03.02.2017
Buchdetails
Auftrag Publikum: Der Hochkulturbetrieb zwischen Audience Development und Ereignisästhetik
von Klaus Siebenhaar
Verlag: B & S Siebenhaar Verlag OHG
Seiten: 128
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Autor*in
Felicitas Irene Birckenbach
Kultur- und NPO-Management und Diplom-Volkswirtin, widmet sich seit Jahren in verantwortlichen Positionen als Expertin für Marken- und Kulturkommunikation in gemeinnützigen Institutionen und renommierten Unternehmen den Themenfeldern Kultur, klassische Musik, Bildung, Nachhaltigkeit und verantwortungsbewusste Unternehmensführung.
Buchrezension
Auftrag Publikum Der Hochkulturbetrieb zwischen Audience Development und Ereignisästhetik
Institutionen der Hochkultur stehen angesichts zunehmenden Legitimationsdrucks, erschwerter Finanzierung und der Digitalisierung vor der Herausforderung, mit ihrer Angebots- und Kommunikationspolitik dem veränderten Rezeptionsverhalten diverser Publikumsgruppen gerecht zu werden. Die Publikation "Auftrag Publikum" von Klaus Siebenhaar liefert interessante Impulse zu diesen Fragen.
Status Quo und Perspektiven für Hochkulturinstitutionen
Das 2015 erschienene Buch "Auftrag Publikum: Der Hochkulturbetrieb zwischen Audience Development und Ereignisästhetik" behandelt in sechs Kapiteln auf 128 Seiten die aktuelle Situation und künftige Perspektiven von Institutionen im Hochkulturbereich. Im Fokus stehen die Publikumsgruppen, die als Rezipienten, Kunden, Kritiker oder Multiplikatoren sowie als Indikator gesellschaftlicher Relevanz die Existenz und öffentliche Finanzierung dieser Institutionen legitimieren. Erklärtes Ziel des Textes ist es, im Kontext der Veränderungen von Gesellschaft, Wirtschaft, Kultur und Politik zentrale Herausforderungen des Audience Development (systematische Publikumsentwicklung) ebenso wie mögliche Lösungsansätze als Überlebensstrategien für Kultureinrichtungen wie etwa die Ausrichtung auf veränderte Kulturnutzung anhand von Studien, Thesen und Fallbeispielen aus verschiedenen Kunstsparten aufzuzeigen.
Die übergeordneten Fragen des Buches richten sich auf die künftige Funktion von Kultureinrichtungen als "Institutionen des kulturellen Gedächtnisses", auf die Balance zwischen Kontinuität und Innovation innerhalb gesellschaftlicher Transformationsprozesse und auf den Kampf um Aufmerksamkeit in der Ereignis- und Erlebnisgesellschaft. Das sehr komprimiert geschriebene Buch adressiert wichtige gesellschafts- und kulturrelevante Schlagworte, darunter: Digitalisierung, Erlebnisgesellschaft, Ästhetisierung der Lebenswelten oder Kreativitätsimperativ. Durchaus provokativ wird ein "krisenhaftes" Ist-Szenario des Kulturbetriebs mit struktureller Erstarrung oder Innovationsfeindlichkeit beschrieben.
Methoden, Impulse und Diskussionsstoff
Dafür greift Siebenhaar das am ZAD/ Zentrum für Audience Development der Freien Universität Berlin verwendete Anforderungs-Rechteck an Hochkultureinrichtungen auf, bestehend aus Legitimation, Akzeptanz, Qualität und Ressourcen. Grundlage seiner Überlegungen und Empfehlungen für das Kulturmanagement sind Forschungsergebnisse des ZAD sowie Erkenntnisse der Kultursoziologie und Philosophie, besonders der Rezeptionsästhetik in Verbindung mit Marketing-Ansätzen.
Siebenhaar verdichtet in einem "Vier-Raum-Modell" aus gesellschaftlichen und kulturellen Produktions-, Distributions- und Rezeptionsfeldern seine Thesen zu Ausgangssituation und Perspektiven der Hochkulturinstitutionen. Demnach werden Institutionen der "prekären Räume" ohne Ausstrahlung gemeinsam "mit ihrem Publikum" aussterben. Entwicklungs- und Überlebenschancen sieht er hingegen für Institutionen in "Beharrungsräumen", "Liquiden/ Verlinkten Räumen" und "Regenerativen Räumen" mit unterschiedlichen "Wechselbeziehungen zwischen Alt und neu, Tradition und Innovation".
