17.10.2018
Buchdetails
Die digitalisierte Stadt
von Charles Landry
Verlag: ecce
Seiten: 54
Buch kaufen (Affiliate Links)
Autor*in
Franziska Wotzinger
ist Promovendin und Lehrbeauftragte am Lehrstuhl für Literatur und Medien der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. Sie studierte Germanistik und Medienwissenschaft in München und Bamberg und beschäftigt sich mit Forschungsschwerpunkten Soziale Medien, Körpertheorien und Postmedialität.
Buchrezension
to be debated. Die digitalisierte Stadt
Für Städte wird die Digitalisierung immer mehr zu einem strategischen Instrument, wenn es darum geht, sich im Standortwettbewerb zu behaupten und Potentiale 'smart' auszuschöpfen. Wie das gelingen kann und welche Rolle Kultur dabei spielt, thematisiert Charles Landry, der international bekannte Stadt- und Kreativitätsforscher, in seinem neuen Buch.
'To be debated' ist eine 2014 vom european cenre for creative economy (ecce) initiierte Publikationsreihe, die Trends der Kultur und Kreativwirtschaft in den öffentlichen Diskurs integrieren will. 'Die digitalisierte Stadt' verknüpft hierbei nicht nur wesentliche Aspekte digitaler Vernetzung, sondern insbesondere deren Einflüsse auf städtische Lebens- und Infrastrukturplanung. Dabei ist es proklamiertes Ziel des Bandes, sowohl technikaffine Menschen und Vertraute des Smart-City-Konzeptes anzusprechen als auch bisher unerfahrene Akteure aus Wirtschaft und Kultur damit vertraut zu machen.
Digitale Aufgabenfelder
Wirkt der Band auf den ersten Blick etwas unübersichtlich, so besticht er während der Lektüre durch zahlreiche Modellbeispiele, Begriffserläuterungen und Kapitelzusammenfassungen, die einen schnellen Zugang zu den unterschiedlichen Themengebieten ermöglichen und gleichsam selbst vernetzt erscheinen.
Ausgehend von der Omnipräsenz der Digitalisierung und einer dadurch entstehenden neuen elektronischen Umgebung, unternimmt Landry den Versuch, die vielfältigen Auswirkungen auf und Möglichkeiten für Städte genauer ins Auge zu fassen. Hierbei rückt er immer wieder die aktive Rolle, die Städte im Prozess der Gestaltung spielen müssen, in den Mittelpunkt. Als besonderes Aufgabenfeld erweist sich dabei die Gratwanderung zwischen der Schaffung eines produktiven und lebendigen Umfeldes sowie einer ethisch-vertretbaren und insbesondere in Bezug auf Datensicherheit notwendigen Reglementierung. Der Ausgleich von Interessen und eine gemeinsame Gestaltung der Städte wird ebenso zur essentiellen Aufgabe wie das Etablieren von Standards und Normen, die Konzeptualisierung digitaler Bildung oder die Berücksichtigung algorithmischer Kontrollen.
Die Kultur des Ausprobierens und die Smart Citizens
Landry plädiert darüber hinaus immer wieder für eine 'Kultur des Ausprobierens', die Prozesse des Experimentierens (z.B. in Form von Living Labs) ebenso wie sogenannte E-Skills fördert. Grundlegend hierfür ist, dass 'smart' in Bezug auf unterschiedliche Städte verschiedene Ausformungen annehmen kann. Es muss also auf die Praktikabilität und die Anwendbarkeit im je konkreten städtischen Umfeld geachtet werden.
Doch nicht nur die Stadt, auch die darin lebenden Bürger, die 'Smart Citizens', stehen in der Verantwortung, an einem zukunftsorientierten und generationentragenden Lebensraum zu bauen. Im Fokus befindet sich hier insbesondere das 'neue Nomadentum' der Menschen, das sich durch hohe Flexibilität, Mobilität und Dynamik auszeichnet. Auch eine Vorliebe für sogenannte ‚Dritte Orte‘, also Orte, die weder rein privat noch rein beruflich konnotiert sind, stehen hier im Fokus. Eine mobile Welt, in der Menschen sich ständig von Ort zu Ort bewegen, müsse sich nämlich laut Landry die Frage nach der eigenen Basis stellen und was es heute bedeute, ein Bürger zu sein und eine Heimat zu haben.
Messbarkeit digitaler Fortschrittlichkeit
Immer wieder macht der Autor aber auch deutlich, dass der Balanceakt des Digitalen sich zwischen Sanktionen, Unterstützung, Führung und Kontrolle bewegen muss. Als enorme Chance erweisen sich hier die gesteigerte Transparenz urbaner Prozesse sowie die Möglichkeit sofortiger Feedbackschleifen, die durch ein größeres Verantwortungsbewusstsein von Bürgerinnen und Bürgern begünstigt scheinen.
