Intendanz am Theater
"Das Theatermachen und die Kunstproduktion ist ein prozesshaftes Arbeiten"
Interview mit Amelie Deuflhard, neue Intendantin der Kampnagel Theaterfabrik, Hamburg.
Tobias Werner: Frau Deuflhard, im Juni werden Sie in Hamburg das Programm Ihrer ersten Spielzeit als Intendantin der Kampnagel Theaterfabrik vorstellen. Was ist bis dahin für Sie und Ihr Team noch zu tun?
Amelie Deuflhard: Die Vorbereitung einer neuen Spielzeit verbunden mit einer neuen Intendanz ist sehr komplex. Einerseits geht es darum, einen Spielplan zusammenzustellen und perspektivisch darüber nachzudenken, was man mit einem Ort wie Kampnagel in Hamburg in den nächsten fünf Jahren machen möchte. Auf der anderen Seite gibt es die vielen organisatorischen Dinge, angefangen mit Überlegungen zu möglichen Veränderungen der organisatorischen Abläufe. Derzeit entwickeln wir noch das neue Corporate Design. Insgesamt stellen sich noch sehr viele Fragen, nicht zuletzt nach der Funktion einer so großen Kulturfabrik wie Kampnagel. Wir sind einerseits noch dabei, Teile der Fragen zu beantworten, aber gleichzeitig begeben wir uns auch auf eine Reise, die erst einmal auf fünf Jahre terminiert ist. Was für mich beruhigend ist, dass ich nicht alles, was ich gerne verändern oder neu machen möchte, innerhalb einer Spielzeit umsetzen muss. Ich finde, dass das Theatermachen und die Kunstproduktion ein prozesshaftes Arbeiten ist. Und genau diese Prozesse sind es, die mir auch Spaß machen. Ich glaube, das könnte eine aufregende Zeit werden.
TW: Wo liegen Ihre programmatischen Schwerpunkte für die nächsten Jahre?
AD: Es gibt eine ganz grundsätzliche Richtung, nämlich dass ich mit Künstlern zusammen arbeite und über all die Jahre immer sehr stark versucht habe, Künstler als Akteure und Partner in den Mittelpunkt meiner Arbeit zu stellen. Selbstverständlich gibt es auch Schwerpunkte, die wir auf mehrere Jahre anlegen. Schwerpunktthema heißt für uns der Beginn einer mehrjährigen Beschäftigung. Es geht mir nicht um Themenschwerpunkte, wie das gerne immer an Stadttheatern behauptet wird, es geht mir vor allem darum einen Ort zu schaffen, an dem wir uns auch mit Themen beschäftigen, die die gesamte Gesellschaft betreffen und nicht nur mit Kunstproduktion. Kampnagel ist ein Ort, an dem man über bestimmte Dinge nachdenken kann, an dem auch möglichst viele Kooperationen in andere gesellschaftliche Bereiche entstehen; angefangen von Communities vor Ort bis hin zu Wissenschaftszentren in der Stadt oder anderswo.
Einer der Schwerpunkte wird das Thema Kreative Stadt sein. Hamburg ist in der offiziellen Darstellung "wachsende Stadt". Dabei geht es vor allem um Bevölkerungszunahme, Handel, Wirtschaft, Neubauten. Kreative Stadt ist für Hamburg zunächst kein Schlagwort, eher Handelsstadt. Für mich kommt das Thema "Kreative Stadt" sehr gut mit meinem persönlichen Interesse zusammen: Wobei ich auch denke, dass Hamburg dringend diesen zweiten Schwerpunkt bräuchte. Ich glaube auch, dass ich nicht zuletzt deswegen nach Hamburg berufen wurde. Die Frage nach der kreativen Stadt wird in der Stadtentwicklung eine immer wichtigere Rolle spielen und nicht nur für die Kulturpolitik zu einem ganz wichtigen Imagefaktor. Für mich steht die künstlerische Arbeit mit der Stadt im Vordergrund, auch das Involvieren der Stadt in die künstlerische Arbeit.
