28.07.2021
Buchdetails
Ökonomie der Musikwirtschaft
von Peter Tschmuck
Verlag: Springer VS
Seiten: 272
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Autor*in
Martina Kalser-Gruber
studierte Musikwissenschaft an der Universität Wien und sammelte erste Berufserfahrungen im Kulturmanagement, ehe sie 2014 als wissenschaftliche Mitarbeiterin an das Department für Kunst- und Kulturwissenschaften der Donau-Universität Krems wechselte. Seit 2020 betreut sie am Archiv der Zeitgenossen Bestände der zeitgenössischen Komponisten Friedrich Cerha, Kurt Schwertsik und HK Gruber. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Kommunikation, Leadership und Reputationsmanagement in der Kreativwirtschaft sowie zeitgenössische Musik.
Buchrezension
Ökonomie der Musikwirtschaft
Die Musikwirtschaft ist ein weites Feld, das vom Musikverlagswesen über die phonografische Industrie bis hin zum Musikveranstaltungssektor reicht. Entsprechend komplex sind dabei die ökonomischen Zusammenhänge und Prozesse, die Peter Tschmuck in "Ökonomie der Musikwirtschaft" umfassend beleuchtet.
Bekanntes neu aufgerollt?
Zum Thema Kulturbetriebslehre gibt es bereits einige Publikationen von namhaften Autor*innen. Man könnte daher meinen, Peter Tschmuck nähere sich in seinem 2020 bei Springer VS erschienen Buch "Ökonomie der Musikwirtschaft" einem bekannten Thema aus einer etwas anderen Perspektive, zumal er im Vorwort darauf hinweist, dass es auf bereits existierenden Quellen und Statistiken basiere. Doch bei genauerer Betrachtung wird schnell klar, dass dieses Buch trotz aller Parallelen, die sich aufgrund der Materie natürlicherweise ergeben, anders ist: Komplexe ökonomische Zusammenhänge und Prozesse werden nicht nur verständlich erklärt, sondern vor allem anhand von zahlreichen wissenschaftlich fundierten Beispielen und Anekdoten des weitgefächerten Wirtschaftsbereichs nachvollziehbar aufbereitet und so nicht nur einem engeren Kreis von Brancheninsider*innen, sondern ebenso für interessierte Laien zugänglich gemacht.
"Die Ökonomie der Musikwirtschaft" geht zurück auf die englischsprachige Publikation "The Economics of Music", das Tschmuck auf Einladung des Verlags Agenda Publishing bereits 2017 herausbrachte und das sich - wie er selbst im Vorwort erwähnt - zu einem Standardwerk in der Musikwirtschaftsausbildung entwickelte. Aufgrund vieler Anfragen entschloss der Autor sich, "The Economics of Music" in deutscher Sprache neu zu verfassen und aktuelle Entwicklungen einzuarbeiten.
Musikindustrie vs. Musikwirtschaft
Dabei ist es Tschmuck ein Anliegen, einleitend darüber aufzuklären, weshalb es nicht, wie oft fälschlicherweise verwendet, "Die Musikindustrie" geben kann, sondern drei miteinander verzahnte Sektoren innerhalb der Musikindustrie identifiziert werden müssen: die phonografische Industrie, das Musikverlagswesen sowie der Musikveranstaltungsbereich. Diese Sektoren weisen zum einen jeweils sehr unterschiedliche Produktions-, Distributions- und Rezeptionslogiken auf. Zum anderen bilden sie den primären Musikmarkt und werden von Verwertungsgesellschaften als institutionelle Klammer zwischen den Musikschaffenden und den drei Sektoren beziehungsweise auch innerhalb der Sektoren miteinander verwoben (S. 3).
