16.12.2020

Autor*in

Julia Jakob
studierte Musikwissenschaft und Kulturmanagement in Weimar. Praktische Erfahrungen im Kulturbetrieb sammelte sie bei unterschiedlichen Festivals und in verschiedenen Veranstaltungsbüros sowie als Agentin bei weim|art e. V. Seit 2021 ist sie die Chefredakteurin des Kultur Management Network Magazins und stellvertretende Leiterin der Redaktion.
Jahresrückblick 2020

War was?

So richtig golden sind die 2020er Jahre nicht gestartet - und das nicht nur pandemiebedingt. An welchen Stellen es für das Kulturmanagement zu Beginn dieses Jahrzehnts noch Verbesserungspotenzial gibt und welche Lichtblicke es in diesem Krisenjahr gab, reflektieren wir in unserem Jahresrückblick.
Corona, Corona, Corona, Corona

Wer bei dieser Zwischenüberschrift immer noch als erstes an die mexikanische Biermarke denkt, ist ein entweder echter Glückspils (hihi - "ba dum ts") - oder hat ein kleines Problem. Spaß beiseite. Sie als Kulturschaffende wissen nur zu gut, welchen Schaden die Pandemie für den Kulturbetrieb mit sich gebracht hat. Entsprechend haben wir ab Mitte März auch in unserem redaktionellen Schaffen ziemlich rotiert und eine Themenreihe zu Corona ins Leben gerufen. Sie umfasst deutlich mehr Beiträge und Themen, als wir im Jahresrückblick vorstellen können, also schauen Sie mal rein.

Lockdown 1.0

Von Mitte März bis in den Frühsommer stand der komplette Kulturbetrieb still, wobei auf einmal dieses "Schtrieming" in aller Munde war und das Internet fast explodieren ließ. Einige Kulturbereiche haben wir direkt dazu befragt, analysiert und Möglichkeiten aufgezeigt, beispielsweise für die Darstellenden Künste, den Museumsbereich und den Buchmarkt. Besonders beeindruckend war die Schnelligkeit und Souveränität, mit der die ersten Veranstalter*innen aller Kulturbereiche ihr Krisenmanagement angegangen sind - das es für solche Fälle bis dahin nirgends gab. Die in unserer Reihe vorgestellten Beispiele beweisen zudem, welch enormer Kraftaufwand das ist und wie professionell eingespielte Teams in Krisenzeiten arbeiten und mit ein bisschen Kreativität kurzfristig digitale Angebote entwickeln können.

Nachdem der erste Schock überwunden war, wollten wir Chancen der Krise für den Kulturbereich aufzeigen - denn die Vogel-Strauß-Taktik bringt niemandem etwas. Und Hand aufs Herz: Krisen sind dem Kulturbetrieb eigentlich nicht neu, so die Kernerkenntnis unseres April-Magazins. Anstatt in Panik und Selbstmitleid zu verfallen, plädierte Martin Juhls deshalb dafür, "die aktuelle Ruhephase (zu) nutzen, um mit klarer Struktur und neuer Motivation in die nächste Spielzeit oder das nächste Projekt zu starten". Und Frank Romeike ermutigte Kulturschaffende dazu, aus den ersten Monaten der Pandemie Lerneffekte abzuleiten - beide Aussagen möchten wir Ihnen auch jetzt wieder ans Herz legen.

Was die Einschnitte und Umstellungen für Kulturpolitik und -verwaltung bedeuten, erklärte Tobias J. Knoblich, während unsere internationale Plattform einen Blick auf die weltweiten Folgen warf.

Neben der Schließung für Besucher*innen stellte die überfällige Umstellung aufs Homeoffice die meisten Einrichtungen und Unternehmen vor eine weitere Hürde. Warum Vertrauen dabei besser ist als Kontrolle und wie man sich dieses Mindset aneignen kann, erklärte unser Geschäftsführer Dirk Schütz.
Langsame Wiederöffnung

Nachdem #flattenthecurve gelungen war, Christian Drosten zum prominentesten Wissenschaftler des Jahres wurde und "Fest und Flauschig" fast täglich auf Sendung ging, gab es auch für den Kulturbetrieb allmählich wieder grünes Licht. Warum hierbei (auch 2021) die Sicherheitskommunikation an die Stelle der Krisenkommunikation rücken muss, machte Leah Hamilton in einer Ausgabe unseres Online-Seminars Treffpunkt Kulturmanagement deutlich. Dabei war schnell klar: Für die kulturelle Infrastruktur wird das ein schmerzhafter Neubeginn. Dass die Betonung dabei auf NEU liegen muss und der Kulturbetrieb auch nach überstandener Pandemie nicht wieder in alte Muster verfallen darf, machten die Autor*innen unseres Juni-Magazins deutlich. Denn: Die Coronakrise habe die Strukturkrise des Kulturbereichs verdeutlicht und verstärkt, die Dieter Haselbach und Pius Knüsel schon vor Jahren im Kulturinfarkt und nun erneut attestierten - schon damals und auch jetzt eine unbeliebte, aber notwendige Diagnose.  

