23.06.2011

Autor*in

Amina Chaudri
Nicole Lehnherr
Nachlassmarketing

Ein Thema für Kulturinstitutionen?

Der Markt für finanzielle Unterstützung ist umkämpft und gesättigt. Gemeinnützige Organisationen müssen zusätzliche Finanzierungsquellen erschliessen. Seit einigen Jahren haben sie das Nachlassmarketing für sich entdeckt. Könnte diese Fundraising-Disziplin auch für Kulturinstitutionen ein Thema sein?
Was bedeutet Nachlassmarketing?
In der Fachliteratur wird für diese Fundraising-Disziplin meist der Begriff Legate- Marketing verwendet. Dieser Begriff ist unseres Erachtens unpräzis: Bei einem Legat bzw. Vermächtnis wird eine festgelegte Wertsache jemand Bestimmtes vermacht. Dies können Geldbeträge, Kunstgegenstände und Liegenschaften sein. Es besteht aber auch noch die Möglichkeit einer Erbschaft: Dabei erhält eine Person einen Teil (z.B. 1/4 ) des Nachlasses, von Gesetzes wegen oder durch persönliche Begünstigung. Eine gemeinnützige Organisation kann mit einem Legat oder mit einer Erbschaft begünstigt werden, aber nur wenn dies im Testament oder im Erbvertrag festgehalten worden ist. Ansonsten kommt ausschliesslich die gesetzliche Erbverteilung zum Zug. Somit ist unseres Erachtens der Begriff Nachlass (Erbmasse) zu verwenden, da er sowohl Legate wie auch Erbschaften umfasst.
 
Unter Nachlassmarketing wird der Prozess der Vorbereitung, Durchführung und Kontrolle der einzelnen Instrumente und Massnahmen einer gemeinnützigen Organisation zur Mittelbeschaffung aus Legaten und Erbschaften verstanden (in Anlehnung an Purtschert, Beccarelli und Notter aus dem Buch Legate-Marketing). Im Nachlassmarketing geht es darum, Interessierte und Spender zu informieren, was ein Testament ist oder welche Arten der Begünstigung es gibt. Zudem soll aufgezeigt werden, dass gemeinnützige Organisationen nur mittels Testament oder Erbvertrag begünstigt werden können. Die gemeinnützigen Organisationen informieren beispielsweise über die Website, an Informationsveranstaltungen oder via Inserate. Zudem verfügen die meisten Organisationen über eine Nachlassbroschüre für detaillierte Informationen.
 

Hat das Nachlassmarketing Potential?
Fundraising-Experten sehen im Nachlassmarketing Wachstumspotential. Die Mittelbeschaffung aus Legaten und Erbschaften wird ihrer Meinung nach zunehmen. Jährlich werden laut der kürzlich erschienenen Studie Wie Reiche denken und lenken (Ueli Mäder, Sarah Schilliger und Ganga Jey Aratnam) rund 40 Milliarden Franken in der Schweiz vererbt. Purtschert, Beccarelli und Notter halten in ihrem Buch Legate-Marketing fest, dass rund 0,67 Prozent der jährlich vererbten Summe an gemeinnützige und kulturelle Institutionen sowie Kirchen, Universitäten und Spitäler fliessen (Stand 2006). Immer mehr gemeinnützige Organisationen systematisieren deshalb ihr Nachlassmarketing und versuchen dadurch verstärkt Unterstützung für sich zu gewinnen. Die Konkurrenz nimmt zu.
 