Konkretisiert werden diese Überlegungen gleich zu Beginn in Form eines Kongresses, mit dem Arbeitstitel ParCitypation. Hier wird es einen Austausch zwischen Künstlern, Architekten und Wissenschaftlern geben, ein Nachdenken über Stadt und die Frage, was Kunst im Rahmen der Stadtentwicklung bedeuten kann. Der Kongress wird zugleich Auftakt sein für ein mehrteiliges Projekt, mit dem wir vor allem mit Künstlern aus dem Theater- und Performancebereich aber auch mit Architekten an der Schnittstelle von Architektur, Stadt, Performance und Theater zusammenarbeiten werden. Den Kongress veranstalten wir gemeinsam mit der Universität St. Gallen, einer der renommiertesten Wirtschaftuniversitäten Europas. Das finde ich gerade für Hamburg als Wirtschaftstandort interessant. Denn die Uni St. Gallen, die sich hauptsächlich für wirtschaftliche Phänomene interessiert, beschäftigt sich inzwischen verstärkt mit der Kultur und beobachtet, wie wir Kulturleute arbeiten.
Einen weiteren Schwerpunkt, mit dem wir uns über mehrere Jahre auseinandersetzen wollen, wird die Klimadiskussion darstellen. Da entstehen gerade unterschiedliche Projekte. Ich glaube, dass dies inzwischen ein so wichtiges Thema ist und dass es gut und sinnvoll ist, sich als Kulturschaffende, die immer auch eine kritische gesellschaftliche Instanz sein sollen und müssen, diesem Thema zuzuwenden.
Einen dritten Schwerpunkt bildet schließlich die Frage nach der kulturellen Bildung. Hier wollen wir uns damit beschäftigen, ob und wenn ja, wie mit künstlerischen Strategien und mit künstlerischem Nachdenken Anregungen gegeben werden können für andere Formen der Vermittlung in Schule oder im Elternhaus. Ich bin der Meinung, dass unser Schulsystem in den letzten 50 Jahren sich nur sehr wenig verändert hat und nur noch partiell mit den veränderten Anforderungen der Gesellschaft, aber auch mit dem veränderten Rezeptions- und Lernverhalten und einer abnehmenden Konzentration der Kinder zurecht kommt. Ich glaube, dass die Strategien, die wir aus dem Kunst- und Produktionsbetrieb kennen, in diesem Bereich durchaus anwendbar sind.
TW: In Berlin konnten Sie bei Ihrer Arbeit auf eine sehr lebendige freie Theaterszene zurückgreifen. Wie beurteilen Sie die Szene in Hamburg?
AD: Es gab in den letzen Jahren Abwanderungsbewegungen nach Berlin, dennoch besitzt Hamburg weiterhin eine große und interessante Szene in allen Sparten. Es gibt an der Theaterakademie einen sehr guten und renommierten Studiengang für Sprech- und Musiktheater mit talentiertem Nachwuchs, der schon lange eng mit Kampnagel kooperiert. Und auch die Tanzszene ist interessant, wenn sie auch im Vergleich zu Berlin sehr viel kleiner ist. Insofern würde ich sagen, dass Hamburg kulturell eine spannende Stadt ist, deren Szene nicht so groß ist wie in Berlin, was aber den Vorteil hat, dass man in Hamburg nicht ganz so hektisch arbeiten muss, sondern sehr viel reflektierter an bestimmte Themen rangehen kann. Aufgrund der Nähe zu Berlin wird es mit Sicherheit auch Kooperationen mit Berliner Künstler und Institutionen geben.
TW: In Berlin haben Sie mit Matthias Lilienthal vom Hebbel am Ufer einen starken Konkurrenten. Sind Sie in Hamburg nun allein auf weiter Flur?
