23.11.2006

Themenreihe Berufsbild

Autor*in

Dirk Heinze
Anke Meis
ist verantwortlich für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bei der Philharmonie Essen.
Öffentlichkeitsarbeit im Orchester

"Die tägliche Arbeit ist in wenigen Sätzen nur schwer zu beschreiben"

Anke Meis berichtete über ihre tägliche Arbeit, über konkrete Projekten im Rahmen des Kulturhauptstadtjahres und aktive Maßnahmen in der Besucherbindung oder Problemen bei der Pressearbeit.

Themenreihe Berufsbild

Kulturmanagement Network: Zum 100-jährigen Jubiläum der Philharmonie Essen 2004 wurde das neue Gebäude eröffnet. Was für eine Bilanz ziehen Sie nach zwei Jahren? Wie hat das Publikum den Neubau angenommen?

Anke Meis: Das Publikum hat die Philharmonie Essen sehr gut angenommen. Wir haben in den ersten zwei Spielzeiten mehr als 500.000 Besucher begrüßen können. Das ist ein sehr gutes Ergebnis, vor allem, wenn man das umfangreiche Kulturangebot im Ruhrgebiet berücksichtigt. Das heißt nicht, dass wir uns nun zufrieden zurücklehnen, sondern dass wir noch mehr in die Region außerhalb von Essen hineinwirken wollen, um auch dort noch mehr Publikum zu gewinnen. Aber mit dem Start sind wir schon sehr zufrieden. Unser Intendant, Michael Kaufmann, hat mit einer sehr kurzen Vorlaufzeit ein erstklassiges Programm auf die Beine gestellt, das sowohl von den Besuchern als auch von der Politik honoriert wird. Zudem haben wir einen ausgeglichenen Haushalt, was nicht jedes Konzerthaus von sich behaupten kann.

KMN: In Ihrer unmittelbaren Umgebung existiert eine hohe Dichte an Orchestern und Konzerthäusern, folglich hat Ihre Zielgruppe eine Vielzahl von Alternativen. Wie schaffen Sie sich in diesem "Konkurrenzkampf" ein eigenes Profil?

AM: Wir haben innerhalb von kürzester Zeit ein eigenes Profil gewonnen und uns darüber hinaus mit einem sehr attraktiven Programm sehr gut in der Konzerthaus-Landschaft positionieren können. Als erstes Konzerthaus in Deutschland haben wir ein Jazz-Abo eingeführt. Wir bieten also ein ausgewähltes Jazz-Programm und auch sonst sehr hochkarätige Konzerte, wie etwa Konzerte mit den großen amerikanischen Orchestern, den Big Five - die in dieser Konstellation in dieser Zeit nur in Essen zu erleben sind. Uns ist zudem eine Kooperation mit den Städten und Orchestern der Umgebung sehr wichtig. Beispielsweise sind die Bochumer Symphoniker hier regelmäßig zu Gast und spielen einen Mahler-Zyklus. Unser Programm mit so renommierten In-Residence-Künstlern wie Mauricio Kagel, HK Gruber, Jörg Widmann oder im Bereich des Jazz Uri Caine oder Carla Bley schärfen weiterhin unser Profil.
 
Auch im Bereich Schulpädagogik setzen wir eine sehr innovative und hoffentlich "Schule machende" Idee unseres Intendanten um: Zusammen mit dem Orff-Institut des Salzburger Mozarteums und mit einer Grundschule in einem Problemviertel im Essener Norden - in Essen-Katernberg - führen wir gerade ein dreijähriges Schulprojekt durch. Die Grundschule hat einen Ausländeranteil von 80%, mit Kindern aus 16 Nationen. Studenten aus Salzburg kommen einmal pro Woche nach Essen und arbeiten mit den Schülern, um sie an Tanz, Bewegung und Musik heranzuführen. Das geht weit über die übliche Kinder- und Jugendarbeit hinaus und soll bald auch für andere Schulen angeboten werden.

