23.07.2011
IG Kultur, 30.06.2011
Autor*in
Ljubomir Bratić
Alternativen zum Verlust der Kulturpolitik #4:
Eine Kulturpolitik für Alle und von Allen
Teil 4 der Artikelserie "Alternativen zum Verlust der Kulturpolitik": Ein Zwischenbericht aus dem Einwanderungsland Österreich: Die Zeiten der ethnisch, reinen Kulturfelder sind vorbei.
Die Möglichkeiten des Kunst- und Kulturschaffens sind in der Gesellschaft entlang der allgemeinen systematischen Diskriminierungslinien ungleich verteilt. Die Bevölkerung Österreichs diversifiziert sich und es sind mehr und mehr Menschen da, die für sich das Attribut Migrationshintergrund beanspruchen können. Diese starke numerische Präsenz der MigrantInnen steht im Gegensatz zur mangelnden öffentlichen Präsenz des Kunst- und Kulturschaffens, das von und für diese Minderheiten betrieben wird. Personen mit Migrationshintergrund haben deutlich weniger Zugang zu jenen Ressourcen, die für das Kunst- und Kulturschaffen von Relevanz sind. Diese Zustand ist Teil einer allgemeineren Tendenz, die den österreichischen Nationalstaat von anderen Staaten in der EU unterscheidet.
Trotz zunehmender Kritik ist in Österreich nach wie vor ein Diskurs vorherrschend, der die Realität des Landes als de facto Einwanderungsland negiert. Daraus ergeben sich weitreichende Konsequenzen: Die politische Repräsentation der MigrantInnen ist mangelhaft und wird zum demokratiepolitischen Problem. Die MigrantInnen haben in der Mainstreamöffentlichkeit keine legitimen RepräsentantInnen, die dafür sorgen, dass die Artikulationen der MigrantInnen u. a. gegen rassistische Diskurse in der Öffentlichkeit wirksamer werden und sie für ihre eigenen (durchaus nicht homogenen) Interessen in politischen Konflikten nicht zuletzt in der Kunst- und Kulturpolitik Stellung beziehen können.
Entsprechend dieser ausgrenzenden Tradition mündet die Einwanderung in Österreich in eine angespannte Multikulturalität, d. h. in ein Nebeneinander von Gruppen, die als kulturell unterschiedlich definiert und als Bedrohung wahrgenommen werden. Hier ist eine historische Kontinuität zu beobachten. Seit Josef II. über die Austromarxisten bis heute kommt der Umgang mit den als "anders" definierten Gruppen in der Bevölkerung über den Spielraum zwischen Feindlichkeit und duldender, dominanzbewusster Toleranz nicht hinaus. Nationale Unterschiede im Umgang mit universalistischem Gedankengut sind jedoch mit der einsetzenden Globalisierung nicht länger haltbar und führen zu immer größeren sozialen Spannungen. Neue, nicht territorial verortete Minderheiten kommen aufgrund von Individualisierungs- und Globalisierungstendenzen zu neuen politischen Subjektivierungen über alte Differenzen hinweg. Die Selbstorganisationen der MigrantInnen und anderer Minderheiten sowie die Kunst- und Kulturschaffenden im Allgemeinen haben eine Schlüsselfunktion bei der Vermittlung neuer kollektiver Identitäten und der Verhinderung von gewaltsamen Eskalationen der gegenwärtigen sozialen Spannungen. Eine im Zeichen der Diversität stehende, gesellschaftspolitisch proaktive Kunst- und Kulturpolitik muss versuchen, diese Funktionalitäten durch entsprechende Programme zu fördern, um das spannungsgeladene, multikulturelle Nebeneinander in ein entspanntes, transkulturelles Miteinander überzuführen. Anfang der 1990er Jahre wurde unter Bildungsminister Scholten erstmals ein Subventionstopf multikulturellen Projekten gewidmet. Erhard Busek initiierte Ende 1990er den groß angelegten Forschungsschwerpunkt Fremdenfeindlichkeit. Es folgte eine Welle von Impulsen seitens Bund und auch Stadt Wien. Mit der Abschaffung des Wiener Integrationsfonds 2003 kamen die Impulse in Wien größtenteils zum Erliegen. Und im Bund sind, außer an Lächerlichkeit angrenzende Aktivitäten zum Europäischen Jahr des interkulturellen Dialogs 2008, kaum mehr andere Impulse wahrnehmbar.