AD: Die Konkurrenz mit Matthias Lilienthal bestand auf eine sehr freundschaftliche Art. Das Hebbel am Ufer ist größer als es die Sophiensaele in Berlin sind. Mit Kampnagel werde ich das größte Haus in dem Bereich leiten und durch die Größe des Hauses quasi Marktführer sein. Kampnagel hat eine lange Tradition und präsentiert seit 25 Jahren das so genannte "Avantgarde-Theater". Dabei ging es immer um die Suche nach neuen Formen, um die Zusammenarbeit mit Künstlern, die mit einer gewissen Radikalität nach neuen Formen und anderen Umsetzungen suchen. Es gab auf Kampnagel schon immer den Auftrag, Haus für die freie als auch für die internationale Szene zu sein. Es gab auch schon immer eine sehr kooperative Zusammenarbeit mit der Stadt, was ich in den nächsten Jahren deutlich ausbauen möchte. Hierfür möchte ich mit verschiedensten Organisationen Kooperationen aufbauen, von Universitäten über Hochschulen, Wissenschaftsinstitutionen, aber auch anderen Kulturinstitutionen. Die Fabrikhallen sind die besten Kunst-Produktions-Hallen im deutschsprachigen Raum. Wir haben enorm viel Platz und eine sehr gute technische Ausstattung. Der einzige Wermutstropfen ist, dass es sehr wenig Produktionsgeld in der Stadt gibt. Aber ich habe die Hoffnung, dass es uns weiterhin gelingt, Produktionsgelder zu generieren. In Hamburg gibt es zwar nicht diese vielen "gemütlichen" Fördertöpfe wie in Berlin, dafür in sehr viel stärkerem Maße die Möglichkeit einer Zusammenarbeit mit privaten Geldgebern, der Wirtschaft und mit Stiftungen. In Hamburg könnte es meiner Ansicht möglich sein, die Hälfte seiner künstlerischen Budgets über Privatgelder zu akquirieren. Da werde ich sehr offen und kooperativ auf potenzielle Geldgeber zugehen. Von solchen Kooperationen können tatsächlich auch beide Seiten stark profitieren.
TW: Sie sprachen von der Suche nach neuen Formen in künstlerischer Hinsicht. Wie sieht es mit der Förderung der Künstler und der Kunstszene aus? Bestünden nicht auch hier neue Möglichkeiten? Wie sieht in Ihren Augen eine sinnvolle Förderung aus?
AD: Man nutzt einfach alle Möglichkeiten, die da sind. Es gibt kommunales Geld und Geld vom Land. Das ist in Hamburg viel zu wenig: Für Theater und Tanz insgesamt 400.000 . Denn die Künstler müssen, was ich selbstverständlich finde, mit ihren Projekten auch Geld verdienen. In der Schweiz gibt es zum Beispiel inzwischen gesetzlich vorgeschriebene Mindestlöhne für Schauspieler und Tänzer. Wenn man die nicht zahlt, darf man keine Projekte machen. Aber gleichzeitig wissen auch die Geldgeber, dass bei einem Stück mit zehn Tänzern jeder der Tänzer eine bestimmte Summe erhält. Bei uns können wir nur davon träumen, dass Künstler so etwas wie fest vorgeschrieben Mindestlöhne erhalten.
In Hamburg ist so wenig Geld für Kultur da, dass man das Gefühl haben kann, dass die frei produzierenden Künstler nicht mehr als einem Hobby nachgehen. Das heißt, dass die Projekte, auch wenn sie größer sind, mit maximal 20.000 Euro gefördert werden. Die meisten versuchen dann wiederum, sich über Stiftungen oder Privatleute zu finanzieren. Manchmal funktioniert es, aber es ist eine noch viel mühsamere Geldakquise als in Berlin.
