02.11.2012

Autor*in

Andreas Tobler
Theater in der Schweiz

Umbrüche stehen bevor

Sie spielen wieder. In Zürich, Bern, Basel und Luzern gehen die ersten Theaterpremieren über die Bühne. Doch diesmal ist alles ein wenig anders: In Luzern wird über eine Umstrukturierung des Stadttheaters diskutiert. Und am Theater Basel verstärkt erstmals eine freie Gruppe das Ensemble. Was geschieht in der Schweizer Theaterlandschaft?
Wenn der Eindruck nicht täuscht, erleben wir in der Schweizer Theaterlandschaft den Beginn eines grossen Umbruchs: In Luzern wird zurzeit intensiv über die Zukunft des dortigen Stadttheaters diskutiert, das sich gemäss einem ersten Grundlagenbericht sowohl «baulich» als auch «künstlerisch-konzeptionell» erneuern muss. In diesem Zusammenhang steht eine weitgehende Umstrukturierung des Dreispartenhauses zur Disposition, was insbesondere in der freien Theaterszene die kühnsten Träume weckt. Gesprochen wird auch über ein Szenario, dem zufolge die Subventionen des Stadttheaters einer Spielstätte zukämen, an dem First-Class-Gruppen aus der freien Szene in künstlerischer Eigenverantwortung ihre Produktionen herausbringen könnten.
 

Zwischen Residenzen-Theater und Literaturvermittlung
Während man in Luzern noch über die Aufwertung der freien Szene diskutiert, wurde diese am Theater Basel bereits vollzogen: Ab dieser Spielzeit verstärkt mit Far A Day Cage erstmals ein freies Theaterkollektiv als Group in Residence das Ensemble des grössten Dreispartenhauses der Schweiz. Dieses Konzept wurde andernorts bereits erfolgreich erprobt: Während der Intendanz von Christoph Marthaler hatte die Choreografin Meg Stuart zusammen mit ihrer Kompanie Damaged Goods eine Residenz am Zürcher Schauspielhaus und brachte dort mit «Alibi» eine ihrer wichtigsten Arbeiten heraus. Und das Nature Theater of Oklahoma, das sich in seinen Arbeiten auf Andy Warhol und John Cage beruft, bringt seit 2010 am Wiener Burgtheater die Episoden seines «Life and Times»-Projekts als internationale Koproduktionen heraus. Auch das Zürcher Theater Neumarkt hatte in der vergangenen Spielzeit mit Michael Fingers Cirque de Loin eine Nouveau-Cirque-Formation für eine Produktion zu Gast.
 

Wie ist diese Öffnung der Sprechtheater-Bühnen zu erklären? Die Neuorientierung der Stadttheater hat wohl nicht unwesentlich mit der Erosion des Bildungsbürgertums zu tun, die wir in den beiden vergangenen Jahrzehnten erlebt haben: Intendanten und Dramaturgen grosser Häuser sagen, dass sie die Kenntnis der Klassiker der Dramenliteratur bei ihrem Publikum nicht mehr voraussetzen können. Mit kühnen Zugriffen, Neu- und Umdeutungen von dramatischer Literatur, die vor allem in den 1990er-Jahren en vogue waren, als Frank Castorf Stücke «zertrümmerte», spielt man heute am Grossteil des Publikums vorbei. An vielen Stadttheatern verlagert man sich daher auf die Pflege der Klassiker, die in eingängigen, leicht aktualisierten Inszenierungen auf die Bühne gebracht werden. Hinzu kommen Romanadaptionen, mit denen die Sehnsucht nach Bildung und grossen Geschichten befriedigt wird. Damit werden die Stadttheater zu Orten der Literaturvermittlung, an denen die Stoffe dem Publikum nahegebracht werden.
 

Für die Kunstform Theater, die nicht mit dem dramatischen Text verwechselt werden darf, ist diese Tendenz zweifelsohne ein Rückschritt. Aber auch für die Literatur ist diese Entwicklung nicht unbedingt erfreulich. Denn was bleibt von einem literarischen Text, wenn man nur noch das Skelett der nachvollziehbaren Dramen- bzw. Roman-Handlung auf die Bühne bringt? Und wie wollen sich die Stadttheater in einer sich wandelnden Gesellschaft behaupten, wenn sie sich nur noch als Literaturmuseen oder Renovierungsanstalten für Klassiker verstehen?
 
...
 
 

Unterstützungsabos


Mit unseren Unterstützungsabos unterstützen Sie unsere Redaktion mit einem festen Betrag pro Monat – und damit alle unsere kostenfreien Inhalte, also unser Magazin, unseren Podcast, die Beiträge und die Informationen zu Büchern, Veranstaltungen oder Studiengängen auf unserer Website. 

5€-Unterstützungsabo Redaktion

Mit diesem Abo unterstützen Sie unsere Redaktion mit 5€ im Monat. Das Abonnement ist jederzeit über Ihren eigenen Account kündbar.

Preis: 5,00 EUR / 1 Monat(e)*

15€-Unterstützungsabo Redaktion

Mit diesem Abo unterstützen Sie unsere Redaktion mit 15€ im Monat. Das Abonnement ist jederzeit über Ihren eigenen Account kündbar.

Preis: 15,00 EUR / 1 Monat(e)*

25€-Unterstützungsabo Redaktion

Mit diesem Abo unterstützen Sie unsere Redaktion mit 25€ im Monat. Das Abonnement ist jederzeit über Ihren eigenen Account kündbar.

Preis: 25,00 EUR / 1 Monat(e)*
* Alle Preise sind inkl. der gesetzl. Mehrwertsteuer, zzgl. evtl. anfallenden Gebühren
Kommentare (0)
Zu diesem Beitrag sind noch keine Kommentare vorhanden.

Unterstützungsabos

Mit einem Unterstützungsabo unterstützen Sie die kostenfreien Inhalte unserer Redaktion mit einem festen Betrag pro Monat – also unser Magazin, unseren Podcast, die Beiträge und die Informationen zu Büchern, Veranstaltungen oder Studiengängen auf unserer Website. 

5€-Unterstützungsabo Redaktion

Mit diesem Abo unterstützen Sie unsere Redaktion mit 5€ im Monat. Das Abonnement ist jederzeit über Ihren eigenen Account kündbar.

Preis: 5,00 EUR / 1 Monat(e)*

15€-Unterstützungsabo Redaktion

25€-Unterstützungsabo Redaktion

* Alle Preise sind inkl. der gesetzl. Mehrwertsteuer, zzgl. evtl. anfallenden Gebühren
Cookie-Einstellungen
Wir setzen auf unserer Website Cookies ein. Einige von ihnen sind notwendig (z.B. für den Stellenmarkt), während andere uns helfen, unsere Angebote (Redaktion, Magazin) zu verbessern und wirtschaftlich zu betreiben. Einige Angebote können nur genutzt werden, wenn Cookies gesetzt wurden.
Sie können die nicht notwendigen Cookies akzeptieren oder per Klick auf die graue Schaltfläche ablehnen. Nähere Hinweise erhalten Sie in unserer Datenschutzerklärung.
Ich akzeptiere
nur notwendige Cookies akzeptieren
Impressum/Kontakt | AGB