21.04.2022
Buchdetails
Museen der Zukunft: Trends und Herausforderungen eines innovationsorientierten Kulturmanagements
von Henning Mohr, Diana Modarressi-Tehrani
Verlag: Transcript Verlag
Seiten: 350
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Autor*in
Markus Wiesenhofer
ist Stv. Leiter der Hauptabteilung Kommunikation & Marketing der Österreichischen Galerie Belvedere in Wien und unterrichtet Kulturtourismus & -marketing u.a. an der FH Wien, JKU Linz und dem Art & Economy Lehrgang der Universität für Angewandte Kunst Wien. Er studierte Tourismusmanagement an der Fachhochschule IMC Krems und Public Communication an der Universität Wien und arbeitet seit 20 Jahren in Kulturtourismus und -management (u.a. Schloß Schönbrunn Kultur- und Betriebsges.m.b.H., Österreich Werbung).
Buchrezension
Museen der Zukunft
Die Corona-Pandemie stellt die Museumswelt vor die vielleicht größten Herausforderungen seit dem Bestehen. Neben einer neuen Offenheit und klaren Haltung in stürmischen Zeiten braucht es auch neue Kompetenzen und Zugänge wie bei Cultural Entrepreneurship, Design-Thinking und künstlicher Intelligenz. Der Band "Museen der Zukunft" gibt Antworten darauf, wie Museen diesen gesellschaftlichen Wandlungsprozessen begegnen können.
Der Sammelband, 2021 erschienen im transcript Verlag, setzt sich mit den wesentlichen Themenstellungen der heutigen Museumspraxis auseinander und erläutert konkrete Methoden und Ansätze. Das Buch war bereits vor dem Ausbruch der Pandemie in Vorbereitung, wurde jedoch dahingehend wesentlich erweitert. Die dramatischen Veränderungen in der Gesellschaft und die Auswirkungen auf die Museumslandschaft beeinflussten daher sowohl die inhaltliche Ausrichtung als auch die Zusammenstellung der Beiträge. Themen des Buches, die bereits vor der Pandemie relevant waren wie etwa Digitalisierung, verstärkten sich durch die Coronakrise um so mehr. Manche aktuellen Themenstellungen wie z.B. die "Black Lives Matter" Bewegung konnten jedoch nicht mehr aufgegriffen werden.
Die Herausgeber*innen geben mit dem Sammelband Expert*innen aus dem Kulturmanagement bzw. -forschung ausführlich Raum, um aktuelle Trends und Herausforderungen im Museumsbereich zu diskutieren. Die Zusammenstellung der Themen und Expertisen ergeben dabei ein zeitgemäßes Panoptikum der zentralen Fragestellungen (wie z.B. Museen gesellschaftlich relevant bleiben und Innovation gelingen kann) im Museumsbereich.
Aufbau und inhaltliche Schwerpunkte
Im ersten Teil werden unter dem Titel "Tendenzen eines innovationsorientieren Kulturmanagements im Museum" behandelt. Dabei werden zunächst die Rolle und Chancen von Museen in einer veränderten Gesellschaft analysiert. Dabei wird klar, dass Museen als bisher "bewahrende Institutionen" ganz besonders in ihrem Selbstverständnis gefordert sind, um auf diese Veränderungen zu reagieren. Neben der generellen Museumsdefinition des internationalen Museumsbundes ICOM steht auch die Vision und Mission jedes einzelnen Hauses mehr denn je zur Disposition. Im Wandel steckt jedoch die größte Chance für Museen, die Zwischenräume der gesellschaftlichen Gegensätze zu moderieren und zu artikulieren. Dazu ist agiles Handeln und Innovationsorientierung gefragt, wie mehrere Beiträge zu Beginn gleich aufzeigen. Konzepte und Begriffe wie "Design-Thinking" und "Cultural Entrepreneurship" werden praxisnah erläutert. Vernetztes Denken, laufendes Lernen und "einfach machen" zeigen sich dabei als geeignete Methoden einer erfolgreichen Museumspraxis. Museen sind gefordert vermehrt unterschiedlichste Formen der Kooperation und Vernetzung nach innen und außen zu bewirken. Es wird insbesondere auch nach Bewältigung der unmittelbaren Coronakrise darum gehen, die soziale Interaktion zu ermöglichen und "Museen als Orte der kulturellen Öffentlichkeit zu positionieren". Ein aktuelles Beispiel dafür ist der "Freiraum im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe": Ein variabel nutzbarer, konsumfreier und kostenlos zugänglicher Raum als Treffpunkt für Besucher*innen, Nachbar*innen, Reisende und Museumsmitarbeiter*innen.
Teil 2 des Bandes nimmt die grundlegende kulturpolitische Debatte auf und beleuchtet darauf aufbauend konkrete Zukunftstrends und Herausforderungen. Die Artikel gehen dabei auf Themen ein, die aktuell im Fokus vieler Museen stehen: So werden z.B. die unterschiedlichen Formen der Partizipation und die Potentiale von Outreach erläutert. Outreach ist ein strategischer Managementansatz, der Audience Development, Partizipation und soziale Inklusion verbindet. Die dadurch intendierte Öffnung der Museen für neue Besuchergruppen gewinnt seit einigen Jahren auch in der deutschen Museumslandschaft an Relevanz. Wie auch internationale Studien zeigen, bleibt der Kultur- und Kreativsektor sehr stark "unter sich": Die soziale Struktur der Beschäftigten ist sehr homogen, Diversität hinsichtlich Gender, Ethnie und sozialen Schichten ist kaum gegeben. Um strukturelle Hürden aufzubrechen und Diversität zu fördern braucht es eine klare Outreach-Strategie, die grundlegende Organisationsänderungen nicht scheut und die Bedürfnisse der unterschiedlichen Gruppen im Auge behält. Die Erfolgsformel lautet auch hier "Wollen und Tun".