Dieser Stillstand ist jedoch nicht mehr lange aufrecht zu erhalten. Der Bevölkerungsanteil mit Migrationshintergrund wächst ständig und schnell und drängt in Richtung eines sozialen Aufstieges in die Mittelschicht. Die heutige Mehrheitsbevölkerung verliert aufgrund der Perpetuierung der rassistischen Differenz langsam aber sicher ihre Mehrheitsposition. Die Bevölkerungsentwicklung zwingt die Politik in den kommenden Jahren zum Umdenken und zum Werben um die Stimmen der MigrantInnen. Noch überwiegt allerdings das Ansprechen der Mehrheitsbevölkerung mittels Privilegien zusichernder Diskurse. In den letzten beiden Jahrzehnten wurden in Österreich die politischen Weichen so gestellt, dass sich eine Generationen überdauernde zweite Klasse in der Bevölkerung herausbildet, deren Integration in das nationale Kollektiv, anders als in der Vergangenheit, nicht mehr binnen weniger Generationen funktioniert. Diese Spaltung der Bevölkerung verstärkt das Klammern an Privilegien und den Rechtsruck in der ersten Klasse.
Die gegenwärtige Kulturministerin schwimmt gemütlich in diesem Stillstand. Ihre Handlungen beurteilend können wir sie nicht in Verdacht bringen diese Zusammenhänge erkannt zu haben. Keiner kann sich erinnern ein Wort von ihr in diese Richtung gehört zu haben, geschweige denn eine Initiative ergriffen zu haben. Ihre Stärke heißt vor allem Abwesenheit. Da lässt sich sehr wohl die Frage formulieren: Wie lange diese Vogel-Strauß-Politik halten kann und auch wird? Auch in Wien sind die KulturpolitikerInnen nicht sehr weit vorangekommen, aber da scheint langsam zumindest die Notwendigkeit der Handlung in diesem Bereich erkannt worden zu sein. Darum raten wir der Kultur- und Bildungsministerin, wenn sie schon nicht die MigrantInnen als Gesprächspartner akzeptiert, sich zumindest mit ihrem Parteigenossen Rudolf Scholten auf einen Kaffee zu treffen. Der könnte ihr ein paar Tipps geben. Zugegebenermaßen auch das ist nicht das Gelbe vom Ei, aber zumindest ein Schritt in eine nicht von den rechten Ideologien vorgegebene Richtung.
Ljubomir Brati, Philosoph, Koautor der Studie Kultur, Kunst und Theater für Alle". Derzeit beschäftigt im Betreuungsbereich des Wiener Integrationshauses und als Begleitforscher des Projektes Romanistan" der IG Kultur Österreich.
Trotz zunehmender Kritik ist in Österreich nach wie vor ein Diskurs vorherrschend, der die Realität des Landes als de facto Einwanderungsland negiert. Daraus ergeben sich weitreichende Konsequenzen: Die politische Repräsentation der MigrantInnen ist mangelhaft und wird zum demokratiepolitischen Problem. Die MigrantInnen haben in der Mainstreamöffentlichkeit keine legitimen RepräsentantInnen, die dafür sorgen, dass die Artikulationen der MigrantInnen u. a. gegen rassistische Diskurse in der Öffentlichkeit wirksamer werden und sie für ihre eigenen (durchaus nicht homogenen) Interessen in politischen Konflikten nicht zuletzt in der Kunst- und Kulturpolitik Stellung beziehen können.
