11.02.2011
Autor*in
Michael Wimmer
ist Gründer von EDUCULT und war bis zu seinem Ruhestand Direktor und Vorstandsvorsitzender dieses Forschungsinstituts, Aus diesen Tätigkeiten sowie als langjähriger Geschäftsführer des Österreichischen Kulturservice (ÖKS), als Musikerzieher und Politikwissenschaftler bringt er umfassende Erfahrungen in die Zusammenarbeit von Kunst, Kultur und Bildung ein.
Kulturelle Teilhabe
Kultur für wen? Eine alte Frage, neu gestellt
Ein Bericht zur jüngsten Podiumsdiskussion der Österreichischen Gesellschaft für Kulturpolitik zu überfälligen Strategien zur Förderung kultureller Teilhabe.
Es war eigentlich eine kühne Fragestellung, die der jüngsten Diskussion der Österreichischen Kulturpolitischen Gesellschaft den Titel gab: Kultur für Wen Strategien zur Förderung kultureller Teilhabe?, der eine beeindruckende Anzahl von Interessierten in die neuen Räumen der IG-Architektur führte.
Immerhin schien die Frage bereits seit den 70er Jahren zumindest aus demokratiepolitischer Sicht beantwortet. Seit damals gab das Buch des Frankfurter Kulturdezernenten Hilmar Hoffmann Kultur für alle die Richtung vor, die wenig später sein Nürnberger Kollege Hermann Glaser als ein, für alle verbindliches Bürgerrecht Kultur postulieren ließ. In der Antizipation des bundesdeutschen Diskurses formulierte der damalige Unterricht- und Kunstminister Fred Sinowatz einen umfassenden Kulturpolitischen Maßnahmenkatalog, der die Voraussetzungen dafür schaffen sollte, die traditionellen Kultureinrichtungen nicht nur einigen wenigen Nerzträgerinnen vorzubehalten sondern auch breiteren Teilen der Bevölkerung zu öffnen.
Und dann gab es noch eine Minderheitenfraktion, die sich nicht mit der Öffnung der alten Kulturtanker begnügen wollte, Kultur vom Staat zu bekommen. Sie beanspruchten für sich selbst, Träger der Kultur zu sein und sich selbst zu ermächtigen, wenn es darum ging, Kultur nicht nur zu konsumieren sondern aktiv daran Anteil zu nehmen. Damit vertraten sie einen gesellschaftspolitischen Anspruch, der sie in autonomen und freien Kulturinitiativen neue Formen der kulturellen Partizipation von einer Kultur für alle zu einer Kultur mit allen gehen ließ.
Gekommen ist vieles anders als ursprünglich kulturpolitisch intendiert. Für Vorstadtkinder sind die Kultureinrichtungen im Zentrum Wiens nach wie vor keine selbstverständlichen Lern- und Lebensräume. Und auch was die Hoffnungen auf kulturelle Selbstermächtigung betrifft, so hat das Kultur-Monitoring aus 2007 (http://www.bmukk.gv.at/medienpool/15575/kulturmonitoring.pdf) eindrucksvoll nachgewiesen, dass die Mehrheit der ÖsterreicherInnen bis heute keinen adäquaten Kulturbegriff für sich gefunden hat. Für sie blieb das Angebot der großen Kunst- und Kultureinrichtungen weiterhin äußerlich und damit etwas Fremdes, das nichts mit ihrer Arbeits- und Lebensweise zu tun hat und ihnen bestenfalls erzählt, dass sie gerade nicht dazugehören.
Sie werden statt dessen auf ein, in den 70er Jahren noch unvorstellbares breites und vielfältiges kommerzielles Angebot verwiesen, das als wesentlich attraktiver und unmittelbar zugänglich ihre ästhetischen Vorstellungen zunehmend bestimmt. Und so kam es nicht so, wie es sich die sozialdemokratischen KulturpolitikerInnen der 70er Jahre gewünscht sondern wie es die Apologeten des Neoliberalismus dekretiert hatten: Das Angebot der Kultur- und Medienindustrie hat die traditionelle Rolle der Hoffnungsproduktion von Kulturpolitik übernommen und seine Wertvorstellungen mittlerweile tief in den öffentlichen Kulturbetrieb eingeschrieben.
