03.08.2006
Autor*in
Veronika Schuster
ist ausgebildete Kunsthistorikerin und Kulturmanagerin. Sie hat mehr als 10 Jahre als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Co-Kuratorin für verschiedene Ausstellungsprojekte und Kultureinrichtungen gearbeitet. Sie verantwortet bei Kultur Management Network die Leitfäden und Arbeitshilfen und arbeitet als Lektorin und Projektleiterin für unterschiedliche Publikationsformate.
Kulturwirtschaft
"Kulturpolitik ist heute eine Pervertierung"
Kulturmanagement Network führte ein Interview mit Wolf Lotter, Journalist und Autor. Lotter, Jg. 1962, lebt in Hamburg und Berlin. Nach einer kaufmännischen Lehre (Buchhändler) in Wien studierte Lotter auf dem zweiten Bildungsweg Kulturelles Management an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Wien (1983 bis 1986), danach Geschichte und Kommunikationswissenschaft an der Universität Wien (1986 bis 2000). Bereits seit 1979 veröffentlicht er regelmäßig in Fachzeitschriften und Magazinen. Im Herbst 1999 gehörte er zu den Mitbegründern des Wirtschaftsmagazins brand eins.
Wolf Lotter schreibt für brand eins die monatlichen Leitartikel zu den Schwerpunkten. Diese ausführlichen, bis zu zehn Seiten langen "Grundsatz-Artikel" zeichnen wirtschaftliche Prozesse in einem gesellschaftlichen und politischen Gesamtzusammenhang. Das begründet seinen Ruf als einer der führenden Publizisten auf dem Gebiet der Beschreibung der Transformation der alten Industriegesellschaft hin zur neuen Wissensgesellschaft.
KMN: Herr Lotter, der Begriff der creative industries wird ja vermehrt als Schlagwort für einen stark wachsenden Wirtschaftsbereich verwendet. Sehen Sie, dass hier Potenzial liegt und daraus etwas Gewichtiges werden kann?
Lotter: Das ist, um ehrlich zu sein, eine sehr schwierige Frage. In der Wahrnehmung handelt es sich bei creative industries heute vornehmlich um Design. Und dieser Bereich beschäftigt sich schrecklich gern mit sich selbst. Dabei geht es hier wie anderswo darum, Form, Inhalt und Funktion zusammenzuführen. In Zeiten des Wandels müssen sich alle ganz grundlegend fragen, was sie für wen tun, und eben nicht: Was sie für sich tun. Da gibt es ein großes Defizit bei der gemeinsamen Sprache von Design und Inhalt. Wenn wir wollen, dass unsere Produkte und Ideen auch in der Globalisierung eine Rolle spielen, dann müssen wir ganz intensiv auf creative design setzen. Die Außenhaut ist die Wahrnehmung der Qualität, die wir produzieren und wenn das klar ist, dann hat das creative design eine sehr große Zukunft. Ich denke, dass sich das Bewusstsein
hier ändert.
KMN: Sie haben jetzt speziell zu Design gesprochen. Aber es gibt ja viele Personen aus dem Kulturleben, die gerne auch die Kulturwirtschaft als Kreativwirtschaft bezeichnen würden. Sehen Sie eine Möglichkeit, dass das passen würde?
Lotter: Dort sehe ich die Möglichkeit eigentlich noch viel stärker. Wenn wir die Form verlassen würden, in der einzig Design eine Rolle spielt, also auch Kulturindustrie, Kulturmanagement und Kulturökonomie Beachtung fänden, wäre das ein großer Fortschritt. Aus meiner Sicht liegt in der Kulturwirtschaft mit Abstand das größte Potential. Wir hatten im Kultur- und Kunstbereich immer einen sehr deutlichen Markt, eine klare Marktwirtschaft. Das heißt, ein Kunstprodukt erschließt sich einem Publikum oder es tut das nicht. Wenn Sie sich die Preise für Bilder und Kunstwerke ansehen, wie hier Märkte gemacht werden - das gilt interessanterweise auch für die Literatur, die Positionierung von bestimmten Literaturformen und Autoren - dann gelten hier sehr klare und überschaubare Marktmechanismen. Gleichzeitig haben die meisten Betreiber, sowohl die Kreativen in diesem Feld als auch die Organisatoren, die Kulturmanager, den Markt als Lebensprinzip selbst nicht kennen gelernt. Das ist eine sehr absurde und widersprüchliche Situation. Es ist aber auch eine politische Frage, weil im Großen und Ganzen Märkte und Marktwirtschaft mit Bezug Kunst und Kultur abgelehnt wurden. Das ist ein europäisches Phänomen, das ich für sehr interessant halte und das entwickelt sich nun noch in eine andere Richtung: Ich glaube die Vorstellung, dass Kreative, Künstler und künstlerisch schöpferische Menschen nicht gleichzeitig Unternehmer sein müssen oder sein sollen, dass dieses europäische Bild eine Veränderung erfährt.
