05.02.2010

Noch ein Weinchen, noch ein Zigarettchen

Der zeitgenössische Tanz sucht nach sich selbst und muss sich nach Pina Bauschs Tod langsam neu definieren. Grund genug, den Schwerpunkt der aktuellen "Theater heute"-Ausgabe dem Tanztheater zu widmen. Tanzkritikerin Wiebke Hüster unternimmt einen Streifzug durch die aktuelle Szene, versucht eine Standortbestimmung und definiert eine klare Richtung.
(...) Das Tanztheater Deutschlands steht unter Schock. Erst jetzt, da Pina Bausch tot ist, schaut sich der Betrieb um und merkt, dass es keine Nachfolger gibt für sie, nicht einen. Über das Weiterleben ihrer Stücke auf der Bühne dachte sie nach, ohne zu einer Entscheidung gelangt zu sein vor ihrem Tod. Wer soll nun welche Werke ohne sie alleinverantwortlich einstudieren, und kann man diese Vorstellungen als gewöhnliche Wiederaufnahmen betrachten wie zu ihren Lebzeiten? Wird das vielmehr nicht zwangsläufig ein anderes Stück? Oder muss man umgekehrt diese Fragen akademisch nennen, solange noch irgendein Tänzer auf der Bühne steht und Hackfleisch auf einem Bügeleisen brät wie einst Jan Minarek, der heute in seiner Heimat Trecker fährt und sich nicht mehr schert, was seinen Bühnenfiguren von seinen Nachfolgern widerfährt?
Das Tanztheater an deutschen Bühnen hat seine historischen Bedingungen Emanzipation, 68, Weltkulturumarmung verloren, und selbst die erweiterten Zulassungskonditionen für die postpostmodernen Epigonen wie Meg Stuart sind weggefallen. Stuart ließ in Zürich und an der Berliner Volksbühne nur noch Schütteln und Zittern, Rennen, Zusammenknallen und Hinfallen zu und furchtbar authentisches gefühlsmäßiges Autistentum: Die Welt als Warteraum mit Drogenration, ähnlich wie es bei Constanza Macras in Richtung Sex und Pop und Lebensfreude tobte. Aber das Problem dieser Mann-gehts-mir-schlecht-Tänze war, dass sie sich durch Serienproduktion abnutzen. Das Thema «Ich bin kurz vor dem Selbstmord und mein Nachbar hier auch» wird durch Wiederholung nicht interessanter oder glaubwürdiger.

Seit Pina Bauschs Tod gibt es im deutschen Tanztheater nichts mehr zu sehen, das Schauspielzuschauern das Gefühl geben könnte, eine Verbindung zur Sprache der Bewegung zu haben. Das Vergnügen kinästhetischer Wahrnehmung ohne kinästhetische Überforderung verschaffen Sasha Waltz Stücke etwa nur in schwächerem Maße. Ihre Bewegungen sind bewusst weniger kunstvoll gehalten. Zu einer Wuppertal ganz ähnlichen Ausprägung von inszenierter Körperschönheit, die den Kitsch hart streift, ist sie gelangt, wie ihre Choreografie zur Eröffnung des Neuen Museums erneut bewies. Jetzt staunt bei ihr das hochkulturergriffene Publikum sexy gekleidete Menschen an, die ihnen von Museumsmauervorsprüngen, Treppenabsätzen und Nischen für Statuen entgegentanzen. Witz und Rauheit ihrer früheren Arbeiten von der temporeichen WG-Küchen-Szenerie über das Prekariat aus der Berliner «Allee der Kosmonauten» waren sehr viel belangreicher als das Ankuscheln an Sandsteinsäulen des neunzehnten oder auch einundzwanzigsten Jahrhunderts. (...)

Dieser Text ist ein Auszug aus dem ausführlichen Bericht von Wiebke Hüster zu den Bedingungen, Strukturen und Perspektiven des zeitgenössischen Tanzes. Lesen Sie die komplette Fassung in der Februar-Ausgabe von «Theater heute».

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