Wenn der Anspruch von Kultur für alle! versprochen hat, zur sozialen Integration beizutragen, dann ist hier fast schon ein exemplarisches Scheitern zu konstatieren. Immerhin erfahren wir fast täglich, dass sich die sozialen Unterschiede immer weiter vertiefen - eine Entwicklung, die immer größere Teile der Bevölkerung außerhalb der öffentlichen und daher auch der kulturpolitischen Wahrnehmung rücken lässt. Daraus ziehen vor allem national-populistische Strömungen Gewinn. Mit ihren Versuchen der Kulturalisierung gesellschaftlicher Widersprüche setzen sie zurzeit wahrscheinlich die wirksamsten kulturpolitischen Akzente. Als terribles simplificateurs machen sie deutlich, dass Kultur nicht nur inklusiv bzw. gesellschaftsverbindend sondern mindestens ebenso exklusiv, und damit die unterschiedlich benachteiligten sozialen Gruppen gegen einander aufhetzend, interpretiert werden kann.
Diese Einschätzungen blieben im Bemühen um Bestandserhalt aus der österreichischen Kulturpolitik weitgehend ausgeklammert. Entsprechend erfreulich, dass die Gesellschaft für Kulturpolitik wieder einmal den Versuch wagte, sich von der deutschen Diskussion inspirieren zu lassen. Dazu lud sie den Geschäftsführer der deutschen Schwesternorganisation Norbert Sievers zu einem Impulsreferat Die unzulängliche Zugänglichkeit der Kultur ein.
Sein Befund lief auf die Infragestellung des bisherigen Handlungsinstrumentariums nationaler Kulturpolitiken hinaus. Allein die aktuelle demographische Entwicklung (Alterung, Zuwanderung, Digitalisierung, Mediatisierung und damit zusammenhängender Wandel der kulturellen Orientierungen,) mache, um überhaupt noch als handlungsfähiger Akteur wahrgenommen zu werden, gravierende Veränderungen der kulturpolitischen Schwerpunktsetzungen notwendig. Um das Postulat Kulturpolitik ist Gesellschaftspolitik auch nur halbwegs plausibel weiterhin aufrecht zu erhalten, empfahl er angesichts des umfassenden sozialen Strukturwandels eine mutige Kehrwendung von der traditionellen angebotsorientierten Kulturpolitik in Richtung Nachfrageorientierung.
Die darauf folgende Podiumsdiskussion gestaltete sich kontroverser als gedacht. Immerhin begannen die beiden SPÖ-KultursprecherInnen Sonja Ablinger auf Bundesebene und Ernst Woller für die Stadt Wien mit dem Bekenntnis, sich weiterhin für möglichst hohe Mittel für die Kultur einsetzen zu wollen, ohne sich lange damit aufzuhalten, wem die Kultur zugute kommt bzw. ob es so etwas wie die Kultur überhaupt noch gibt.
Mit der Aufzählung der vielfältigen Aktivitäten Wiens für die Kultur schien Woller noch einmal mehr den Beweis gegen Sievers anzutreten zu wollen, dass in Österreich und insbesondere in der Bundeshauptstadt alles anders ist und man eigentlich nur fortschreiben müsste, was sich in den letzten Jahren bewährt habe. Sein Argument: Das Wiener Kulturangebot würde breit angenommen, pro Jahr würden 20 Mio Kulturtickets verkauft. Immerhin musste er konzedieren, dass auch in Wien erstmals seit vielen Jahren im Kulturbereich der Rotstift angesetzt worden ist und daher für Kultur 2011 knapp 4% weniger öffentliche Mittel zur Verfügung stehen als im Vorjahr
Mit seiner Eloge auf Wien setzte sich Woller heftig in die Nesseln, als ihm seine Parteifreundin Ülkü Akbaba, u.a. Koautorin einer Studie Kunst, Kultur und Theater für Alle! Impulse für eine transkulturelle Theaterinitiative (http://www.iodo.at/), zusammen mit Gabi Gerbasits in ihrer Funktion als Geschäftsführerin der IG Kultur Österreich nachzuweisen versuchten, dass das Kulturangebot sich immer weiter vom Durchschnitt der Wiener Bevölkerung entfernen würde. Immerhin verfügten bereits 40% der WienerInnen über einen Migrationshintergrund; an diesen ginge das Angebot völlig vorbei. Beide forderten eine stärkere Einbeziehung dieser neuen WienerInnen in den Kulturbetrieb, ohne freilich im Detail sagen zu können, was das für ganz konkrete Maßnahmen nach sich ziehen würde.
