29.05.2020
Buchdetails
ISO for Culture. Qualitätsmanagement als Führungsinstrument
von Irene Knava, Thomas Heskia
Verlag: Facultas
Seiten: 462
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Autor*in
Bernd Holtwick
geboren 1968, studierte Geschichte, Soziologie und Germanistik an der Universität Bielefeld. 1999 promovierte er am dortigen Graduiertenkolleg "Sozialgeschichte von Gruppen, Klassen, Schichten und Eliten". Er arbeitete von 2000 bis 2005 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am "Haus der Geschichte Baden-Württemberg" in Stuttgart, danach bis 2010 als Leiter des Kultur- und Archivamts beim Landkreis Biberach. Seit 2011 ist er Ausstellungsleiter der DASA Arbeitswelt Ausstellung in Dortmund, die zur Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin gehört.
Buchrezension
ISO for culture. Qualitätsmanagement als Führungsinstrument
Qualitätsmanagement (QM) ist mittlerweile als Führungsinstrument auch im Kulturbetrieb bekannt. Der damit verbundene Nutzen und Einsatz ist jedoch umstritten, wenngleich QM-Konzepte eine Chance bieten, die Arbeit und das Image von Kultureinrichtungen zu verbessern. Irene Knava und Thomas Heskia versuchen daher mit ihrem Buch "ISO for culture" ein solches System im Kulturmanagement zu etablieren.
Wer mit dem Titel "ISO for culture" spontan etwas anfangen kann, hat ohne Zweifel Vorkenntnisse. Für alle anderen: In dem Buch, das 2016 bei Facultas erschien, geht es um die Anwendung eines Qualitätsmangagement-Systems nach der Europäischen Norm (EN) ISO 9000 bzw. ISO 9001 in Kulturbetrieben. Das ist nicht mehr exotisch, aber immer noch außergewöhnlich.
Die Texte stammen im wesentlichen von der Agentur Audiencing aus Wien, die mittlerweile nur noch von Irene Knava betrieben wird und Beratungsdienstleistungen im Kulturbereich anbietet. Dazu zählt auch die Vorbereitung von Zertifizierungen nach der o.g. Norm. Insofern wird man nicht erwarten können, der Einsatz eines derartigen Qualitätsmanagements kritisch-distanziert diskutiert wird. Und tatsächlich geht es vor allem darum, die positiven Seiten und den Nutzen herauszustellen und anhand von vielen Beispielen zu zeigen, was das praktisch heißt, wenn im Kulturbereich "Qualität gemanagt" wird.
Ein Potpourri an Möglichkeiten
Positiv hervorgehoben werden kann, dass die beiden Autoren mit ihrer Publikation "Anregungen und Ideen" geben sowie eine "inspirierende Lektüre" bieten wollen und zur Kontaktaufnahme mit sich ermuntern (S. 9). Dabei bewegt sich ihr Buch irgendwo zwischen Ermutigung, Werbung, praktischer Handreichung und erbaulicher Beispielsammlung. Letzteres lässt auch erkennen, dass sich Knava und Heskia umfassend mit der Übertragung des Konzepts auf den Kulturbereich beschäftigt haben.
So behauptet auch das erste Kapitel, man habe in einem recht aufwändigen Prozess mit "60 Führungskräften aus Kulturbetrieben" ein "neues Führungsinstrument", nämlich "ISO for culture" geschaffen und schildert Ablauf und Beteiligte. Das zweite Kapitel versammelt nach sieben als "Thesen" bezeichneten allgemeinen Leitsätzen vor allem Beispiele von Kultureinrichtungen, die nach ISO zertifiziert wurden. Das geschieht jedoch unkritisch und ohne dass Probleme irgendwie erkennbar würden. Spannend und lehrreich wären ehrlichere Einblicke in die Praxis gewesen, um folgende Fragen zu beantworten:
- Welche Konflikte gab es in oder mit den Kulturbetrieben?
- Gab es Irrwege und Sackgassen bei Implementierung oder Zertifizierung des QM?
- Welcher messbare Ertrag kam heraus?
- Standen der immer in einem guten Verhältnis zum Aufwand?
- Wie veränderte sich das QM über die Zeit hinweg?
- Was hat man gelernt?
Knava und Heskia erläutern im dritten Kapitel einige Hintergründe des Qualitätsmanagements und leiten dabei immer wieder aus Spezifika der "Kultur" ab. Im vierten Kapitel finden sich die Beschreibungen der wesentlichen Elemente eine Qualitätsmanagement-Systems für Kulturbetriebe, die einführend jeweils allgemein erläutert und dann mit "Best Practice" titulierten Beispielen illustriert werden. Das fünfte Kapitel wird noch konkreter, indem es den eigentlichen Zertifizierungsvorgang darstellt und vor allem detaillierte Checklisten und beispielhafte "Prozess-Dokumentationen" liefert. Im "Epilog" findet sich abschließend die Evaluation des Prozesses, in dem die Österreichische Normungsregel (ONR) für das Qualitätsmanagement für Kulturbetriebe, eben die als "ISO for culture" bezeichnete, erarbeitet wurde.