Ebenso wie zahlreiche Vorschläge für eine digitale Gestaltung, gibt Landry auch Messmethoden zur Hand, mit Hilfe derer der Digitalisierungsgrad einer Stadt gemessen werden kann. Zu nennen wären hier unter anderem die Kategorien der Bereitschaft, der Humankapazitäten und der Leistungen, aber auch Kriterien einer sogenannten digitalen Scorecard. Dieses ganzheitliche Bewertungssystem definiert sechs Stufen der digitalen Aktivität, nach denen eine Stadt streben muss, um internationale Standards zu erfüllen und eine wirkliche ‚Digital City‘ zu werden:
- Regierungsführung
- Aufbau von Stadtnetzwerken
- Einsatz urbaner Daten
- Förderung digitaler Dienstleistungen
- digitaler Zugang und Fertigkeiten
- sowie städtische Auswirkunsgsrealisierung.
Der Fortschritt einer digitalisierten Stadt könne laut Landry jedoch nur ge- und ermessen werden, wenn man über gängige Grenzen hinwegdenke und die umwälzende Kraft digitaler Technologien zulasse. Dementsprechend formuliert er abschließend weitere Schritte, die es für eine gelungene Digitalisierung einer Stadt brauche. Allen voran stellt er einen ethischen Anker respektive ein Leitbild für Politik, Strategien und Investitionen, neue gemeinschaftliche Plattformen für Technik-Sharing sowie neue behördliche und finanzielle Regelwerke.
Impulse für den Kulturbetrieb
Obgleich Landry im vorliegenden Band nicht dezidiert auf den Kulturbetrieb eingeht, lassen sich doch Rückschlüsse auf mögliche Anwendungsfelder ziehen. Insbesondere der Aspekt der zunehmenden Mobilität von Bürgerinnen und Bürgern zeugt von einem Drang, neue Örtlichkeiten zu entdecken. Hier tut sich eine Chance für Kulturschaffende auf und nimmt sie in die Verantwortung, kreative Veranstaltungsräume auszuloten. Das Ziel sollte hierbei sein, mit möglichst maßgeschneiderten Systemen unterschiedlichste Menschen anzusprechen und ihnen Möglichkeiten zur Teilnahme ‚einzuräumen‘. Ebenso wie die Städte können sich folglich auch Kulturschaffende mehr in der Rolle eines kreativen Vermittlers begreifen, der Laboratorien bzw. neue Experimentierzonen für Kreativität etabliert.
Doch nicht nur mit Örtlichkeiten, auch mit Formaten gilt es im digitalisierten Raum mehr zu wagen. Da die neuen Kommunikationsmedien der Digitalisierung beeinflussen, wie wir interagieren und unsere Umwelt wahrnehmen, gibt es ein gesteigertes Bedürfnis seitens der Rezipienten nach Abwechslung, außergewöhnlichen Kombinationen und kulturellen Abenteuern. Die Herausforderung an Kulturschaffende scheint hier das Finden einer Balance zwischen traditioneller Vermittlerrolle klassischer Sparten (Literatur, bildende Kunst, Musik) und kreativem Medienkombinierer zu sein. Denn der digitale Rezipient sucht in der Regel das Besondere und nicht die Norm.
Ebenso wie die digitalisierte Stadt braucht dafür auch der digitalisierte Kulturbetrieb eine Vorstellung davon, wo es hingehen soll. Schlüssige Konzepte, interaktive Workflows und permanente Selbst-Evaluation scheinen hier unumgänglich, wenn man in der Fülle konkurrierender Informationen seinen Platz behaupten oder ausbauen möchte. Viel zu oft werden die Potentiale der neuen Vernetzung nur wenig bis gar nicht ausgeschöpft, da man in herkömmlich-traditionellen Vorgehensweisen verhaftet bleibt. Auch hier kann Landrys Buch als Plädoyer für mehr Offenheit verstanden werden, die es vor allem in Bereichen der Kunst und Kultur mehr als bisher zu leben gilt.
Fazit
'to be debated. Die digitalisierte Stadt' gibt einen guten ersten Überblick über zentrale Aufgabenfelder im Smart City-Diskurs und kann der Impulsgewinnung für unterschiedliche Akteure im Kulturbereich dienen. Eine konkrete Praxis in Form von Handlungsanleitungen, Umsetzungsvorschlägen oder fundierten Fallbeispielen sucht der Leser jedoch vergeblich. Der Band eignet sich darum insbesondere für eine Überblicksgewinnung und eine Sammlung einschlägiger Kernbegriffe, die zu einer von Landry geforderten 'digitalen Alphabetisierung' durchaus beitragen können. Ein Pluspunkt der Reihe ist darüber hinaus die Bilingualität, die den Text auf Deutsch und Englisch zur Verfügung stellt, was den diskursfördernden Anspruch der Reihe wiederspiegelt.
Bücher rezensieren
Möchten auch Sie Bücher für Kultur Management Network rezensieren? In unserer Liste finden Sie alle Bücher, die wir aktuell zur Rezension anbieten:
Schreiben Sie uns einfach eine Mail mit Ihrem Wunschbuch an
Zu diesem Beitrag sind noch keine Kommentare vorhanden.
Ähnliche Inhalte
Musik und Stadt24.02.2020
Der digitale Kulturbetrieb10.02.2020
Das erweiterte Museum24.02.2021
Unterstützungsabos
Mit einem Unterstützungsabo unterstützen Sie die kostenfreien Inhalte unserer Redaktion mit einem festen Betrag pro Monat – also unser Magazin, unseren Podcast, die Beiträge und die Informationen zu Büchern, Veranstaltungen oder Studiengängen auf unserer Website.