Ich finde es im Prinzip auch richtig, dass die Künstler ihre eigenen Produzenten sind, mit eigenen Produktionsmitteln arbeiten und sich so auf gleicher Augenhöhe mit den Intendanten und Festivalleitern befinden. Unser Einfluss ist eh schon erheblich und wenn wir dann noch das Geld verteilen würden, wäre er noch größer. Dennoch bräuchten die Häuser Geld, um Koproduktionen zu finanzieren. Koproduktionsetats haben sich in Deutschland allerdings nicht durchgesetzt. Es gibt bei uns nur wenige Häuser, das Hebbel am Ufer in Berlin und der Mousonturm in Frankfurt sind zwei Beispiele, die mit Koproduktionsetats arbeiten. Alle anderen haben das nicht. Es müsste von Seiten der Kommunen entsprechende Gelder geben, um insgesamt die Situation der Künstlergruppen zu verbessern und größere Künstlerbudgets aufstellen zu können. Was sich dann wieder darauf auswirken würde, dass sich Künstler ein Einkommen erwirtschaften können, von dem sie auch leben können. So etwas wie ein Mindestlohn für Darstellende Künstler, die im professionellen Bereich arbeiten, finde ich durchaus eine überlegenswerte Geschichte.
TW: Ihre Vorgängerin auf Kampnagel, Gordana Vnuk, sprach vor dem Hintergrund der Koproduktion von einem "Gesetz der Mittelmäßigkeit". Sehen Sie in dieser Form der Künstlerförderung eine Gefahr?
AD: Faktisch ist das so. Es gibt viele Überschneidungen auf den Festivals. Aber es gibt auch international nicht viele Künstler und Künstlergruppen, die große Hallen füllen. Gordana Vnuk ist damals angetreten mit dem Gedanken: "Zerschlagt die Netzwerke!" Das heißt, sie wollte die Partnerschaften zerschlagen, die sich, und das würde ich auch sagen, als sehr unflexibel etabliert hatten. Es gab immer ein paar Häuser, die sich zu einem Ring zusammengeschlossen haben. Jeder durfte einen Künstler reingeben und jeder dieser Künstler oder Künstlergruppen durfte durch diese Häuser touren und danach waren diese bekannt. Diese Art von Netzwerken finde ich genauso langweilig wie Gordana Vnuk. Allerdings wurde ihr Statement damals falsch verstanden. Es ging nicht darum, Kampnagel zu isolieren. Das wäre auch der absolut falsche Gedanke.
Ich definiere Kampnagel viel mehr aus einem Plattformgedanken mit vielfältigen Kontakten in verschiedene Richtungen. Meine Netzwerke gingen noch nie um Häuser. Ich baue immer schon Netze um Künstlergruppen herum. Das heißt, ich versuche, jede Künstlergruppe mit passenden Partnern zu verbünden, so dass die Partner nicht zeigen, was gerade rein kommt, sondern, was sie interessant finden. Das ist praktisch das, was ich als Produzentin mache. Dadurch entsteht ebenfalls ein sehr großes und weit verzweigtes Netzwerk, aber auf eine andere Art. Ein Netzwerk darf nichts Festes sein. Was Gordana zerschlagen wollte, und womit sie auch Recht hatte, war etwas Starres. Die Frage, wollen wir Netzwerke zerschlagen, wäre genauso unsinnig, wie gegen die Globalisierung zu sein. Wir können nicht gegen die Globalisierung sein. Wir leben in einer globalisierten Welt. Aber wir können sehr wohl überlegen, was da schlecht läuft und was wir besser machen können.
TW: Worauf freuen Sie sich besonders in Hamburg?
AD: Worauf ich mich tatsächlich am meisten freue, ist, in meinem Kopf neu zu sortieren, was ich in den letzten Jahren gemacht habe, ein Nachdenken über Verbindungen von Projekten, die bisher sehr organisch entstanden sind. Das Gelände bietet die Möglichkeit, Dinge, die ich im Volkspalast und in den Sophiensaelen gemacht habe zu bündeln und auch da wieder neu zu sortieren. Natürlich macht es mir auch Spaß, in Hamburg auch international, auf einem anderen Level, Programm machen zu dürfen. Das ist ein neues Abenteuer.
