06.05.2020
Themenreihe Corona
Autor*in
Kristin Oswald
leitet die Online-Redaktion von Kultur Management Network. Sie studierte Geschichte und Archäologie in Jena und Rom sowie Social Media-Marketing in Berlin. Sie ist freiberuflich in der Wissenschaftskommunikation und im Museumsmarketing mit Schwerpunkt online tätig.
Kultureinrichtungen wieder öffnen
Von 0 auf 30 in drei Monaten
Die Bundesregierung und die ersten Bundesländer haben Lockerungen der Coronamaßnahmen beschlossen. Dies ermöglicht es ersten Kultureinrichtungen, wieder Dienstleistungen vor Ort anzubieten. Dabei sollte aber stets die Frage im Zentrum stehen, was zum Schutz aller Beteiligten möglich und nötig ist.
Themenreihe Corona
Die wichtigsten Grundregeln kennt inzwischen jede*r: Abstand halten, Mund-Nase-Masken tragen, Hände waschen, das Gesicht nicht anfassen usw. Wenn die ersten Kultureinrichtungen nun ihre Türen wieder öffnen, müssen sie das alles sicherstellen und zudem Handspender für Desinfektionsmittel bereitstellen, ihre Räumlichkeiten regelmäßig desinfizieren und gegebenenfalls umrüsten. Dazu kann es zum Beispiel gehören, die Laufwege im Haus umzugestalten, Ein- und Ausgänge zu trennen, Spuckschutze zu errichten, das Sicherheitspersonal aufzustocken, um Besuchermengen zu regulieren und Staus an Toilette, Garderobe oder Kasse zu verhindern, oder neue Pläne für das Reinigungspersonal aufzustellen. Verbände wie der Deutsche Museumsverband stellen Plakatvordrucke bereit, die die Häuser vor Ort aufhängen können.
Hinzu kommen für Museen, aber auch für Bibliotheken, Musik- oder Volkhochschulen spezielle Besuchszeitfenster für alle oder für bestimmte Gruppen oder Online-Ticketsysteme. Es müssen also Zeitpläne für den Unterricht oder den Besuch erstellt werden, bestehende Gruppen ggf. aufgeteilt oder Pausenzeiten reguliert bzw. gestaffelt werden. Die Wiederöffnung ist für viele Kulturmanager*innen deshalb ein Vollzeitjob. Und gerade, weil es nicht einfach ist, diese Maßnahmen umzusetzen, sollte vor jeder Öffnung die - unschöne - Frage nach der Notwendigkeit und Umsetzbarkeit stehen.
Mit wie vielen Besucher*innen ist zu rechnen?
Die meisten der aktuellen Maßnahmenkataloge sehen, ähnlich wie im Einzelhandel, eine Beschränkung des Zugangs auf eine bestimmte Personenanzahl je Quadratmeter vor. Dafür ist es notwendig, zu prüfen, wie viele Menschen (Besucher*innen und Mitarbeiter*innen) sich gleichzeitig in welchen Räumen aufhalten dürfen, und idealerweise den Besucher*innenandrang zu steuern. Gerade letzteres ist aber oft nicht einfach. Einerseits ist davon auszuzugehen, dass viele und gerade ältere Menschen gemeinschaftliche Orte weiterhin meiden werden und im Alltag von anderen Dingen zu stark eingenommen sind, um sich auf einen Kulturbesuch einzustellen. Zudem ist das Tragen von Masken doch auf Dauer sehr unangenehm und insbesondere für Kinder schwierig umzusetzen. Entsprechend fallen beispielsweise die ersten Besuchszahlen in den Thüringer Museen eher gering aus. Andererseits - und das zeigen die bisherigen Erfahrungen mit der Öffnung des Einzelhandels - fällt vielen Menschen die Decke auf den Kopf. Gerade Familien sind jetzt wahrscheinlich dankbar für jede Abwechslung und jeden Ausflug mit den Kindern, sodass sie Kulturangebote womöglich doch intensiver nutzen werden.
Wichtige Fragen sind deshalb: Wer sind die Stammbesucher*innen? Wie groß ist der Anteil an Familien, wie groß der des lokalen Laufpublikums? Wie viele der bisherigen Besucher*innen waren Tourist*innen, mit denen vorerst nicht zu rechnen ist? Welche anderen Angebote gibt es vor Ort, die die Menschen vielleicht eher nutzen? Gibt es beispielsweise mehrere Museen in einer Stadt, sind die Naturkundemuseen für die Familien wahrscheinlich erst einmal attraktiver als die Kunstmuseen. Im Fall kleiner Heimatmuseen gibt es wohl eher wenig Laufpublikum, zugleich sind sie aber gerade für das ältere lokale Publikum oft wichtige soziale Orte. Bei Bibliotheken hingegen kann das sehr gemischt sein, aber auch sie sind für Familien gerade sehr attraktiv. Das gilt auch für soziokulturelle Zentren. Es ist also zu erwarten, dass Eltern und Kinder die neuen Angebote besonders stark nutzen werden.