Das anschließende heftige Wortgefecht, das sich der überraschend dünnhäutige Langzeitkulturpolitiker Ernst Woller mit Ülkü Akbaba und auch mit dem Kulturjournalisten vom Standard Thomas Trenkler (http://derstandard.at/)ieferte, machte vor allem deutlich, wie hoch aufgeladen dieses Thema mittlerweile ist; aber auch, welch hohes Ausmaß an Tabuisierungen die kulturpolitische Diskussion erreicht hat, um damit die Sicht auf Phänomene des sozialen und kulturellen Ausschlusses zu verstellen. Immerhin wusste Ernst Woller auch davon zu sprechen, dass er in seinem Heimatbezirk Wien Landstrasse seit Jahren eine sogenannte Integrationssektion leitet, im Rahmen der er mithilft, die Bedingungen des täglichen Zusammenlebens ganz konkret und unmittelbar zu verbessern, ohne dass dieses Bemühen (auch von Woller selbst) überhaupt als kulturpolitisch relevant wahrgenommen würde.
Aber auch die Stimmen aus dem Publikum taten sich schwer, die traditionelle Engführung von Kulturpolitik als Bereitstellung von Mitteln für den Kulturbetrieb zu überwinden (dass in der Steiermark in diesem Jahr Kürzungen in der Höhe von 25% quer durch den gesamten Betrieb anstehen, blieb leider auch von den angereisten steirischen BesucherInnen unerwähnt). In das Horn der BesitzstandsbewahrerInnen stieß auch die frühere Bundesministerin Hilde Hawlicek, die sich angesichts drohender Schließungen von Kultureinrichtungen vor allem Sorgen um die dadurch arbeitslosen SchauspielerInnen machte, egal ob deren Produktionen noch ein Publikum finden oder nicht.
Insgesamt fand die hitzige Debatte, die leicht noch über Stunden hätte weiter geführt werden können, nur schwer ihren archimedischen Punkt. Gerade im Bereich der Kulturpolitik scheint es mittlerweile besonders schwer, sich argumentativ aufeinander zu beziehen. Zu groß sind ganz offensichtlich die Versuchungen zur Selbstdarstellung in der Hoffnung, Kulturpolitik ließe sich auf die Wahrung der je eigenen Anliegen beschränken.
Die ungewohnte Heftigkeit der Begegnung lässt aber darauf schließen, dass sich immer mehr Beteiligte zunehmend selbst auf die Nerven gehen, sich selbst und anderen in der ewigen Wiederholung der selben Argumente zuhören zu müssen, ohne dass sich damit deren Wirkmächtigkeit erhöhen würde. Und so wurde für alle TeilnehmerInnen das Durchdrehen und damit Überhitzen eines selbstläufigen Diskurses unmittelbar erfahrbar, der sich zunehmend von dem abhebt, was für das Gros der BürgerInnen der Fall ist.
Das kann man unterschiedlich interpretieren. Positiv als eine gemeinsame Erfahrung, dass es so wohl nicht mehr lange weiter wird gehen können. Negativ: Dass es hinten und vorne an strukturbildenden Strategien zur Förderung kultureller Teilhabe fehlt, die überzeugend genug wären, um dieses tendenziell frustriert, grantig und zunehmend aggressiv machende Endzeitgefühl zu überwinden.
In diesem Sinn wäre der Veranstaltung eine baldige Fortsetzung zu wünschen.
Immerhin schien die Frage bereits seit den 70er Jahren zumindest aus demokratiepolitischer Sicht beantwortet. Seit damals gab das Buch des Frankfurter Kulturdezernenten Hilmar Hoffmann Kultur für alle die Richtung vor, die wenig später sein Nürnberger Kollege Hermann Glaser als ein, für alle verbindliches Bürgerrecht Kultur postulieren ließ. In der Antizipation des bundesdeutschen Diskurses formulierte der damalige Unterricht- und Kunstminister Fred Sinowatz einen umfassenden Kulturpolitischen Maßnahmenkatalog, der die Voraussetzungen dafür schaffen sollte, die traditionellen Kultureinrichtungen nicht nur einigen wenigen Nerzträgerinnen vorzubehalten sondern auch breiteren Teilen der Bevölkerung zu öffnen.
Und dann gab es noch eine Minderheitenfraktion, die sich nicht mit der Öffnung der alten Kulturtanker begnügen wollte, Kultur vom Staat zu bekommen. Sie beanspruchten für sich selbst, Träger der Kultur zu sein und sich selbst zu ermächtigen, wenn es darum ging, Kultur nicht nur zu konsumieren sondern aktiv daran Anteil zu nehmen. Damit vertraten sie einen gesellschaftspolitischen Anspruch, der sie in autonomen und freien Kulturinitiativen neue Formen der kulturellen Partizipation von einer Kultur für alle zu einer Kultur mit allen gehen ließ.