Einleuchtend ist der Ansatz, der Digitalisierung und den dominierenden Algorithmen des Silicon Valley mit den entsprechenden Management-Praktiken das kulturimmanente Denken der schöpferischen Offenheit und der Verstehens-Zusammenhänge gegenüber zu stellen. Auf diese Weise lässt sich das Management von Einrichtungen der Hochkultur an die Bedürfnisse der Umwelt anpassen, ohne die Besonderheiten des Sektors aus den Augen zu verlieren. Nachdenklich im Hinblick auf den künstlerisch-ästhetischen Anspruch macht dennoch die vom ZAD beobachtete Annäherung von Hoch-, Popular- und Konsumkultur, die als Antwort auf veränderte ästhetische Präferenzen und das Rezeptionsverhalten der Publikumsgruppen mit ihren vielfältigen, auch digitalen Optionen der Freizeitgestaltung vorgestellt wird.
Zur Umsetzung der Empfehlungen bündelt Siebenhaar die kommenden Aufgaben von Kulturinstitutionen hinsichtlich ihrer Angebots- und Kommunikationspolitik in den fünf Feldern Bürgerbewegung, Diversität, Besucherprofile, Newsroom und Big Data. Abschließend ergänzt der Autor in fünf Thesen zur Zukunft des Hochkulturbetriebs weitere Management-Empfehlungen wie etwa die strategische, nachfrageorientierte Organisationsentwicklung. Ob und inwiefern diese Felder und Empfehlungen die Aufgabenstellung für Kulturinstitutionen abschließend beschreiben, dürfte hinsichtlich Abgrenzung und Vollständigkeitsanspruch zu weiterer Diskussion anregen.
Fallstudien und Best-Practices
Bei den im Buch angeführten Publikumsstudien des ZAD fehlen leider Angaben zu Methodik, Zeit der Erhebung und Auswertung. Ein fehlendes Abbildungsverzeichnis und eine nur grobe Gliederung erschweren die Orientierung. Irritierend sind zudem einige Sprünge in den Überlegungen zu Museums-, Ausstellungs- und Musikbetrieb, die offen lassen, inwiefern die Übertragung der jeweiligen Empfehlungen auf andere Sparten intendiert ist. Der Text erhält dadurch den Charakter einer Sammlung von Vorträgen mit eher plakativen Aussagen und Aufsätzen mit langen Aufzählungen.
Die zahlreichen Fallbeispiele richten sich überwiegend auf die Museums- und Musik-Branche. Bei den Best Practice-Beispielen wäre ein Nachweis der Wirksamkeit wünschenswert gewesen, also etwa, ob das als vorbildlich anerkannte Frankfurter Städel tatsächlich ein breiteres, auch migrantisches Publikum erreicht, oder inwieweit Kreuzfahrt-Angebote die Klassik-Hörerschaft vergrößern.
Zu diskutieren wäre auch, ob der empfohlene weitere Angebotsausbau aller Kultureinrichtungen das beschriebene Über-Angebot möglicherweise noch verstärkt und welchen Einfluss dies wiederum auf die Rezeptionsästhetik haben könnte. Viele Kulturmanager werden zudem sicherlich fragen, mit welchen Ressourcen sie die geforderte Ausdifferenzierung und Erweiterung der Angebots-, Kommunikations- und Distributionspolitik umsetzen sollen.
Fazit: Ein Appell an Kulturmanager, Sponsoren, Kultur- und Bildungspolitiker
"Auftrag Publikum" ist ein insgesamt trotz der formalen Schwächen lesenswertes Buch, das mit der Zusammenstellung aktueller Trends und einem Blick über den Tellerrand (Newsroom) interessante Impulsen bietet. Es liefert als Diskussionsgrundlage eine Reihe wichtiger Fragestellungen, Gedanken und Empfehlungen, die bereits von Projekten wie der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen als Paradebeispiel, wie ein kleines freies Ensemble sich Perspektiven erschlossen hat , aber auch von etablierten Institutionen wie u.a. dem Städel Frankfurt oder dem Royal Dansk Theater Kopenhagen praktiziert werden.
