01.07.2019
Themenreihe Karriere
Autor*in
Mareike Menne
(PD Dr.) arbeitet als Autorin, Dozentin und Beraterin für Veränderungs- und Entwicklungsprozesse von Menschen und Organisationen. Seit 2012 bloggt sie auf www.brotgelehrte.de zur beruflichen Praxis von Geistes- und Kulturwissenschaftler*innen. 2013 nutzte sie die Arbeitslosigkeit als Sprungbrett in die Selbstständigkeit - nach ihrer Anstellung als Studiengangsmanagerin an der Universität Stuttgart und zwischen dem zweiten und dem dritten Kind.
Arbeitslosigkeit im Kulturbereich
Von Sorgen und neuen Perspektiven
Auch wenn Phasen von Arbeitslosigkeit im Kulturbereich zunehmend selbstverständlich sind, bleiben sie für die Betroffenen unangenehm und verunsichernd. Deshalb sollte man sich fragen: Wie wird Arbeitslosigkeit im Lebenslauf bewertet? Wann muss ich als Bewerber*in Arbeitslosigkeit erklären? Und wie kann ich Arbeitslosigkeit produktiv nutzen? Doch weil man in solchen Phasen oft sehr emotional ist, gibt dieser Text rationale Tipps und Antworten.
Themenreihe Karriere
Arbeitslosigkeit ist ein beklemmendes Thema. Wir verbinden sie häufig mit unangenehmen Gefühlen wie:
- Geld- und Zukunftssorgen,
- Fremdbestimmung,
- Beschämung
- und das Eingestehen falscher Entscheidungen.
Die Arbeitslosmeldung kann einhergehen mit einer grundsätzlichen Hinterfragung von beruflichen Entscheidungen, zumal gerade im Kulturbereich die Warnung vor der "schwierigen" Branche zur Gruppenidentität gehört. Doch:
Wie "schlimm" ist eine Phase der Arbeitslosigkeit im Lebenslauf überhaupt?
Am schlimmsten ist die Arbeitslosigkeit meist für die Betroffenen selbst. Sie geht oft mit Ohnmacht, Wertlosigkeit, Wut, Resignation und Orientierungslosigkeit einher. Auf pragmatischer Ebene trägt sie zudem weitere Risiken in sich: Schulden, Armut, Krankheit, Karriereknick und berufliche Neuorientierung. Die Situation verschlechtert sich, wenn weitere "Stigmata" hinzukommen, wie Mutterschaft, Migrationshintergrund usw.
Insofern ist es sinnvoll, in Branchen wie der Kultur, in denen Phasen von Nichtbeschäftigung und unregelmäßige Lebensläufe eher die Regel als die Ausnahme bilden, eine spezifische Resilienz auszubilden. Dazu können Überlegungen dazu zählen, wie Sie mit drohender Arbeitslosigkeit umgehen wollen:
- Welche positiven Aspekte können mit Arbeitslosigkeit verbunden sein?
- Wie können Sie Verantwortung für Ihre berufliche Laufbahn oder finanzielle Praxis übernehmen, auch wenn Weg A gerade stockt?
- Wo sind Sie beruflich und finanziell besonders verwundbar? Was trifft Sie, was macht Ihnen Angst?
In der Reflexion und Auseinandersetzung können Sie sich selbst beobachten, Ihre Mindsets überprüfen und insbesondere die unangenehmen Themen in den Blick nehmen, bevor Außenstehende das tun und Sie keine passende Reaktion haben.
Arbeitslosigkeit - Variationen von Berufstätigkeit
Die Art, wie Arbeitslosigkeit bewertet und sprachlich gefasst wird, hat häufig Auswirkungen auf die Stimmung und die Haltung, die aus den Bewerbungsunterlagen spricht. Menschen mit Ambitionen formulieren anders, wenn sie Zeiten der Nichtbeschäftigung beschreiben. Es beginnt mit der Benennung: Was definieren wir als "Arbeitslosigkeit"? Tritt dann die Agentur für Arbeit an die Stelle des Arbeitgebers in der CV-Tabelle?
