Kulturpolitik in Lettland
Die historische Kulisse beseelen
Aktuelle kulturpolitische Leitlinien für Riga und Lettland. Kulturmanagement Network im Gespräch mit Una Sedlenience, im Lettischen Kulturministerium verantwortlich für Kulturpolitikplanung.
Lettland besitzt im Unterschied zu Deutschland ein Kulturministerium, das sich zudem nicht nur auf die Verteilung von Fördermitteln beschränkt, sondern klare kulturpolitische Akzente setzt. Una Sedlenience studierte in Görlitz Kulturmanagement. Wir haben sie in Riga getroffen.
KM Magazin: Frau Sedleniece, Sie haben u.a. in Görlitz Kulturmanagement studiert. Welchen Einfluss hatte dieses Studium auf ihre jetzige Tätigkeit, welche Erfahrungen aus Deutschland bringen Sie also in die lettische Kulturpolitik ein?
Una Sedlenice: Das Studium in Görlitz war zweifellos prägend und entscheidend für die spätere Berufswahl. Das Studienprogramm war so vielseitig, eine Verbindung von Theorie und Praxis, so dass wir sehr gut auf verantwortliche Posten vorbereitet wurden. Vielleicht noch wichtiger als der regelmäßige Studienalltag war das Einleben in eine andere Kultur und das Zusammenleben mit Kommilitonen aus vielen anderen Ländern. Eine solche Erfahrung schenkt jedem zusätzliche Abhärtung, Einsicht und Sicherheit. Mit dieser Erfahrung ist man in der Lage, auch in ungewöhnlichen Situationen klaren Kopf zu behalten. Der Aufenthalt in Deutschland hat mir geholfen, Lettland aus Abstand zu sehen und so manche Dinge besser zu verstehen ggf. auch in einem internationalen Kontext zu betrachten. Aus historischen Gründen haben Deutschland und Lettland schon immer eine sehr bedeutende Verbindung gehabt. Auch wenn man die Maßstäbe nicht unbedingt vergleichen kann und muss, gibt es mehr Gemeinsamkeiten und Zusammenhänge in den Strukturen und allgemeinen Vorstellungen, als es im ersten Augenblick auffällt. Daher bin ich meinem Schicksal dankbar, dass ich ausgerechnet in Deutschland einen längeren Studiumsaufenthalt haben konnte.
KM: Auf unserem Besuch in Riga ist uns besonders der kulturelle Reichtum der lettischen Hauptstadt aufgefallen. Welche Rolle spielt das Kulturministerium, um diese Vielfalt zu erhalten und möglichst auszubauen?
US: Riga ist viele Jahrhunderte lang eine wichtige Handels- und Kulturstadt der Region gewesen. Die historischen Wendungen, sowohl die guten als auch die tragischen, haben das äußere Bild der Stadt beeinflusst und bereichert. Dies bekommt jeder zu spüren, der zum ersten Mal die Stadt kennen lernt. Heute ist Riga gleichzeitig die lettische Hauptstadt sowie wieder eine Metropole mit einer großen Anziehungskraft für die ganze Region. Dafür reicht aber nicht nur die reine äußere Erscheinung. Damit die Stadt eine wirkliche Anziehungskraft gewinnt, muss man die historische und architektonische Kulisse beseelen, und dieses ist eine wichtige Aufgabe der Kultur- und Bildungspolitik. Denn es geht ja in erster Linie um die Menschen, dass sie Zugang zu einer guten, darunter auch kulturellen Bildung kommen, ihre Talente pflegen können, sowie Zugang zu hochwertigen Kulturerlebnissen haben, wo sie nicht immer nur passive Teilnehmer sind. Die Kulturpolitik versucht, die bestmöglichen Rahmenbedingungen dafür zu schaffen. Also darf im Falle von Riga hierfür nicht nur die Stadtverwaltung verantwortlich sein, sondern auch das Kulturministerium. Wir müssen sowohl die gegebenen Traditionen bewahren, als auch dem Geist der Zeit folgen, und dieses auch im Sinne des UNESCO-Übereinkommens zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen. Wir sind dem vorhandenen kulturellen Reichtum in vielerlei Hinsicht verpflichtet.
KM: Gerade in den letzten beiden Jahren ist der Etat des Kulturministeriums deutlich gestiegen, und auch das Budget des staatlichen Kulturkapitalfonds steigt jährlich um ca. 10%. Wie kommt das, und mit welchen Argumenten und Mitteln hat sich Ihr Ministerium politisch gegenüber anderen Ressorts durchgesetzt?