KMN: Was ist die grundlegende Intention für diese Arbeit mit Kindern aus Problemzonen?

AM: Das Projekt wurde durch einen Artikel im "Stern" angestoßen, der von den schwierigen Zuständen in diesem Stadtteil berichtete und aufzeigte, dass dort dringend etwas geschehen muss. Aber es wurde auch die sehr gute Arbeit dieser Grundschule geschildert. Dieses Engagement wollte Herr Kaufmann unterstützen, indem den Kindern Musik nahe gebracht werden soll, was bisher auf diese Weise noch nicht passiert ist. Dieses Modellprojekt soll später auch an anderen Schulen angeboten werden - nach den Herbstferien startet die Arbeit an einer zweiten Grundschule. Wir wollen auf die Kinder zugehen, aber auch von ihnen lernen, erfahren, welchen kulturellen Hintergrund sie mitbringen. Und es sind bereits große Erfolge spürbar. Einige Kinder kommen aus eigenem Antrieb in die Philharmonie oder möchten jetzt ein Instrument lernen. Für sie ist das sozusagen der erste Kontakt mit Musik und Bewegung.

KMN: Es wird ja sehr oft darüber gesprochen, Musik als ein Hilfsmittel zu nutzen, Bildung besser zu vermitteln, Probleme zu lösen oder Menschen näher aneinander zu bringen. Wird Ihr Projekt von der Kulturpolitik vor Ort registriert? Wenn ja, wie und welche Auswirkungen hat das?

AM: Es wird auf jeden Fall wahrgenommen. Der Oberbürgermeister erwähnt dieses Projekt immer wieder, wenn es um den wichtigen Bereich der kulturellen Bildung geht. Auch Dr. Oliver Scheytt, der als Kultur- und Bildungsdezernent in diesem Bereich sehr aktiv ist, stellt die Vorbildfunktion dieses Projekts heraus. Finanziell hat es sich bisher jedoch noch nicht niedergeschlagen. Wir suchen weiterhin Sponsoren und Zuschüsse aus öffentlichen Kassen, denn das Thema der kulturellen Bildung erfährt ja gerade im Bereich der Politik, insbesondere auf der Landesebene, hohe Aufmerksamkeit. Aber es ist gut, zu wissen, dass dieses Modellprojekt Anerkennung erfährt auch in den Medien.

KMN: Kann man als Öffentlichkeitsarbeiterin gestaltend auf das Programm einwirken?

AM: Ja, das kann ich. Wobei die programmatische Gestaltung zunächst einmal nicht meine Aufgabe ist darum kümmern sich der Intendant und die Programmplanung. Ich nehme vielmehr das, was existiert und versuche, es bestmöglich zu verkaufen. Das hat sich wunderbar eingespielt in den letzten drei Jahren. Aber dennoch ist Herr Kaufmann für Vorschläge bezüglich des Programms immer offen.

KMN: Wie kann man Ihre Arbeit beschreiben? Wie ist der tägliche oder wöchentliche Arbeitsablauf? Wie sieht Öffentlichkeitsarbeit an Theatern, Konzerthäusern, Opern aus?

