13.08.2002

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Autor*in

Julia Glesner
Buchrezension

Leitfaden für Besucherbefragungen durch Theater und Orchester

Autor: Kristin Butzer-Strothmann, Bernd Günter, Horst Degen; Nomos Verlag; 2002
 
Öffentliche Gelder werden knapp und knapper, traditionelle Besuchergruppen sind notorisch unzufrieden und sterben langsam aber sicher aus - wenn sie nicht so schon zu Hause bleiben - und jüngere Besuchergruppen bevorzugen statt des Theaters andere Freizeitangebote unserer Medienkultur. Mit abnehmenden Zuschauerzahlen schwinden auch die Argumente, um für diesen "traditionellen Manufakturbetrieb," wie Kristin Butzer-Strothmann, Bernd Günter und Horst Degen formulieren, öffentliche Legitimation und damit auch öffentliche Subventionen einfordern zu können.
Es liegen den Theatern zu ungenaue Informationen über ihr Publikum, deren Struktur, Verhalten, Erwartungen und Bewertungen vor, konstatieren die Autoren. Gemeinsam mit dem Deutschen Bühnenverein haben Butzer-Strothmann, Günter und Degen von der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Düsseldorf im Frühjahr 1999 ein Projekt begonnen, um Lösungsvorschläge in diesem "Wettbewerb um das Publikum, aber auch um die öffentlichen Mittel" zu entwickeln. Die Ergebnisse liegen jetzt im "Leitfaden für Besucherbefragungen durch Theater und Orchester" vor.
Daß die Theater so wenig über ihr Publikum wissen, sei letztlich einer mangelhaften Kommunikation mit den Zuschauern zuzuschreiben. Publikumsbefragungen könnten beide Mängel beseitigen, so die These der Autoren. Neben einem vertieften Verständnis von den Bedürfnissen und Erwartungen der verschiedenen Zuschauergruppen dürfte von Befragungen auch eine verbesserte Kommunikation zwischen dem Theater und seinem Publikum zu erwarten sein. Die Autoren ordnen Besucherbefragungen dabei dem Marketing zu und plädieren für eine ?optimale Kombination aller Instrumente" des Marketing. Ihre Zielsetzung ist es, ?Anleitungen zu Besucherbefragungen mit typischen Befragungsinhalten für Theater zu entwickeln." Sie gehen dabei von einer schriftlichen Befragung mit einer begrenzten Auswahl von Antwortmöglichkeiten aus. Neben grundlegenden Hinweisen zur Konzeption einer Befragung und des Fragebogens geben die Autoren auch wertvolle Vorschläge zur Organisation einer Befragung. Dabei warnen sie auch vor möglichen Gefahren und Fehlerpotentialen. Welche Zielsetzung verfolgt eine Befragung? Von welchen Informationsdefiziten geht sie aus? Wieviele Fragebögen müssen ausgeteilt werden, wenn man mit einer Fehlerquote von typischerweise 70% rechnen kann? Ab wann erst ist eine Umfrage nach sozialwissenschaftlichen Kriterien repräsentativ? Welche einleitenden Frage bieten sich an? Wie viele dürfen es überhaupt sein? etc. etc. Solche und zahlreiche andere Fragen erklären die Autoren überaus verständlich und auf Durchführbarkeit ausgerichtet. Ein Abdruck möglicher "Informationspakete" in einem Fragebogen, die der Deutsche Bühnenverein auf Anfrage auch verschickt, sowie ein Stichwortverzeichnis vereinfachen die Arbeit mit diesem Leitfaden noch einmal mehr.

Die wirklichen Schwierigkeiten jedoch entstehen erst mit der Auswertung der Fragebögen. Auch hier heben die Autoren die erforderlichen Fachkenntnisse hervor. Welche Dramaturgen, Referenten oder sonst normalerweise am Theater angestellten Personen bringen denn schon das Fachwissen mit, das computerunterstütztes Scannen oder multivariate Auswertungsverfahren erfordern? So empfehlen sie auch die Zusammenarbeit mit wirklich fachkundigen Stellen. Ganz zentral jedoch, und das betonen die Autoren vehement, ist es, für Konsequenzen aus den gewonnen Ergebnissen zu sorgen und den ganzen Aufwand, den eine reliable und valide Umfrage erfordert, sowie die damit verbundenen finanziellen Mittel nicht einfach verpuffen zu lassen. Forscht ein Theater nach Möglichkeiten, einzelne Besuchergruppen nach statistischen Kriterien typologisieren zu können und diese Typen in Korrelation zu anderen Faktoren, wie beispielsweise der Konditionengestaltung zwischen dem Theater und seinem Publikum oder anderen kommunikationspolitischen Mittel (Monatsplänen, Programmheften etc.), setzen zu wollen, stellt der Leitfaden eine wertvolle Hilfe dar, die in dieser Form bisher nicht vorlag. Aber der Ansatz dieses Projektes hat klare Grenzen.
Man kann nämlich bestimmen Prämissen der Autoren auch nicht zustimmen: Ist es wirklich sinnvoll, Besucherbefragungen dem Marketing zuzuordnen? Was sind die wirklich wichtigen - nicht die typischen - Befragungsinhalte für Theater? Verschwendet man durch Fragen nach "Zusatzleistungen" des Theaters nicht kostbare Motivationen der Besucher, mit denen wirklich zentrale Fragen hätten erforscht werden könne? Welche Rolle beispielsweise Theater für die persönliche Lebenssituation spielt? Welche utopischen und imaginären Entwürfe Theater befragen soll? Fragen also, die sich nicht mit fünf Antwortkategorien und einer Skala von minus Drei bis plus Drei beantworten lassen.

Der Fokus der Theaterschaffenden könnte sich auch nicht primär auf die "Kunst, Kunst zu verkaufen", richten. Sondern darauf, Theater von Niveau zu schaffen, letztlich also darauf, den darstellenden Künsten und der Musik zentrale gesellschaftliche Funktion zuzuweisen, so daß die einzelnen Menschen, die erst im verdunkelten Theaterraum zur Masse Publikum werden, auf dieses einmalige Erlebnis Theater in ihrem Leben nicht mehr verzichten wollen. Mit einem solchen Ansinnen sind die sozialwissenschaftlichen Methoden nur begrenzt kompatibel. Statt einer schriftlichen Erhebung kommen hier nur persönliche Gespräche, einzeln oder in Gruppen, in Frage; Situationen, die von den Interviewern verlangen, sich auf die Denkweise und Erlebniswelt der Befragten vollkommen einzulassen. Ein solcher mehr persönlicher, denn erhebungstechnischer Aufwand verspricht jedoch, die einzelnen Besucher mit ihren Motivationen wirklich kennenzulernen.
 

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