Musikmachen und dessen Produktion vorgestellt wurden. Und mit "MW:M live" veranstaltete MW:M in diesem Jahr ein eigenes Showcase. "Damit wollen wir nicht nur ausgewählte Talente und deren Geschäftspartnern direkt beim Karriereaufbau unterstützen, sondern auch der Livemusik-Branche eine größere Plattform im Rahmen von MW:M geben", betonte Stefan Hengst (Director MW:M).
Damit wurde einmal mehr unterstrichen, dass MW:M sich nicht nur an Entscheider*innen und Führungskräfte wendet, sondern diese gezielt mit den Kreativen in Kontakt bringen möchte. Gemeinsam getroffene Entscheidung sind dabei der beste Weg, um auch sich auch in Zukunft an Musik in all ihren Facetten erfreuen zu können. Denn: Music was our first love and it’ll be our last.
Alles in allem ließ MW:M für Musikschaffende aufgrund der thematischen Vielfalt keine Wünsche offen (und falls doch, kann man den Veranstaltern dazu sicherlich fürs kommende Jahr Anregungen geben...). Ebenso waren die Vielzahl der Formate und die Einbindung der Teilnehmer*innen wirklich lobenswert und sollte ein Vorbild auch für Konferenzen zu anderen Kulturthemen sein. Allerdings führten die parallel stattfindenden Panels mitunter zu inneren Konflikten, die nur ein magischer Zeitumkehrer hätte lösen können.
Zudem war es schade, dass einige Vorträge nicht das einlösten, was ihr Titel suggerierte. So wurde beispielsweise im Panel "How African Music is Shaping the European Cultural Landscape" genau diese Frage nicht beantwortet. Stattdessen debattierten die beiden Referent*innen über die Definition von "Afromusic" und dergleichen als Etikett. Ähnlich vermittelte Jannik Huelshoff (Head of DACH Partnerships & Content bei Twitch) mehr grundlegende Informationen zu Twitch selbst als über dessen Live-Streaming-Tool Twitch Sings als Beispiel für den Nutzen von Trends aus anderen Entertainment-Branchen für die Musikbranche.
Ein weiterer positiver Aspekt an MW:M 2019: Musik war nicht nur Diskussionsgegenstand, sondern im Rahmen die Konferenz gab es auch Platz für zahlreiche musikalische Darbietungen. Den Auftakt machten beispielsweise am Vorabend die listen to berlin: awards 2019 für Akteur*innen der Berliner Musik- und Kreativbranche. Zudem gab es zum Wachwerden einen musikalischen Einstieg in den Tag und verschiedene "Zwischentöne" in den Panels selbst, bei denen die neusten Technologien für das Musikmachen und dessen Produktion vorgestellt wurden. Und mit "MW:M live" veranstaltete MW:M in diesem Jahr ein eigenes Showcase. "Damit wollen wir nicht nur ausgewählte Talente und deren Geschäftspartnern direkt beim Karriereaufbau unterstützen, sondern auch der Livemusik-Branche eine größere Plattform im Rahmen von MW:M geben", betonte Stefan Hengst (Director MW:M).
Damit wurde einmal mehr unterstrichen, dass MW:M sich nicht nur an Entscheider*innen und Führungskräfte wendet, sondern diese gezielt mit den Kreativen in Kontakt bringen möchte. Gemeinsam getroffene Entscheidung sind dabei der beste Weg, um auch sich auch in Zukunft an Musik in all ihren Facetten erfreuen zu können. Denn: Music was our first love and it’ll be our last.
Impressionen von MW:M 2019
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