Nicht immer folgen Beschäftigungsverhältnisse lückenlos aufeinander - je länger eine Laufbahn währt, umso häufiger kommt es zu Brüchen und Lücken. Und nicht jede Zeit der Nichtbeschäftigung ist zugleich eine Zeit der Arbeitslosigkeit im Sinne des Glossars der Arbeitsagentur (S. 6). Zudem ist die Einstiegsphase sowohl in der Kulturwirtschaft als auch im öffentlichen Kulturbereich von häufigen Wechseln zwischen Beschäftigungsverhältnissen geprägt. Ich selbst kam aus dem Studium in eine Honorartätigkeit, ging in ein Stipendium, von da in eine Anstellung, war nebenberuflich selbstständig, dann in Elternzeit, dann arbeitslos, anschließend selbstständig. Bei Ihnen mag es mit Volontariat oder verschiedenen Projektstellen variieren. So häufige Wechsel zwischen unterschiedlichen Arten von Berufstätigkeit legen nahe, dass der Anschluss nicht immer passt.
- Üblicherweise müssen Lücken von bis zu drei Monaten im Lebenslauf nicht erläutert werden.
- Bei Tätigkeiten, die nicht zu üblichen Stationen passen, ist es sinnvoll, Ihre Tätigkeit zu beschreiben, ebenso die Art, in der jene organisiert war, und welche Inhalte oder Kompetenzen im Zentrum standen.
- Die Frage nach der Bewertung von Arbeitslosigkeit kann eine Einladung sein, zu schauen, inwieweit Anstellung und Geld miteinander verknüpft sein müssen. Das kann das Bild von Arbeitslosigkeit verändern, da sie nicht mehr nur ein Antagonismus ist, der dem eigentlichen Ziel "Festanstellung" entgegensteht. Solche Überlegungen können aber auch jene Art von Arbeitslosigkeit erschweren, die mit Formularen und Anträgen verbunden ist, weil diese nicht auf individuelle Berufstätigkeiten und Einkommensmix ausgelegt sind.
Wann ist Arbeitslosigkeit für die Personen, bei denen wir uns bewerben, "schlimm" im Sinne von erklärungsbedürftig?
Personalverantwortliche in der Kulturbranche wissen, welche Arbeitslosigkeiten in einer Laufbahn "typisch" sind. Dazu gehören Phasen in der Einstiegszeit nach Ausbildung oder Studium. Die Zeit bis zur beruflichen Etablierung im Kultursektor kann außerdem bis zu fünf, manchmal sogar bis zu zehn Jahre dauern und ist damit deutlich länger als in anderen Arbeitsfeldern. Zugleich ist es heute üblicher, Arbeitgeber häufiger zu wechseln - und damit steigt auch die Anzahl der Brüche im CV.
Es ist sinnvoll, ein zielgruppenbezogenes Narrativ des eigenen Werdegangs zu entwickeln, wenn:
- es (wiederholt) lange Phasen von Arbeitslosigkeit gibt und nicht ersichtlich wird, wie der/die Kandidat*innen während dieser Zeit beruflich aktiv waren,
- bislang kein wirklicher Berufseinstieg erfolgte oder keine schlüssige Einstiegsstruktur erkennbar ist, obwohl diese Phase biografisch bereits vollendet sein sollte,
- Arbeitslosigkeit scheinbar grundlos aktiv herbeigeführt wurde,
- die Zeit der Nichtbeschäftigung im Ausland verbracht wurde,
- eine hohe Qualifikation einhergeht mit wenigen Berührungspunkten zur beruflichen Praxis
- oder aus der reinen Auflistung von Zeiten und Phasen kein stimmiges Gesamtbild entsteht.
Finden Sie heraus, entscheiden und erzählen Sie, welche roten Fäden Ihre Einträge im Lebenslauf miteinander verbinden.
Inzwischen ist die Akzeptanz von Phasen der Nichtbeschäftigung gestiegen. Unverschuldete Arbeitslosigkeit muss in der Regel nicht begründet werden, es genügt, sie darzulegen. Hier reicht es aus, erklärend zu formulieren, z.B.:
- Jan 2014 Abschluss MA-Studium oder
- 2012-2014 Projektmanagerin im EU-Projekt XYZ (befristet) oder
- Feb-Sept. 2014 arbeitssuchend.
Weitere unverschuldete Arten sind z.B. die Insolvenz oder Umstrukturierung ihres bisherigen Arbeitgebers, Schließung einer Niederlassung, Umzug mit Familienpflichten usw.
Wie sehen Personaler die Arbeitslosigkeit im CV?