TW: Frau Deuflhard, wir bedanken uns ganz herzlich für das Gespräch!
Amelie Deuflhard: Die Vorbereitung einer neuen Spielzeit verbunden mit einer neuen Intendanz ist sehr komplex. Einerseits geht es darum, einen Spielplan zusammenzustellen und perspektivisch darüber nachzudenken, was man mit einem Ort wie Kampnagel in Hamburg in den nächsten fünf Jahren machen möchte. Auf der anderen Seite gibt es die vielen organisatorischen Dinge, angefangen mit Überlegungen zu möglichen Veränderungen der organisatorischen Abläufe. Derzeit entwickeln wir noch das neue Corporate Design. Insgesamt stellen sich noch sehr viele Fragen, nicht zuletzt nach der Funktion einer so großen Kulturfabrik wie Kampnagel. Wir sind einerseits noch dabei, Teile der Fragen zu beantworten, aber gleichzeitig begeben wir uns auch auf eine Reise, die erst einmal auf fünf Jahre terminiert ist. Was für mich beruhigend ist, dass ich nicht alles, was ich gerne verändern oder neu machen möchte, innerhalb einer Spielzeit umsetzen muss. Ich finde, dass das Theatermachen und die Kunstproduktion ein prozesshaftes Arbeiten ist. Und genau diese Prozesse sind es, die mir auch Spaß machen. Ich glaube, das könnte eine aufregende Zeit werden.
TW: Wo liegen Ihre programmatischen Schwerpunkte für die nächsten Jahre?
AD: Es gibt eine ganz grundsätzliche Richtung, nämlich dass ich mit Künstlern zusammen arbeite und über all die Jahre immer sehr stark versucht habe, Künstler als Akteure und Partner in den Mittelpunkt meiner Arbeit zu stellen. Selbstverständlich gibt es auch Schwerpunkte, die wir auf mehrere Jahre anlegen. Schwerpunktthema heißt für uns der Beginn einer mehrjährigen Beschäftigung. Es geht mir nicht um Themenschwerpunkte, wie das gerne immer an Stadttheatern behauptet wird, es geht mir vor allem darum einen Ort zu schaffen, an dem wir uns auch mit Themen beschäftigen, die die gesamte Gesellschaft betreffen und nicht nur mit Kunstproduktion. Kampnagel ist ein Ort, an dem man über bestimmte Dinge nachdenken kann, an dem auch möglichst viele Kooperationen in andere gesellschaftliche Bereiche entstehen; angefangen von Communities vor Ort bis hin zu Wissenschaftszentren in der Stadt oder anderswo.
Einer der Schwerpunkte wird das Thema Kreative Stadt sein. Hamburg ist in der offiziellen Darstellung "wachsende Stadt". Dabei geht es vor allem um Bevölkerungszunahme, Handel, Wirtschaft, Neubauten. Kreative Stadt ist für Hamburg zunächst kein Schlagwort, eher Handelsstadt. Für mich kommt das Thema "Kreative Stadt" sehr gut mit meinem persönlichen Interesse zusammen: Wobei ich auch denke, dass Hamburg dringend diesen zweiten Schwerpunkt bräuchte. Ich glaube auch, dass ich nicht zuletzt deswegen nach Hamburg berufen wurde. Die Frage nach der kreativen Stadt wird in der Stadtentwicklung eine immer wichtigere Rolle spielen und nicht nur für die Kulturpolitik zu einem ganz wichtigen Imagefaktor. Für mich steht die künstlerische Arbeit mit der Stadt im Vordergrund, auch das Involvieren der Stadt in die künstlerische Arbeit.