Insgesamt sei die Musikwirtschaft für die Wirtschaftsleistung eines Landes von bedeutender Relevanz, insbesondere dann, wenn die öffentlich finanzierten Bereiche wie Orchester, Konzerthäuser, Musiktheater und sämtliche Ausbildungsstätten in statistische Berechnungen integriert werden, so der Autor (S. 9). Zur weiteren Auswertung von Musikurheberrechten haben sich sekundäre Musikmärkte herausgebildet, in denen auf Basis von Lizenzen oder Synchronisationsrechten Musik in den unterschiedlichsten von Medien wie Radio, Film- und Fernsehproduktionen, in der Werbung oder anderen Bereichen "verwertet" wird. In den Bereich der sekundären Musikwirtschaft fallen weiters Bereiche wie Musikinstrumentenherstellung und -handel, die aufgrund andersgearteter Marktmechanismen vom Autor ausgeklammert wurden.
Tschmuck möchte mit seiner Publikation die Organisationsstrukturen in den drei Sektoren des primären Musikmarktes sowie die jeweiligen Marktprozesse analysieren. Zudem will er dabei auch berücksichtigen, welche Rolle Lizenzvereinbarungen und Verträge im Musikbusiness spielen respektive, wie sich Wettbewerbsregelungen und Urheberrechtsregime auf Praktiken in der Branche auswirken. Seine Intention ist es, Strukturen, institutionelle Konstellationen und Praktiken zu erklären und ihren Einfluss auf Produktion, Distribution und Rezeption - also auf das Schaffen, Verbreiten und Hören von Musik zu erläutern.
Musik als Wirtschaftsgut
Im dritten Kapitel "Mikroökonomie von Musik" erläutert Tschmuck, inwiefern Musik als ökonomisches Gut fungiert, also welche Art von Wirtschaftsgut Musik überhaupt sein kann. Dabei geht er auf den öffentlichen Gutscharakter genau so ein wie darauf, dass Musik ebenso meritorisches, Informations- oder Erfahrungsgut sein kann. Diese Definitionen und Differenzierungen ergänzt der Autor durch Erläuterungen zu Marktmechanismen wie beispielsweise Preiselastizität - ein Faktor, der anzeigt, wie sehr ein Preis gesteigert werden kann, bis die Preiserhöhung sich negativ auf die Nachfrage auszuwirkt, oder wie Tschmuck anschaulich in einem Diagramm darstellt (S. 50f), wieviel "Hardcore-Fans" (S. 51) bereit sind, für ihre Tickets zu bezahlen (S.51).
Kapitel vier "Die Ökonomie des Musikurheberrechts" bringt Leser*innen weiters wirtschaftliche Grundlagen des Musikurheberrechts näher, dem sämtliche vertragliche Regelungen in der Musikbranche zugrunde liegen. Diese beiden Bereiche - Musikurheberrecht und Vertragsökonomik - werden schließlich mit Theorien zu Marktformen verbunden. So zeigt Tschmuck anhand des Beispiels der Phonogrammindustrie, wo Major-Labels sich zunehmend auch Musikverlage einverleibten (S.75f), wie die Oligopolisierung von Musikmärkten zustande kommt.
Musikverlage und Verwertungsgesellschaften
Im nächsten Kapitel erklärt der Autor dementsprechend die Aufgaben und Funktionen im "Musikverlagsmarkt" und bringt dazu zahlreiche Beispiele aus dem internationalen Musikverlagswesen, indem er die Bedeutung von Industrieverlagen wie Universal Music Publishing, Warner / Chappell Music oder Sony / ATV und kleinerer Independent-Verlage betrachtet. Zum zuletzt genannten zählt beispielsweise Kobalt, der Autor*innen und Komponist*innen lediglich bei der Verwaltung ihrer Urheberrechte unterstützt und ihnen wesentlich mehr Mitbestimmung zugesteht als die großen Konkurrenten und dadurch schnell Größen wie Lenny Kravits oder Paul McCartney angezogen hat. Als verbindendes Element zwischen Musikverlagen und Komponist*innen sowie Autor*innen fungiert Musiklizenzierung, realisiert durch Verwertungsgesellschaften. Diese ökonomischen Prozesse sowie die Relevanz von Verwertungsgesellschaften für die Wahrnehmung von Aufführungsrechten und mechanischen Rechten werden daher näher erläutert.