KMN: Herr Lotter, der Begriff der creative industries wird ja vermehrt als Schlagwort für einen stark wachsenden Wirtschaftsbereich verwendet. Sehen Sie, dass hier Potenzial liegt und daraus etwas Gewichtiges werden kann?
Lotter: Das ist, um ehrlich zu sein, eine sehr schwierige Frage. In der Wahrnehmung handelt es sich bei creative industries heute vornehmlich um Design. Und dieser Bereich beschäftigt sich schrecklich gern mit sich selbst. Dabei geht es hier wie anderswo darum, Form, Inhalt und Funktion zusammenzuführen. In Zeiten des Wandels müssen sich alle ganz grundlegend fragen, was sie für wen tun, und eben nicht: Was sie für sich tun. Da gibt es ein großes Defizit bei der gemeinsamen Sprache von Design und Inhalt. Wenn wir wollen, dass unsere Produkte und Ideen auch in der Globalisierung eine Rolle spielen, dann müssen wir ganz intensiv auf creative design setzen. Die Außenhaut ist die Wahrnehmung der Qualität, die wir produzieren und wenn das klar ist, dann hat das creative design eine sehr große Zukunft. Ich denke, dass sich das Bewusstsein
hier ändert.
KMN: Sie haben jetzt speziell zu Design gesprochen. Aber es gibt ja viele Personen aus dem Kulturleben, die gerne auch die Kulturwirtschaft als Kreativwirtschaft bezeichnen würden. Sehen Sie eine Möglichkeit, dass das passen würde?
Lotter: Dort sehe ich die Möglichkeit eigentlich noch viel stärker. Wenn wir die Form verlassen würden, in der einzig Design eine Rolle spielt, also auch Kulturindustrie, Kulturmanagement und Kulturökonomie Beachtung fänden, wäre das ein großer Fortschritt. Aus meiner Sicht liegt in der Kulturwirtschaft mit Abstand das größte Potential. Wir hatten im Kultur- und Kunstbereich immer einen sehr deutlichen Markt, eine klare Marktwirtschaft. Das heißt, ein Kunstprodukt erschließt sich einem Publikum oder es tut das nicht. Wenn Sie sich die Preise für Bilder und Kunstwerke ansehen, wie hier Märkte gemacht werden - das gilt interessanterweise auch für die Literatur, die Positionierung von bestimmten Literaturformen und Autoren - dann gelten hier sehr klare und überschaubare Marktmechanismen. Gleichzeitig haben die meisten Betreiber, sowohl die Kreativen in diesem Feld als auch die Organisatoren, die Kulturmanager, den Markt als Lebensprinzip selbst nicht kennen gelernt. Das ist eine sehr absurde und widersprüchliche Situation. Es ist aber auch eine politische Frage, weil im Großen und Ganzen Märkte und Marktwirtschaft mit Bezug Kunst und Kultur abgelehnt wurden. Das ist ein europäisches Phänomen, das ich für sehr interessant halte und das entwickelt sich nun noch in eine andere Richtung: Ich glaube die Vorstellung, dass Kreative, Künstler und künstlerisch schöpferische Menschen nicht gleichzeitig Unternehmer sein müssen oder sein sollen, dass dieses europäische Bild eine Veränderung erfährt.
Kreative sind per se Unternehmer, sie haben das bisher nur noch nicht gewusst. Wenn sie das wissen, wenn sie sich dieser Vorstellung einmal ohne Ideologie - von der wir zu viel in unseren Ländern haben - nähern, dann haben sie eine ganz große Zukunft vor sich. Ansonsten herrscht das Problem vor, dass jeder Subventionen erwartet, oder sich sonst vom Staat im Stich gelassen fühlt, und das ist natürlich eine völlig rückwärts gewandte, konservative und reaktionäre Sicht der Dinge. Hier würden die Betroffenen natürlich laut protestieren, aber sie sind Reaktionäre, wenn sie nach Subventionen rufen.
