08.09.2008

Autor*in

Christine Grond
Literatur und Management

Überlegungen zur Ausbildung für den Literaturbetrieb

Wenn man an "Musikmanagement" denkt, stellt sich rasch eine konkrete Vorstellung ein. Man hat ein Berufsbild im Kopf, das wirtschaftliches Talent und kommunikative Fähigkeiten, aber auch musikalische Kenntnisse und Kreativität erfordert. Der Aufgabenbereich erstreckt sich von strategischer Karriereberatung, Talentsuche bis zu Pressearbeit, PR und Booking. In der Literatur entsprechen diesem Berufsbild am ehesten die Literaturagenten. Sie vertreten SchriftstellerInnen gegenüber Verlagen, Theatern und Filmproduzenten und wirken in ähnlicher Weise beratend. Der Literaturbetrieb ist jedoch anders strukturiert als der Musikmarkt. Es gibt hier AutorInnen und literarische Werke, die publiziert werden. Lesen (oder hören) müssen die Menschen selbst, während in der Musik noch die Ebene der Konzerte und Aufführungen und vor allem in der klassischen Musik die Interpretation hinzukommen die Einkommensquellen sind für MusikerInnen erheblich vielfältiger und größer als für SchriftstellerInnen. Aber auch im Literaturbetrieb wird Management praktiziert; es wird nur anders wahrgenommen und vielleicht noch argwöhnischer beäugt als in anderen Kultursparten.
Eine Recherche an deutschsprachigen Universitäten zeigt, dass es für literaturbetriebliche Praxis kein adäquates Lehrangebot gibt. Klassische philologische Studien vermitteln theoretische Grundlagen der Sprachwissenschaft, Literaturgeschichte/-wissenschaft und die Grundlagen des wissenschaftlichen Arbeitens meist auf einer geistesgeschichtlichen Basis. Literatursoziologische Forschungen, die über die Funktion, Wirkungsweisen und Entstehungsbedingungen von Literatur in der Gesellschaft wesentlich Aufschluss geben, spielen zumindest an den meisten Germanistikinstituten eine untergeordnetere Rolle. So werden also auch die für die Praxis des Literaturbetriebs relevanten theoretischen Grundlagen kaum gelehrt, geschweige denn die Praxis selbst. LiteraturwissenschafterInnen sind für die Arbeit in Verlagen, Zeitungsredaktionen, Agenturen, Literaturhäusern und Kulturinstitutionen kaum gerüstet und das ist nicht nur eine Frage der konkreten Fähigkeiten, sondern auch eine Frage der Einstellung: viele LiteraturwissenschafterInnen sind sich ihrer Funktion als "Literaturvermittler" überhaupt nicht in erforderlichem Ausmaß bewusst, weil dies während des Studiums nicht nachhaltig thematisiert wurde. Einen Vermittlungsaspekt hat aber jede Funktion im Literaturbetrieb.
 