Online-Ticketsysteme oder zumindest Voranmeldungen per Email oder Telefon können dabei für alle Kultureinrichtungen ein guter Weg sein, sich auf die Besucher*innenzahl vorzubereiten und Öffnungszeiten, Zeitfenster oder Personalaufwand daran anzupassen und erst einmal nur einzelne Räume zu öffnen. "Wann immer es für das Angebot eines bestimmten Services keine schnelle Lösung zur Umsetzung der notwendigen Maßnahmen gibt, ist es anzuraten, auf diesen Service vorerst zu verzichten", so der Deutsche Bibliotheksverband (dbv) in seinen Empfehlungen.
Öffnung kostet Geld
Diese vorbereitenden Maßnahmen sind nicht nur wichtig, weil davon abhängt, ob die Vorgaben von den Kommunen und Bundesländern eingehalten werden können. Die Öffnung der Häuser ist unter diesen Umständen zudem deutlich teurer und aufwendiger als sonst. Allein Mund-Nase-Masken für die Mitarbeiter*innen, selbstklebende Abstandsanzeiger für die Böden, Spukschutz und Desinfektionsmittel kosten viel Geld und längst nicht immer kommen die Träger dafür auf. Die Eintrittsgelder können das nicht ausgleichen, schon gar nicht bei geringeren Besuchs- und Publikumszahlen. Zugleich greifen aber Notfallfonds wie das "NEUSTART. Sofortprogramm für Corona-bedingte Investitionen in Kultureinrichtungen" der Bundesregierung für Museen, Veranstaltungsorte und soziokulturelle Zentren erst ab 10.000 Euro. Dort, wo beispielsweise zusätzliches Sicherheitspersonal benötigt wird, ist das sicher eine große Hilfe. Für ein kleines Haus mag ein solcher Betrag aber schon weit über dem Notwendigen liegen, zugleich kann es 2.000 oder 5.000 Euro selbst nicht aufbringen. Hier muss also gut überlegt werden, ob der Aufwand den Ertrag rechtfertigt, etwa wenn Klimaanlagen nicht genutzt werden können, weil sie möglicherweise zur Virenverbreitung beitragen.
Noch teurer werden komplette Neuanschaffungen wie Online-Ticketshops, Zugangsschleusen oder auch digitale Ausstattungen als Besuchsersatz. Erfreulicherweise unterstützt das Neustart-Programm all diese Ansätze und bietet damit auch für kleine Häuser eine Möglichkeit, sich längerfristig auszustatten. Für eine schnelle Umsetzung und Wiederöffnung sind sie allerdings nicht geeignet.
Zudem unterstützt dieses viele private Kultureinrichtungen nicht, etwa die freien Musikschulen. Deren Bundesverband bdfm empfiehlt, ab sofort auch Unterricht an Sonn- und Feiertagen anzubieten, was zusätzlichen organisatorischen Aufwand bedeutet. Der bdfm weist aber auch daraufhin, dass im Zweifelsfall Onlineformate weiterhin alternativ angeboten werden sollen - und als einer von nur wenigen Kulturverbänden.
Die Mitarbeiter*innen nicht vergessen
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist der Schutz der Mitarbeiter*innen. Nur weil ein Haus wieder öffnet, muss das nicht bedeuten, dass auch alle Mitarbeiter*innen zurückkehren müssen oder können, wenn beispielsweise die Kinderbetreuung nicht sichergestellt ist. Aufgaben, die in den letzten Wochen gut von zuhause aus funktioniert haben und für den Betrieb vor Ort nicht notwendig sind, können und sollten auch weiterhin im Home Office erledigt werden. Denn der Kontakt zwischen Mitarbeiter*innen und Besucher*innen muss auch weiterhin so gering wie möglich bleiben. So empfiehlt beispielsweise der Deutsche Museumsbund, Personal aus Risikogruppen in Bereichen ohne Publikumskontakt einzusetzen. Die LAG Jugendkunstschulen Thüringen erweitert dies noch um Personen im Umfeld der Mitarbeiter*innen und verweist beispielsweise auch darauf, dass vorhandenes gemeinsames Geschirr nicht genutzt werden sollte. Museumscafés dürfen bis auf Weiteres gar nicht öffnen, lediglich Außer-Haus-Verkauf ist möglich.
Der dbv weist zudem auf die Gefahr durch indirekten Kontakt etwa über Gegenstände hin (Garderoben, Schließfächer, Bargeld, Mitgliedskarten usw.). Die Empfehlungen des Verbandes verweisen deshalb auf die Hinweise des Robert-Koch-Instituts, dass alle Objekte aus Plastik für 72 Stunden, alle aus Papier für 24 Stunden in Quarantäne müssen, sofern sie in längerem Kontakt mit Besucher*innen waren. Auch für die anderen Kultureinrichtungen gilt hier besondere Vorsicht und die Frage, wie man solche indirekten Kontakte vermeiden kann. Zeitslot-Buchungen via Email könnten beispielsweise mit einer Überweisung verbunden oder Bargeldzahlungen untersagt werden.
