15.06.2018
Autor*in
Benedikt Stampa
führte das Konzerthaus Dortmund als Intendant innerhalb kürzester Zeit in die europäische Spitze. Er entwickelte wegweisende Klassik-Formate wie Junge Wilde, Popabo, Zeitinseln und Exklusivkünstler, die ein neues Publikum an Klassik heranführen. Ab der Saison 2019/20 wird er Intendant des Festspielhauses Baden-Baden.
Marketing für klassische Musik
Was die Klassik vom Fußball lernen kann
Drei Viertel der Zuschauer in einem Fußballstadion verstehen die Spielzüge nicht. Trotzdem gehen alle hin. Über die Idee, dass auch klassische Musik massentauglich werden darf denn ihr Problem ist nicht die Komplexität, sondern ihr elitärer Status.
Ich bin ein großer Fan der klassischen Musik. Und das schon seit meiner Jugend. Je nach Lebensphase war es einmal mehr die Poetik der Musik, dann später die Struktur, irgendwann der Sound und die Mehrdeutigkeit der Interpretation, die mich wie magisch anzogen. Später kam noch der einzigartige Ort hinzu, an dem eine Sinfonie von Gustav Mahler aufgeführt wurde oder ein Recital mit Werken von Frédéric Chopin. Und ehrlich, mir waren auch immer die Stars und Interpreten wichtig, die zwischen mir und dem Werk standen. Mit der Zeit kannte ich sie dann, die großen Interpreten; und wie jeder Fan wusste ich viel über sie und ihr Spiel.
Klassische Musik zu hören, war und ist Teil meines Lebens genauso wie Fußball Gegenstand der ewigen Obsession für einen wahren Fußballfan ist. Ein Fan kann nicht ohne sein Spiel. Er wächst damit auf, vielleicht spielt er selbst, ist aber zumindest Zuschauer am Rand. Und wer seit früher Jugend ein Ticket für die Südtribüne des BVB hat, ist dem Verein und dem Spiel auf ewig verfallen.
Der Fan als Fundament
An diesem Punkt setzt die Fußball-Marketingmaschine an. Es geht bei der Vermarktung des Fußballs natürlich um das Große und Ganze. Fußball ist weltweit bekannt, fast jeder kann zu dem Spiel aktiv oder passiv etwas beitragen. Das Spiel als solches wäre aber nie zur globalen Marke bzw. zum globalen Markt geworden, hätte nie diesen gigantischen Aufschwung genommen, wenn nicht hinter jedem Verein emotionalisierte Fans stünden. Sie garantieren das wirtschaftliche Fundament und das kommerzielle Expansionspotential. Eine Liebesbeziehung zum Fußball zu unterhalten, ist breiter gesellschaftlicher Konsens. Das macht sich der Markt zunutze, die Player sind hellwach.
Denn ohne eine entsprechende Mechanik der Vermarktung, ohne die kommerzielle Globalisierung der individuellen Emotionalität, hätte der Sport nicht zu dieser dominanten Stellung gefunden. Der Erfolg ist durchaus geplant und gemacht.
Nun ist es nicht so, dass jeder Fußballfan ein Kenner der Materie wäre. In seinem Buch Samstags um halb vier Die Geschichte der Fußballbundesliga beleuchtet der Autor und Historiker Nils Havemann den rasanten Aufstieg der frühen Bundesliga bis hinein in die heutige Zeit der Champions League. Damals konnte kaum jemand ahnen, in welcher Form sich das Geschäft mit dem Fußball entwickeln würde. Es gab sogar breiten Widerstand gegen die Gründung einer einheitlichen Liga mit Profivereinen. Man fürchtete um den Sportgeist und die Seele des Spiels. Ein Amateur galt als Gralshüter des guten Fußballs. Subventionen der öffentlichen Hand wurden gern genommen. Sie garantierten der Liga ihren gemeinnützigen Status. Fußball war eben aus der Sicht der Altvorderen ein heiliges Kulturgut, das es zu beschützen galt. Kommerzialisierung konnte nur schaden. Noch heute stehen manchem Verein die Verquickung zwischen Markt und Subvention für eine erfolgreiche Entwicklung im Wege.
Die Gründung der Bundesliga 1963 war ein erster Schritt in Richtung Kommerzialisierung und Vergesellschaftlichung des Fußballs, aber erst mit Gründung der DFL (Deutsche Fußball Liga) 2001 nahm die Vermarktung richtig Fahrt auf. Nun wurde das Produkt Bundesliga zentral vermarket. Es konnten Ressourcen gebündelt und gemeinsame Strategien entwickelt werden. Die Säulen der Vermarktung waren die Veräußerung der nationalen und internationalen Senderechte und das Merchandising. Die DFL schuf die gemeinsame Plattform, auf der die Vermarktung der Rechte ihren geeigneten Platz fand. Das große Spiel konnte beginnen.