Entsprechend dieser ausgrenzenden Tradition mündet die Einwanderung in Österreich in eine angespannte Multikulturalität, d. h. in ein Nebeneinander von Gruppen, die als kulturell unterschiedlich definiert und als Bedrohung wahrgenommen werden. Hier ist eine historische Kontinuität zu beobachten. Seit Josef II. über die Austromarxisten bis heute kommt der Umgang mit den als "anders" definierten Gruppen in der Bevölkerung über den Spielraum zwischen Feindlichkeit und duldender, dominanzbewusster Toleranz nicht hinaus. Nationale Unterschiede im Umgang mit universalistischem Gedankengut sind jedoch mit der einsetzenden Globalisierung nicht länger haltbar und führen zu immer größeren sozialen Spannungen. Neue, nicht territorial verortete Minderheiten kommen aufgrund von Individualisierungs- und Globalisierungstendenzen zu neuen politischen Subjektivierungen über alte Differenzen hinweg. Die Selbstorganisationen der MigrantInnen und anderer Minderheiten sowie die Kunst- und Kulturschaffenden im Allgemeinen haben eine Schlüsselfunktion bei der Vermittlung neuer kollektiver Identitäten und der Verhinderung von gewaltsamen Eskalationen der gegenwärtigen sozialen Spannungen. Eine im Zeichen der Diversität stehende, gesellschaftspolitisch proaktive Kunst- und Kulturpolitik muss versuchen, diese Funktionalitäten durch entsprechende Programme zu fördern, um das spannungsgeladene, multikulturelle Nebeneinander in ein entspanntes, transkulturelles Miteinander überzuführen. Anfang der 1990er Jahre wurde unter Bildungsminister Scholten erstmals ein Subventionstopf multikulturellen Projekten gewidmet. Erhard Busek initiierte Ende 1990er den groß angelegten Forschungsschwerpunkt Fremdenfeindlichkeit. Es folgte eine Welle von Impulsen seitens Bund und auch Stadt Wien. Mit der Abschaffung des Wiener Integrationsfonds 2003 kamen die Impulse in Wien größtenteils zum Erliegen. Und im Bund sind, außer an Lächerlichkeit angrenzende Aktivitäten zum Europäischen Jahr des interkulturellen Dialogs 2008, kaum mehr andere Impulse wahrnehmbar.
Dieser Stillstand ist jedoch nicht mehr lange aufrecht zu erhalten. Der Bevölkerungsanteil mit Migrationshintergrund wächst ständig und schnell und drängt in Richtung eines sozialen Aufstieges in die Mittelschicht. Die heutige Mehrheitsbevölkerung verliert aufgrund der Perpetuierung der rassistischen Differenz langsam aber sicher ihre Mehrheitsposition. Die Bevölkerungsentwicklung zwingt die Politik in den kommenden Jahren zum Umdenken und zum Werben um die Stimmen der MigrantInnen. Noch überwiegt allerdings das Ansprechen der Mehrheitsbevölkerung mittels Privilegien zusichernder Diskurse. In den letzten beiden Jahrzehnten wurden in Österreich die politischen Weichen so gestellt, dass sich eine Generationen überdauernde zweite Klasse in der Bevölkerung herausbildet, deren Integration in das nationale Kollektiv, anders als in der Vergangenheit, nicht mehr binnen weniger Generationen funktioniert. Diese Spaltung der Bevölkerung verstärkt das Klammern an Privilegien und den Rechtsruck in der ersten Klasse.
Die gegenwärtige Kulturministerin schwimmt gemütlich in diesem Stillstand. Ihre Handlungen beurteilend können wir sie nicht in Verdacht bringen diese Zusammenhänge erkannt zu haben. Keiner kann sich erinnern ein Wort von ihr in diese Richtung gehört zu haben, geschweige denn eine Initiative ergriffen zu haben. Ihre Stärke heißt vor allem Abwesenheit. Da lässt sich sehr wohl die Frage formulieren: Wie lange diese Vogel-Strauß-Politik halten kann und auch wird? Auch in Wien sind die KulturpolitikerInnen nicht sehr weit vorangekommen, aber da scheint langsam zumindest die Notwendigkeit der Handlung in diesem Bereich erkannt worden zu sein. Darum raten wir der Kultur- und Bildungsministerin, wenn sie schon nicht die MigrantInnen als Gesprächspartner akzeptiert, sich zumindest mit ihrem Parteigenossen Rudolf Scholten auf einen Kaffee zu treffen. Der könnte ihr ein paar Tipps geben. Zugegebenermaßen auch das ist nicht das Gelbe vom Ei, aber zumindest ein Schritt in eine nicht von den rechten Ideologien vorgegebene Richtung.
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