Konkretisiert werden diese Überlegungen gleich zu Beginn in Form eines Kongresses, mit dem Arbeitstitel ParCitypation. Hier wird es einen Austausch zwischen Künstlern, Architekten und Wissenschaftlern geben, ein Nachdenken über Stadt und die Frage, was Kunst im Rahmen der Stadtentwicklung bedeuten kann. Der Kongress wird zugleich Auftakt sein für ein mehrteiliges Projekt, mit dem wir vor allem mit Künstlern aus dem Theater- und Performancebereich aber auch mit Architekten an der Schnittstelle von Architektur, Stadt, Performance und Theater zusammenarbeiten werden. Den Kongress veranstalten wir gemeinsam mit der Universität St. Gallen, einer der renommiertesten Wirtschaftuniversitäten Europas. Das finde ich gerade für Hamburg als Wirtschaftstandort interessant. Denn die Uni St. Gallen, die sich hauptsächlich für wirtschaftliche Phänomene interessiert, beschäftigt sich inzwischen verstärkt mit der Kultur und beobachtet, wie wir Kulturleute arbeiten.
Einen weiteren Schwerpunkt, mit dem wir uns über mehrere Jahre auseinandersetzen wollen, wird die Klimadiskussion darstellen. Da entstehen gerade unterschiedliche Projekte. Ich glaube, dass dies inzwischen ein so wichtiges Thema ist und dass es gut und sinnvoll ist, sich als Kulturschaffende, die immer auch eine kritische gesellschaftliche Instanz sein sollen und müssen, diesem Thema zuzuwenden.
Einen dritten Schwerpunkt bildet schließlich die Frage nach der kulturellen Bildung. Hier wollen wir uns damit beschäftigen, ob und wenn ja, wie mit künstlerischen Strategien und mit künstlerischem Nachdenken Anregungen gegeben werden können für andere Formen der Vermittlung in Schule oder im Elternhaus. Ich bin der Meinung, dass unser Schulsystem in den letzten 50 Jahren sich nur sehr wenig verändert hat und nur noch partiell mit den veränderten Anforderungen der Gesellschaft, aber auch mit dem veränderten Rezeptions- und Lernverhalten und einer abnehmenden Konzentration der Kinder zurecht kommt. Ich glaube, dass die Strategien, die wir aus dem Kunst- und Produktionsbetrieb kennen, in diesem Bereich durchaus anwendbar sind.
TW: In Berlin konnten Sie bei Ihrer Arbeit auf eine sehr lebendige freie Theaterszene zurückgreifen. Wie beurteilen Sie die Szene in Hamburg?
AD: Es gab in den letzen Jahren Abwanderungsbewegungen nach Berlin, dennoch besitzt Hamburg weiterhin eine große und interessante Szene in allen Sparten. Es gibt an der Theaterakademie einen sehr guten und renommierten Studiengang für Sprech- und Musiktheater mit talentiertem Nachwuchs, der schon lange eng mit Kampnagel kooperiert. Und auch die Tanzszene ist interessant, wenn sie auch im Vergleich zu Berlin sehr viel kleiner ist. Insofern würde ich sagen, dass Hamburg kulturell eine spannende Stadt ist, deren Szene nicht so groß ist wie in Berlin, was aber den Vorteil hat, dass man in Hamburg nicht ganz so hektisch arbeiten muss, sondern sehr viel reflektierter an bestimmte Themen rangehen kann. Aufgrund der Nähe zu Berlin wird es mit Sicherheit auch Kooperationen mit Berliner Künstler und Institutionen geben.
TW: In Berlin haben Sie mit Matthias Lilienthal vom Hebbel am Ufer einen starken Konkurrenten. Sind Sie in Hamburg nun allein auf weiter Flur?