US: Wenn wir die Steigerung des Budgets in absoluten Zahlen betrachten, ist der Anstieg wirklich beeindruckend. Zweifellos ist es wirklich wichtig gewesen, das Budget zu vergrößern, um alles Wertvolle zu bewahren. Ein anderes Bild kommt zum Vorschein, wenn wir das Kulturbudget im Kontext des gesamten Staatsbudgets und im Kontext der Entwicklung anderer Ressorts oder in dem der kommunalen Entwicklung betrachten. Dieses möchte ich aber hier nicht so genau ausführen. Fakt ist, dass die Kulturbranche über 10 Jahre hinweg in einer Hungersnot gelebt hat, und hier musste ein Minister endlich kommen, der eine große und überzeugende Vision hat. Frau Ministerin Hel!na Demakova war in der Lage, mit ihrer Vision die Position der Kultur zu behaupten. Wir können heute sogar mit Stolz berichten, dass das Kulturministerium zu einem wirklichen Schlüsselministerium in Lettland geworden ist. Kultur ist genau so vital wichtig wie Bildung, Gesundheit oder Sicherheit. Mit der lettischen Kulturpolitik haben wir versucht zu argumentieren, dass es keinen Sinn macht, die Branchen nach Wichtigkeiten zu sortieren, denn für eine harmonische Entwicklung eines Landes braucht man sie alle. Außerdem darf Kultur nicht nur Schmuck an der Weste des Landes bedeuten. Insbesondere wenn im Zentrum unseres langfristig angelegten nationalen Entwicklungsplans der "kreative und gebildete Mensch" steht. Und so haben wir nach und nach die Kulturfragen in alle wichtigen Politikplanungsdokumente eingebracht. Es ist aber sehr wichtig, dass die Bedeutung nicht nur in den Dokumenten, sondern auch in den Köpfen verständlich ist und mit Taten belegt wird. Damit sich jeder für Kultur verantwortlich fühlt. Da steht für die Kulturpolitik in Lettland noch eine lange und mühsame Überzeugungsarbeit bevor und man darf sich nicht darauf ausruhen, was man erreicht hat.
KM: In vielen Ländern gibt es den klassischen Konflikt zwischen der Förderung der Hauptstadt als internationales Aushängeschild und der Entwicklung in den Regionen. Wie findet Lettland die Balance zwischen Mono- und Polyzentrismus angesichts der starken Position Rigas?
US: Ja, tatsächlich ist in Lettland diese Disproportion noch stärker ausgeprägt als in unseren Nachbarländern. Ganz bestimmt sind die Ursachen dafür historisch begründet. Es ist in der gegebenen Situation äußerst wichtig, die Positionen der Hauptstadt zu stärken und weiter auszubauen und dieses nicht nur im Sinne eines internationalen Aushängeschildes auch wenn die internationale Positionierung einer moderner Stadt heute selbstverständlich sehr wichtig ist schließlich lebt in Riga noch immer die Hälfte der Bevölkerung Lettlands. Mit bestimmten Maßnahmen versucht das Kulturministerium, die Regionen kulturell zu stärken. Hier wird in erster Linie über die weit gefächerten Kinder-, Musik- und Kunstschulen, sowie anderen Kulturbildungseinrichtungen, wohin auch bedeutende Zuschüsse unseres Hauses fließen, ein Akzent gelegt. Außerdem ist eine bedeutende Priorität der Ausbau eines modernen Bibliotheksnetzes (das eigentlich schon umgesetzt ist). Also, vom Staat ist eine umfassende Informationsinitiative aller lettischen Bibliotheken finanziert worden (ein "Netz des Lichtes"), als auch die Weiterbildung der Bibliothekare, damit sie zu wichtigen Informationsoperatoren in der modernen Gesellschaft werden. Es ist außerdem wichtig, in den Regionen insbesondere die professionellen Kulturdienstleistungen zu fördern. Dafür gibt es mehrere staatliche Programme, z.B. "Die Kammermusik", in dessen Rahmen jährlich sehr viele professionelle Musiker Konzerte in den kleinsten Orten Lettlands geben, um so den Zuhörern dort die selbe Qualität wie dem Publikum in der Hauptstadt zu ermöglichen. Mit der Begründung, dass das sozialökonomische Potenzial des Kulturumwelt gestärkt und besser ausgenutzt werden soll und dieses nicht nur mit der gewohnten Tourismusrhetorik-, wird in der nächsten Strukturfond- Planungsperiode das Kulturministerium für eine kleine Finanzierungsmassnahme des European Regional Development Fund (ERDF) zuständig sein, mit der wir vorhaben, die kulturelle Infrastruktur in den Regionen zu verbessern. Ich glaube daher nicht, dass wir eines Tages von einem wirklichen "Ausgleich" zwischen Riga und der Region sprechen können. Es wäre nichtsdestotrotz erstrebenswert, die Bedingungen für das Leben und die Arbeit einigermaßen angenehm zu machen, damit sich eines Tages der Rigenser vorstellen kann, sein Leben genau so qualitativ auch woanders im Lande gestalten zu können. Aber eine solche Überzeugung kann man nicht nur mit staatlichen Dokumenten und anderen Direktiven hervorrufen. Auch die kommunalen Entscheidungsträger sollten solche Vision verfolgen. Mancherorts kann man schon sehr positive Entwicklungen erkennen.