KMN: Wie kann denn die Kreativwirtschaft bzw. die Kultur in Wechselwirkung zur Wirtschaft treten?
Lotter: Ich glaube, indem man zuerst einmal gar nicht die Überlegung anstellt, dass es sich um unterschiedliche Dinge handeln könnte. Es gab in der Kulturindustrie und beim Kulturmanagement immer einen zentralen Denkfehler, und der war, dass man von der Perspektive eines öffentlich geförderten Betriebes aus auch noch versucht hat, private Mittel für bestimmte Projekte zu bekommen. Sozusagen als Extra obendrauf. Etwa für Projekte, Ausstellungen, Musiktheater oder Events etwas Geld von der Stadt und etwas Geld von einem Konzern, immer auch etwas Kohle von der Privatindustrie, von Stiftungen. Man hat eigentlich nie die Perspektive angedacht, dass man das angestammte, gut versorgte, öffentliche Nest verlassen könnte. Man hat nie den Gedanken gefasst, sich auf eigene unternehmerische Füße zu stellen und Leistungen zu kalkulieren so dass sich das Unternehmen, das Theater, das Orchester, die Galerie auch wirklich am Leben erhält. Theater sind keine Supermärkte, sagen dann einige gleich. Stimmt. Aber der Vergleich geht ja nur deshalb, weil niemand mehr ein Theater kennt, in dem nicht ständig um öffentliches Geld gebettelt wird. Das ist erbärmlich. Man muss die Idee aufgeben, dass man in einem Feld tätig ist, in dem Non-Profit eine größere Rolle spielt als Profit.
KMN: Wie kann denn die Kreativwirtschaft bzw. die Kultur in Wechselwirkung zur Wirtschaft treten?
Lotter: Ich glaube, indem man zuerst einmal gar nicht die Überlegung anstellt, dass es sich um unterschiedliche Dinge handeln könnte. Es gab in der Kulturindustrie und beim Kulturmanagement immer einen zentralen Denkfehler, und der war, dass man von der Perspektive eines öffentlich geförderten Betriebes aus auch noch versucht hat, private Mittel für bestimmte Projekte zu bekommen. Sozusagen als Extra obendrauf. Etwa für Projekte, Ausstellungen, Musiktheater oder Events etwas Geld von der Stadt und etwas Geld von einem Konzern, immer auch etwas Kohle von der Privatindustrie, von Stiftungen. Man hat eigentlich nie die Perspektive angedacht, dass man das angestammte, gut versorgte, öffentliche Nest verlassen könnte. Man hat nie den Gedanken gefasst, sich auf eigene unternehmerische Füße zu stellen und Leistungen zu kalkulieren so dass sich das Unternehmen, das Theater, das Orchester, die Galerie auch wirklich am Leben erhält. Theater sind keine Supermärkte, sagen dann einige gleich. Stimmt. Aber der Vergleich geht ja nur deshalb, weil niemand mehr ein Theater kennt, in dem nicht ständig um öffentliches Geld gebettelt wird. Das ist erbärmlich. Man muss die Idee aufgeben, dass man in einem Feld tätig ist, in dem Non-Profit eine größere Rolle spielt als Profit.
Übrigens widerspricht es auch allen Erfahrungen mit erfolgreicher Kunst, ganz gleich welcher Weltanschauung oder welcher Position. Es gibt Kunst, die vom Publikum angenommen wird, manchmal etwas schneller, manchmal etwas langsamer. Und es gibt diese Kunst, die es nicht schafft. Aber das ist das ganz normale Leben. Ich finde es etwas abgehoben, wenn Künstler und Kreative den Anspruch erheben, für die harten Jahre eine Sonderrolle gegenüber anderen schöpferischen Menschen zu bekommen. Wirtschaftsunternehmen sind auch schöpferisch tätig. Es wird zwangsläufig für den Künstler eine Phase geben, in der er ein Unternehmen für seine Kunst aufbaut. Wie man das dann nennt, ist zweitrangig, aber es ist eine unternehmerische, schöpferische Tätigkeit: Es bedarf des Einbringens der eigenen Person und natürlich auch des Eingehens von Risiken, auch wenn besonders Letzteres verhasst ist, weil es bedeutet, dass es den "Beamtenkünstler" zukünftig nicht mehr geben wird. Das ist etwas, das ich sehr begrüße, denn es wird eine bessere Kunst kreiert.