Veranstaltungen
Aktuell sind die meisten Veranstaltungen noch mindestens bis zum 31. August untersagt. Zwar dürfen manche Museen Kleingruppenführungen mit entsprechenden Auflagen anbieten. Die meisten Kulturverbände raten jedoch von pädagogischen Angeboten ab oder empfehlen, neue Formate für kleine Gruppen zu entwickeln. Abseits von digitalen Angeboten bieten in den Sommermonaten gerade Außengelände oder der öffentliche Raum gute Möglichkeiten, etwa für spezielle Geocaching-Touren.
In den Musik- und Kunstschulen hingegen nimmt der Unterricht wieder zu und auch die soziokulturellen Zentren wollen erste Kurse zur Kulturellen Bildung und der außerschulischen Kinder- und Jugendarbeit anbieten. Hinzu kommen spezielle Formate, um die sozialen Aspekten der Coronakrise aufzufangen, etwa für ältere Menschen. Dies alles kann allerdings nur in Kleingruppen passieren. So empfiehlt beispielsweise die LAG Jugendkunstschulen Thüringen, keine Gruppen- und Partnerarbeiten durchzuführen, die dem Mindestabstand zuwiderlaufen. Auch gemeinsame Pausen sollen nur durchgeführt werden, wenn jede*r Teilnehmer*in Nahrungsmittel und Geschirr selbst mitbringt.
Für Häuser, die Aufführungen, Veranstaltungen oder besondere soziale Events anbieten, gibt es bereits einige erste Ansätze, etwa von Kulturstaatsministerin Monika Grütters selbst. Die größte Sorge ist dabei neben den Gesundheitsaspekten, wie die Regelungen den gemeinschaftlichen Aspekt beeinflussen, wenn etwa nur wenig Publikum und zudem mit Mund-Nase-Schutz in großen Sälen sitzt. Auch das Zusammenspiel von Künstler*innen wird dadurch erschwert. Sofern sich nur wenige davon auf der Bühne befinden und die Quadratmeterzahlen eingehalten werden, sind erste Stücke oder Konzerte mit kleiner Besetzung aber denkbar. So verweist beispielsweise der EVVC Europäischer Verband der Veranstaltungs-Centren darauf, dass gerade die verwaisten kommunalen Veranstaltungsorte wie Messeplätze, Kongresshäuser und -hotels, Multifunktions- und Stadthallen kleineren Kulturangeboten ohne eigene große Räumlichkeiten ein Dach bieten könnten, um Events mit genügend Abstand zu veranstalten. Auch der Landesverband Soziokultur Sachsen denkt über die Nutzung größerer Räume für kleine Gruppen nach. Im Positionspapier des EVVC finden sich zudem Aspekte außerhalb der jeweiligen Einrichtung, die gemeinsam mit Trägern und Kommunen bedacht werden müssen, etwa das öffentliche Verkehrsaufkommen.
Auch wenn es noch keine offiziellen Öffnungstermine gibt, sollten sich also auch aufführende Kultureinrichtungen schon jetzt mit dem künftigen Besucher*innenmanagement beschäftigen. Mit welcher Auslastung können sie die vorherrschenden Maßnahmen erfüllen? Und wie können die nicht-öffentlichen Unternehmen, Clubs und Veranstaltungsorte dabei gleichzeitig wirtschaftlich rentabel bleiben?
Langfristig
Zu der Frage, wie lange die aktuelle Situation anhalten wird, lässt sich aktuell kaum etwas Sicheres sagen. Es ist wahrscheinlich aber ratsam, dass sich die Kultureinrichtungen zumindest bis zum Jahresende auf einen verringerten Betrieb einstellen sollten. Besonders betroffen sind davon Kooperationen mit ausländischen Künstler*innen und Kulturschaffenden sowie touristische Besucher*innen. Deshalb sollten sich auch Marketing und Programmgestaltung vorerst sowohl auf ein lokales Publikum als auch lokale Akteur*innen konzentrieren. Aktuell ist eine gute Zeit, um neue kleine Formate und Besucher*innenbindungsmaßnahmen auszuprobieren - gerade auch, weil anzunehmen ist, dass das ältere Stammpublikum erst einmal fern bleibt. Die Beschäftigung mit jungen Zielgruppen ist deshalb jetzt eine gute Investition in die Zukunft.
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von Kultur Management Network Redaktion, 11.05.2020 09:53»Liebe Frauke, da haben Sie absolut recht! Ich schreibe das Thema auf unsere Redaktionsliste, denn in einem Kommentar ist das schwierig umfassend zu beantworten. Herzliche Grüße, Kristin Oswald«
von Frauke S., 11.05.2020 09:48»\"Deshalb sollten sich auch Marketing und Programmgestaltung vorerst sowohl auf ein lokales Publikum als auch lokale Akteur*innen konzentrieren. Aktuell ist eine gute Zeit, um neue kleine Formate und Besucher*innenbindungsmaßnahmen auszuprobieren \" - Hier wären ein paar Anregungen und Tipps toll, was evtl. hier und da schon ausprobiert wurde und was zieht. Das lokale Publikum zu erreichen ist gar nicht so einfach... Vielen Dank!«