In der Kulturbranche nehmen oft sowohl Fachleute als auch Personaler*innen an Recruitingprozessen teil. Sie interpretieren und bewerten Ihren Lebenslauf möglicherweise mit unterschiedlicher Nähe oder Distanz zur eigenen Biografie und kennen verschiedene Ausschnitte des Arbeitsmarkts. Die Fachleute haben oft einen ähnlichen Werdegang wie die Bewerber*innen selbst und können darum Phasen von Arbeitslosigkeit, temporärer Freiberuflichkeit und zusätzlichen Qualifikationen als Elemente eines regulären CV einschätzen. Personaler*innen teilen hingegen oft nicht unsere Lebenserfahrung bei der Jobsuche, kennen aber übliche Zugangsbedingungen und typische Schwierigkeiten der Branche.
Auch hier ist es vorteilhaft, den eigenen unregelmäßigen Lebenslauf in Hinblick auf die Stelle positiv zu erzählen. Das geteilte Schicksal kann Ähnlichkeit und Sympathie zu Ihren Gunsten entstehen lassen, jedoch auch eine deutende Überformung Ihrer Situation bewirken - zu Ihrem Nachteil. Bleiben Sie also Autor*in Ihrer Geschichte.
Da derzeit auf ganz unterschieden Wegen Mitarbeiter*innen rekrutiert werden, können wir im Vorfeld gar nicht unbedingt genau steuern, ob, wann und wie der Blick auf Phasen von Arbeitslosigkeit fällt. Verschaffen Sie sich deshalb Wissen über die spezifischen Rahmenbedingungen der ausgeschriebenen Stelle - über Netzwerke, (bereits vergangene) Ausschreibungen, öffentliche Stellenpläne, Branchenberichte und Verbände.
Wie kann man Phasen der Arbeitslosigkeit produktiv nutzen?
Diese Frage birgt zwei Voraussetzungen, deren Klärung sich lohnt:
- Mit welcher Art von Arbeitslosigkeit haben Sie es zu tun? Beziehen Sie Leistungen von der Agentur für Arbeit und müssen deshalb den Grad Ihrer Autonomie mit Ihrer/m Sachbearbeiter*in aushandeln? Oder sind sie ohne Meldung arbeitslos, eben einfach gerade ohne Stelle, in einer Phase großer Selbstbestimmtheit - vielleicht abgesehen vom finanziellen und sozialen Druck?
- Woran erkennen Sie Produktivität? Am Sammeln von Weiterbildungen, Zertifikaten, Umschulungen, Projekten? Am schöpferischen Tun - Publikationen, Kunst, Medien? An der Anerkennung durch andere? Oder kann Produktivität auch eine Phase der professionelle Identitätsfindung und Reduktion sein? Würden Sie es auch als produktiv ansehen, gerade keine wirtschaftlich verwertbare Tätigkeit auszuüben, sondern sich zu erholen, neue Kraft zu schöpfen, an einer stimmigen, souveränen Präsenz zu arbeiten?
Manchmal steckt hinter dem Wunsch nach Produktivität auch ein negatives Selbstbild, das die Arbeitslosigkeit und eventuell ausbleibenden Bewerbungserfolg mit eigenem Fehlverhalten begründet: Wäre ich produktiver, würde ich mich mehr zusammenreißen, würde ich doch wenigstens mal etwas schreiben … wäre ich für Arbeitgeber auch interessanter. Die Tücke besteht oft darin, dass es kein Maß oder Feedback gibt, ob die eigene Produktivität "ausreichend" ist. Ohne feste Stelle fehlen Menschen, die professionelle Rückmeldungen geben könnten. Wir sind auf unsere eigene Einschätzung (und evtl. die von Fachfremden bei der Agentur für Arbeit oder der Gründungsberatung) angewiesen und die fällt meist nicht zu unseren Gunsten aus. Derart zurechtgestutzt vergessen wir mitunter, was uns an unserem Beruf eigentlich begeistert und unversehens wird aus dem skeptischen Fremd- ein negatives Selbstbild mit angeknackstem Selbstbewusstsein. Umso schwieriger ist es dann, in Recruitingprozessen zu überzeugen.
Halten Sie Kontakt zu Menschen, die in dem Kontext arbeiten, der für Sie interessant ist. Finden Sie Personen, die Ihnen qualifiziertes Feedback zu Ihrem Profil geben. Erkundigen Sie sich aktiv nach aktuellen Changeprozessen in Ihrer Branche. Sammeln und nutzen Sie beiläufiges Wissen, das oft nur mündlich und habituell weitegegeben wird.