Ist diese Disziplin auch etwas für Kulturinstitutionen?
Auch Kulturinstitutionen stehen unter Konkurrenzdruck. Mit welchen Vertretern der Kulturinstitutionen die Kulturfinanzierung auch immer besprochen wird: Der Tenor lautet, dass diese noch anspruchsvoller werde. Neue Finanzierungsquellen müssen gesucht sowie langfristig und systematisch eingeführt werden. Es wird nicht davon ausgegangen, dass in naher Zukunft mit zusätzlichen Zuwendungen der öffentlichen Hand gerechnet werden kann, allenfalls wird die Teuerung angepasst. Dies zeigt auch ein aktuelles Beispiel aus Bern: Das städtische Berner Stimmvolk hat im Mai 2011 die Subventionsbeiträge 2012-2015 für die fünf grossen Kulturinstitutionen angenommen. Die Subventionen werden nicht erhöht; bewilligt worden ist eine Teuerungsanpassung von 2,5%. Studiert man die Jahresberichte der Kulturinstitutionen, werden nebst der Einnahmen aus Eintritten, Gastspielen, Dienstleistungen und den Zuwendungen der öffentlichen Hand vor allem auch Mittel aus Sponsoring und teilweise Fundraising generiert. Bisher hat jedoch nur eine Minderheit eine Fundraising-Strategie (bis hin zum Nachlassmarketing) erarbeitet und eingeführt, die auf die Unternehmens- und Marketingstrategie abgestimmt worden ist. Es werden z.B. Gönnervereine gepflegt, Stiftungsanfragen getätigt und Mailings verschickt. Bei einigen grösseren Institutionen sind Bestrebungen zur Professionalisierung im Gang. So hat die Tonhalle-Gesellschaft Zürich kürzlich eine diplomierte Fundraiserin angestellt.
 
Schon heute erhalten diverse Kulturinstitutionen mindestens Teile von Nachlässen. Die Nachlassgeber sind oft über viele Jahre der Institution treu verbunden und wünschen sich, dass diese ihren Zweck noch viele Jahre erfüllen kann. Sie wollen über den Tod hinaus Gutes bewirken. Wie könnte diese bereits schlummernde Finanzierungsquelle für Kulturinstitutionen bewusst erschlossen werden?
 
Erfolgsfaktoren für das Nachlassmarketing
Die Institution muss für das Nachlassmarketing bereit sein, was als Institutional Readiness bezeichnet wird. Das heisst, die wichtigsten internen Stakeholder wie die Vorstandsmitglieder, die Geschäftsleitung und die Mitarbeiter sollten von ihm überzeugt sein. Ihnen muss bewusst sein, dass Nachlässe nicht ab Beginn des Nachlassmarketings eintreffen und budgetiert werden können. Die Art der Ansprache muss sorgfältig gewählt werden. Ob Tod, Legat, Erbschaften oder Testament: Das alles sind in unserer Gesellschaft noch immer sensible Themen. Die Institution soll
über ihre Werte und ihren Nutzen kommunizieren. Zudem ist die kontinuierliche Kommunikation wichtig: Regelmässige Aufklärungsarbeit zum Verfassen eines Testaments und zu den Möglichkeiten der testamentarischen Begünstigung ist nötig. Massgeschneiderte Hilfe (z.B.
Nachlassbroschüre oder Kontaktperson für Fragen) soll den Interessierten zur Verfügung gestellt werden.
 
Die Nachlassinstrumente (z.B. Erbrechtsveranstaltung) müssen auf die Organisation und auf deren Spender, Gönner und Interessenten abgestimmt und
vernetzt werden. Es sollten Begegnungsangebote geschaffen werden sowie die Möglichkeit zur einfachen Informationsbeschaffung und Kontaktaufnahme (z.B. über die Website). Die Zielgruppen (wie Nachlassinteressent) müssen definiert und eine systematische Beziehungspflege aufgebaut werden. Nicht jeder Spender möchte eine enge Betreuung, und doch soll die Institution nicht in Vergessenheit geraten. Aber zwischen aufdringlich zu erscheinen und ausbleibender Reaktion, gibt es viele Wege. Nachlassmarketing benötigt eine geeignete Person, die über Lebenserfahrung verfügt und sich auch persönlich mit dem Thema Testament und Tod auseinandergesetzt hat. Die Nachlassgeber müssen Vertrauen nicht nur in die Organisation, sondern auch in diese Person fassen können. Da sie selten auf das Erbrecht spezialisiert ist, macht es Sinn, mit einem Spezialisten zusammenzuarbeiten. Gute Beispiele für ein systematisches Fundraising kommen z.B. aus England: Vom Royal Opera House und dem English National Ballet bis zum The British Museum, alle Websites thematisieren Legate und Erbschaften und laden dazu ein, nähere Informationen einzuholen.
 