Für die Kulturschaffenden bedeutete die Wiederöffnung auch, Chancen zu nutzen, kreative Lösungswege und Formate zu entwickeln. Trotz aller Frustration hörten Kulturakteur*innen nicht einfach auf, kreativ zu sein - zum Glück: Viele von ihnen nutzten die Zwangspause für neue Ideen. So machten uns die Sommermonate zeitweise fast Glauben, das Schlimmste sei vorbei…

Lockdown 2.0

Wir wurden Ende Oktober allerdings eines Besseren belehrt. Der Streaming-Hype scheint etwas abgeebbt zu sein, wenngleich der alljährliche Tagungsmarathon im Herbst ins Digitale verlegt wurde. Ein bisschen überfordert von all den digitalen Veranstaltungen im November und Dezember, konnten wir so zumindest Medienpartner von drei Konferenzen sein: Die Most Wanted: Music 2020, die Heidelberg Music Conference und der KulturInvest!-Kongress haben neue Kongressformen erprobt und gezeigt, dass digital keine abgespeckte Version des Analogen sein muss.

Mit diesem zweiten Stillstand - für den bisher kein sicheres Ende in Sicht ist - wird erneut deutlich, wie fragil Kultur als Lebensgrundlage ist. So war es zu Beginn des ersten Lockdowns noch irgendwie verständlich, dass Hilfspakete für die einzelnen Akteur*innen Zeit brauchten. Die damit verbundenen Forderungen nach mehr Solidarität, die unter anderem der Thüringer Theaterverband insbesondere für die freie Szene bereits im April formulierte, wurden in Form verschiedener Kampagnen verwirklicht. Aber wie kann es sein, dass wir Monate später immer noch darüber reden müssen, dass es mehr als nur Lippenbekenntnisse braucht, um insbesondere den Freischaffenden und (Solo-)Selbstständigen aus ihrer prekären Lage zu helfen?

Strukturkrisen

Die Bewältigung der Coronakrise ist für den Kulturbetrieb absolut relevant. Das darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es hier schon zuvor genügend Baustellen gab - friendly reminder an unseren Jahresrückblick 2019. In diesem Jahr sind dabei noch weitere hinzugekommen oder Bestehende noch deutlicher geworden.

Einige davon sind in erster Linie gesellschaftlicher Natur. Denn wenngleich wir alle zur Eindämmung der Pandemie zu einem Distant Socialising angehalten sein sollten, wurde vom Recht der Versammlungsfreiheit selten derart Gebrauch gemacht, wie in diesem Jahr. Dabei dürfen wir über den Missstand, der damit einhergeht, nicht länger hinwegsehen: Unsere Gesellschaft spaltet sich weiter und ein sehr lautstarker, gewaltbereiter Teil driftet dabei immer mehr nach rechts und/oder glaubt und verbreitet entsprechende Verschwörungsmythen. Während sich der Kulturbetrieb in den letzten Jahren diesem Thema verstärkt annahm, blieb er - verloren in den eigenen Problemen - 2020 weitgehend stumm. Ein entsprechendes Beben blieb aus.

Umso heftiger fiel die aus den USA herübergeschwappte #blacklivesmatter-Bewegung aus. Das Problem daran: Solche extremen Formen rassistischer Handlungen, die sich zunehmend auch in Deutschland zeigen, sind nur die Spitze dieser gesellschaftlichen Krise. Rassistisches Denken und Handeln beginnt viel früher und ist tief verwurzelt in unserem System. Für den Kulturbetrieb bedeutet das:

1. Wir alle sind Teil dieser Gesellschaft und entsprechend müssen wir alle uns der damit verbundenen Verantwortung und unserer eigenen Privilegien bewusst werden und bereit sein, etwas gegen Ungleichheit und Ungerechtigkeit zu tun. Also auch als Kulturschaffende, denn der Kulturbetrieb spiegelt weder inhaltlich noch in Bezug auf Personal die Diversität unserer Gesellschaft wider.
2. Die Einrichtungen müssen sich nicht nur nicht-rassistisch, sondern anti-rassistisch positionieren und ihre eigenen Strukturen, Denkweisen und Vorurteile in Frage stellen, wie Beth Ponte in ihrem Beitrag auf unserem internationalen Arts Management Network plädiert. Es geht darum, Verantwortung zu übernehmen. Dabei sind vor allem Künstler*innen verschiedener Sparten bereit, diese Verantwortung zu tragen und ihre Reichweite entsprechend zu nutzen. Ihr damit verbundenes Engagement und ihre Beteiligung an Kampagnen wie #leavenoonebehind, um auch in diesem Jahr auf die humanitäre Krise an den Grenzen Europas und insbesondere Moria aufmerksam zu machen, sind absolut lobenswert!

Wenn der öffentliche Kulturbetrieb also - wie aktuell so oft behauptet - wirklich systemrelevant sein will, müssen wir uns alle auch diesen Problemen annehmen. Denn für Systemrelevanz reicht es nicht, Angebote für ein primär weißes, wohlhabendes Publikum zu schaffen, während sich die anderen 80 bis 90 Prozent der Bevölkerung ihre Kultur schlicht woanders holen. Auch hier hilft ein Blick auf den internationalen Kulturbereich, der mit Angeboten aufwartet, die viel stärker und partizipativer an lokalen Communities ausgerichtet sind. Wie sehr das im deutschsprachigen Raum mitunter fehlt, wurde in diesem Jahr umso deutlicher, denn außer den Häusern und ihren typischen Besucher*innen rief kaum jemand nach einer schnellen Öffnung der öffentlichen Kultureinrichtungen (ausgenommen die Bibliotheken), während Festivals oder (Pop-)Konzerte innig vermisst wurden. Mit Spotify, Büchern und vor allem Netflix waren die meisten Menschen kulturell gut versorgt, zumal die Streaming-Anbieter mit immer mehr künstlerisch anspruchsvollen und gesellschaftskritischen Formaten aufwarten. Was fehlte, war vor allem das soziale Miteinander, und das ist nicht nur im Rahmen von Kulturbesuchen möglich. Im Gegenteil sorgten die Forderungen der öffentlichen Kultureinrichtungen sogar für Unmut, denn angesichts von deren sicheren Stellen einerseits und völlig überarbeiteten Personals beispielsweise in Gesundheitseinrichtungen und -ämtern andererseits von Systemrelevanz zu sprechen, konnte durchaus weltfremd und egoistisch erscheinen.

Zudem müssen die Einrichtungen ihre internen strukturellen Probleme lösen: Führungskräfte missbrauchen regelmäßig ihre Macht und erzeugen dadurch ein Klima der Angst. Wie dringend hier ein Handlungsbedarf besteht, machten in diesem Jahr insbesondere die Skandale um das Badische Staatstheater in Karlsruhe deutlich (einen wichtigen Akteur der damit verbundenen Aufklärungsarbeit können Sie immer noch unterstützen). Angesichts der Ergebnisse der bereits im letzten Jahr erschienen Studie "Macht und Struktur im Theater" der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt a. M. und desensemble-netzwerks unter der Leitung von Thomas Schmidt sind diese Ereignisse umso betrüblicher. Dieses Problem betrifft aber nicht nur die Theaterlandschaft, auch in vielen anderen und primär öffentlichen Kultureinrichtungen zählen die Menschen eher wenig, wie der Umgang mit freien und befristeten Mitarbeiter*innen in diesem Jahr gezeigt hat.

Und sonst so?

Neben all diesen Krisen konnten wir auch positive Entwicklungen beobachten: So war die Pandemie ein Beschleuniger der Digitalisierung. "Digitale Formate" standen für dieses Jahr ohnehin auf unserem Redaktionsplan. Unsere zugehörige Reihe ist entsprechend facettenreich geworden. Doch wenn digitale Angebote langfristig Bestand haben sollen, müssen sie monetarisiert werden. Ein Blick über den deutschsprachigen Tellerrand kann dabei aufschlussreich sein, wie die 135. Ausgabe unseres internationalen Journals Arts Management Quarterly zeigt. Dabei, die digitale Strategie Ihrer Häuser entsprechend umzusetzen, helfen Ihnen unsere Einsteigerleitfäden zu "Instagram", "Podcasts" und "YouTube" - weitere zu digitalen Themen folgen 2021. Einige Tipps und Tricks finden Sie zudem in den Aufzeichnungen unserer KM Treffs aus diesem Jahr.