Die Chancen - aber auch Limitationen - beim Einsatz von neuen technologische Anwendungen wie Virtual Reality/Augmented Reality zeigt ein weiterer Artikel auf. So kann mit Hilfe digitaler Medien die institutionelle und örtliche Geschlossenheit des Museums teilweise aufgebrochen werden. Drei digitale Outreach-Aspekte wurden näher beleuchtet: 1. Digital Maps: Den Raum entdecken - wobei hier mittels interaktiver Karten und Storytelling Besucher*innen das Museum und seine Umgebung digital entdecken können. 2. Augmented Reality: Den Raum erweitern: Objekte und Inhalte werden durch Technologie erlebbar. Und 3. Gamification: Den Raum bespielen. D.h. durch motivierende Mechanismen Interaktion zwischen Besucher und den Museumsthemen schaffen.
Die "künstliche Intelligenz" wird auch im Kulturbetrieb umfassende Änderungen mit sich bringen. Die Anwendungsmöglichkeiten von KI reichen in verschiedenste Bereiche der Museumsarbeit wie Ausstellungsmanagement, Kommunikation und Marketing sowie Präsentation und Vermittlung rein. Aktuell sind erste Pilotprojekte (wie am ZKM Karlsruhe) im Entstehen, die Anwendungen erproben. Experten sehen die KI auch im Kultursektor als eine der zentralen technologischen Veränderungen der kommenden Jahre an. Darüber hinaus wird die Rolle des Museums als "dritter Ort" oft als wenig greifbares kulturpolitisches Schlagwort missverstanden. Welches Potential in der Nutzung dieses Raums steckt, wird in der Qualität der Auseinandersetzung mit gesellschaftlich relevanten Fragestellungen klar. Museen haben eine große Chance, als physische und digitale Plattformen für soziale Interaktion und demokratisches Verhandeln eminenter Themen zu wirken. Ihre Position als "neutraler" und kommerziell oder ideologisch nicht determinierter Ort prädestiniert Museen dazu.
Die weiteren Beiträge verdichten das Bewusstsein, wie sehr neue Zugänge der Partizipation, Co-Kreation, Kollaboration und des Austausches heute gefragt sind. Die umfassende Analyse der Nicht-Besucher*innen-Gruppen hilft dabei, mögliche Potentiale und die Stellung des Museums in einer postpandemischen Welt zu erkennen. Dabei wird klar: Der Schlüssel zur Veränderung steckt in der innovationsgetriebenen Interaktion mit dem Museumsumfeld.
Von Expert*innen für Expert*innen: Ein Sammelband als Impuls zur Veränderung
Aus der Sicht eines Museumspraktikers bedeutet dieser Sammelband einerseits eine aktuelle Zusammenfassung zentraler Themengebiete. Andererseits gibt die Publikation den entscheidenden Impuls, Innovationen nun konkret voranzutreiben. Bei der Lektüre entsteht der Eindruck, dass die Dringlichkeit, "Museen neu zu denken" (und danach zu handeln) sich in den Jahren der Pandemie noch deutlich verstärkt hat. Obwohl sich die Rahmenbedingungen für Museen nicht verbessert haben, zeigt das Buch dennoch die enorme Innovationskraft dieser Institutionen auf. Jetzt die "Zwischenräume" mit innovativen und mutigem "Cultural Leadership" zu füllen, ist das Gebot der Stunde. Die Autor*innen geben dabei wertvolle Hinweise, wie es gelingen kann. Durch die ausführlichen Literaturhinweise und Quellenangaben nach jedem Beitrag können die Leser*innen die einzelnen Themen selbstständig vertiefen. Für Museumsexpert*innen werden viele der Autor*innen und Ausführungen geläufig sein und möglicherweise besondere Fachkenntnis in einigen Teilgebieten vorliegen. Manche Themengebiete wurden von den Autor*innen bereits in einzelnen Publikationen und Studien detaillierter vorgestellt.
Der besondere Mehrwert des Sammelbands ist aber in der kompakten Abhandlung und der übergreifenden Zusammenführung zu sehen. Dadurch ergeben sich für die Leser*innen neue Perspektiven in der Anwendung. Ebenso werden internationale Perspektiven auch teilweise in den deutschsprachigen Raum kulturell übersetzt und so greifbarer gemacht. Wie von den Herausgeber*innen angekündigt, ist das Buch insgesamt eine absolut lesenswerte "Handreichung für eine Museumspraxis auf der Höhe der Zeit". Die inspirierende Lektüre der Theorie drängt die Museumspraktiker*innen nach dem Motto "Einfach machen" auf Umsetzung. Aus meiner Sicht ist dieses Buch im deutschsprachigen Raum daher der aktuell beste Begleiter für Museumsmitarbeiter*innen, die sich mit den drängenden Fragen der Gegenwart (und Zukunft) auseinandersetzen wollen. Ein zweiter Band ist laut Auskunft der Autor*innen erfreulicherweise bereits in Vorbereitung. Dafür bietet sich für mich einerseits die Vertiefung (wie Digitalisierung, Partizipation) und anderseits auch die Ergänzung von Themenfeldern (wie Nachhaltigkeit, Gamification) an.
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