Erschwerend kommt hinzu, dass es kein einheitliches Anforderungsprofil gibt: der "Literaturbetrieb" ist eine Mischung aus realen und symbolischen Märkten, ein Netzwerk bestehend aus AutorInnen, Verlagen, Agenturen, Literaturhäusern, Gesellschaften, Veranstaltern, Medien, LeserInnen, RedakteurInnen, KritikerInnen. Neben dem Buchmarkt, gibt es ein Netz von Förderungen aus öffentlicher Hand (besonders in Österreich) mit teilweise gegenläufigen Beurteilungskriterien. Im einen Fall wird Literatur ökonomisch, im anderen Fall ideell betrachtet. Erfolg definiert sich entweder durch finanziellen Gewinn oder öffentliche Aufmerksamkeit oder beides (wobei Gewinn ohne Aufmerksamkeit nicht denkbar ist, sehr wohl aber Aufmerksamkeit ohne Gewinn).
Einen generellen Begriff, der alle diese Bereiche der Produktion, Verbreitung und Vermittlung von Literatur abdeckt, gibt es außer dem behelfsmäßigen "Literaturbetrieb" im Deutschen nicht eine umfassende universitäre Ausbildung ebenso wenig. Am besten vertreten ist am Universitätssektor noch die Verlagsbranche mit Grundstudien in Buchwissenschaft in München und Mainz sowie Verlagswirtschaft in Leipzig und entsprechenden Aufbaustudiengängen ebenfalls in München (Buchwissenschaft) und Münster (Book Studies). Im internationalen Raum können Masters of Publishing etwa in Leiden, Oxford, London, Barcelona oder New York erworben werden. Alle diese Angebote sind jedoch nicht literaturspezifisch angelegt. Masterstudien, die sich auf das literarische Publizieren konzentrieren und auch andere für den Literaturbetrieb relevante Berufsfelder berücksichtigen, gibt es bisher nur an der Freien Universität Berlin(Angewandte Literaturwissenschaft) und an der Donau-Universität Krems (Literaturmanagement und Literaturvermittlung). Letztere ist auf interdisziplinäre und berufsbegleitende Weiterbildung spezialisiert und bietet seit vielen Jahren innovative, praxisbezogene Aufbaustudien für Kultur- und Bildungswissenschaften an.
Ausbildungsschwerpunkte
Was klassisch ausgebildete Geisteswissenschafter meist nachzuholen haben, sind die Grundlagen des wirtschaftlichen und juristischen Denkens. Ein Studium, das seine AbsolventInnen auf die praktische Arbeit mit Literatur vorbereiten soll, kann sich allerdings nicht auf die Vermittlung von Managementkompetenzen und Einübung in das Verlagswesen beschränken. Um den kulturellen Veränderungen gerecht zu werden, muss ein Schwerpunkt in der Auseinandersetzung mit den Auswirkungen der Digitalisierung für die Literatur sowie Lese- und Buchkultur liegen. Die Formen der Verbreitung und Vermittlung von Literatur haben sich seit den 70er Jahren entscheidend verändert. Mit den digitalen Medien entstanden neue Möglichkeiten des Publizierens (E-Book, Book on Demand, Hörbuch, Collaborative Schreibprojekte) und Handelns, die auch neue Formen von literarischer Öffentlichkeit möglich machen und das Rezeptionsverhalten verändern. Die Entwicklung elektronischer Lesegeräte macht deutlich, dass Literatur zwar an die Schrift, aber nicht unbedingt an das Buch gebunden ist. Strukturelle Veränderungen im Verlagswesen (z.B. die Auslagerung klassischer Verlagsagenden wie Lektorat und Pressearbeit) führten dazu, dass sich auch im deutschsprachigen Raum immer mehr literarische Agenturen etablieren. Ihr Tätigkeitsfeld reicht von der Arbeit an Manuskripten und deren Vermittlung an Verlage bis zu Pressekampagnen und Öffentlichkeitsarbeit, Veranstaltungsmanagement oder auch die Entwicklung von Beratungskonzepten für private und öffentliche Auftraggeber.
Ein Vermittlungsbereich, der in den letzten Jahren besondere Aufmerksamkeit erlangt hat, ist die Leseförderung. Die erste Phase der PISA-Studie (eine internationale Erhebung der OECD, bei der u.a. die Lesekompetenz von 15-jährigen SchülerInnen in drei Zyklen gemessen und verglichen wird) alarmierte die westlichen Industrieländer mit der Erkenntnis, dass durchschnittlich nur 10 % der 15-Jährigen in den fortgeschrittensten Ländern der Welt über erstklassige Lesekompetenzen verfügen und komplexe Texte verstehen (Quelle: Pisa Austria, www.pisa-austria.at). Unterschiede zu früheren Generation zeigen sich besonders in der Lesehäufigkeit und der Lesedauer. Beide nehmen zu Gunsten anderer Medien ab. Der Grundstein für das spätere Leseverhalten wird bereits in der Kindheit gelegt, daher werden Leseförderungsprogramme vor allem für Kinder und Jugendliche auch verstärkt von öffentlichen Einrichtungen angeregt und unterstützt (im Schulunterricht, aber auch außerschulisch über Bibliotheken und Literaturhäuser).
Qualitätssicherung
Literatur ist eine komplexe künstlerische Ausdrucksform, die sowohl in der Herstellung (Schreiben) als auch in der Rezeption (Lesen) mit Konzentration, Anstrengung und Zeitaufwand verbunden ist. Darin liegt ein Grund für ihre Marginalisierung im Mainstream des kulturellen Konsums, was aber gar kein Nachteil ist. Die Reaktionen auf die Unsicherheit, die im Hinblick auf die gesellschaftliche Bedeutung der Literatur entstanden ist, sind unterschiedlich. Der Boom um die Popliteratur, der in den 90er Jahren begann und mittlerweile wieder abgeflaut ist, war ein Beispiel für den Versuch, auf kulturelle Trends einzusteigen und die Jugend zu gewinnen. Am anderen Ende des Spektrums feiern sich Liebhaber der Buchliteratur gerne als letzte Bastion einer untergehenden Kultur.
Auf einem produktiveren Weg befinden sich Websites wie die Virtuelle Bibliothek readme.cc, die zeigen wie literarische Kultur mit dem und im Internet bestehen kann.
Praxisbezug in der Aus- und Weiterbildung bedeutet vor allem die Förderung eines Problembewusstseins und entsprechender Handlungskompetenzen das gilt auch für die Beurteilung von Qualität. Zu wünschen wäre, dass die Professionalität der "Literaturmanager" auch an ihrer Fähigkeit gemessen wird, komplexe Inhalte zu vermitteln.
CHRI STINE GROND Dr. phil, geb. 1967 in Graz. Studium der Germanistik und Anglistik. Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Department für Arts und Management der Donau- Universität Krems. Zuständig für Studienkoordination am Fachbereich Literatur.
 

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