AM: In der Philharmonie Essen sind wir in der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit & Marketing zu viert. Das mag sich erst mal ganz gut anhören, aber wir haben auch etwa 250 Konzerte pro Spielzeit, also entsprechend viel zu tun. Es gibt drei Kolleginnen und Kollegen im Bereich des Marketing, ich bin für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Die Aufgabenteilung hat sich im Laufe der Zeit wunderbar ergeben, und wir sind sein sehr gutes Team. Es gibt eine Kollegin, die sich hauptsächlich um Anzeigen, die organisatorische Abwicklung von Drucksachen, die Verteilung unserer Publikationen u.v.a. kümmert. Ein Kollege betreut die Vorverkaufsstellen, die Abonnenten, bestimmte Zielgruppen, wie Firmen und Senioren. Eine weitere Kollegin entwirft die Plakate, betreut unsere Internetseite und kümmert sich um die Projekte in der Kinder- und Jugendarbeit. Ich mache hauptsächlich Pressearbeit, halte den Kontakt zu den Journalisten, verschicke Pressemitteilungen, organisiere Interview- und andere Pressetermine und bin verantwortlich für die Redaktion der Philharmonischen Blätter und sonstiger Publikationen, einschließlich Programmhefte. Wie die tägliche Arbeit aussieht, ist hier in wenigen Sätzen nur schwer zu beschreiben, denn ich habe keinen festen Tagesablauf, was aber auch heißt, das die Arbeit sehr abwechslungsreich ist. Das liegt auch an unserem facettenreichen Programm, das von Jazz über Weltmusik bis hin zur Klassik alles bietet.

KMN: Was haben Sie studiert? Haben Sie ein journalistisches Studium absolviert oder ein kunstwissenschaftliches?

AM: Ich habe Germanistik, Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften studiert, von Anfang an stand bei mir aber das Sammeln von praktischen Erfahrungen im Vordergrund. Gerade bei Geisteswissenschaften sollte man bereits frühzeitig herausfinden, in welche Richtung man denn gehen möchte. Ich habe ab dem zweiten Semester neben dem Studium gearbeitet, u.a. bei der WAZ in Essen, bei Festivals, im Aalto-Theater, am Theater Dortmund, hauptsächlich in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Nun bin ich seit drei Jahren an der Philharmonie Essen, wo ich mich sehr, sehr wohl fühle. Und etwas anderes als Kultur hätte ich mir nie vorstellen können.

KMN: Welches Problem beschäftigt Sie aktuell?

AM: Die ersten drei Jahre um die Eröffnung herum waren sehr anstrengend, das kann man sich sicher vorstellen. Ich möchte diese sehr schöne Zeit aber auch nicht missen. Jetzt kehrt allmählich Normalität ein. Ein Problem ist, dass wir Schwierigkeiten haben, in die überregionalen Medien zu kommen. Dies liegt vor allem an der Medienstruktur hier im Ruhrgebiet. Hier gibt es die WAZ, die NRZ, Ruhr Nachrichten, die Westfälische Rundschau und andere Zeitungen. Aber in die Süddeutsche oder die FAZ zu kommen gerade als Konzerthaus mit meist einmaligen Veranstaltungen, die nicht ins Repertoire übernommen werden ist sehr schwierig. Unser Publikum liest diese Zeitungen, wir finden dort aber nicht statt. Uraufführungen in Theatern und Premieren von herausragenden Regisseuren und Festivals schaffen es in die Zeitungen. Konzerthäuser, die diese Arbeit täglich und auch nicht schlechter machen, existieren einfach nicht.

KMN: Vielleicht kann ja da die Kulturhauptstadtbewerbung helfen...?

AM: Da bin ich mir ganz sicher.

KMN: Wie bereiten Sie sich jetzt darauf vor? Sie haben ja noch etwa 3 Jahre Zeit.

AM: Viel Zeit ist das nicht!

KMN: Haben Sie schon Pläne 2010?

AM: Ich bin mir sicher, dass Herr Kaufmann schon viele Ideen hat, die auch in verschiedenen Gesprächskreise zum Programm 2010 besprochen werden. Auch was zum Kulturstadtjahr außerhalb der Philharmonie passieren wird, ist ein sehr spannendes Thema. Da die Struktur der Kulturhauptstadt noch nicht endgültig geschaffen ist, steht im Augenblick vieles in den Startlöchern. Aber so viel darf ich verraten: Für die kommende Spielzeit planen wir einen umfangreichen Frankreich-Schwerpunkt, der mit vielfältigen Konzerten und einem groß angelegten kulturellen Austausch zwischen Deutschland und Frankreich schon zeigt, wie die Kulturhauptstadt aussehen könnte.