In der folgenden Zeit wurde viel Geld verdient und noch mehr ausgegeben. Auch auf europäischer Ebene tat sich viel. Die UEFA hob 1992 die Champions League aus der Taufe. Anfangs von den Fans als kommerzielle Geldmaschine bewertet, ist sie heute ein weltweites Spektakel, das Millionen Zuschauer in den Stadien und an den Fernsehschirmen vereinigt und bei dem Milliarden umgesetzt werden. Heute sind die Spieler von Real Madrid den Fans in Deutschland fast so vertraut wie die Mannen der lokalen Heimmannschaft. Die Expansion scheint, trotz zahlreicher Krisen, grenzenlos.
Kommerzialisierung schafft Interesse
Festzuhalten bleibt: Durch die Kommerzialisierung des Fußballs wurden über die Jahre hinweg ganze Gesellschaften für das Thema interessiert. Heute ist Fußball aus dem öffentlichen Diskurs nicht mehr wegzudenken; er hat, so Nils Havemann, seinen Platz neben der Kultur eingenommen.
Das Seltsame ist, die meisten Fans verstehen Fußball gar nicht. 75% der Menschen gehen in die Stadien der Atmosphäre wegen, nicht wegen der Spielzüge so Havemann. Sie wollen ihre Mannschaft sehen, wollen die Emotionalität des Augenblicks spüren. Wer will indes schon das Spiel lesen wie ein Trainer. Das ist etwas für Experten. Kurz, der Fan weiß viel über den Fußball, die Spieler, Statistiken und Hintergründe, versteht aber, übertrieben formuliert, das Spiel nicht.
Und hier kommt wieder die Klassik ins Spiel. 3% aller Haushalte nehmen aktiv am Konzertleben teil. Das ist nicht viel, zumindest wenn man die Marktanteile des Fußballs betrachtet. Aber 88% der Deutschen sind an Konzerten interessiert, sagt eine aktuelle FORSA-Umfrage. Das klingt schon anders.
Was aber hindert diese Menschen, sich ein Live-Konzert mit klassischer Musik anzuhören bzw. was muss ich tun, damit aus den 88% Interessierten zukünftige Konzertgänger werden? Salopp formuliert muss man aus potentiell interessierten Zeitgenossen Fans machen. Der Besucher von morgen sollte heute emotional erreichet werden. Dafür sollte die klassische Musik in den Fokus der öffentlichen Wahrnehmung gerückt werden. Also weg mit der defensiven Haltung, Klassik sei ein Nischenprodukt.
Kompliziert, aber nicht elitär
Natürlich ist eine Sinfonie von Bruckner kompliziert, eine Sinfonie von Schostakowitsch anstrengend. Wir dürfen unser Produkt nicht einfacher machen als es ist. Stehen wir zur Herausforderung Klassik. Machen wir uns nicht klein, sondern denken groß. Holger Noltze hat dieses Phänomen in seinem Buch Die Leichtigkeitslüge fulminant dargestellt. Verstehen im Sinne der intellektuellen Durchdringung kann man eine komplexe Musik nicht auf Anhieb. Das dauert Jahre. Man kann sich von Beginn an der Musik emotional stellen und sie so mit der Zeit verstehen lernen. Mit anderen Worten: Klassik ist zwar kompliziert, aber nicht elitär. Dieser scheinbare Widerspruch kann aufgelöst werden, wenn wir ohne unser Produkt Klassik zu verraten in die (gemeinsame) Vermarktungsoffensive gehen.
Auch ein Fußballfan muss das Spiel nicht verstehen, um begeistert zu sein. Er zieht seine Befriedigung aus dem Augenblick, aus dem Geschichten-Erzählen, dem Austausch, kurz der Kommunikation vor und nach dem Spiel. Seine Anhänglichkeit übersteht sogar manch schlechtes Spiel.
Ich glaube, es gibt viele Parallelen zwischen diesen so gegensätzlichen Welten. Wir stehen mit der Vermarktung der Klassik erst am Anfang unserer Möglichkeiten. Mit dem Exkurs in die Welt des Fußballs will ich einen Wink geben, wie Entwicklungen, wenn man sie zentral gestaltet, beschleunigt werden können.
Wenn wir die Mechanik der Vermarktung verstehen, wenn wir verstehen, dass erfolgreiche Vereine den Fußball nicht verkauft haben, sondern im besten Fall das Markenversprechen der echten Liebe (BVB-Slogan) einhalten, können wir vom Fußball eine Menge lernen. Ich bin Klassik-Fan und möchte diese Leidenschaft mit möglichst vielen Menschen teilen. 3% sind mir da viel zu wenig.
Dieser Beitrag erschien zuerst im Kultur Management Network Magazin Freizeit.
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