Die Publikation richtet sich nicht nur an Kulturmanager in Hochkulturinstitutionen, sondern auch an Bildungs- und Kulturpolitiker und mögliche Sponsoren. Sie appelliert an deren Verständnis dafür, dass die nachhaltige Nutzung des Hochkulturbereichs durch breite Publikumsschichten angesichts der Betonung von MINT-Qualifikationen in den Schulen eine früh einsetzende ästhetische Bildung im Sinne Schillers erfordert. Diese ist vor allem in Kindergarten und Schule zu leisten, muss aber durch Kulturorganisationen im Rahmen ihrer Angebots- und Vermittlungspolitik gestärkt werden.
Das 2015 erschienene Buch "Auftrag Publikum: Der Hochkulturbetrieb zwischen Audience Development und Ereignisästhetik" behandelt in sechs Kapiteln auf 128 Seiten die aktuelle Situation und künftige Perspektiven von Institutionen im Hochkulturbereich. Im Fokus stehen die Publikumsgruppen, die als Rezipienten, Kunden, Kritiker oder Multiplikatoren sowie als Indikator gesellschaftlicher Relevanz die Existenz und öffentliche Finanzierung dieser Institutionen legitimieren. Erklärtes Ziel des Textes ist es, im Kontext der Veränderungen von Gesellschaft, Wirtschaft, Kultur und Politik zentrale Herausforderungen des Audience Development (systematische Publikumsentwicklung) ebenso wie mögliche Lösungsansätze als Überlebensstrategien für Kultureinrichtungen wie etwa die Ausrichtung auf veränderte Kulturnutzung anhand von Studien, Thesen und Fallbeispielen aus verschiedenen Kunstsparten aufzuzeigen.
Die übergeordneten Fragen des Buches richten sich auf die künftige Funktion von Kultureinrichtungen als "Institutionen des kulturellen Gedächtnisses", auf die Balance zwischen Kontinuität und Innovation innerhalb gesellschaftlicher Transformationsprozesse und auf den Kampf um Aufmerksamkeit in der Ereignis- und Erlebnisgesellschaft. Das sehr komprimiert geschriebene Buch adressiert wichtige gesellschafts- und kulturrelevante Schlagworte, darunter: Digitalisierung, Erlebnisgesellschaft, Ästhetisierung der Lebenswelten oder Kreativitätsimperativ. Durchaus provokativ wird ein "krisenhaftes" Ist-Szenario des Kulturbetriebs mit struktureller Erstarrung oder Innovationsfeindlichkeit beschrieben.
Methoden, Impulse und Diskussionsstoff
Dafür greift Siebenhaar das am ZAD/ Zentrum für Audience Development der Freien Universität Berlin verwendete Anforderungs-Rechteck an Hochkultureinrichtungen auf, bestehend aus Legitimation, Akzeptanz, Qualität und Ressourcen. Grundlage seiner Überlegungen und Empfehlungen für das Kulturmanagement sind Forschungsergebnisse des ZAD sowie Erkenntnisse der Kultursoziologie und Philosophie, besonders der Rezeptionsästhetik in Verbindung mit Marketing-Ansätzen.
Siebenhaar verdichtet in einem "Vier-Raum-Modell" aus gesellschaftlichen und kulturellen Produktions-, Distributions- und Rezeptionsfeldern seine Thesen zu Ausgangssituation und Perspektiven der Hochkulturinstitutionen. Demnach werden Institutionen der "prekären Räume" ohne Ausstrahlung gemeinsam "mit ihrem Publikum" aussterben. Entwicklungs- und Überlebenschancen sieht er hingegen für Institutionen in "Beharrungsräumen", "Liquiden/ Verlinkten Räumen" und "Regenerativen Räumen" mit unterschiedlichen "Wechselbeziehungen zwischen Alt und neu, Tradition und Innovation".
Einleuchtend ist der Ansatz, der Digitalisierung und den dominierenden Algorithmen des Silicon Valley mit den entsprechenden Management-Praktiken das kulturimmanente Denken der schöpferischen Offenheit und der Verstehens-Zusammenhänge gegenüber zu stellen. Auf diese Weise lässt sich das Management von Einrichtungen der Hochkultur an die Bedürfnisse der Umwelt anpassen, ohne die Besonderheiten des Sektors aus den Augen zu verlieren. Nachdenklich im Hinblick auf den künstlerisch-ästhetischen Anspruch macht dennoch die vom ZAD beobachtete Annäherung von Hoch-, Popular- und Konsumkultur, die als Antwort auf veränderte ästhetische Präferenzen und das Rezeptionsverhalten der Publikumsgruppen mit ihren vielfältigen, auch digitalen Optionen der Freizeitgestaltung vorgestellt wird.
