26.08.2020

Autor*in

Moritz von Rappard
studierte Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften, Germanistik und Pädagogik. Er arbeitet als Projektentwickler und Vermittler an der Schnittstelle von gesellschaftlich relevanter und künstlerisch kreativer Arbeit, wobei ein Fokus auf Vernetzung und Austausch in Form von Diskussions-, Workshop- und Tagungsformaten liegt. Er hat zahlreiche Projekte in den Bereichen Bildende Kunst, Musik, Radio, Tanz und Theater realisiert. 
Rückblick Diskussionsreihe „Diversität in Arbeit“

Angebot und Nachfrage

Wie können Kulturinstitutionen diverser werden und was können sie dabei von der Wirtschaft lernen? Dieser Frage ging die Stiftung Genshagen mit ihrer Veranstaltungsreihe "Diversität in Arbeit" nach.
Gerade Hochkultureinrichtungen in Deutschland sind bei Personal und Publikum nach wie vor sehr weiß und akademisch geprägt. Von 2017 bis 2020 hatte der Kompetenzverbund Kulturelle Integration und Wissenstransfer (KIWit) deshalb den Auftrag von der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien, die Diversitätsentwicklung von Kunst- und Kulturinstitutionen voranzubringen. In diesem Rahmen ist in der Stiftung Genshagen ein Arbeitsschwerpunkt entstanden, der sich mit dem Wissenstransfer von Erfahrungen aus der Wirtschaft beschäftigte und unter anderem die bundesweite Veranstaltungsreihe "Diversität in Arbeit" realisierte. 
 
Dabei wurde in je eine Kultureinrichtung eine Person aus der Wirtschaft eingeladen, um sich konkret über Erfahrungen mit Diversität in Bereichen wie Personalentwicklung, Produkt- bzw. Programmentwicklung, Arbeitsorganisation, Öffentlichkeitsarbeit oder Kundenbindung auszutauschen. Das Spektrum der Institutionen war dabei ebenso breit gefächert wie die Auswahl der beteiligten Wirtschaftsunternehmen. Dort ging es um so unterschiedliche Bereiche wie Mobilität, Schwerindustrie, Backwaren oder Hotellerie, und auch die Tätigkeitsfelder der Gäste reichten vom Diversity-Management über Marketing bis zu Geschäftsführung und kaufmännischer Leitung. 
 
Im Rückblick auf die bisherigen Veranstaltungen fällt dabei besonders auf, wie stark sich die Beobachtungen im Hinblick auf das Thema Diversitätsentwicklung und die daraus abgeleiteten Strategien der verschiedenen Wirtschaftsunternehmen überschneiden. 
 
VUCA-Welt 
 
Für die aktuelle Beschreibung der Welt wird immer wieder ein Akronym benutzt: VUCA. Es steht für volatility (Volatilität), uncertainty (Unsicherheit), complexity (Komplexität) und ambiguity (Mehrdeutigkeit). Diese Begriffe zeigen, dass letztlich jedes Unternehmen mit einer Vielzahl von sich gegenseitig bedingenden und zugleich potenzierenden Herausforderungen zu tun hat. Während große Teile der Produktion digitalisiert werden, die Bedeutung der Nachhaltigkeit zunimmt und die Logistik komplexer und damit zugleich stetig empfindlicher wird, stelle sich in Anbetracht des demografischen Wandels die Frage, wie immer diversere Teams bei der Bewältigung ihrer Aufgaben bestmöglich zusammenarbeiten können. Astrid Leeb, Chief Financial Officer bei Bosch Rexroth, einem Industrieunternehmen im Bereich Antriebs- und Steuerungstechnik, berichtete im GRASSI Museum für Völkerkunde zu Leipzig, dass man es im Maschinenbau mit massiven Veränderungen aufgrund der immer digitaleren Welt zu tun habe. Ihre Beobachtungen zu ihrem Arbeitsumfeld klangen auch für Kultureinrichtungen und im ungewohnten Kontext eines Museums keineswegs unbekannt: 
 
"Unser Marktumfeld ist plötzlich nicht mehr stabil, Gesetze von früher gelten nicht mehr und wir sehen, dass der Markt rasant wächst - unangekündigt, was wir uns gar nicht erklären können - aber auch genauso schnell wieder nach unten geht. Das beunruhigt Menschen, aber wir müssen mit dieser Flexibilität irgendwie zurechtkommen." 
 