Fazit:
Auch wenn die Schweiz eine andere Fundraising-Tradition als England aufweist,
Nachlassmarketing kann auch hierzulande für Kulturinstitutionen eine neue
Finanzierungsquelle darstellen, falls
die Institutional Readiness vorhanden ist,
die kontinuierliche Kommunikation eingeführt,
die systematische Beziehungspflege aufgebaut wird,
die geeignete Person gefunden ist und
die Nachlassinstrumente für die eigene Institution bestimmt worden
sind.
 

Unterstützungsabos


Mit unseren Unterstützungsabos unterstützen Sie unsere Redaktion mit einem festen Betrag pro Monat – und damit alle unsere kostenfreien Inhalte, also unser Magazin, unseren Podcast, die Beiträge und die Informationen zu Büchern, Veranstaltungen oder Studiengängen auf unserer Website. 

5€-Unterstützungsabo Redaktion

Mit diesem Abo unterstützen Sie unsere Redaktion mit 5€ im Monat. Das Abonnement ist jederzeit über Ihren eigenen Account kündbar.

Preis: 5,00 EUR / 1 Monat(e)*

15€-Unterstützungsabo Redaktion

Mit diesem Abo unterstützen Sie unsere Redaktion mit 15€ im Monat. Das Abonnement ist jederzeit über Ihren eigenen Account kündbar.

Preis: 15,00 EUR / 1 Monat(e)*

25€-Unterstützungsabo Redaktion

Mit diesem Abo unterstützen Sie unsere Redaktion mit 25€ im Monat. Das Abonnement ist jederzeit über Ihren eigenen Account kündbar.

Preis: 25,00 EUR / 1 Monat(e)*
* Alle Preise sind inkl. der gesetzl. Mehrwertsteuer, zzgl. evtl. anfallenden Gebühren
Kommentare (0)
Zu diesem Beitrag sind noch keine Kommentare vorhanden.

Unterstützungsabos

Mit einem Unterstützungsabo unterstützen Sie die kostenfreien Inhalte unserer Redaktion mit einem festen Betrag pro Monat – also unser Magazin, unseren Podcast, die Beiträge und die Informationen zu Büchern, Veranstaltungen oder Studiengängen auf unserer Website. 

5€-Unterstützungsabo Redaktion

Mit diesem Abo unterstützen Sie unsere Redaktion mit 5€ im Monat. Das Abonnement ist jederzeit über Ihren eigenen Account kündbar.

Preis: 5,00 EUR / 1 Monat(e)*

15€-Unterstützungsabo Redaktion

25€-Unterstützungsabo Redaktion

* Alle Preise sind inkl. der gesetzl. Mehrwertsteuer, zzgl. evtl. anfallenden Gebühren
Cookie-Einstellungen
Wir setzen auf unserer Website Cookies ein. Einige von ihnen sind notwendig (z.B. für den Stellenmarkt), während andere uns helfen, unsere Angebote (Redaktion, Magazin) zu verbessern und wirtschaftlich zu betreiben. Einige Angebote können nur genutzt werden, wenn Cookies gesetzt wurden.
Sie können die nicht notwendigen Cookies akzeptieren oder per Klick auf die graue Schaltfläche ablehnen. Nähere Hinweise erhalten Sie in unserer Datenschutzerklärung.
Ich akzeptiere
nur notwendige Cookies akzeptieren
Impressum/Kontakt | AGB