Paradigmenwechsel im Musikkonsum
Kapitel sechs spiegelt die Geschichte des "phonografischen Marktes" wider und offenbart wie im vorhergehenden Kapitel Fuktionen und Strukturen dieses Bereichs, der aufgrund der stetigen technischen Entwicklungen die meisten Umstrukturierungen und Paradigmenwechsel aufweist. Tschmuck beschreibt, wie das Streaming weg von einem Besitzmodell hin zu einem Zugangsmodell führe: Es sei nicht mehr wichtig, physisch greifbare Tonträger zu besitzen, wenn man über mobile Geräte permanent auf jegliche Art von Musik zurückgreifen kann. Auf "Die Ökonomie des digitalen Musikbusiness" geht er dazu im letzten Kapitel noch einmal detailliert ein und präsentiert die ökonomische Bedeutung von digitalen Musikformaten wie Streaming, Download oder Mobile Music und wie die damit einhergehenden Geschäftsmodelle funktioniere und diskutiert die Rolle von Big Playern wie Amazon, Google oder Apple im digitalen Musikbusiness. Er beleuchtet anhand unterschiedlicher Studien, wie das Abomodell von Spotify den Musikkonsum verändere oder werbefinanziertes Streaming (Youtube) sich eher negativ auf Erträge in der Musikindustrie auswirke (S. 218). Er thematisiert Blockchain-Technologien ebenso wie die Möglichkeiten von Konsument*innen selbst durch Konzepte wie Crowdfunding oder Crowdvoting an der Musikproduktion teilzuhaben (S. 237f).
Damit einher geht natürgemäß auch ein Wandel in Produktion, Distribution und Rezeption. So zeigt der Autor, wie der phonografische Markt in den letzten 20 Jahren immer weiter zurückging, hingegen der Musikveranstaltungsmarkt an Bedeutung zunahm. Diesem "Musikveranstaltungsmarkt", seiner Geschichte und Geschäftsmodellen von Musikveranstalter*innen bis zu Ticketingunternehmen widmet Tschmuck dementsprechend das siebente Kapitel. Besonders eindrucksvoll stellt Tschmuck die Entwicklung unterschiedlicher Musikveranstaltungsstätten von 2005 bis 2018 dar und zeigt, dass die Anzahl von Arenen und Stadien in diesem Zeitraum stark gestiegen ist und besonders das Festivalformat mit seinem nicht alltäglichen Eventcharakter ein enorm wichtige Einkommensquelle im Veranstaltungssektor geworden sind (S. 149ff).
Musik für TV, Kino, Werbung und Videogames
Dass neben diesen Primärmärkten auch die Sekundärmärkte einne wichtige Rolle innerhalb des Gesamtgefüges spielen, demonstriert Tschmuck im achten Kapitel, wenn er darauf hinweist, dass Radio, Musikfernsehen, Kino- und TV-Produktionen ebenso aber auch Videospiele und Werbung ohne Musik kaum vorstellbar wären, ruft Musik doch Emotionen überhaupt erst hervor oder ist imstande diese zu verstärken. Aus ökonomischer Sicht geht es dabei um Lizenz- und Vertragsregelungen, ebenso aber um die Themenkomplexe Sound-Branding, Sponsoring oder Merchandising, die der Autor anhand zahlreicher Beispiele eingehend beschreibt.