Gekommen ist vieles anders als ursprünglich kulturpolitisch intendiert. Für Vorstadtkinder sind die Kultureinrichtungen im Zentrum Wiens nach wie vor keine selbstverständlichen Lern- und Lebensräume. Und auch was die Hoffnungen auf kulturelle Selbstermächtigung betrifft, so hat das Kultur-Monitoring aus 2007 (http://www.bmukk.gv.at/medienpool/15575/kulturmonitoring.pdf) eindrucksvoll nachgewiesen, dass die Mehrheit der ÖsterreicherInnen bis heute keinen adäquaten Kulturbegriff für sich gefunden hat. Für sie blieb das Angebot der großen Kunst- und Kultureinrichtungen weiterhin äußerlich und damit etwas Fremdes, das nichts mit ihrer Arbeits- und Lebensweise zu tun hat und ihnen bestenfalls erzählt, dass sie gerade nicht dazugehören.
Sie werden statt dessen auf ein, in den 70er Jahren noch unvorstellbares breites und vielfältiges kommerzielles Angebot verwiesen, das als wesentlich attraktiver und unmittelbar zugänglich ihre ästhetischen Vorstellungen zunehmend bestimmt. Und so kam es nicht so, wie es sich die sozialdemokratischen KulturpolitikerInnen der 70er Jahre gewünscht sondern wie es die Apologeten des Neoliberalismus dekretiert hatten: Das Angebot der Kultur- und Medienindustrie hat die traditionelle Rolle der Hoffnungsproduktion von Kulturpolitik übernommen und seine Wertvorstellungen mittlerweile tief in den öffentlichen Kulturbetrieb eingeschrieben.
Wenn der Anspruch von Kultur für alle! versprochen hat, zur sozialen Integration beizutragen, dann ist hier fast schon ein exemplarisches Scheitern zu konstatieren. Immerhin erfahren wir fast täglich, dass sich die sozialen Unterschiede immer weiter vertiefen - eine Entwicklung, die immer größere Teile der Bevölkerung außerhalb der öffentlichen und daher auch der kulturpolitischen Wahrnehmung rücken lässt. Daraus ziehen vor allem national-populistische Strömungen Gewinn. Mit ihren Versuchen der Kulturalisierung gesellschaftlicher Widersprüche setzen sie zurzeit wahrscheinlich die wirksamsten kulturpolitischen Akzente. Als terribles simplificateurs machen sie deutlich, dass Kultur nicht nur inklusiv bzw. gesellschaftsverbindend sondern mindestens ebenso exklusiv, und damit die unterschiedlich benachteiligten sozialen Gruppen gegen einander aufhetzend, interpretiert werden kann.
Diese Einschätzungen blieben im Bemühen um Bestandserhalt aus der österreichischen Kulturpolitik weitgehend ausgeklammert. Entsprechend erfreulich, dass die Gesellschaft für Kulturpolitik wieder einmal den Versuch wagte, sich von der deutschen Diskussion inspirieren zu lassen. Dazu lud sie den Geschäftsführer der deutschen Schwesternorganisation Norbert Sievers zu einem Impulsreferat Die unzulängliche Zugänglichkeit der Kultur ein.
Sein Befund lief auf die Infragestellung des bisherigen Handlungsinstrumentariums nationaler Kulturpolitiken hinaus. Allein die aktuelle demographische Entwicklung (Alterung, Zuwanderung, Digitalisierung, Mediatisierung und damit zusammenhängender Wandel der kulturellen Orientierungen,) mache, um überhaupt noch als handlungsfähiger Akteur wahrgenommen zu werden, gravierende Veränderungen der kulturpolitischen Schwerpunktsetzungen notwendig. Um das Postulat Kulturpolitik ist Gesellschaftspolitik auch nur halbwegs plausibel weiterhin aufrecht zu erhalten, empfahl er angesichts des umfassenden sozialen Strukturwandels eine mutige Kehrwendung von der traditionellen angebotsorientierten Kulturpolitik in Richtung Nachfrageorientierung.
Die darauf folgende Podiumsdiskussion gestaltete sich kontroverser als gedacht. Immerhin begannen die beiden SPÖ-KultursprecherInnen Sonja Ablinger auf Bundesebene und Ernst Woller für die Stadt Wien mit dem Bekenntnis, sich weiterhin für möglichst hohe Mittel für die Kultur einsetzen zu wollen, ohne sich lange damit aufzuhalten, wem die Kultur zugute kommt bzw. ob es so etwas wie die Kultur überhaupt noch gibt.
