30.06.2016
Autor*in
Eva Göbel
verantwortet die Drittmittelakquise für den städtischen Eigenbetrieb „JenaKultur“. Zuvor arbeitete sie als Kulturmanagerin u.a. für die IBA Thüringen, als Redakteurin und Journalistin, unter anderem bei Kultur Management Network. Sie studierte Literatur, Kunst und Kultur in Göttingen, Paris und Jena.
Rückblick Inthega-Tagung 2016
Das Gastspiel auf der Suche nach seinem Platz in der Theaterwelt
Im Mai traf sich die Interessensgemeinschaft für Theater mit Gastspielen (INTHEGA) erstmals zu einer reinen Fachtagung. Dabei ging es vor allem um die Positionierung des Verbandes zu wichtigen Zukunfts-Fragen: Welche Rolle soll das Gastspiel in der Theaterlandschaft einnehmen? Welchen Einfluss haben der demografische Wandel und die Digitalisierung auf den Gastspiel-Bereich und wie können hieraus Chancen entstehen?
Eine komplexe Dreiecksbeziehung
Jede Organisation und Sparte im Kulturbereich muss sich diesen Fragen stellen und für sich beantworten. Für die Inthega ist dieser Prozess allerdings ungleich komplexer, denn als Interessensgemeinschaft hat sie zunächst die Aufgabe, die unterschiedlichen Standpunkte und Bedürfnisse ihrer Mitglieder unter einen Hut zu bringen. Das sind zum einen die Anbieter von Theaterproduktionen freie Ensembles, private Produktionsfirmen, oder tourende Ensembles von Landesbühnen. Zum anderen sind das die Käufer von Gastspielproduktionen in der Regel kleine und mittelgroße Städte und Gemeinden, die selbst über keine produzierende Spielstätte verfügen. Auch Volkshochschulen und Betreiber von Mehrzweckhallen kaufen Stücke ein und können Mitglieder der Inthega werden. Den dritten Part in dieser Beziehung spielt das Publikum und soll in Zukunft im Inthega-Beziehungsgeflecht mehr Aufmerksamkeit bekommen. Schließlich geht es auch im Gastspieltheater darum, das Publikum zu begeistern und im besten Fall Menschen aus der ganzen Region mit dem Programm anzulocken.
Was Ihr wollt! Was wollt Ihr denn?
Bei der Podiumsdiskussion Das Publikum der Zukunft und den anschließenden Gesprächen in Kleingruppen wurde allerdings deutlich, dass bei den Inthega-Mitgliedern bisher kaum empirisches Wissen darüber besteht, wer eigentlich ihr Publikum ist. Der Zugang zu relevanten Besucher-Daten zu diesem Zweck scheint sich zudem schwierig zu gestalten schließlich sind diejenigen, die den Ticket-Vertrieb übernehmen in der Regel nicht für die Produktion der Stücke verantwortlich. Inwiefern die Städte Daten über die BesucherInnen sammeln oder aus Datenschutzgründen nicht sammeln dürfen und ob diese Daten, falls es sie gibt, an die Stück-ProduzentInnen weitergegeben werden können, ist unklar. Hierüber müssen zunächst Klarheiten geschaffen werden, um in Richtung eines professionellen Audience Development weiterdenken zu können.
Mit Sozialpsychologie in die Zukunft?
Um den TeilnehmerInnen der Tagung Impulse für den Umgang mit Zukunftsaufgaben zu geben, bat die Inthega Harald Welzer auf die Bühne. Welzer ist Sozialpsychologe und Soziologe und forscht in seinem Wissenschaftszentrum Futur zwei Stiftung Zukunft zu Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit. Die Einladung eines Keynote-Redners war eine der großen Neuerungen der Tagung im Vergleich zu den Vorjahren, die sich damit als Fachtagung zu positionieren suchte.
