18.08.2021
Themenreihe Führung
Autor*in
Anna Maria Katz
ist Kuratorin und geprüfte Kulturmanagerin (DAM) und war zuletzt als Kulturreferentin im Kreis Coesfeld beschäftigt. Nach dem Studium der Kunstgeschichte, Klassischen Archäologie und Alten Geschichte war sie deutschlandweit an zahlreichen Museen tätig.
Von Kompetenzkonflikt zu Cultural Leadership
Perspektiven für Führung in deutschen Museen
Die Anforderungen an Führungskräfte von Museen ändern sich stetig und damit auch ihre Aufgaben. Eine neue Untersuchung zeigt, was das für den Kompetenzbedarf und den Arbeitsalltag bedeutet.
Themenreihe Führung
In einer Arbeitswelt, in der Veränderungen zum Normalzustand gehören und Qualifikationen ständig erneuert werden, stellt sich für den öffentlichen Kulturbetrieb die Frage, was Führung bedeutet. Dieser Beitrag basiert auf der Studie "Cultural Leadership in Krisenzeiten", die im Rahmen einer Weiterbildung im Bereich Kulturmanagement an der Deutschen Akademie für Management entstanden ist. Sie stützt sich auf die umfangreichen beruflichen Erfahrungen der Autorin in deutschen Museen sowie auf Studien und Fachliteratur zu den Anforderungen der Arbeitswelt im 21. Jahrhundert. Dieser Beitrag macht deutlich, vor welchen komplexen Anforderungen Führungskräfte von Museen im öffentlichen Sektor stehen und über welche Kompetenzen, Merkmale und Eigenschaften sie heute verfügen müssen. Darüber hinaus werden Ansätze für Führungskräfte vorgestellt, um nachhaltige Perspektiven entwickeln zu können.
Aktuelle Herausforderungen
Angesichts der Herausforderungen der VUCA-Welt (volatil, unsicher, komplex und ambig; Lauer 2019, 20), von Haushaltskürzungen und Wettbewerbsdruck sind öffentliche Museen zunehmend darauf angewiesen, Methoden und Instrumente des Strategischen (Museums-)Managements zu nutzen. Gerade die Position der Direktion bzw. Leitung verlangt dabei zunehmend Kompetenzen, die über die klassischen musealen Kernaufgaben hinausgehen. Hierzu zählen Querschnittskompetenzen in den Bereichen Organisationsentwicklung, Projektmanagement, Personalplanung und -führung sowie Marketing, Rechnungswesen, Drittmittelakquise und Recht. Diese beinhalten bspw. die strategische Planung mit Museumskonzept und -leitbild, um den Kulturbetrieb strukturiert zu organisieren und langfristig führen zu können, sowie betriebswirtschaftliche Kenntnisse, um Finanzmittel kostenbewusst einzusetzen und abzuwickeln. Gegenüber den verschiedenen Stakeholder*innen muss sich die Führungskraft zudem durch kommunikative Fähigkeiten und soziale Kompetenz, Servicebewusstsein und hohe Nutzer*innenorientierung auszeichnen. (Deutscher Museumsbund 2020) Zuletzt darf die kontinuierliche Evaluierung aller Arbeitsfelder nicht aus dem Blick geraten.
Die zunehmende Komplexität und Ausdifferenzierung musealer Tätigkeitsbereiche, von Aufgaben und Herausforderungen führt jedoch vermehrt zur Überforderung. Es bedarf daher zunächst der Stärkung und Förderung der Resilienz und Arbeitszufriedenheit der Führungskräfte wie der Mitarbeiter*innen, z. B. in Form einer professionellen Personalentwicklung oder von Empowerment und Anerkennung. Darüber ist der Kulturbetrieb derzeit mit Themen wie dem Umgang mit Innovations-, Qualitäts-, Arbeits- und Kostendruck oder der Vereinbarkeit von Beruf und Familie konfrontiert. Sie machen deutlich, wie wichtig Handlungsspielräume und Partizipationsmöglichkeiten sowie eine Arbeitskultur der Offenheit und Fehlertoleranz für Führungskräfte und Mitarbeiter*innen gleichermaßen sind (Rump / Zapp / Eilers 2017, 27f.). Diese sind im öffentlichen Kulturbetrieb aufgrund bürokratischer und hierarchischer Strukturen jedoch nicht selten nur unter erschwerten Bedingungen umsetzbar (Karwinkel 2020).
Führung von Vielen
Im Kulturbereich überwiegen zunehmend variable Arbeitsbeziehungen mit befristeten Arbeitsverträgen, Zeitarbeit, dem Einsatz von Selbstständigen, Freiberufler*innen oder Mitarbeiter*innen externer Partner. Dies benötigt im Vergleich zu "traditionellen" Beschäftigungsformen mit unbefristeten Arbeitsverträgen einen deutlich höheren Aufwand bei der Einarbeitung und Steuerung. Zudem muss die Führung zusammen mit dem Personalmanagement der Gefahr des Konkurrenzverhaltens immer stärker entgegenwirken. Dies kann bspw. in Form von Management-, Einarbeitungs- und Integrationsprozessen und eines wertschätzenden Kommunikations- und Kooperationsverhaltens erfolgen (Rump / Zapp / Eilers 2017, 41ff.).
