16.08.2021
Themenreihe Wahlkultur
Autor*in
Julia Jakob
studierte Musikwissenschaft und Kulturmanagement in Weimar. Praktische Erfahrungen im Kulturbetrieb sammelte sie bei unterschiedlichen Festivals und in verschiedenen Veranstaltungsbüros sowie als Agentin bei weim|art e. V. Seit 2021 ist sie die Chefredakteurin des Kultur Management Network Magazins und stellvertretende Leiterin der Redaktion.
Bundestagswahl 2021
Das kulturpolitische Programm der FDP
Welche kulturpolitischen Aspekte die größten deutschen Parteien zur Bundestagswahl 2021 für besonders wichtig erachten, zeigt unsere Reihe Wahlkultur. Dieser Beitrag basiert auf dem Wahlprogramm der FDP und zusätzlichen Fragen an Hartmut Ebbing, dem kulturpolitischen Sprecher der Partei im Bundestag.
Themenreihe Wahlkultur
I. Rang und Einordnung von Kulturpolitik im Parteiprogramm
Entsprechend ihrer liberalen Grundausrichtung will die FDP "die Vielfalt und die Freiheit des Kulturlebens sichern und für alle Menschen in unserem Land zugänglich machen" (S. 43). Dazu möchte die Partei die Kulturförderung ausbauen und die individuelle Kreativität fördern. Der marktwirtschaftliche Anspruch der FDP wird hier bewusst und konkret ausgesetzt. Zudem soll die Kultur- und Kreativwirtschaft als wichtiger Wirtschaftszweig gestärkt werden - insbesondere mit Blick auf die Auswirkungen der Coronakrise auf diesen Sektor. Im 68-seitigen Wahlprogramm der FDP werden Kultur unter Schwerpunkt "II. Nie war Modernisierung dringlicher: Modernisieren wir endlich unser Land!" zwar nur 1,5 zweispaltige Seiten eingeräumt. Es finden sich aber in anderen Abschnitten zahlreiche Pläne, die auch den Kulturbereich beeinflussen, etwa hinsichtlich der Digitalisierung und Modernisierung der Verwaltungsstrukturen, der sozialen Absicherung oder der Förderung von Kreativen und Kreativ-Unternehmen sowie des Ehrenamts.
Zudem möchte die FDP Kultur als Staatsziel im Grundgesetz verankert sehen. "Für eine Partei, die dem Staat nur die allernotwendigsten Aufgaben geben möchte, ist das ein starkes Bekenntnis für die Kulturpolitik", betont Hartmut Ebbing.
II. Besonders betonte Inhalte des kulturpolitischen Programms
Die FDP möchte Deutschland als Kulturstandort stärken, wobei das Budget für Kulturförderung und die kulturelle Bildung angehoben werden soll. Hartmut Ebbing sieht dabei als Aufgabe der Kulturpolitik nicht nur die Förderung kultureller Einrichtungen, "sondern insbesondere die in den Hintergrund geratene Stärkung der kulturellen Bildung".
Dabei sollen vor allem die Themen Restitution, Kulturgutschutzgesetz, Urheberrecht, auswärtige Kulturpolitik sowie die Reform der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und des nationalen Gedenkstättenkonzeptes die Kulturpolitik der nächsten Legislaturperiode bestimmen. Die FDP beschränkt sich hier also ihrer Ausrichtung entsprechend auf jene Aspekte, die vollständig im Aufgabenbereich des Bundes liegen, nämlich bundeseigene Kultureinrichtungen und Gesetzgebungsverfahren. Dabei ist der Partei jeweils ein fairer Interessensausgleich wichtig.
III. Kulturpolitik und gesellschaftliche Kontexte
"Die Aufgabe der Kulturpolitik in einem demokratischen Staat besteht darin, Kunst und Kultur zu ermöglichen - möglichst frei von inhaltlichen Vorgaben", so Ebbing. Damit diese freie Entwicklung gelingt, will die FDP sich für eine deutliche Erhöhung der Kulturförderung um ein Mehrfaches des aktuellen Anteils am Bundeshaushalt einsetzen. Damit verbunden möchte die Partei die Projektförderung verringern und setzt sich stattdessen für "einen Anstieg der institutionellen Förderung zur Stärkung der Institutionen in ihrer Unabhängigkeit" (S. 43) ein. Dazu gehöre auch, "Auswahlgremien weitestgehend fachlich und nicht politisch zu besetzen und die Amtszeit zu begrenzen", so Ebbing, was insbesondere die Filmförderung betreffe. Insgesamt besteht für die Partei das Verhältnis von Kulturpolitik und Gesellschaft also darin, freie künstlerische und kulturelle Entwicklung möglichst ohne inhaltliche Eingriffe oder Vorgaben zu unterstützen.