 
 
Diversität in der Praxis 
 
Trotz oder gerade aufgrund der komplexen Herausforderungen in der VUCA-Welt empfahl Jürgen Dawo, Geschäftsführer des Massivhausanbieters Town & Country, bei seinem Vortrag auf der Wartburg, bei sich selbst anzufangen. Die Schlüsselfrage laute: "Wo stehe ich und was sind meine Stärken und Kernkompetenzen?" Analog zu Darwins Beobachtung der Anpassung der Galapagos-Finken an ihre Umwelt, riet Dawo, das eigene Potenzial so konkret wie möglich herauszuarbeiten und darüber herauszufinden, wie man ein Angebot machen kann, dass sich deutlich von dem der anderen unterscheidet und dadurch auch nachgefragt wird. Angesichts der steigenden Anzahl an Angeboten und dem zunehmenden Wettbewerb mit anderen Freizeitanbietern, erscheint dies auch für den Kulturbereich als eine sinnvolle Herangehensweise. 
 
 
 
Fokus auf die Bedürfnisse der Zielgruppe 
 
Auch wenn manche Unternehmen lange Zeit in erster Linie an der Optimierung ihrer Produkte - oder, im Fall der Kultur, der Kunst und Programme - gearbeitet haben, stimmten die Impulsgeber*innen darin überein, dass es einer Firma primär um die Bedürfnisse der Menschen gehen müsste, die angesprochen werden sollen. Petra Pillipp, Leiterin der Imagekommunikation bei der DATEV, wies im Stadttheater Bremerhaven gleichwohl darauf hin, dass man nicht glauben solle, sich in eine Zielgruppe wirklich hineindenken zu können. Umso sinnvoller sei es deshalb, deren Vertreter*innen lieber früher als später in die eigene Arbeit einzubeziehen: 
 
"Wenn ich jemand erreichen möchte, muss ich nach dessen Regeln spielen. Dabei gibt es drei Fragen: Wer ist es, was motiviert ihn, was bewegt ihn? Was hindert ihn daran, unser Angebot anzunehmen? Wo bewegt er sich, wo erreiche ich ihn?"
 
 
 
Entfaltungsraum für die Mitarbeitenden 
 
Früher oder später zeigte sich in allen Impulsvorträgen, dass die zentrale Herausforderung für die Leitung eines Unternehmens oder auch einer Kulturinstitution darin besteht, bestmögliche Arbeitsbedingungen für die Mitarbeiter*innen zu gestalten. Ganz im Sinne eines breiten Verständnisses von Diversität meint dies, dass allen Beteiligten die optimale Entfaltung der eigenen Kompetenzen ermöglicht und hinreichend Raum für Weiterbildung gewährleistet werden müsste. Darüber hinaus sollte eine möglichst interdisziplinäre Teamarbeit von einem respektvollen und wohlwollenden Miteinander geprägt sein. Gerade die jüngsten Beispiele, etwa des Staatstheaters Karlsruhe, zeigen aber, dass dies in Kultureinrichtungen längst nicht immer gegeben ist und dass die Ansprüche an die Kunst oft über die Bedürfnisse der Menschen gestellt werden. Dem entgegen machte Daniela Mündler, zuletzt Mitglied des Management Boards bei der Bahlsen AG, im Stadttheater Peiner Festsäle klar, dass große Ideen aus ihrer Sicht nur noch bedingt von einem kleinen Führungsteam erwartet werden können. Vielmehr müssten unterschiedliche Perspektiven zusammengeführt werden und es bräuchte einen Führungsstil, ein Vertrauen und eine Arbeitskultur, die nicht nur das erforderliche Miteinander ermöglichen, sondern auch den notwenigen Raum für Innovation und eine konstruktive Fehlerkultur eröffnen. 
 
"Bahlsen ist ein Unternehmen, das sehr stark und bewusst auf die Gestaltung eines Prozesses achtet. Wir sind fest davon überzeugt, dass wir kein kreatives, neues Ergebnis haben können, wenn der Weg dahin nicht auch kreativ und neu ist."
 
 
 
In seinem Vortrag in der Klassikstiftung Weimar betonte Friedrich Hermann, Geschäftsführer a.D. bei der Kommunalen Wohnungsgesellschaft KoWo Erfurt und Leiter des Senior-Experten-Service in Thüringen, wie wichtig es sei, dem Team viel Vertrauen entgegenzubringen und größtmöglichen Gestaltungsraum zu gewähren. So hätte er bei der Umstrukturierung des Unternehmens voll auf die Kompetenz seiner Mitarbeitenden gesetzt und damit Raum zur Entfaltung der vorhandenen Kompetenzen geschaffen. Auch Marc Stickdorn, Upstalsboomer - Begriff für einen partizipativen und achtsamen Führungsstil - und Hoteldirektor, Varel, bekannte im Theater neue bühne Senftenberg: 
 
"Ich bin nicht derjenige, der sagt, wo es lang geht. (...) die Entscheidungen treffen alle meine Bereichsleiter, weil jeder von ihnen deutlich mehr Ahnung in seinem Fachbereich hat, als ich es habe."
 