Als Utopist, der mit stark im Allgemeinen verhafteten Bildern arbeitet, konnte Welzer allerdings wenig konkrete Ideen oder Handlungsoptionen für den Gastspielbereich liefern. Sein Hinweis an die Inthega lautete: Anstatt mit der Suche nach Antworten und Lösungen anzufangen, zunächst die Frage herauszuarbeiten, auf die man konzise Antworten geben möchte. Übertragen auf das Theater hieße das in etwa: Warum ist Gastspieltheater wichtig? Wofür steht Gastspieltheater? Welchen Beitrag zur Gesellschaft möchte es leisten? Möchte es etwas anderes leisten, als produzierende Theater wo sind hier Schnittstellen, wo Divergenzen?
In der derzeitigen Kulturpolitik Deutschlands würden laut Harald Welzer zudem Zukunftsvisionen nur in der Vergangenheit gesucht. Ein Beispiel dafür sei die Praxis, dass in Berlin ohne Unterlass alte Schlösser wieder aufgebaut würden. Eine zukunftsfähige Gesellschaft aber dürfe ihre Repräsentanz nicht durch das Vergangene praktizieren.
Über Inhalte streiten, über Strukturen schweigen
Visionen kamen auf der Tagung allerdings zur Sprache. Claudia Scherb von KulturStadtLev, dem städtischen Eigenbetrieb für Veranstaltungen und Kultur-Marketing der Stadt Leverkusen, träumte auf dem Podium davon, dass die Kulturämter der Städte als Theater-Scouts den BürgerInnen neue und experimentelle Theater- und Tanzformen vorstellen könnten. Doch die Realität in den Kulturämtern sieht oftmals anders aus hier wird aufgrund finanzieller und administrativer Zwänge und fehlender kreativer Freiräume nicht selten der kulturelle Status quo verwaltet. Doch um die Zwänge ab- und Spielräume aufzubauen, muss insbesondere über die Strukturen des Gastspielwesens gesprochen werden. Wie können Wege gefunden werden, etwas zu verändern? Die Diskussionen während der Tagung hätten davon profitiert, wenn sie nicht nur bei den Inhalten von Theaterproduktionen stehengeblieben wären. Einige Wortmeldungen von Mitgliedern ließen deutlich werden, dass eine methodische und strukturierte Annäherung an das Thema sehr gewünscht ist. Diese muss der Verband nicht alleine und von Grund auf leisten, Hinweise und Verfahren lassen sich beispielsweise bei der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement einholen, die seit knapp 20 Jahren Methoden für ein kommunales Kulturmanagement entwickelt und weitergibt.
Das kommunale Profil der Kultur schärfen
In den kommenden Jahren müssen sich Anbieter im Gastspielbereich darauf einstellen, dass Freie Theater immer mehr auf dem Markt für Kultur- und Freizeitangebote Fuß fassen werden. Für die Kommunen bedeutet das mehr Auswahl hinsichtlich des Angebots an Kulturproduktionen, aber auch weniger Durchblick. Es ist also dringend geboten, dass die kommunalen Kulturanbieter ihr Profil schärfen und sich Richtlinien erarbeiten, die sie ihrer Programmgestaltung zugrunde legen. Die faire Bezahlung der engagierten KünstlerInnen bzw. die Bezahlung und Personalpolitik der gebuchten Anbieter sollten dabei genau so eine Rolle spielen, wie die künstlerischen Inhalte. Denn wenn schon über Qualität gesprochen wird, dann auch über die Qualität der Arbeitsbedingungen, unter denen die eingekauften Produktionen stattfinden. Auch die Inthega sollte zu den Arbeitsbedingungen im Gastspielbereich eine klare Position beziehen und prüfen, welche Handlungsoptionen sie hier hat.