Darüber hinaus will die FDP, dass öffentliche und öffentlich geförderte Kulturorganisationen 10 Prozent ihres jährlichen Budgets in kulturelle Bildung investieren. So soll das kulturelle (Vermittlungs-)Angebot Menschen aller Altersgruppen unabhängig von sozialer und kultureller Herkunft offenstehen und "Kultur für alle" realisiert werden. Wie bereits 2017 will die FDP zudem die Gedenk- und Erinnerungskultur und die kritische Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte stärken, indem Gedenkstättenkonzepte durch mehr digitale Angebote und innovativen Vermittlungsformaten modernisiert werden. Dadurch soll für den Wert der Freiheits- und Bürgerrechte sensibilisiert sowie Brücken zu jüngeren Generationen gebaut werden, "um einen Beitrag zur Stärkung des Bewusstseins für die Freiheit zu leisten" (S. 43).
Themen wie Diversität oder die Klimakrise, aber auch Extremismusprävention sind für die FDP zwar zentrale gesellschaftliche Aufgaben. Quoten oder feste Vorgaben für Unternehmen oder öffentliche Einrichtungen widersprechen aber der liberalen Grundausrichtung der Partei. Entsprechend setzt sie eher auf freiwillige Selbstverpflichtungen.
IV. Arbeitsbedingungen im Kulturbereich
Ein zentrales kulturpolitisches Anliegen der FDP sind eine breite, vielfältige Kulturlandschaft und eine starke Kultur- und Kreativwirtschaft als wichtiger Wirtschaftszweig. Förderprogramme sollen daher vereinfacht und auch für kleinere Kulturunternehmen und Solo-Selbstständige geöffnet werden.
Auch für die FDP hat die Coronakrise viele strukturelle Probleme aufgezeigt, die insbesondere Kulturschaffenden das Leben und Arbeiten erschweren. Um diese Situation zu verbessern, sollen Solo-Selbstständige eine Krisen-Absicherung bekommen. "Hier bietet sich an, die Künstlersozialkasse (KSK) mit einem Baustein "Arbeitslosenversicherung" in existenziellen Notsituationen auszustatten. (...) Auch administrative Reformen der KSK müssen ins Auge gefasst werden; beispielsweise könnten die Arbeitgeberbeiträge nicht jährlich, sondern alle fünf Jahre angepasst werden" erklärt Ebbing. Zudem erachtet die FDP Online-Formate wie Livestreams als Teil einer lebendigen Kreativbranche. Online-Livestreams sollen daher von der Rundfunklizenzpflicht befreit werden.
Hinsichtlich der Arbeitsbedingungen in Kultureinrichtungen finden sich im Wahlprogramm der FDP darüber hinaus kaum konkrete Forderungen. Die Partei setzt sich aber allgemein für mehr Freiheit und eine Flexibilisierung der Arbeitswelt ein, die die Interessen von Arbeitgeber*innen und Arbeitnehmer*innen verbindet. Hierzu gehören beispielsweise die Umstellung von täglichen zu wöchentlichen Höchstarbeitszeiten, Stärkung von Homeoffice und der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, etwa durch bessere Betreuungsmöglichkeiten, auch für Führungskräfte. Zudem möchte die FDP den Anteil von Frauen in Führungspositionen durch Modelle wie Jobsharing erhöhen. Auch die Diversität der Personalstruktur soll mittels Diversity Management sowohl in Unternehmen als auch im öffentlichen Dienst erhöht werden. Da die Bedeutung solcher Ansätze im Kulturbereich mit seinen häufig unregelmäßigen Arbeitszeiten und prekären Beschäftigungsformen besonders hoch ist, lässt sich hier eine Verbesserung der Situation für Kulturschaffende annehmen.