KMN: Sie sagen, dass man weg muss von dem Gedanken, dass Kultureinrichtungen reine Non-Profit-Organisationen sind. Was kann die Politik, und gerade die Kulturpolitik, für Bedingungen schaffen und in ihrer Kommunikation dieses Umdenken vermitteln?
Lotter: Kulturpolitik? Was soll das sein? Kulturpolitik hat in diesem Bereich absolut nichts zu suchen. Kulturpolitik, wie wir sie kennen, halte ich weitgehend für eine Pervertierung. Was ist denn das? Dass Politiker, die das Geld anderer Leute umverteilen, jeweils der Kunst den Vorzug geben, die ihnen in den Kram passt. Das führt genau zu dem Klüngel, den wir in Deutschland haben. Manche Kunst- und Kulturgruppen haben ja nichts mehr mit schöpferischer Arbeit zu tun, sondern sind Spendenverteilungsorganisationen, die gelegentlich bei Kanzlerwahlen in Erscheinung treten. Besonders krass war das in der Regierung Schröder - da waren bestimmte Staatskünstler ja energischer bei der Sache als Parteifunktionäre, das war ja geradezu lächerlich. Und warum? Weil sie dafür Geld kriegen, die Zusicherung einer Subvention, die Bevorzugung durch die Mächtigen. Solche Leute spielen Brecht. Es sind heute vorwiegend Staatskünstler, die sich für links halten, es aber nicht sind. Sie sind schlicht und ergreifend Claqueure der Macht, von denen es in jedem Regime immer reichlich gibt. Natürlich haben die was dagegen, wenn unternehmerisches, selbständiges Handeln eingefordert wird. Sie brauchen die Kulturpolitik, die nichts weiter ist als ein Machtinstrument für, nun ja, schlicht gestrickte Gemüter unter den Kunstschaffenden. Ein Künstler ist aber politisch, so wie ein Unternehmer politisch ist, dass heisst, er ist sich seiner Rolle bewusst und schafft sich seine eigenen Freiräume, die wiederum dafür sorgen, dass er im öffentlichen Raum wahrgenommen wird. Dass ist kreativ, das andere hingegen, ich sagte es schon, pervers.
KMN: Aber die meisten Kulturbetriebe sind ja subventioniert, eben von dieser staatlichen Seite.
Lotter: Leider.
KMN: Aber wie können Kultureinrichtungen ihren Besuchern vermitteln, dass es eben nicht "normal" ist, für wenig Geld z.B. in ein Konzert zu kommen? Dass man, wenn man eine gewisse Qualität möchte, dafür auch einen höheren Preis zahlen muss?