AD: Die Konkurrenz mit Matthias Lilienthal bestand auf eine sehr freundschaftliche Art. Das Hebbel am Ufer ist größer als es die Sophiensaele in Berlin sind. Mit Kampnagel werde ich das größte Haus in dem Bereich leiten und durch die Größe des Hauses quasi Marktführer sein. Kampnagel hat eine lange Tradition und präsentiert seit 25 Jahren das so genannte "Avantgarde-Theater". Dabei ging es immer um die Suche nach neuen Formen, um die Zusammenarbeit mit Künstlern, die mit einer gewissen Radikalität nach neuen Formen und anderen Umsetzungen suchen. Es gab auf Kampnagel schon immer den Auftrag, Haus für die freie als auch für die internationale Szene zu sein. Es gab auch schon immer eine sehr kooperative Zusammenarbeit mit der Stadt, was ich in den nächsten Jahren deutlich ausbauen möchte. Hierfür möchte ich mit verschiedensten Organisationen Kooperationen aufbauen, von Universitäten über Hochschulen, Wissenschaftsinstitutionen, aber auch anderen Kulturinstitutionen. Die Fabrikhallen sind die besten Kunst-Produktions-Hallen im deutschsprachigen Raum. Wir haben enorm viel Platz und eine sehr gute technische Ausstattung. Der einzige Wermutstropfen ist, dass es sehr wenig Produktionsgeld in der Stadt gibt. Aber ich habe die Hoffnung, dass es uns weiterhin gelingt, Produktionsgelder zu generieren. In Hamburg gibt es zwar nicht diese vielen "gemütlichen" Fördertöpfe wie in Berlin, dafür in sehr viel stärkerem Maße die Möglichkeit einer Zusammenarbeit mit privaten Geldgebern, der Wirtschaft und mit Stiftungen. In Hamburg könnte es meiner Ansicht möglich sein, die Hälfte seiner künstlerischen Budgets über Privatgelder zu akquirieren. Da werde ich sehr offen und kooperativ auf potenzielle Geldgeber zugehen. Von solchen Kooperationen können tatsächlich auch beide Seiten stark profitieren.
TW: Sie sprachen von der Suche nach neuen Formen in künstlerischer Hinsicht. Wie sieht es mit der Förderung der Künstler und der Kunstszene aus? Bestünden nicht auch hier neue Möglichkeiten? Wie sieht in Ihren Augen eine sinnvolle Förderung aus?
AD: Man nutzt einfach alle Möglichkeiten, die da sind. Es gibt kommunales Geld und Geld vom Land. Das ist in Hamburg viel zu wenig: Für Theater und Tanz insgesamt 400.000 . Denn die Künstler müssen, was ich selbstverständlich finde, mit ihren Projekten auch Geld verdienen. In der Schweiz gibt es zum Beispiel inzwischen gesetzlich vorgeschriebene Mindestlöhne für Schauspieler und Tänzer. Wenn man die nicht zahlt, darf man keine Projekte machen. Aber gleichzeitig wissen auch die Geldgeber, dass bei einem Stück mit zehn Tänzern jeder der Tänzer eine bestimmte Summe erhält. Bei uns können wir nur davon träumen, dass Künstler so etwas wie fest vorgeschrieben Mindestlöhne erhalten.
In Hamburg ist so wenig Geld für Kultur da, dass man das Gefühl haben kann, dass die frei produzierenden Künstler nicht mehr als einem Hobby nachgehen. Das heißt, dass die Projekte, auch wenn sie größer sind, mit maximal 20.000 Euro gefördert werden. Die meisten versuchen dann wiederum, sich über Stiftungen oder Privatleute zu finanzieren. Manchmal funktioniert es, aber es ist eine noch viel mühsamere Geldakquise als in Berlin.