V. Gestaltung des Verhältnisses zwischen Bund, Ländern und Gemeinden
Föderalismus ist für die FDP aus der Kulturpolitik nicht wegzudenken, da Kultur für sie Vielfalt bedeutet. "Zum einen sollte die Macht, die mit der Verteilung fiskalischer Mittel einhergeht, nicht auf wenige zentrale Akteure konzentriert werden. Zum anderen könnte der Bund als zentraler Akteur aber auch nicht das leisten, was in den Ländern und insbesondere in den Kommunen getan wird", erklärt Ebbing. Kulturförderung auf Bundesebene muss für die Partei daher mit einer nationalen Bedeutung und Tragweite verbunden sein. Für die kommende Legislaturperiode sieht Ebbing hier jedoch eine Ausnahme, da ggf. "der Bund seine Förderpolitik ausweiten muss, um Pandemie-bedingt den Kommunen und Ländern bei investiven Maßnahmen unter die Arme zu greifen. Dies gilt auch, um Kulturinstitutionen etwa bei den Herausforderungen der Digitalisierung oder des Klimawandels stärker zu unterstützen", so Ebbing.
"Kultur als Staatsziel" ist im Vergleich zum Wahlprogramm von 2017 ein absolutes Novum in den kulturpolitischen Forderungen der FDP. Dabei setzt die Partei sich für die Aufnahme des Artikels 20b mit dem Satz "Der Staat schützt und fördert Kultur" ein. "Wir betrachten dies als eine Werte-Entscheidung, denn es geht um den Schutz geistig-kreativer Arbeit als Lebensgrundlage vieler tausend Bürgerinnen und Bürger" (S. 43), heißt es dazu im Wahlprogramm.
VI. Auswärtige Kulturpolitik und -förderung
"Kultur lebt von Vielfalt und Austausch und hört nicht an den nationalen Grenzen auf", so Ebbing. Entsprechend sieht die FDP in Kultur einen Weg für internationalen Austausch, auch über Europa hinaus, und möchte deshalb die Arbeit des IfA und des Goethe-Instituts sowie weiterer internationaler Projekte stärken und modernisieren. So zeigt für Ebbing die "Agentur für Internationale Museumskooperation" "die Idee und Notwendigkeit, dass nur ein Austausch von Kulturen zwischen den Ländern zum Verständnis und Respekt gegenüber Andersdenkenden und Anderslebenden führen kann."
In Bezug auf die EU gilt für die FDP, was für sie auch für Länder und Kommunen im Verhältnis zum Bund gilt: möglichst viel Entscheidungsfreiheit, aber Unterstützung dort, wo es die Nationalstaaten nicht allein leisten können bzw. wo es nationsübergreifende Themen betrifft. Kunst- und Kulturgegenstände, die über den nationalen Bezug auch für Europa Bedeutung haben, sollten deshalb auch auf europäischer Ebene gefördert werden.
Dazu fordert die FDP die Schaffung des "European Heritage Trusts" als EU-weitem Kulturfonds. Damit verbunden soll der Denkmalschutz europaweit und partizipativer gestaltet und vernetzt werden. Zudem erachtet die Partei das derzeitige deutsche Kulturgutschutzgesetz als zu national, wodurch es den internationalen Austausch und Handel mit Kulturgütern behindere. Darüber hinaus will die FDP die umsatzsteuerliche Gestaltung des Kunsthandels innerhalb der EU deutlicher regeln.
Fazit
Dass die FDP als Partei der Liberalität und des geringen Eingreifens der Politik in den Markt sich in diesem Jahr besonders für mehr Kulturförderung und Kultur als Staatsziel einsetzt, ist durchaus bemerkenswert - und ein starkes Zeichen an diejenigen, die eine Ökonomisierung und Privatisierung des öffentlichen Kulturbereichs befürchten. Hervorzuheben ist zudem, dass das Wahlprogramm spezifisch die Kultur- und Kreativwirtschaft berücksichtigt, was in diesem Jahr nicht alle Parteien tun.
Darüber hinaus thematisiert das Wahlprogramm der Partei sehr viele Aspekte, die im Kulturbetrieb aktuell eine wichtige Rolle spielen, vor allem hinsichtlich der Arbeitsbedingungen. Inhaltlich und auch in Bezug auf konkrete Forderungen für das Kulturmanagement auf kommunaler und Länderebene ist die FDP ihrer Natur gemäß eher zurückhaltend und plädiert vor allem für Ausgeglichenheit.
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