15.01.2021

Themenreihe Corona

Autor*in

Diana Betzler
forscht und unterrichtet an verschiedenen Hochschulen und Universitäten in den Bereichen Kulturmanagement, Kulturpolitik und Philanthropie. Regelmäßig ist sie als Gutachterin und Evaluatorin von kulturellen Programmen und Kulturpolitiken tätig. 
Ellen Loots
hat ein Interesse an Unternehmertum und Nachhaltigkeit in der Kulturund Kreativwirtschaft. Derzeit arbeitet sie als Dozentin und Forscherin an der Abteilung für Kunst- und Kulturwissenschaften der Erasmus-Universität Rotterdam, Niederlande. 
Marek Prokůpek
ist Assistenzprofessor für Kulturmanagement und Kulturwirtschaft an der Wirtschaftsuniversität Prag. Er forscht im Bereich der Geschäftsmodelle von Kunst- und Kulturorganisationen, der Finanzwirtschaft im Kunst- und Kultursektor sowie des Fundraisings und der Philanthropie in Museen und deren ethische Aspekte und Dilemmata.
Kulturförderung in der Coronakrise

Frühe Maßnahmen in Europa

Mit der Schließung von Kultureinrichtungen im März 2020 haben die europäischen Länder ganz unterschiedliche Maßnahmen entwickelt, um die wirtschaftlichen und finanziellen Auswirkungen der Coronakrise im Kulturbereich abzufedern.

Themenreihe Corona

Die europäische Regierungsebene betonte bereits zu Beginn der Pandemie ausdrücklich, wie stark der Kultursektor betroffen ist, und hat Unterstützungsformen für kleine und mittlere Unternehmen (KMUs), arbeitslose Kunstschaffende und stark betroffene Sparten wie die darstellenden Künste beschlossen. Im Rahmen dieser unverbindlichen Rahmengebung können Mitgliedsstaaten flexibel auf nationale Maßnahmen wie Steuerstundungen, Subventionierung von Kurzzeitarbeit, staatliche Garantien für Kredite und anderes zurückgreifen. Die EU richtete zudem eine 37 Milliarden Euro umfassende Corona "Virus Response Investment Initiative" (CRII) ein, um die Mitgliedsstaaten zu unterstützen (die Partnerländer wie EFTA-Land Schweiz sind hier ausgenommen). Auf globaler Ebene engagiert sich die UNESCO für den Aufbau von Kapazitäten durch ResiliArt, eine Bewegung für eine konzertierte und globale Anstrengung zur Unterstützung von Künstler*innen und zur Gewährleistung des Zugangs zur Kultur für alle.
 
Zeitig erlassene nationale Maßnahmen
 
In der ersten Phase der Pandemie (zwischen März 2020 und Mai 2020) entwickelten die Nationalstaaten ad-hoc verschiedene Maßnahmen mit dem Ziel, Personen und Organisationen mit Corona bedingten Ausfällen zu unterstützen und die Bedingungen für eine rasche Erholung nach der Pandemie zu erleichtern. Die meisten Länder haben die gesamte Brandbreite der folgenden Instrumente genutzt, jeweils mit unterschiedlicher Intensität und politischer Motivation:
 
1. Beschäftigungspolitische Maßnahmen
 
Entschädigungsregelungen und direkte Subventionen richteten sich an Selbstständige sowie Organisationen und deren Angestellte, letztere häufig in Form einer Lohnzulage als Ausgleich für eine Arbeitszeitverkürzung. Einige Länder wie die Niederlande oder die Schweiz haben zudem Maßnahmen für Selbstständige erlassen, die in der Kultur- und Kreativwirtschaft mit einem Anteil zwischen 26 (Slowenien) und 48 (die Niederlande) Prozent stark repräsentiert sind. Diese Unterstützung erfolgte oft in Form von rückzahlbaren direkten finanziellen Ausgleichszahlungen. Von Land zu Land variieren deren Höhe, Zeitfenster und Anspruchskriterien stark. Eine Reihe von Regierungen entschädigte zudem das Fernbleiben vom Arbeitsplatz aufgrund der Schließung von Kindergärten und Schulen.
 
2. Steuerliche Maßnahmen
 
Mehrere Länder haben steuerliche Maßnahmen erlassen, um die finanziellen und administrativen Probleme von Arbeitgeber*innen und Selbstständigen zu mildern. Beispiele dafür waren die Stundung oder Verschiebung von Steuer- und Sozialversicherungsbeiträgen. Die Regierungen in Portugal, Slowenien und der Schweiz setzten etwa die Zahlungen der Sozialversicherung aus. Weiterhin beschlossen einige Regierungen wie Portugal und die Schweiz, keine Geldstrafen für die verspätete Einreichung von (individuellen und Unternehmens-) Steuererklärungen sowie für die verspätete Zahlung von Steuerforderungen zu verhängen. In der Tschechischen Republik kamen diese Maßnahmen beispielsweise als "Befreiungspaket", das den Erlass der Juni-Vorschüsse der Unternehmer*innen für die persönliche und Körperschaftssteuer sowie die Verlängerung der Steuererklärungsfrist beinhaltete.
 