Zudem kann positiv hervorgehoben werden, dass die Beschäftigung mit Nachhaltigkeit im Kulturbereich in diesem Jahr zugenommen hat, wenn sie auch noch ausbaufähig ist und längst überfällig war. Kleiner Ausblick: Anfang des Jahres starten wir dazu eine eigene Reihe. Zudem nehmen wir mit dem Schwerpunkt unseres Februar-Magazins den ökologischen Fußabdruck und die Klimaschädlichkeit des Kulturbetriebs genauer unter die Lupe. Wenn Sie über alle Entwicklungen dazu direkt informiert werden wollen, abonnieren Sie gern unseren Newsletter und damit auch das Magazin, unseren Telegram-Kanal (auf dem es ausschließlich faktenbasiertes Wissen gibt) und folgen Sie uns auf Facebook, Twitter und Instagram, wenn Sie das bisher noch nicht machen.

Ansonsten freuen wir uns immer über Anregungen zu aktuellen Trends und Entwicklungen im Kulturmanagement, die wir behandeln sollen. Schreiben Sie uns gern an redaktion (at) kulturmanagement.net. Wir freuen uns auf den Austausch mit unseren Leser*innen - auch in den Kommentaren!

Nun wünscht Ihnen das gesamte Team von Kultur Management Network aber erst einmal eine wohlverdiente Weihnachtspause und einen guten Rutsch in ein hoffentlich erfolg- und kulturreicheres Jahr 2021. Bleiben Sie gesund und seien Sie lieb zueinander.

Unterstützungsabos


Mit unseren Unterstützungsabos unterstützen Sie unsere Redaktion mit einem festen Betrag pro Monat – und damit alle unsere kostenfreien Inhalte, also unser Magazin, unseren Podcast, die Beiträge und die Informationen zu Büchern, Veranstaltungen oder Studiengängen auf unserer Website. 

5€-Unterstützungsabo Redaktion

Mit diesem Abo unterstützen Sie unsere Redaktion mit 5€ im Monat. Das Abonnement ist jederzeit über Ihren eigenen Account kündbar.

Preis: 5,00 EUR / 1 Monat(e)*

15€-Unterstützungsabo Redaktion

Mit diesem Abo unterstützen Sie unsere Redaktion mit 15€ im Monat. Das Abonnement ist jederzeit über Ihren eigenen Account kündbar.

Preis: 15,00 EUR / 1 Monat(e)*

25€-Unterstützungsabo Redaktion

Mit diesem Abo unterstützen Sie unsere Redaktion mit 25€ im Monat. Das Abonnement ist jederzeit über Ihren eigenen Account kündbar.

Preis: 25,00 EUR / 1 Monat(e)*
* Alle Preise sind inkl. der gesetzl. Mehrwertsteuer, zzgl. evtl. anfallenden Gebühren
Kommentare (0)
Zu diesem Beitrag sind noch keine Kommentare vorhanden.

Unterstützungsabos

Mit einem Unterstützungsabo unterstützen Sie die kostenfreien Inhalte unserer Redaktion mit einem festen Betrag pro Monat – also unser Magazin, unseren Podcast, die Beiträge und die Informationen zu Büchern, Veranstaltungen oder Studiengängen auf unserer Website. 

5€-Unterstützungsabo Redaktion

Mit diesem Abo unterstützen Sie unsere Redaktion mit 5€ im Monat. Das Abonnement ist jederzeit über Ihren eigenen Account kündbar.

Preis: 5,00 EUR / 1 Monat(e)*

15€-Unterstützungsabo Redaktion

25€-Unterstützungsabo Redaktion

* Alle Preise sind inkl. der gesetzl. Mehrwertsteuer, zzgl. evtl. anfallenden Gebühren
Cookie-Einstellungen
Wir setzen auf unserer Website Cookies ein. Einige von ihnen sind notwendig (z.B. für den Stellenmarkt), während andere uns helfen, unsere Angebote (Redaktion, Magazin) zu verbessern und wirtschaftlich zu betreiben. Einige Angebote können nur genutzt werden, wenn Cookies gesetzt wurden.
Sie können die nicht notwendigen Cookies akzeptieren oder per Klick auf die graue Schaltfläche ablehnen. Nähere Hinweise erhalten Sie in unserer Datenschutzerklärung.
Ich akzeptiere
nur notwendige Cookies akzeptieren
Impressum/Kontakt | AGB