KM: Wie ist die berufliche Situation der Kulturschaffenden in Lettland? Können sie von ihrem Einkommen leben, und welche Motivationen werden ihnen geboten, sich unmittelbar für ihre Kultureinrichtungen oder projekte zu engagieren?
US: Hierzu möchte ich ein wenig hart antworten: wer sich professionell ausschließlich mit Kultur beschäftigt, geht immer ein bestimmtes Risiko ein. Ich glaube, dass die Kulturschaffenden, die wirklich professionell sind, gut von ihrem Einkommen leben können. Eine andere Frage ist, dass das Prestige der Kulturberufe in Lettland nicht sehr hoch ist. Außerdem unterscheiden sich die Einstellungen auch zwischen den Generationen. Die Lage verbessert sich aber. Die Kulturschaffenden, die in den staatlichen Institutionen tätig sind, haben neulich einen bedeutenden Gehaltszuwachs erlebt. Die vielseitigen Möglichkeiten des Kulturkapitalfonds (Reisestipendien, Stipendien für die kreative Arbeit etc.) sollen auch als ein motivierender Faktor dienen. In den letzten Jahren ist eine neue Generation von Kulturmanagern ausgebildet worden. Auch sie sind ein Stück weit dafür verantwortlich, die berufliche Situation der Kulturschaffenden positiv zu begleiten.
KM: Bei der Nationalbibliothek, aber auch allgemein für das Kulturerbe Lettlands, ruhen viele Hoffnungen auf Digitalisierung. Geht hier nicht finanzieller Spielraum für den Erhalt der Bücher oder auch die vielen Bibliotheken im Lande verloren? Man darf ja nicht vergessen, dass die Digitalisierung auch Kritiker hat, die vor Datenverlusten auf Festplatten oder CD-Roms warnen.
US: Ja, Digitalisierung und Informatisierung der Institutionen und der Vorgänge, die mit bedeutenden Kulturressourcen zu tun haben, ist eine der wichtigsten Prioritäten in der Kulturpolitik unseres Landes. Hierfür sind zusätzliche Mittel akquiriert worden (ERAF, Bill and Melinda Gates-Foundation etc). Dadurch werden keineswegs die traditionellen Funktionen der Kultureinrichtungen ersetzt. Die umfassende Digitalisierung ist ein wichtiger Bestandteil des Projektes der neuen Nationalbibliothek. Was die Kritiken dazu betrifft, diese sind uns natürlich bewusst. Wir verlassen uns dabei auf die neusten Erkenntnisse der Technologie und auf die Professionalität unserer Mitarbeiter.
KM: Wo sehen Sie sich persönlich in 5 Jahren? Was haben Sie sich beruflich vorgenommen, und welche Rolle spielt dabei auch Ihre Verbindung zu Deutschland?
US: Ich habe mir vorgenommen, meine professionellen Kenntnisse insbesondere im Bereich der Museen weiter auszubauen. Es ist nicht auszuschließen, dass ich in 5 Jahren für ein Museum arbeite. Ich sehe große Zukunftspotenziale für die ganze Gesellschaft in einer modernen Museumsinstitution. In Deutschland habe ich viele Freunde fürs Leben gewonnen und es ist für mich ein Stück weit eine zweite Heimat geworden. Daher wird die Verbindung im privaten sowie im beruflichen Bereich weiter bestehen.