3. Stimulierende Maßnahmen
 
Weitere erlassene Maßnahmen verfolgten das Ziel, die Volkswirtschaften auf Kurs zu halten und Einzelpersonen und Unternehmen daran zu hindern, ihre Ausgaben radikal zu reduzieren. Dazu zählen Darlehen, Garantiesysteme, Steuererleichterungen und alle Arten von Kompensationen. In den einzelnen Ländern wurden unterschiedliche Darlehensprogramme für Unternehmen eingeführt, die in der Regel mit niedrigen Zinssätzen oder sogar zinslos gewährt werden. In den Niederlanden wurden beispielsweise Garantiesysteme eingeführt, die es den Firmen erlaubten, mehr Geld zu leihen, als sie es unter normalen Umständen dürften. Einige Länder lancierten Instrumente zur Unterstützung des internationalen Handels, darunter Versicherungen, direkte Subventionen wie in den Niederlanden, und Beratungsdienste wie in der Tschechischen Republik. Kulturorganisationen konnten nur einige dieser Maßnahmen beantragen, da sie viele Bedingungen wie die erforderlichen Jahresumsätze und Betriebsausgabenhöhen nicht erfüllen können. Kompensationen für Mieten, wie sie von der tschechischen Regierung ausgestellt wurden, könnten dagegen Kulturorganisationen sehr zugute kommen. Da nur eine Minderheit der Kulturorganisationen kapitalintensiv ist, ist davon auszugehen, dass die Übertragung von Kreditrisiken auf die Regierung den Kultursektor nicht allzu sehr begünstigt hat.
 
4. Spezifische Maßnahmen für Kunst und Kultur
 
Die allermeisten europäischen Länder entwickelten zusätzliche Maßnahmen und Initiativen speziell zur Förderung des Kultursektors, eine der  wenigen  Ausnahmen ist Slowenien. Deren Umfang ist dabei sehr unterschiedlich: Portugals Kulturpaket belief sich in der sehr frühen Phase der Pandemie auf 1,4 Millionen Euro, während die niederländische Regierung 300 Millionen Euro zur Verfügung stellte. Die Instrumente bestanden vor allem aus nicht rückzahlbaren Subventionen oder Zuschüssen. Länder wie die Niederlande und die Schweiz stellten kulturspezifische Darlehen und Kredite zur Verfügung; Mittel, die die Schweiz im weiteren Fortschreiten der Pandemie nun zum Teil für nicht-rückzahlbare Ausfallentschädigung verwendet. Einzelne Länder wie Slowenien hatten ihre Regierungen schon früh scharf kritisiert, weil sie nicht genug für den Kultursektor taten.
 
Vier Beobachtungen
 
Für die kulturspezifischen Maßnahmen lassen sich folgende Punkte beobachten: 
 
  1. Zunächst wurde in den meisten Ländern (mit Ausnahme der Schweiz) die Unterstützung für den Kunst- und Kultursektor erst entwickelt, nachdem allgemeinere Beschäftigungs-, Steuer- und Konjunkturmaßnahmen in Kraft getreten waren. In einem späteren Stadium wurden spezifische Sektoren (Gastgewerbe, Transport, Kultur) adressiert, häufig mit ausdrücklicher Begründung der Unterstützung. Im Zusammenhang mit Kunst und Kultur zum Beispiel machte der Schweizer Bundesrat Berset deutlich, dass das kulturelle Angebot erhalten und die kulturelle Vielfalt geschützt werden müsse. Portugal erkannte, dass die Künste verwundbar und durch prekäre Arbeitsmarktbedingungen gekennzeichnet sind. Der niederländische Kulturminister erklärte, dass die Künste in einer Krisenzeit Trost, Ablenkung und Hoffnung bieten.
  2. Die nationalen Regierungen übernahmen eine wichtige Rolle bei der Frühförderung von Kunst und Kultur. In einem späteren Stadium wurden Regionen, Gemeinden und Organisationen der Zivilgesellschaft (einschließlich Stiftungen) einbezogen. In der Schweiz engagierten sich Bund, Kantone und private Förderer nahezu zeitgleich, erhielten die bestehende Förderungen aufrecht und lancierten spezifische Unterstützungsmaßnahmen oftmals in Form von Projektförderung.
  3. Viele der kulturspezifischen Maßnahmen enthielten zusätzlich zu den regulären Zuschüssen an Organisationen nicht rückzahlbare Zuschüsse. In diesem Zusammenhang waren die Begünstigten der frühen kulturspezifischen Maßnahmen in der Regel Organisationen, die bereits öffentliche Unterstützung erhalten und von denen viele eine gemeinnützige Zweckbindung haben. Das mag eine logische Wahl sein, aber nicht unbedingt die effizientere, und nicht diejenige, die zu sparsamen, innovativen Lösungen führt. Während Ökonom*innen (Potts 2020; Cowen 2020) argumentieren, dass kleinere Organisationen besser in der Lage wären, Krisenzeiten zu überstehen und dafür benötigte Innovationen zu entwickeln, wurden größere Organisationen, die tendenziell hohe Fixkosten haben, zuerst unterstützt. Zudem haben die nationalen Regierungen den kulturellen Leuchttürmen, für die sie sich verantwortlich fühlen, Priorität eingeräumt. Kleinere Akteur*innen wurden erst später und oft mit weniger beeindruckenden Budgets unterstützt, die zum Teil von privaten Unterstützern (Stiftungen, Zivilgesellschaft, Philanthropie) aufgestockt werden mussten.
  4. Ungeachtet des vorherigen Punktes wurden Organisationen des privaten Sektors dennoch nicht komplett vernachlässigt. So richtete Portugal öffentliche Hilfsmaßnahmen zur Unterstützung von Verlagen, Buchhandlungen und Unternehmen der audiovisuellen Produktion ein, und in den Niederlanden erhielten auch kommerzielle Theaterproduzenten, Festivals und Kunstgalerien Zugang zu Sonderdarlehen.
 