 
 
Kooperationen bilden 
 
Wenn ein Team oder ein Unternehmen Innovationen entwickelt, kann es schnell passieren, dass die hausinternen Kapazitäten oder Kompetenzen überfordert sind. Hier greifen Kooperationen und funktionieren besonders dann, wenn sie im Interesse aller Partner sind und gemeinsam auf Augenhöhe entwickelt werden konnten. Jörg Dohmen von der BMW Group zeigte im Regensburger Kunstforum Ostdeutsche Galerie anschaulich, dass diese Entwicklungen sogar Auswirkungen auf das Geschäftsmodell haben können. So wäre in seinem Unternehmen beobachtet worden, dass immer mehr Menschen eigentlich nur noch zügig und unkompliziert von A nach B wollten und dafür keinesfalls mehr ein eigenes Auto bräuchten. Nun entwickelt BMW immer mehr App-basierte Teilzeit- und Mietautoangebote: 
 
"Unser Geschäftsmodell ändert sich insofern, als dass wir über dritte Partner und Angebote rund um die Mobilität als Service-Dienstleister Geld verdienen. Wir sind also nicht mehr produzierendes Unternehmen, sondern werden immer mehr dienstleistungsanbietendes Unternehmen." 
 
 
 
Auch das ist ein wichtiger Ansatz für Kultureinrichtungen, ihr Umfeld zusammen mit Partnern auszuloten und gemeinsam zu überlegen, wie man mit vereinter Kompetenz und weitreichender Vernetzung zu neuen Angeboten und Geschäftsmodellen kommen könnte. 
 
Schritt für Schritt 
 
Veränderungsprozesse können komplex erscheinen, insbesondere wenn man von allen Seiten mit unterschiedlichsten Forderungen konfrontiert wird, aber eigentlich genug damit beschäftigt ist, den eigenen Geschäftsbetrieb am Laufen zu halten. Wenn jedoch Angebot und Nachfrage - beispielsweise nach den typischen Programmformaten - nicht länger in einem ausgewogenen Verhältnis stehen, gibt es oftmals kaum mehr die Wahl, maßgebliche Änderungen zu lancieren. Weil es dann oft an Geld und Zeit fehlt, empfahl Town & Country-Geschäftsführer Jürgen Dawovon auf der Wartburg, sich bei einem Change-Prozess nicht zu übernehmen: 
 
"Im Grunde geht es (...) immer um Versuch und Irrtum (...): Man probiert und geht Schritt für Schritt weiter und weiter. (...) So guckt man immer wieder, wo man seine Stärken hat und verstärkt diese Stück für Stück, während man die Schwächen für den Moment mal ruhen lässt."
 
 
 
Fazit 
 
So überrascht die Impulsgeber*innen aus der Wirtschaft im Vorfeld waren, dass sie mit ihrer Expertise für einen Vortrag im Kulturbereich angefragt wurden, so haben alle Begegnungen erlebbar gemacht, dass die Herausforderungen in beiden Arbeitsfeldern viele Überschneidungen aufweisen. Trotz der so unterschiedlichen Dialogkonstellationen hat die Reihe eindrücklich gezeigt, wie inspirierend es für alle Beteiligten und gerade für Kultureinrichtungen sein kann, wenn Menschen aus unterschiedlichen Welten zusammentreffen und sich mit ihren vielfältigen Perspektiven über ein Thema austauschen. 
 
Kristina Beer, Head of Global Learning & People Development bei der SMA-Solar Technology AG, brachte ihr Verständnis von Diversität im Kasseler Museum für Sepulkralkultur auf den Punkt:
 
"Diversität ist etwas, das bei uns selbst beginnt und nicht bei den anderen. Es hat etwas mit Lernen zu tun, mit Haltung und Verhalten, mit mir selbst: Ich bin mutig, probiere Dinge aus und bin offen für Vielfalt und neue Dinge, so dass wir alle gemeinsam voneinander lernen und gut zusammenarbeiten können."
 
 
 
Weitere Informationen und die kompletten Impulse aus der Wirtschaft stehen hier zur Verfügung: http://www.stiftung-genshagen.de/kiwit/kultur-wirtschaft/diversitaet-in-arbeit.html
 

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