Lotter: Entschuldigen Sie: Wer will denn eigentlich preiswert ins Konzert? Sind das die Armen, die sozialen Randgruppen? Wenn die Berliner Philharmoniker für die Karte 1000 Euro nehmen würden, denken sie wirklich, in Marzahn und Neukölln käme es zum Volksaufstand? Oder meinen Sie, dass es tatsächlich soziale Unruhen geben würde, wenn man, nur zum Beispiel, Herrn Schlingensief die Subventionen streicht? Strömt das einfache Volk zu einem Stück von Elfriede Jelinek? Nicht doch. Nein. Publikum und Künstler sind auch als Klasse unter sich. Wir fördern wohlhabende Leute, indem wir Kultur subventionieren, weil da ein paar Politiker noch Bildungsideale im Kopf haben, die schon im 19. Jahrhundert nicht gestimmt haben. Und übrigens: Es gibt ja nicht den geringsten Grund, in einem Sprech- oder Musiktheater auch weiterhin eine Anzahl preiswerter, einfacher Plätze zu reservieren. Die echten Fans findet man, jeder Kulturmanager weiß das eigentlich, am Stehplatz. Aber die Erziehung und Tradition ist eine andere: Schon junge Leute am Theater werden zur Subvention erzogen. Sie denken gar nicht ernsthaft daran, etwas anderes zu versuchen, wenn die Staatsknete ausbleibt. Vor kurzem hatte ich so ein Erlebnis mit einem kleinen Theater, die mich für eine Veranstaltung zu meinem Buch "Verschwendung" überreden wollten. Der erste Satz war: Wir kriegen weniger Subvention, sie kriegen deshalb kein oder kaum ein Honorar. Darüber kann man reden, wenn man alles andere ausgeschöpft hat. Aber dass ist der Mechanismus, von dem ich rede: Es denkt keiner mehr in den Betrieben daran, etwas anderes zu versuchen. Subventionen machen faul und dumm. Das Bewusstsein: "Ich habe einen Rechtsanspruch darauf, gefördert zu werden, und wenn die Quelle versiegt, stellte ich jede Aktivität ein" muss einfach verschwinden. Diese Haltung schadet der Kunst, sie ist im übrigen auch asozial, weil man sich von Haus aus in die Nehmerrolle einfindet. Die anderen tragen das Risiko. Und an der Kunst merkt man das: abgehoben, abgeschottet, larmoyant, weltfremd, langweilig, zum Teil, dass kann man nicht verhehlen, stumpfsinnig und bis zum Totalitarismus verbohrt.
KMN: Kann man in den Kleinstszenen den Versuch spüren, diese Kreativwirtschaft auf einen neuen Weg zu bekommen, weg vom subventionierten Dasein?
Lotter: Einige wagen es, ja, gegen den Strom. Ich würde mich freuen, wenn es mehr Theater gäbe, von denen die Nachricht kommt, sie hätten keine Subventionen erhalten und auch keine gebraucht. Man kann natürlich ein Projekt wie ein Theater, das ja sehr kostenintensiv ist, nicht immer und auf Anhieb gewinnbringend führen. Aber das können sie auch bei einem Unternehmen nicht voraussetzen. Man muss Konzepte haben, man muss sich professionalisieren, man braucht einen langen Atem, man braucht Ziele. Falsch wäre es übrigens auch, den Staat durch Subventionierende Unternehmen zu ersetzen. Da ändert sich nichts. Der Masterplan heißt: Kunst muss sich rechnen. Ich bin immer sehr skeptisch, wenn ich sehe, dass große oder kleine Kulturprojekte, die früher einmal von der Kommune Geld bekommen haben, das heute von einer Bank oder ähnlichen Institutionen unter denselben Rahmenbedingungen empfangen. Das finde ich eigenartig. Wenn eine große deutsche Bank etwa, wie es gerade in Berlin passiert, die Aufführung eines Bert Brecht Stückes finanziert, hat das etwas Groteskes, und zwar nicht nur inhaltlich. Es zeigt uns, dass die handelnden Personen, wenn es um Geld geht, tatsächlich jede Art von Charakter und Einstellung zu der Sache verlieren. Wenn man diese Heuchelei erst einmal überwindet und in der Lage ist, ein Stück von Brecht gut und gehaltvoll im Interesse des Publikums zu machen, wenn wir diese Bedingungen haben und es eine konkurrenzfähige Kunst gibt, dann glaube ich, haben wir einen Schritt in die Richtung erreicht, wo wir hin müssen. Dann können wir von creative industries reden oder, was mir noch lieber wäre, von wirklich freier Kunst.
KMN: Es ist also so, dass die Kreativwirtschaft als solche im Augenblick noch gar nicht existiert.
Lotter: Nein, die gibt es noch nicht. Dass ist ein Konzept.
KMN: Eine letzte Frage. Wenn man sagt, diese Kulturwirtschaft hat Potenzial, sie kann eine potente Wirtschaft werden, was müssen Studenten und Absolventen beachten? Welche Ansprüche werden an sie gestellt? Was müssen sie mitbringen?
Lotter: So altmodisch das klingen mag: Eigenverantwortung. Eine Bereitschaft dazu, Dinge radikal verändern zu wollen. Es ist heute nicht schwierig, sich dem Kultur-Establishment anzuschließen. Es ist nicht in Ordnung, in diesen Chorgesang der Subventionen einzustimmen und zu meinen, das sei bereits politische oder künstlerische Arbeit. Es geht viel mehr darum, dass man einmal darüber nachdenkt, wie man die Dinge besser machen kann. Ich glaube, dann würde sich die Situation, dieser Schein verändern, dann würde auch dieses Abgehobensein beendet sein.