Una Sedlenice: Das Studium in Görlitz war zweifellos prägend und entscheidend für die spätere Berufswahl. Das Studienprogramm war so vielseitig, eine Verbindung von Theorie und Praxis, so dass wir sehr gut auf verantwortliche Posten vorbereitet wurden. Vielleicht noch wichtiger als der regelmäßige Studienalltag war das Einleben in eine andere Kultur und das Zusammenleben mit Kommilitonen aus vielen anderen Ländern. Eine solche Erfahrung schenkt jedem zusätzliche Abhärtung, Einsicht und Sicherheit. Mit dieser Erfahrung ist man in der Lage, auch in ungewöhnlichen Situationen klaren Kopf zu behalten. Der Aufenthalt in Deutschland hat mir geholfen, Lettland aus Abstand zu sehen und so manche Dinge besser zu verstehen ggf. auch in einem internationalen Kontext zu betrachten. Aus historischen Gründen haben Deutschland und Lettland schon immer eine sehr bedeutende Verbindung gehabt. Auch wenn man die Maßstäbe nicht unbedingt vergleichen kann und muss, gibt es mehr Gemeinsamkeiten und Zusammenhänge in den Strukturen und allgemeinen Vorstellungen, als es im ersten Augenblick auffällt. Daher bin ich meinem Schicksal dankbar, dass ich ausgerechnet in Deutschland einen längeren Studiumsaufenthalt haben konnte.
KM: Auf unserem Besuch in Riga ist uns besonders der kulturelle Reichtum der lettischen Hauptstadt aufgefallen. Welche Rolle spielt das Kulturministerium, um diese Vielfalt zu erhalten und möglichst auszubauen?
US: Riga ist viele Jahrhunderte lang eine wichtige Handels- und Kulturstadt der Region gewesen. Die historischen Wendungen, sowohl die guten als auch die tragischen, haben das äußere Bild der Stadt beeinflusst und bereichert. Dies bekommt jeder zu spüren, der zum ersten Mal die Stadt kennen lernt. Heute ist Riga gleichzeitig die lettische Hauptstadt sowie wieder eine Metropole mit einer großen Anziehungskraft für die ganze Region. Dafür reicht aber nicht nur die reine äußere Erscheinung. Damit die Stadt eine wirkliche Anziehungskraft gewinnt, muss man die historische und architektonische Kulisse beseelen, und dieses ist eine wichtige Aufgabe der Kultur- und Bildungspolitik. Denn es geht ja in erster Linie um die Menschen, dass sie Zugang zu einer guten, darunter auch kulturellen Bildung kommen, ihre Talente pflegen können, sowie Zugang zu hochwertigen Kulturerlebnissen haben, wo sie nicht immer nur passive Teilnehmer sind. Die Kulturpolitik versucht, die bestmöglichen Rahmenbedingungen dafür zu schaffen. Also darf im Falle von Riga hierfür nicht nur die Stadtverwaltung verantwortlich sein, sondern auch das Kulturministerium. Wir müssen sowohl die gegebenen Traditionen bewahren, als auch dem Geist der Zeit folgen, und dieses auch im Sinne des UNESCO-Übereinkommens zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen. Wir sind dem vorhandenen kulturellen Reichtum in vielerlei Hinsicht verpflichtet.
KM: Gerade in den letzten beiden Jahren ist der Etat des Kulturministeriums deutlich gestiegen, und auch das Budget des staatlichen Kulturkapitalfonds steigt jährlich um ca. 10%. Wie kommt das, und mit welchen Argumenten und Mitteln hat sich Ihr Ministerium politisch gegenüber anderen Ressorts durchgesetzt?