Ich finde es im Prinzip auch richtig, dass die Künstler ihre eigenen Produzenten sind, mit eigenen Produktionsmitteln arbeiten und sich so auf gleicher Augenhöhe mit den Intendanten und Festivalleitern befinden. Unser Einfluss ist eh schon erheblich und wenn wir dann noch das Geld verteilen würden, wäre er noch größer. Dennoch bräuchten die Häuser Geld, um Koproduktionen zu finanzieren. Koproduktionsetats haben sich in Deutschland allerdings nicht durchgesetzt. Es gibt bei uns nur wenige Häuser, das Hebbel am Ufer in Berlin und der Mousonturm in Frankfurt sind zwei Beispiele, die mit Koproduktionsetats arbeiten. Alle anderen haben das nicht. Es müsste von Seiten der Kommunen entsprechende Gelder geben, um insgesamt die Situation der Künstlergruppen zu verbessern und größere Künstlerbudgets aufstellen zu können. Was sich dann wieder darauf auswirken würde, dass sich Künstler ein Einkommen erwirtschaften können, von dem sie auch leben können. So etwas wie ein Mindestlohn für Darstellende Künstler, die im professionellen Bereich arbeiten, finde ich durchaus eine überlegenswerte Geschichte.
TW: Ihre Vorgängerin auf Kampnagel, Gordana Vnuk, sprach vor dem Hintergrund der Koproduktion von einem "Gesetz der Mittelmäßigkeit". Sehen Sie in dieser Form der Künstlerförderung eine Gefahr?
AD: Faktisch ist das so. Es gibt viele Überschneidungen auf den Festivals. Aber es gibt auch international nicht viele Künstler und Künstlergruppen, die große Hallen füllen. Gordana Vnuk ist damals angetreten mit dem Gedanken: "Zerschlagt die Netzwerke!" Das heißt, sie wollte die Partnerschaften zerschlagen, die sich, und das würde ich auch sagen, als sehr unflexibel etabliert hatten. Es gab immer ein paar Häuser, die sich zu einem Ring zusammengeschlossen haben. Jeder durfte einen Künstler reingeben und jeder dieser Künstler oder Künstlergruppen durfte durch diese Häuser touren und danach waren diese bekannt. Diese Art von Netzwerken finde ich genauso langweilig wie Gordana Vnuk. Allerdings wurde ihr Statement damals falsch verstanden. Es ging nicht darum, Kampnagel zu isolieren. Das wäre auch der absolut falsche Gedanke.
Ich definiere Kampnagel viel mehr aus einem Plattformgedanken mit vielfältigen Kontakten in verschiedene Richtungen. Meine Netzwerke gingen noch nie um Häuser. Ich baue immer schon Netze um Künstlergruppen herum. Das heißt, ich versuche, jede Künstlergruppe mit passenden Partnern zu verbünden, so dass die Partner nicht zeigen, was gerade rein kommt, sondern, was sie interessant finden. Das ist praktisch das, was ich als Produzentin mache. Dadurch entsteht ebenfalls ein sehr großes und weit verzweigtes Netzwerk, aber auf eine andere Art. Ein Netzwerk darf nichts Festes sein. Was Gordana zerschlagen wollte, und womit sie auch Recht hatte, war etwas Starres. Die Frage, wollen wir Netzwerke zerschlagen, wäre genauso unsinnig, wie gegen die Globalisierung zu sein. Wir können nicht gegen die Globalisierung sein. Wir leben in einer globalisierten Welt. Aber wir können sehr wohl überlegen, was da schlecht läuft und was wir besser machen können.
TW: Worauf freuen Sie sich besonders in Hamburg?
AD: Worauf ich mich tatsächlich am meisten freue, ist, in meinem Kopf neu zu sortieren, was ich in den letzten Jahren gemacht habe, ein Nachdenken über Verbindungen von Projekten, die bisher sehr organisch entstanden sind. Das Gelände bietet die Möglichkeit, Dinge, die ich im Volkspalast und in den Sophiensaelen gemacht habe zu bündeln und auch da wieder neu zu sortieren. Natürlich macht es mir auch Spaß, in Hamburg auch international, auf einem anderen Level, Programm machen zu dürfen. Das ist ein neues Abenteuer.
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