Mit Zuversicht in die Zukunft
Das Gastspieltheater hat in der gegenwärtigen Situation tatsächlich gute Handlungsoptionen es kann flexibel auf sein Publikum und dessen Themen reagieren. Denn seine Stärke ist es, in der Region verankert zu sein, ohne inhaltlich festgelegt zu sein. Ein schönes Beispiel gibt es aus dem Vereinigten Königreich dort feiert das National Theater Wales großartige Erfolge als ein öffentlich finanziertes Theater ohne festes Ensemble und sogar ohne festes Haus, das es durch eine Online-Community geschafft hat, eine starke Bindung zu den Menschen und ihrer Region aufzubauen. Die Landesbühnen in Deutschland haben ein ähnliches Potenzial, das weiter ausgeschöpft werden könnte.*
Jede Organisation und Sparte im Kulturbereich muss sich diesen Fragen stellen und für sich beantworten. Für die Inthega ist dieser Prozess allerdings ungleich komplexer, denn als Interessensgemeinschaft hat sie zunächst die Aufgabe, die unterschiedlichen Standpunkte und Bedürfnisse ihrer Mitglieder unter einen Hut zu bringen. Das sind zum einen die Anbieter von Theaterproduktionen freie Ensembles, private Produktionsfirmen, oder tourende Ensembles von Landesbühnen. Zum anderen sind das die Käufer von Gastspielproduktionen in der Regel kleine und mittelgroße Städte und Gemeinden, die selbst über keine produzierende Spielstätte verfügen. Auch Volkshochschulen und Betreiber von Mehrzweckhallen kaufen Stücke ein und können Mitglieder der Inthega werden. Den dritten Part in dieser Beziehung spielt das Publikum und soll in Zukunft im Inthega-Beziehungsgeflecht mehr Aufmerksamkeit bekommen. Schließlich geht es auch im Gastspieltheater darum, das Publikum zu begeistern und im besten Fall Menschen aus der ganzen Region mit dem Programm anzulocken.
Was Ihr wollt! Was wollt Ihr denn?
Bei der Podiumsdiskussion Das Publikum der Zukunft und den anschließenden Gesprächen in Kleingruppen wurde allerdings deutlich, dass bei den Inthega-Mitgliedern bisher kaum empirisches Wissen darüber besteht, wer eigentlich ihr Publikum ist. Der Zugang zu relevanten Besucher-Daten zu diesem Zweck scheint sich zudem schwierig zu gestalten schließlich sind diejenigen, die den Ticket-Vertrieb übernehmen in der Regel nicht für die Produktion der Stücke verantwortlich. Inwiefern die Städte Daten über die BesucherInnen sammeln oder aus Datenschutzgründen nicht sammeln dürfen und ob diese Daten, falls es sie gibt, an die Stück-ProduzentInnen weitergegeben werden können, ist unklar. Hierüber müssen zunächst Klarheiten geschaffen werden, um in Richtung eines professionellen Audience Development weiterdenken zu können.
Mit Sozialpsychologie in die Zukunft?
Um den TeilnehmerInnen der Tagung Impulse für den Umgang mit Zukunftsaufgaben zu geben, bat die Inthega Harald Welzer auf die Bühne. Welzer ist Sozialpsychologe und Soziologe und forscht in seinem Wissenschaftszentrum Futur zwei Stiftung Zukunft zu Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit. Die Einladung eines Keynote-Redners war eine der großen Neuerungen der Tagung im Vergleich zu den Vorjahren, die sich damit als Fachtagung zu positionieren suchte.
Als Utopist, der mit stark im Allgemeinen verhafteten Bildern arbeitet, konnte Welzer allerdings wenig konkrete Ideen oder Handlungsoptionen für den Gastspielbereich liefern. Sein Hinweis an die Inthega lautete: Anstatt mit der Suche nach Antworten und Lösungen anzufangen, zunächst die Frage herauszuarbeiten, auf die man konzise Antworten geben möchte. Übertragen auf das Theater hieße das in etwa: Warum ist Gastspieltheater wichtig? Wofür steht Gastspieltheater? Welchen Beitrag zur Gesellschaft möchte es leisten? Möchte es etwas anderes leisten, als produzierende Theater wo sind hier Schnittstellen, wo Divergenzen?