US: Wenn wir die Steigerung des Budgets in absoluten Zahlen betrachten, ist der Anstieg wirklich beeindruckend. Zweifellos ist es wirklich wichtig gewesen, das Budget zu vergrößern, um alles Wertvolle zu bewahren. Ein anderes Bild kommt zum Vorschein, wenn wir das Kulturbudget im Kontext des gesamten Staatsbudgets und im Kontext der Entwicklung anderer Ressorts oder in dem der kommunalen Entwicklung betrachten. Dieses möchte ich aber hier nicht so genau ausführen. Fakt ist, dass die Kulturbranche über 10 Jahre hinweg in einer Hungersnot gelebt hat, und hier musste ein Minister endlich kommen, der eine große und überzeugende Vision hat. Frau Ministerin Hel!na Demakova war in der Lage, mit ihrer Vision die Position der Kultur zu behaupten. Wir können heute sogar mit Stolz berichten, dass das Kulturministerium zu einem wirklichen Schlüsselministerium in Lettland geworden ist. Kultur ist genau so vital wichtig wie Bildung, Gesundheit oder Sicherheit. Mit der lettischen Kulturpolitik haben wir versucht zu argumentieren, dass es keinen Sinn macht, die Branchen nach Wichtigkeiten zu sortieren, denn für eine harmonische Entwicklung eines Landes braucht man sie alle. Außerdem darf Kultur nicht nur Schmuck an der Weste des Landes bedeuten. Insbesondere wenn im Zentrum unseres langfristig angelegten nationalen Entwicklungsplans der "kreative und gebildete Mensch" steht. Und so haben wir nach und nach die Kulturfragen in alle wichtigen Politikplanungsdokumente eingebracht. Es ist aber sehr wichtig, dass die Bedeutung nicht nur in den Dokumenten, sondern auch in den Köpfen verständlich ist und mit Taten belegt wird. Damit sich jeder für Kultur verantwortlich fühlt. Da steht für die Kulturpolitik in Lettland noch eine lange und mühsame Überzeugungsarbeit bevor und man darf sich nicht darauf ausruhen, was man erreicht hat.
KM: In vielen Ländern gibt es den klassischen Konflikt zwischen der Förderung der Hauptstadt als internationales Aushängeschild und der Entwicklung in den Regionen. Wie findet Lettland die Balance zwischen Mono- und Polyzentrismus angesichts der starken Position Rigas?
US: Ja, tatsächlich ist in Lettland diese Disproportion noch stärker ausgeprägt als in unseren Nachbarländern. Ganz bestimmt sind die Ursachen dafür historisch begründet. Es ist in der gegebenen Situation äußerst wichtig, die Positionen der Hauptstadt zu stärken und weiter auszubauen und dieses nicht nur im Sinne eines internationalen Aushängeschildes auch wenn die internationale Positionierung einer moderner Stadt heute selbstverständlich sehr wichtig ist schließlich lebt in Riga noch immer die Hälfte der Bevölkerung Lettlands. Mit bestimmten Maßnahmen versucht das Kulturministerium, die Regionen kulturell zu stärken. Hier wird in erster Linie über die weit gefächerten Kinder-, Musik- und Kunstschulen, sowie anderen Kulturbildungseinrichtungen, wohin auch bedeutende Zuschüsse unseres Hauses fließen, ein Akzent gelegt. Außerdem ist eine bedeutende Priorität der Ausbau eines modernen Bibliotheksnetzes (das eigentlich schon umgesetzt ist). Also, vom Staat ist eine umfassende Informationsinitiative aller lettischen Bibliotheken finanziert worden (ein "Netz des Lichtes"), als auch die Weiterbildung der Bibliothekare, damit sie zu wichtigen Informationsoperatoren in der modernen Gesellschaft werden. Es ist außerdem wichtig, in den Regionen insbesondere die professionellen Kulturdienstleistungen zu fördern. Dafür gibt es mehrere staatliche Programme, z.B. "Die Kammermusik", in dessen Rahmen jährlich sehr viele professionelle Musiker Konzerte in den kleinsten Orten Lettlands geben, um so den Zuhörern dort die selbe Qualität wie dem Publikum in der Hauptstadt zu ermöglichen. Mit der Begründung, dass das sozialökonomische Potenzial des Kulturumwelt gestärkt und besser ausgenutzt werden soll und dieses nicht nur mit der gewohnten Tourismusrhetorik-, wird in der nächsten Strukturfond- Planungsperiode das Kulturministerium für eine kleine Finanzierungsmassnahme des European Regional Development Fund (ERDF) zuständig sein, mit der wir vorhaben, die kulturelle Infrastruktur in den Regionen zu verbessern. Ich glaube daher nicht, dass wir eines Tages von einem wirklichen "Ausgleich" zwischen Riga und der Region sprechen können. Es wäre nichtsdestotrotz erstrebenswert, die Bedingungen für das Leben und die Arbeit einigermaßen angenehm zu machen, damit sich eines Tages der Rigenser vorstellen kann, sein Leben genau so qualitativ auch woanders im Lande gestalten zu können. Aber eine solche Überzeugung kann man nicht nur mit staatlichen Dokumenten und anderen Direktiven hervorrufen. Auch die kommunalen Entscheidungsträger sollten solche Vision verfolgen. Mancherorts kann man schon sehr positive Entwicklungen erkennen.