Schlussfolgerungen
 
In den ersten Monaten nach dem Ausbruch des Coronavirus mussten die Regierungen schnell reagieren und explizite Entscheidungen treffen (O‘Connor 2020). Dabei weiteten mehrere westeuropäische Länder die Arbeitslosenunterstützung und die Sozialhilfe aus und lockerten gleichzeitig die Kriterien für die Anspruchsberechtigung (Reis 2020). Zudem führten sie fiskalische Impulse, Stundungen, Liquiditätsbestimmungen und Garantiesysteme ein. In der Frühphase der Pandemie waren die meisten Maßnahmen kombinierter wirtschaftlicher und sozialer Art, von denen einige auch für Kunst- und Kulturanbieter galten.
 
Im Kulturbereich musste zwischen der Sicherung kapitalintensiver kanonischer Kultureinrichtungen, der Zahlung von Arbeitslosengeld und von Maßnahmen zur Verhinderung der Insolvenz von Kulturunternehmen gewählt werden. Unsere Untersuchungen ergaben, dass der Kunst- und Kultursektor auf diese Krise nicht vorbereitet war. Die Krise hat deutlich vor Augen geführt, dass es zu wenig Daten gab, um effiziente und wirksame Hilfspakete entwickeln zu können. Die Maßnahmen, die in den ersten Monaten der Krise speziell auf Kunst und Kultur ausgerichtet waren, waren dabei panikartige Reaktionen von Regierungen, die Entscheidungen im Überlebensmodus trafen. Jedoch wurden mit dem Fortschreiten der Pandemie immer mehr Finanzierungsprogramme für Innovationsprojekte, digitale Transformationsprojekte und strategische Entwicklungsprojekte eingerichtet. Diese haben das Ziel, die Widerstandsfähigkeit und Nachhaltigkeit von Kunst und Kultur zu stärken. Daher ist zu erwarten, dass die Hilfe in Form von Transformationsprojekten effektiver sein wird.
 
Die Krise hat insgesamt gezeigt, wie wir über Kunst und Kultur denken und sie wertschätzen; wie wir für ihre Bedeutung argumentieren; wie Regierungen und Akteur*innen der öffentlichen Politik sie verstehen und wertschätzen, was sie zu tun bereit sind, aus welchen Gründen und mit welchen Kapazitäten (Banks & O‘Connor 2020). Einige meinen, die Krise habe nur das sichtbar gemacht, was den Kultursektor schon viel länger charakterisiert und was für Entscheidungsträger*innen oft unsichtbar geblieben ist (Comunian und England 2020). Klar ist, die Situation hat die laufende Diskussion über den Wert, die Funktion und die Rolle von Kunst und Kultur in der Gesellschaft neu belebt. Dieser auf Überzeugungskraft beruhende Diskurs wird nun jedoch durch den realen Verteilungskampf aller Politikbereiche um die immer zu knappen Hilfsmaßnahmen stark unter Druck gesetzt. Es wird sich zeigen, wie stark die Lobby für Kunst und Kultur in Europa und seinen Ländern langfristig ist. 
 
Literatur
 
 
Dieser Artikel erschien zuerst im Kultur Management Network Magazin "Gestern, Heute Morgen" und geht auf eine Untersuchung politischer Maßnahmen on fünf kleineren, europäischen Ländern (Niederlande, Schweiz, Tschechische Republik, Slowenien und Portugal) zurück. Basierend auf diesen Daten wurde eine Studie veröffentlicht: Betzler, D., Loots, E., Prokůpek, M., Marques, L., & Grafenauer, S. 2020. "COVID-19 and the arts and cultural sectors: investigating countries’ contextual factors and early policy measures". International Journal of Cultural Policy, 1-19.

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