Analysieren Sie Ihren Werdegang hinsichtlich potenzieller Lücken und Stärken. Vielleicht ist Ihnen während Ihrer Studienzeit nicht aufgefallen, dass eine für das Berufsbild typische Kompetenz in Ihrem Studiengang keine Rolle spielte. Ihre Mitbewerber*innen von anderen Hochschulen können diese jedoch vorweisen, z.B. in der Kultur betriebswirtschaftliches Wissen. Gezielte Weiterbildung orientiert sich in diesem Fall am Berufsbild bzw. dessen Norm.
Finden Sie heraus, worauf Personen in dem Arbeitskontext, in den Sie (wieder) einsteigen wollen, Wert legen. Wie messen sie Expertise und Qualität? Für welche Tätigkeiten oder Positionen qualifizieren Sie sich mit
- Zeugnissen, Zertifikaten, Weiterbildungsnachweisen, Zulassungen,
- Selbststudium, Fachsprache, Querdenken, innovative Beiträge,
- Praktische Erfahrungen in Unternehmen, Institutionen, nebenberuflich oder in selbstinitiierten Projekten?
Legen Sie auf der Grundlage Ihrer Rechercheergebnisse die angemessene Anpassungsstrategie fest.
Ein wesentlicher Faktor von Produktivität in eigentlich als unproduktiv definierten Phasen besteht in der Organisation des Alltags. Wenn Sie aus einem von Arbeit oder Studium fremdbestimmten Alltag in eine Beschäftigungslosigkeit fallen, ist es mitunter eine fordernde Aufgabe, zwischen arbeitsorientierter Zeit und Freizeit zu unterscheiden. Es kann nach einer Phase des Ankommens in der Arbeitslosigkeit deshalb hilfreich sein, festzulegen, welche Zeiten Sie für professionelle Produktivität nutzen möchten und welche für Freizeit reserviert sind. Ihre Aufgaben während der Produktivitätszeit bestehen z.B.
- in der Arbeitssuche,
- in der Recherche für Initiativbewerbungen,
- im Besuch von Netzwerkveranstaltungen bzw. in der Netzwerkpflege,
- in der Anlage oder Aktualisierung von (professionellen) Social-Media-Profilen und Kurzviten,
- in einem Relaunch Ihrer Bewerbungsunterlagen und dem Lernen über neue Recruiting- und Bewerbungswege,
- in der Weiterbildung,
- in der Vorbereitung einer Selbstständigkeit,
- in überbrückenden Honorartätigkeiten
- in individuellen kreativ-professionellen Projekten, die Ihre Expertise unterstreichen: Buch, Blog, Webinar, Ausstellung …
Die Freizeit dient der Lebensfreude, der Regeneration, dem Sozialleben, evtl. auch der Arbeit an schönen Dingen, die Ihnen Erfolgserlebnisse verschaffen und Ihr Selbstbewusstsein stärken, etwa im Sport oder DIY usw. Sie braucht ihren eigenen, geschützten Raum.
Wie Sie vermutlich wissen, kann das Gefühl, nicht genug zu tun oder grundsätzlich nicht zu genügen, auch mit mentalen Störungen und psychischen Krankheiten einhergehen oder in sie hineinführen. In diesem Fall ist unbedingt professionelle Hilfe bei der Einschätzung Ihres Gesundheitszustands und ggf. Unterstützung erforderlich.
Fazit
Gerade im Kulturbereich mit seinen vielfältigen Karrierewegen ist eine Phase der Arbeitslosigkeit keine Katastrophe. Ebenso kann man sie als Zeit der Reflexion, der Neufindung, der Inspiration oder einfach der Erholung sehen. Denn im Laufe von 40 Arbeitsjahren gibt es meist nur wenige Phasen, in denen man über mehrere Wochen oder Monate hinweg einmal ausschlafen, sich entspannen und zu sich selbst finden kann.
Referenzen/ Inspiration
- Hofert, Svenja: Mindshift. Mach dich fit für die Arbeitswelt von morgen, Frankfurt am Main 2019.
- Friebe, Holm/Lobo, Sascha: Wir nennen es Arbeit. München, 2. Aufl. 2008.
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