Zur Umsetzung der Empfehlungen bündelt Siebenhaar die kommenden Aufgaben von Kulturinstitutionen hinsichtlich ihrer Angebots- und Kommunikationspolitik in den fünf Feldern Bürgerbewegung, Diversität, Besucherprofile, Newsroom und Big Data. Abschließend ergänzt der Autor in fünf Thesen zur Zukunft des Hochkulturbetriebs weitere Management-Empfehlungen wie etwa die strategische, nachfrageorientierte Organisationsentwicklung. Ob und inwiefern diese Felder und Empfehlungen die Aufgabenstellung für Kulturinstitutionen abschließend beschreiben, dürfte hinsichtlich Abgrenzung und Vollständigkeitsanspruch zu weiterer Diskussion anregen.
Fallstudien und Best-Practices
Bei den im Buch angeführten Publikumsstudien des ZAD fehlen leider Angaben zu Methodik, Zeit der Erhebung und Auswertung. Ein fehlendes Abbildungsverzeichnis und eine nur grobe Gliederung erschweren die Orientierung. Irritierend sind zudem einige Sprünge in den Überlegungen zu Museums-, Ausstellungs- und Musikbetrieb, die offen lassen, inwiefern die Übertragung der jeweiligen Empfehlungen auf andere Sparten intendiert ist. Der Text erhält dadurch den Charakter einer Sammlung von Vorträgen mit eher plakativen Aussagen und Aufsätzen mit langen Aufzählungen.
Die zahlreichen Fallbeispiele richten sich überwiegend auf die Museums- und Musik-Branche. Bei den Best Practice-Beispielen wäre ein Nachweis der Wirksamkeit wünschenswert gewesen, also etwa, ob das als vorbildlich anerkannte Frankfurter Städel tatsächlich ein breiteres, auch migrantisches Publikum erreicht, oder inwieweit Kreuzfahrt-Angebote die Klassik-Hörerschaft vergrößern.
Zu diskutieren wäre auch, ob der empfohlene weitere Angebotsausbau aller Kultureinrichtungen das beschriebene Über-Angebot möglicherweise noch verstärkt und welchen Einfluss dies wiederum auf die Rezeptionsästhetik haben könnte. Viele Kulturmanager werden zudem sicherlich fragen, mit welchen Ressourcen sie die geforderte Ausdifferenzierung und Erweiterung der Angebots-, Kommunikations- und Distributionspolitik umsetzen sollen.
Fazit: Ein Appell an Kulturmanager, Sponsoren, Kultur- und Bildungspolitiker
"Auftrag Publikum" ist ein insgesamt trotz der formalen Schwächen lesenswertes Buch, das mit der Zusammenstellung aktueller Trends und einem Blick über den Tellerrand (Newsroom) interessante Impulsen bietet. Es liefert als Diskussionsgrundlage eine Reihe wichtiger Fragestellungen, Gedanken und Empfehlungen, die bereits von Projekten wie der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen als Paradebeispiel, wie ein kleines freies Ensemble sich Perspektiven erschlossen hat , aber auch von etablierten Institutionen wie u.a. dem Städel Frankfurt oder dem Royal Dansk Theater Kopenhagen praktiziert werden.
Die Publikation richtet sich nicht nur an Kulturmanager in Hochkulturinstitutionen, sondern auch an Bildungs- und Kulturpolitiker und mögliche Sponsoren. Sie appelliert an deren Verständnis dafür, dass die nachhaltige Nutzung des Hochkulturbereichs durch breite Publikumsschichten angesichts der Betonung von MINT-Qualifikationen in den Schulen eine früh einsetzende ästhetische Bildung im Sinne Schillers erfordert. Diese ist vor allem in Kindergarten und Schule zu leisten, muss aber durch Kulturorganisationen im Rahmen ihrer Angebots- und Vermittlungspolitik gestärkt werden.
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