KMN: Welche Erwartungen knüpfen Sie an das Kulturhauptstadtjahr bezüglich der Besucher etc.?

AM: Meine größte Hoffnung ist, dass viele Menschen aus Deutschland und aus dem europäischen Ausland sehen, dass das Ruhrgebiet sehr spannend ist und eben kein Ruhrpott mit rauchenden Schloten. Zudem haben wir ein sehr vielseitiges kulturelles Angebot wie sonst nirgendwo in Europa. Ich hoffe, dass das Publikum merkt, dass es sich durchaus lohnt, ein Wochenende in Essen statt in Köln, in Hamburg oder Berlin zu verbringen. Weiterhin hoffe ich, dass die überregionale Presse die Kultur im Ruhrgebiet besser wahrnimmt.

KMN: Welche Qualifikationen und Fähigkeiten sollte ein Kulturmanager in einem Konzert- oder Opernhaus, Ihrer Meinung nach, mitbringen?

AM: Das Wichtigste ist, dass man das, was man tut, mit absoluter Überzeugung tut sonst hat man meines Erachtens den falschen Beruf. Im Kulturbereich arbeitet man sehr viel, was sich aber nicht unbedingt auf dem Konto niederschlägt. Es ist aber ein wirklich toller Beruf, ich könnte mir keinen besseren vorstellen. Und spätestens wenn man abends im Konzert sitzt oder spannende Künstler kennenlernt, entschädigt das für manchen Ärger im Alltag.

Man muss eine offene Person sein, auf die Leute zugehen können, flexibel, stressresistent und gut organisiert sein und sich auch zurücknehmen können, denn alles was wir tun, dient letztlich unseren Künstlern und unserem Publikum. Als Hintergrund ist ein abgeschlossenes Studium sicher nützlich, kann jedoch die Praxis keinesfalls ersetzen.

KMN: Nutzen Sie persönliche Netzwerke zu anderen Öffentlichkeitsarbeitern oder Marketing-Fachleuten?

AM: Wir kennen uns auf jeden Fall untereinander. Es gibt einen Theatermarketing-Stammtisch, bei dem sich die Presse-, Öffentlichkeitsarbeiter und Marketingleiter der Theater mehrmals im Jahr treffen. Das funktioniert sehr gut. Meistens werden theaterspezifische Themen diskutiert, somit ist es für uns als Konzerthaus weniger interessant. Wir haben allerdings auch guten Kontakt zu den Kollegen der Konzerthäuser.

KMN: Gibt es ein großes Ziel, das das Konzerthaus erreichen möchte? Worauf arbeiten Sie hin?

AM: Ich denke, das nächste Ziel muss jetzt erst einmal sein, noch mehr Publikum, mehr Besucher und mehr Abonnenten zu gewinnen.

KMN: Was machen Sie für die Besucherbindung?

AM: Viel - das wichtigste ist sicherlich, dass wir qualitätvolle Konzerte, ein spannendes Programm und einen attraktiven Rahmen bieten. Die Leute, die hierher kommen, fühlen sich sehr wohl, werden gut betreut, erleben tolle Konzerte. Wir bekommen sehr viele positive Reaktionen auf das Haus und auf unseren Spielplan. Wir senden unseren Besuchern regelmäßig unser Monatsjournal und die Jahresvorschau, machen regelmäßig Mailings und weisen auf besondere Konzerte hin. Darüber hinaus sind wir aber weiterhin gefordert, weil es hier im Ruhrgebiet etwa keinen regional aktiven Kartenvertrieb und eine nur unzureichende überstädtische Kulturberichterstattung gibt. Und um herauszufinden, was wir für unsere Gäste noch verbessern können, führen wir zur Zeit eine Besucherbefragung durch.

KMN: Frau Meis, wir bedanken uns für das Gespräch!
 

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