Führung auf Distanz
Mit dem Megatrend Digitalisierung gehen drastische Veränderungen in der Arbeitswelt wie die mobile Arbeit oder die Nutzung digitaler Medien einher. Zum analogen Führen von Menschen unterschiedlicher Beschäftigungsformen mit und ohne festen Arbeitsplatz kommt das "Führen auf Distanz" von virtuellen Teams hinzu, d.h. von "flexiblen Arbeitsgruppen standortverteilter und ortsunabhängiger Mitarbeiter*innen, die auf Grundlage von gemeinsamen Zielen bzw. Arbeitsaufträgen ergebnisorientiert geschaffen werden und informationstechnisch vernetzt sind" (Konradt / Hertel 2002, 18).
Wichtigste Führungsaufgabe ist es daher, für eine konstruktive Arbeitsatmosphäre und -kultur zu sorgen, mobile und stationäre Arbeit auszubalancieren und den sicheren, digitalen und barrierefreien Zugang und Austausch zu ermöglichen. Die Anforderungen an die Führung sind in diesem Zusammenhang u. a. die Befähigung und Förderung zum Umgang mit digitalen Techniken, das Steuern und Überwachen von Prozessen und Zielen oder Absprachen zu Arbeitszeit und -standort. Durch all diese Maßnahmen wird die Ausübung der Arbeit in vielen Bereichen des Museums verändert bis erschwert - dennoch sind sie notwendig. Dafür benötigt die Führungskraft verstärkt Kompetenzen im Krisen- und Beziehungsmanagement sowie in der Führung auf Distanz, um die musealen Aufgaben und Funktionen langfristig zu sichern.
Führung im öffentlichen Dienst
Im öffentlichen Dienst ist tendenziell ein traditionelles Führungsverständnis anzutreffen, das sich in einer hierarchischen Beziehungsgestaltung mit geringerem Freiheitsgrad niederschlägt. Dies steht im Gegensatz zu der Tatsache, dass Kulturbetriebe und -projekte in besonderem Maße auf Innovationen, Kreativität und Flexibilität angewiesen sind, die durch eine hierarchische Führungskultur häufig behindert werden. Es werden daher eine neue Führungshaltung und Kulturveränderung benötigt, die langfristig entwickelt, implementiert und kontrolliert werden müssen.
Der öffentliche Dienst ist für die Stabilisierung einer instabilen Welt aufgrund seiner Sicherheitskultur prädestiniert: Sein Daseinszweck ist die Zurverfügungstellung der "(Rechts-)Sicherheit" und eines seiner Alleinstellungsmerkmale ist die Unkündbarkeit fest angestellter Mitarbeiter*innen. Entsprechend löst eine Veränderung der Führungskultur im öffentlichen Dienst zumeist Ängste und Abwehr aus. Eine solche Umstellung bedarf daher eines langfristigen Prozesses und der Festanstellung der verantwortlichen Führungskräfte. Die im Kultursektor vorherrschende befristete Besetzung von Führungsstellen stellt dabei einen Widerspruch dar, wenn es darum geht, langfristig und nachhaltig Veränderungen herbeizuführen.
Die neue "Führungs-Kultur"
Voraussetzung für die nachhaltige Implementierung der neuen Führungshaltung in deutschen Museen in öffentlicher Trägerschaft sind die Orientierung an den Besucher*innen und Mitarbeiter*innen sowie Innovations- und Leistungsbereitschaft. Daneben benötigt es flache Hierarchien und agile Managementstrukturen sowie eine Fehlerkultur, die der öffentliche Sektor aktuell nur in Teilbereichen erfüllen kann. Maßgeblich wird die Haltung aktuell jedoch vor allem von den jeweiligen Führungskräften innerhalb der öffentlichen Verwaltung vorgegeben und ist von dieser abhängig.
"Führung im Wandel"
Um in Zeiten der Instabilität (eine Form der) Stabilisierung zu ermöglichen, erweist sich unter dem Begriff "Führung im Wandel" die transformationale Führung als geeignet. Dieser Stil setzt an den Zielen, Werten, Einstellungen und Wünschen der Mitarbeiter*innen an und verlangt der Führungskraft soziale und kulturpolitische Fertigkeiten ab. Er erzeugt Wandlungsbereitschaft, vermittelt Orientierung, hält Motivation aufrecht und steuert effizient den Wandlungsprozess. Die Führungskraft übernimmt dabei eine initiierende, visionäre, steuernde, vorbildliche und coachende Rolle. Dafür benötigt sie Zielgerichtetheit, emotionale Intelligenz, Selbstreflexion und -kontrolle, Motivation, Empathie und soziale Kompetenz.