Mit der Aufzählung der vielfältigen Aktivitäten Wiens für die Kultur schien Woller noch einmal mehr den Beweis gegen Sievers anzutreten zu wollen, dass in Österreich und insbesondere in der Bundeshauptstadt alles anders ist und man eigentlich nur fortschreiben müsste, was sich in den letzten Jahren bewährt habe. Sein Argument: Das Wiener Kulturangebot würde breit angenommen, pro Jahr würden 20 Mio Kulturtickets verkauft. Immerhin musste er konzedieren, dass auch in Wien erstmals seit vielen Jahren im Kulturbereich der Rotstift angesetzt worden ist und daher für Kultur 2011 knapp 4% weniger öffentliche Mittel zur Verfügung stehen als im Vorjahr
Mit seiner Eloge auf Wien setzte sich Woller heftig in die Nesseln, als ihm seine Parteifreundin Ülkü Akbaba, u.a. Koautorin einer Studie Kunst, Kultur und Theater für Alle! Impulse für eine transkulturelle Theaterinitiative (http://www.iodo.at/), zusammen mit Gabi Gerbasits in ihrer Funktion als Geschäftsführerin der IG Kultur Österreich nachzuweisen versuchten, dass das Kulturangebot sich immer weiter vom Durchschnitt der Wiener Bevölkerung entfernen würde. Immerhin verfügten bereits 40% der WienerInnen über einen Migrationshintergrund; an diesen ginge das Angebot völlig vorbei. Beide forderten eine stärkere Einbeziehung dieser neuen WienerInnen in den Kulturbetrieb, ohne freilich im Detail sagen zu können, was das für ganz konkrete Maßnahmen nach sich ziehen würde.
Das anschließende heftige Wortgefecht, das sich der überraschend dünnhäutige Langzeitkulturpolitiker Ernst Woller mit Ülkü Akbaba und auch mit dem Kulturjournalisten vom Standard Thomas Trenkler (http://derstandard.at/)ieferte, machte vor allem deutlich, wie hoch aufgeladen dieses Thema mittlerweile ist; aber auch, welch hohes Ausmaß an Tabuisierungen die kulturpolitische Diskussion erreicht hat, um damit die Sicht auf Phänomene des sozialen und kulturellen Ausschlusses zu verstellen. Immerhin wusste Ernst Woller auch davon zu sprechen, dass er in seinem Heimatbezirk Wien Landstrasse seit Jahren eine sogenannte Integrationssektion leitet, im Rahmen der er mithilft, die Bedingungen des täglichen Zusammenlebens ganz konkret und unmittelbar zu verbessern, ohne dass dieses Bemühen (auch von Woller selbst) überhaupt als kulturpolitisch relevant wahrgenommen würde.
Aber auch die Stimmen aus dem Publikum taten sich schwer, die traditionelle Engführung von Kulturpolitik als Bereitstellung von Mitteln für den Kulturbetrieb zu überwinden (dass in der Steiermark in diesem Jahr Kürzungen in der Höhe von 25% quer durch den gesamten Betrieb anstehen, blieb leider auch von den angereisten steirischen BesucherInnen unerwähnt). In das Horn der BesitzstandsbewahrerInnen stieß auch die frühere Bundesministerin Hilde Hawlicek, die sich angesichts drohender Schließungen von Kultureinrichtungen vor allem Sorgen um die dadurch arbeitslosen SchauspielerInnen machte, egal ob deren Produktionen noch ein Publikum finden oder nicht.
Insgesamt fand die hitzige Debatte, die leicht noch über Stunden hätte weiter geführt werden können, nur schwer ihren archimedischen Punkt. Gerade im Bereich der Kulturpolitik scheint es mittlerweile besonders schwer, sich argumentativ aufeinander zu beziehen. Zu groß sind ganz offensichtlich die Versuchungen zur Selbstdarstellung in der Hoffnung, Kulturpolitik ließe sich auf die Wahrung der je eigenen Anliegen beschränken.
Die ungewohnte Heftigkeit der Begegnung lässt aber darauf schließen, dass sich immer mehr Beteiligte zunehmend selbst auf die Nerven gehen, sich selbst und anderen in der ewigen Wiederholung der selben Argumente zuhören zu müssen, ohne dass sich damit deren Wirkmächtigkeit erhöhen würde. Und so wurde für alle TeilnehmerInnen das Durchdrehen und damit Überhitzen eines selbstläufigen Diskurses unmittelbar erfahrbar, der sich zunehmend von dem abhebt, was für das Gros der BürgerInnen der Fall ist.
Das kann man unterschiedlich interpretieren. Positiv als eine gemeinsame Erfahrung, dass es so wohl nicht mehr lange weiter wird gehen können. Negativ: Dass es hinten und vorne an strukturbildenden Strategien zur Förderung kultureller Teilhabe fehlt, die überzeugend genug wären, um dieses tendenziell frustriert, grantig und zunehmend aggressiv machende Endzeitgefühl zu überwinden.
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