In der derzeitigen Kulturpolitik Deutschlands würden laut Harald Welzer zudem Zukunftsvisionen nur in der Vergangenheit gesucht. Ein Beispiel dafür sei die Praxis, dass in Berlin ohne Unterlass alte Schlösser wieder aufgebaut würden. Eine zukunftsfähige Gesellschaft aber dürfe ihre Repräsentanz nicht durch das Vergangene praktizieren.
Über Inhalte streiten, über Strukturen schweigen
Visionen kamen auf der Tagung allerdings zur Sprache. Claudia Scherb von KulturStadtLev, dem städtischen Eigenbetrieb für Veranstaltungen und Kultur-Marketing der Stadt Leverkusen, träumte auf dem Podium davon, dass die Kulturämter der Städte als Theater-Scouts den BürgerInnen neue und experimentelle Theater- und Tanzformen vorstellen könnten. Doch die Realität in den Kulturämtern sieht oftmals anders aus hier wird aufgrund finanzieller und administrativer Zwänge und fehlender kreativer Freiräume nicht selten der kulturelle Status quo verwaltet. Doch um die Zwänge ab- und Spielräume aufzubauen, muss insbesondere über die Strukturen des Gastspielwesens gesprochen werden. Wie können Wege gefunden werden, etwas zu verändern? Die Diskussionen während der Tagung hätten davon profitiert, wenn sie nicht nur bei den Inhalten von Theaterproduktionen stehengeblieben wären. Einige Wortmeldungen von Mitgliedern ließen deutlich werden, dass eine methodische und strukturierte Annäherung an das Thema sehr gewünscht ist. Diese muss der Verband nicht alleine und von Grund auf leisten, Hinweise und Verfahren lassen sich beispielsweise bei der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement einholen, die seit knapp 20 Jahren Methoden für ein kommunales Kulturmanagement entwickelt und weitergibt.
Das kommunale Profil der Kultur schärfen
In den kommenden Jahren müssen sich Anbieter im Gastspielbereich darauf einstellen, dass Freie Theater immer mehr auf dem Markt für Kultur- und Freizeitangebote Fuß fassen werden. Für die Kommunen bedeutet das mehr Auswahl hinsichtlich des Angebots an Kulturproduktionen, aber auch weniger Durchblick. Es ist also dringend geboten, dass die kommunalen Kulturanbieter ihr Profil schärfen und sich Richtlinien erarbeiten, die sie ihrer Programmgestaltung zugrunde legen. Die faire Bezahlung der engagierten KünstlerInnen bzw. die Bezahlung und Personalpolitik der gebuchten Anbieter sollten dabei genau so eine Rolle spielen, wie die künstlerischen Inhalte. Denn wenn schon über Qualität gesprochen wird, dann auch über die Qualität der Arbeitsbedingungen, unter denen die eingekauften Produktionen stattfinden. Auch die Inthega sollte zu den Arbeitsbedingungen im Gastspielbereich eine klare Position beziehen und prüfen, welche Handlungsoptionen sie hier hat.
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Das Gastspieltheater hat in der gegenwärtigen Situation tatsächlich gute Handlungsoptionen es kann flexibel auf sein Publikum und dessen Themen reagieren. Denn seine Stärke ist es, in der Region verankert zu sein, ohne inhaltlich festgelegt zu sein. Ein schönes Beispiel gibt es aus dem Vereinigten Königreich dort feiert das National Theater Wales großartige Erfolge als ein öffentlich finanziertes Theater ohne festes Ensemble und sogar ohne festes Haus, das es durch eine Online-Community geschafft hat, eine starke Bindung zu den Menschen und ihrer Region aufzubauen. Die Landesbühnen in Deutschland haben ein ähnliches Potenzial, das weiter ausgeschöpft werden könnte.*
*Nachzulesen in: Katharina M. Schröck: Impulsgeber für die deutsche Theaterlandschaft? »Freies« Theater in Europa, in: Kulturpolitische Mitteilungen, Heft 152 I/2016, S. 57.
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