KMN: Sie sagen, dass man weg muss von dem Gedanken, dass Kultureinrichtungen reine Non-Profit-Organisationen sind. Was kann die Politik, und gerade die Kulturpolitik, für Bedingungen schaffen und in ihrer Kommunikation dieses Umdenken vermitteln?
Lotter: Kulturpolitik? Was soll das sein? Kulturpolitik hat in diesem Bereich absolut nichts zu suchen. Kulturpolitik, wie wir sie kennen, halte ich weitgehend für eine Pervertierung. Was ist denn das? Dass Politiker, die das Geld anderer Leute umverteilen, jeweils der Kunst den Vorzug geben, die ihnen in den Kram passt. Das führt genau zu dem Klüngel, den wir in Deutschland haben. Manche Kunst- und Kulturgruppen haben ja nichts mehr mit schöpferischer Arbeit zu tun, sondern sind Spendenverteilungsorganisationen, die gelegentlich bei Kanzlerwahlen in Erscheinung treten. Besonders krass war das in der Regierung Schröder - da waren bestimmte Staatskünstler ja energischer bei der Sache als Parteifunktionäre, das war ja geradezu lächerlich. Und warum? Weil sie dafür Geld kriegen, die Zusicherung einer Subvention, die Bevorzugung durch die Mächtigen. Solche Leute spielen Brecht. Es sind heute vorwiegend Staatskünstler, die sich für links halten, es aber nicht sind. Sie sind schlicht und ergreifend Claqueure der Macht, von denen es in jedem Regime immer reichlich gibt. Natürlich haben die was dagegen, wenn unternehmerisches, selbständiges Handeln eingefordert wird. Sie brauchen die Kulturpolitik, die nichts weiter ist als ein Machtinstrument für, nun ja, schlicht gestrickte Gemüter unter den Kunstschaffenden. Ein Künstler ist aber politisch, so wie ein Unternehmer politisch ist, dass heisst, er ist sich seiner Rolle bewusst und schafft sich seine eigenen Freiräume, die wiederum dafür sorgen, dass er im öffentlichen Raum wahrgenommen wird. Dass ist kreativ, das andere hingegen, ich sagte es schon, pervers.
KMN: Aber die meisten Kulturbetriebe sind ja subventioniert, eben von dieser staatlichen Seite.
Lotter: Leider.
KMN: Aber wie können Kultureinrichtungen ihren Besuchern vermitteln, dass es eben nicht "normal" ist, für wenig Geld z.B. in ein Konzert zu kommen? Dass man, wenn man eine gewisse Qualität möchte, dafür auch einen höheren Preis zahlen muss?
Lotter: Entschuldigen Sie: Wer will denn eigentlich preiswert ins Konzert? Sind das die Armen, die sozialen Randgruppen? Wenn die Berliner Philharmoniker für die Karte 1000 Euro nehmen würden, denken sie wirklich, in Marzahn und Neukölln käme es zum Volksaufstand? Oder meinen Sie, dass es tatsächlich soziale Unruhen geben würde, wenn man, nur zum Beispiel, Herrn Schlingensief die Subventionen streicht? Strömt das einfache Volk zu einem Stück von Elfriede Jelinek? Nicht doch. Nein. Publikum und Künstler sind auch als Klasse unter sich. Wir fördern wohlhabende Leute, indem wir Kultur subventionieren, weil da ein paar Politiker noch Bildungsideale im Kopf haben, die schon im 19. Jahrhundert nicht gestimmt haben. Und übrigens: Es gibt ja nicht den geringsten Grund, in einem Sprech- oder Musiktheater auch weiterhin eine Anzahl preiswerter, einfacher Plätze zu reservieren. Die echten Fans findet man, jeder Kulturmanager weiß das eigentlich, am Stehplatz. Aber die Erziehung und Tradition ist eine andere: Schon junge Leute am Theater werden zur Subvention erzogen. Sie denken gar nicht ernsthaft daran, etwas anderes zu versuchen, wenn die Staatsknete ausbleibt. Vor kurzem hatte ich so ein Erlebnis mit einem kleinen Theater, die mich für eine Veranstaltung zu meinem Buch "Verschwendung" überreden wollten. Der erste Satz war: Wir kriegen weniger Subvention, sie kriegen deshalb kein oder kaum ein Honorar. Darüber kann man reden, wenn man alles andere ausgeschöpft hat. Aber dass ist der Mechanismus, von dem ich rede: Es denkt keiner mehr in den Betrieben daran, etwas anderes zu versuchen. Subventionen machen faul und dumm. Das Bewusstsein: "Ich habe einen Rechtsanspruch darauf, gefördert zu werden, und wenn die Quelle versiegt, stellte ich jede Aktivität ein" muss einfach verschwinden. Diese Haltung schadet der Kunst, sie ist im übrigen auch asozial, weil man sich von Haus aus in die Nehmerrolle einfindet. Die anderen tragen das Risiko. Und an der Kunst merkt man das: abgehoben, abgeschottet, larmoyant, weltfremd, langweilig, zum Teil, dass kann man nicht verhehlen, stumpfsinnig und bis zum Totalitarismus verbohrt.