KM: Wie ist die berufliche Situation der Kulturschaffenden in Lettland? Können sie von ihrem Einkommen leben, und welche Motivationen werden ihnen geboten, sich unmittelbar für ihre Kultureinrichtungen oder projekte zu engagieren?
US: Hierzu möchte ich ein wenig hart antworten: wer sich professionell ausschließlich mit Kultur beschäftigt, geht immer ein bestimmtes Risiko ein. Ich glaube, dass die Kulturschaffenden, die wirklich professionell sind, gut von ihrem Einkommen leben können. Eine andere Frage ist, dass das Prestige der Kulturberufe in Lettland nicht sehr hoch ist. Außerdem unterscheiden sich die Einstellungen auch zwischen den Generationen. Die Lage verbessert sich aber. Die Kulturschaffenden, die in den staatlichen Institutionen tätig sind, haben neulich einen bedeutenden Gehaltszuwachs erlebt. Die vielseitigen Möglichkeiten des Kulturkapitalfonds (Reisestipendien, Stipendien für die kreative Arbeit etc.) sollen auch als ein motivierender Faktor dienen. In den letzten Jahren ist eine neue Generation von Kulturmanagern ausgebildet worden. Auch sie sind ein Stück weit dafür verantwortlich, die berufliche Situation der Kulturschaffenden positiv zu begleiten.
KM: Bei der Nationalbibliothek, aber auch allgemein für das Kulturerbe Lettlands, ruhen viele Hoffnungen auf Digitalisierung. Geht hier nicht finanzieller Spielraum für den Erhalt der Bücher oder auch die vielen Bibliotheken im Lande verloren? Man darf ja nicht vergessen, dass die Digitalisierung auch Kritiker hat, die vor Datenverlusten auf Festplatten oder CD-Roms warnen.
US: Ja, Digitalisierung und Informatisierung der Institutionen und der Vorgänge, die mit bedeutenden Kulturressourcen zu tun haben, ist eine der wichtigsten Prioritäten in der Kulturpolitik unseres Landes. Hierfür sind zusätzliche Mittel akquiriert worden (ERAF, Bill and Melinda Gates-Foundation etc). Dadurch werden keineswegs die traditionellen Funktionen der Kultureinrichtungen ersetzt. Die umfassende Digitalisierung ist ein wichtiger Bestandteil des Projektes der neuen Nationalbibliothek. Was die Kritiken dazu betrifft, diese sind uns natürlich bewusst. Wir verlassen uns dabei auf die neusten Erkenntnisse der Technologie und auf die Professionalität unserer Mitarbeiter.
KM: Wo sehen Sie sich persönlich in 5 Jahren? Was haben Sie sich beruflich vorgenommen, und welche Rolle spielt dabei auch Ihre Verbindung zu Deutschland?
US: Ich habe mir vorgenommen, meine professionellen Kenntnisse insbesondere im Bereich der Museen weiter auszubauen. Es ist nicht auszuschließen, dass ich in 5 Jahren für ein Museum arbeite. Ich sehe große Zukunftspotenziale für die ganze Gesellschaft in einer modernen Museumsinstitution. In Deutschland habe ich viele Freunde fürs Leben gewonnen und es ist für mich ein Stück weit eine zweite Heimat geworden. Daher wird die Verbindung im privaten sowie im beruflichen Bereich weiter bestehen.
UNA SEDLENIECE ist seit 2002 im Bereich der Kulturpolitikplanung und Verwirklichung tätig. Berufserfahrung in staatlichen und nichtstaatlichen Kulturinstitutionen und Projekten. Absolventin der Kulturakademie Lettlands (1996) und der Hochschule Zittau/ Görlitz (2001). Zurzeit Studentin im Aufbaustudiengang Museologie an der Kulturakademie Lettlands. Hauptinteressengebiete: Kulturpolitik, Museen, Kulturmanagement, Kulturökonomie, Kulturbildung, sowie Forschung und Analyse im Kulturbereich.
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