Wenig Überzeugungsarbeit für QM-Skeptiker
Wenig Überzeugungsarbeit für QM-Skeptiker
Der gesamte Aufbau lässt keine durchgehende Argumentation erkennen, sondern erweckt eher den Eindruck eines Kaleidoskops oder Steinbruchs. Da der Geist aber bekanntlich weht, wo er will, muss das eine "Inspiration" nicht unmöglich machen. Aber wer dem Aufwand einer Zertifizierung nach ISO skeptisch gegenübersteht oder gar grundsätzlich am Sinn eines Qualitätsmanagements für Kulturbetriebe zweifelt, wird sich von den über 460 Seiten wohl nicht überzeugen lassen. Dafür sind die Praxisbeispiele zu knapp und vor allem zu wenig differenziert. Sie klingen eher nach Pressemitteilungen oder nach PR-Texten. Einen Blick hinter die Kulissen erlauben sie nicht. Auch die als grundlegende Auseinandersetzung mit dem Sinn und Nutzen eines ISO-basierten Qualitätsmanagements angelegten "Sieben Thesen zur wirkungsvollen Führung" (S. 36-40) bleiben sehr allgemein und letztlich oberflächlich: Der Sinn von Leitbildern, die Notwendigkeit, gelegentlich "gewachsene Strukturen" zu "hinterfragen", an das "Publikum" zu denken, die "Organisation zu entwickeln", "zeitgemäße Methoden" einzusetzen und sich um "Ressourcen und Compliance" zu "sorgen" - all das ist nicht ganz neu oder überraschend.
Eher wäre zu fragen, warum trotz Dutzender weiterer guter Argumente (S. 87-90) das Qualitätsmanagement im Kulturbereich nicht intensiv betrieben wird. Und vielleicht ist es auch das größte Problem, dass das Buch die Aufgabe nicht ernstnimmt, sich mit den Hemmnissen auseinanderzusetzen, die einem solchen Ansatz entgegenstehen.
Armin Klein argumentierte 2007 in "Der exzellente Kulturbetrieb" schon sehr viel stringenter und umfassender für einen Perspektivwechsel auf den Output von Kulturbetrieben hin, darauf, dass sie Ziele erreichen und sich entsprechend organisieren. Polemisch zugespitzt finden sich entsprechende Überlegungen auch bei Dieter Haselbach, Stephan Opitz, Armin Klein und Pius Knüsel, "Der Kulturinfarkt", 2012. Die daran anschließende öffentliche Debatte sorgte für keine erkennbaren Veränderungen. Sie scheint auch weder aus den Kultureinrichtungen selber noch von ihren Trägern und Geldgebern her Impulse in Richtung auf Qualitätsmanagement o.ä. geliefert zu haben.
Fazit: Vielschichtiges Anschauungsmaterial für Neugierige und Aufgeschlossene
Es bleibt die offene Frage, woher die Motivation kommen soll, in der Kultur ein ergebnisorientiertes Management einzuführen. "ISO for culture" richtet sich wohl am ehesten an die Akteure in den Kulturbetrieben. Gefordert wären aber genauso - eher sogar noch stärker - die Geld- und Auftraggeber, die Träger. Aber der aktuelle Trend geht dahin, Eintritte in Museen (wieder) zu ermäßigen, ganz zu erlassen und sogar die Fahrten in die Museen für Schulklassen noch zu fördern. Das wird als Ausweis der Kulturförderung genommen. Es bedeutet aber mindestens genauso sehr, die Kulturbetriebe unabhängig von der Publikumsresonanz - nämlich in Form der Eintrittsgelder - zu machen und damit ein wichtiges Erfolgskriterium zu eliminieren bzw. weniger existenziell zu gestalten.
Aus wirklichem, spürbaren und ernsthaftem Handlungsdruck könnte demnach eine Veränderungsdynamik erwachsen, die die Mühe lohnend erscheinen ließe, "ISO for culture" für den eigenen Kulturbetrieb zu nutzen. Die Lektüre des Buches allein dürfte wenige davon überzeugen. Denn wer "Kultur" als stets zartes und bedrohtes Pflänzchen sieht, wird sie nicht mit harten Management-Methoden konfrontieren wollen. Insofern steht zu bezweifeln, dass "ISO for culture" das gelingen wird - zumal bereits die durchgehend verwendete "QM-Sprache" doch auf "Außenstehende" eher befremdlich bis abschreckend wirkt. Wer dagegen einen Einblick in die Praxis, insbesondere in die Zertifizierungspraxis "nach ISO" gewinnen will, bekommt reiches Anschauungsmaterial, aus dem tatsächlich ein facettenreiches Gesamtbild entsteht.
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