Musik als Arbeitsmarkt
Einem zentralen Bereich, nämlich dem Musikarbeitsmarkt, nähert sich Tschmuck, indem er unterschiedliche Berufsfelder in den jeweiligen Sektoren beleuchtet und Einkommenssitutationen von Musikschaffenden anhand empirischer Daten analysiert. Ernüchternd das Resultat seiner Erhebungen, denn aufgrund des Überangebots von Arbeit auf dem Künstler*innen-Arbeitsmarkt können nur relativ wenige Musiker*innen von den in Primärmärkten erwirtschafteten Einnahmen tatsächlich leben. Jene, die sich erfolgreich am Markt positionieren könnten, versuchen möglichst viel Output zu erzielen und übersättigen den Markt daher wiederum. Weniger Erfolgreiche seien daher einerseits dazu gezwungen ihre Arbeitskraft zu wesentlich geringerem Lohn anzubieten und / oder auf weitere Verdienste in sekundären Märkten angewiesen und engagierten sich deshalb in der Musikausbildung oder Interessenvertretungen. Schließlich stellt Tschmuck fest, dass 2017 35 % der Musikschaffenden in Österreich in einkommensschwachen Haushalten lebten.
Fazit: Ein Gewinn für alle, die sich für Musikwirtschaft interessieren
Basierend auf zahlreichen wissenschaftlich fundierten Quellen und Statistiken verpackt Tschmuck viele Hintergrundinformationen in kurzweilige Anekdoten zu den unterschiedlichsten Bereichen, egal ob zur Entwicklung der ersten Tonträger bei Thomas A. Edison, zu Entstehung des Urheberrechts oder philosophsche Überlegungen zum Werkbegriff an sich. Es werden nicht nur ökonomische Grundbegriffe erläutert und anhand von anschaulichen Grafiken demonstriert, sondern auch rechtliche Begriffe reflektiert und verständlich erklärt. So erläutert er die Klubgüter-Theorie, bei der die Nutzung eines Guts wie in einem Golfklub exklusiv für Mitglieder ist. Die Zugehörigkeit zu diesem "Klub" impliziert eine geringe Rivalität um das Klubgut, in unserem Fall den Zugang zu Musikveranstaltungen. Zudem beschränkt er sich in seinen Ausführungen nicht auf einzelne Genres, oder eine Unterscheidung zwischen ernster und unterhaltender Musik, sondern gibt einen ganzheitlichen Einblick in ökonomische Strukturen der Welt der Musik.
Tschmuck stützt seine Publikation zudem nicht nur auf zahlreiche Studien, sondern nähert sich diesen durchaus kritisch: So diskutiert er beispielsweise die optimale Länge des Urheberrechtschutzes und belegt, dass "ab einem bestimmten Schutzniveau das Angebot an neuen Werken" (S. 79) sogar sinke, die Kosten für Produktion und Administration hingegen steigen. Sympathisch zeigt er sich, wenn er auch Schwierigkeiten in der Recherche zugibt und darauf hinweist, dass es im Bereich des Musikverlagswesens keine weltweit agierende Vertretung gebe und Einnahmequellen international stark diversifiziert und selbst für Kenner*innen oft nur schwer zu überschauen seien (S. 92).
Insgesamt richtet sich Peter Tschmuck mit seiner "Ökonomie der Musikwirtschaft" gleichermaßen an Studierende sämtlicher musikwirtschaftlichen Ausbildungszweige, an Professionalist*innen dieses Metiers wie an alle an musikökonomischen Prinzipien interessierte Leser*innen.
Einziger Kritikpunkt in der Aufbereitung könnte sein, dass die Grafiken unterschiedlich gestaltet sind und so leicht erkennbar ist, welche für die Publikation neu entstanden sind. Zudem wäre an manchen Stellen ein gründlicheres Lektorat wünschenswert gewesen, um flüchtige Tippfehler zu vermeiden. Dies tut dem Informationsgehalt und kurzweiligen Charakter des Buches allerdings keinen Abbruch und ist in Anbetracht der ansonsten übersichtlichen Präsentation zu vernachlässigen.
Im Hinblick auf den letzten Teil, dem digitalen Musikbusiness, der naturgemäß einer kurzen Halbwertszeit unterliegt, werden mittel- und langfristige Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Musikwirtschaft interessant sein. Die zweite Auflage der Publikation, die sich bestimmt auch im deutschsprachigen Raum zum Standardwerk entwickeln wird, ist daher bereits jetzt mit Spannung zu erwarten!
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