KMN: Kann man in den Kleinstszenen den Versuch spüren, diese Kreativwirtschaft auf einen neuen Weg zu bekommen, weg vom subventionierten Dasein?
Lotter: Einige wagen es, ja, gegen den Strom. Ich würde mich freuen, wenn es mehr Theater gäbe, von denen die Nachricht kommt, sie hätten keine Subventionen erhalten und auch keine gebraucht. Man kann natürlich ein Projekt wie ein Theater, das ja sehr kostenintensiv ist, nicht immer und auf Anhieb gewinnbringend führen. Aber das können sie auch bei einem Unternehmen nicht voraussetzen. Man muss Konzepte haben, man muss sich professionalisieren, man braucht einen langen Atem, man braucht Ziele. Falsch wäre es übrigens auch, den Staat durch Subventionierende Unternehmen zu ersetzen. Da ändert sich nichts. Der Masterplan heißt: Kunst muss sich rechnen. Ich bin immer sehr skeptisch, wenn ich sehe, dass große oder kleine Kulturprojekte, die früher einmal von der Kommune Geld bekommen haben, das heute von einer Bank oder ähnlichen Institutionen unter denselben Rahmenbedingungen empfangen. Das finde ich eigenartig. Wenn eine große deutsche Bank etwa, wie es gerade in Berlin passiert, die Aufführung eines Bert Brecht Stückes finanziert, hat das etwas Groteskes, und zwar nicht nur inhaltlich. Es zeigt uns, dass die handelnden Personen, wenn es um Geld geht, tatsächlich jede Art von Charakter und Einstellung zu der Sache verlieren. Wenn man diese Heuchelei erst einmal überwindet und in der Lage ist, ein Stück von Brecht gut und gehaltvoll im Interesse des Publikums zu machen, wenn wir diese Bedingungen haben und es eine konkurrenzfähige Kunst gibt, dann glaube ich, haben wir einen Schritt in die Richtung erreicht, wo wir hin müssen. Dann können wir von creative industries reden oder, was mir noch lieber wäre, von wirklich freier Kunst.
KMN: Es ist also so, dass die Kreativwirtschaft als solche im Augenblick noch gar nicht existiert.
Lotter: Nein, die gibt es noch nicht. Dass ist ein Konzept.
KMN: Eine letzte Frage. Wenn man sagt, diese Kulturwirtschaft hat Potenzial, sie kann eine potente Wirtschaft werden, was müssen Studenten und Absolventen beachten? Welche Ansprüche werden an sie gestellt? Was müssen sie mitbringen?
Lotter: So altmodisch das klingen mag: Eigenverantwortung. Eine Bereitschaft dazu, Dinge radikal verändern zu wollen. Es ist heute nicht schwierig, sich dem Kultur-Establishment anzuschließen. Es ist nicht in Ordnung, in diesen Chorgesang der Subventionen einzustimmen und zu meinen, das sei bereits politische oder künstlerische Arbeit. Es geht viel mehr darum, dass man einmal darüber nachdenkt, wie man die Dinge besser machen kann. Ich glaube, dann würde sich die Situation, dieser Schein verändern, dann würde auch dieses Abgehobensein beendet sein.
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