Leadership-Philosophie
Um den prekären und zunehmenden Entwicklungen der Instabilität und Polarisierung im öffentlichen Kultursektor langfristig begegnen zu können, müssen die Eigenschaften der Führungskräfte um die Kompetenzen des Cultural Leadership erweitert werden. Neben den bereits vorgestellten Kompetenzen umfassen diese verstärkt die gesellschaftliche Verantwortung von Kultur, mitsamt der Gewährleistung kultureller Teilhabe und dem Bildungsauftrag. Es wird eine "Leadership-Philosophie" mit starken Werten bzw. eine Haltung mit entsprechenden emotionalen Fertigkeiten und vorbildlichen Einstellungen benötigt. Neben den Richtlinien und Kernaufgaben des Museums sind als elementare vorbildliche Werte zu nennen: Respekt, Toleranz, Offenheit, Authentizität, Verantwortung, Empowerment, Gemeinschaftlichkeit, Partizipation, aber auch Sicherheit, Gesundheit und Wohlbefinden.
Perspektiven und Alternativen
Lange haben bei der Besetzung von Führungskräften in öffentlichen Museen die genannten Kompetenzen eine untergeordnete Rolle gespielt. Darüber hinaus erfüllen wohl nur wenige Führungskräfte die Vielzahl der an sie gerichteten Erwartungen und Anforderungen. Entsprechend bedarf es möglicherweise einer Änderung der Perspektive auf die Personalsuche von Führungskräften mit den genannten Kompetenzen. So nimmt das Konzept "Co-Leadership" bzw. geteilte Führung eine zunehmend wichtige Rolle im Kulturbetrieb ein: Neben der Aufteilung in künstlerische und kaufmännische Arbeitsbereiche werden nun auch Doppelspitzen ernannt - aktuelle Beispiele hierfür sind die Kunsthallen in Baden-Baden oder Osnabrück.
Ein weiterer Anhaltspunkt ist die verstärkte Aus-/Fort-/Bildung von Führungskräften: Orientierung hierfür bieten u. a. bestehende und erprobte Programme wie z. B. in Großbritannien, wo professionelles Netzwerken, Mentoring-Programme und kollaborative Projekte für Führungskräfte angeboten werden. Diese Ansätze können Formate in Deutschland ergänzen oder weiterentwickeln. Neben dem Mentoring- Programm "Frauen in Kultur & Medien" des Deutschen Kulturrates oder dem ausgelaufenen Weiterbildungs- und Netzwerkformat "Museion21” für Nachwuchsführungskräfte sind vor allem Studiengänge zu Cultural Leadership ein wichtiger Ansatz.
Der gezielte Einsatz von Qualitätsmanagement ist eine weitere Alternative, die in Museen in Deutschland bislang nicht einheitlich praktiziert wird: Sie kann Kulturbetrieben Rückschlüsse zu Personalbildung oder Führungsverhalten liefern. Weitere Ziele und Vorteile wären u. a. die Transparenz von Arbeitsprozessen und -strukturen, Vereinfachung administrativer Prozesse, Intensivierung der Kommunikation, Steigerung der Motivation oder Sicherheit und Qualität der Leistungserstellung.
Ausblick
Die zukünftigen Auswirkungen aktueller Krisen und Veränderungen auf Museen in öffentlicher Trägerschaft und ihre Führungskräfte lassen sich aktuell schwer einschätzen. Im schlimmsten Fall könnte die öffentliche Hand ihren Kernauftrag nicht mehr erfüllen. Die Führung müsste dann ihren Fokus primär auf Drittmittelakquise und kommerzielle Tätigkeiten legen. Ob und wie viel Ressourcen wie Raum, Zeit und Personal für die elementaren Kernaufgaben eines Museums dann noch zur Verfügung stehen, bleibt offen.
Langfristig ist zudem nicht vorherzusehen, welche Krisen oder Veränderungen noch auf Museen zukommen und der Führung weitere Kompetenzen abverlangen. Umso mehr müssen "klassische" Führungsmodelle oder -stile hinterfragt, Transformationskompetenz entwickelt und Sozialkompetenz gestärkt werden. Das lässt sich erlernen - es benötigt jedoch Aufmerksamkeit und Ressourcen.
Literatur
- Deutscher Museumsbund e. V. (2020), Leitfaden Professionell arbeiten im Museum.
- Karwinkel, S. (2020), Studie zu Arbeitsformen und -prozessen. Wie Modern Arbeiten Deutsche Museen?. Kultur Management Network.
- Konradt, U. / Hertel, G. (2002), Management virtueller Teams. Von der Telearbeit zum virtuellen Unternehmen, Weinheim und Basel.
- Kultur Management Network (Hg.) (2017), Cultural Leadership, Magazin Nr. 128.
- Lauer, Th. (2019), Change Management. Grundlagen und Erfolgsfaktoren, 3. Auflage, Berlin.
- Rump, J. / Zapp, D. / Eilers, S. (2017), Erfolgsformel: Arbeiten 4.0 und Führung 4.0, Ludwigshafen.
- Scholer, St. (2017), Führung im öffentlichen Dienst, Deiningen.
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