27.12.2013

Autor*in

Gudrun Euler
Gudrun Euler ist studierte Musikerin mit pädagogischem und künstlerischem Hintergrund sowie Kulturmanagerin mit langjähriger, auch internationaler Erfahrung in Führungspositionen im Konzert- und Orchestermanagement. Sie ist als Mediatorin, Beraterin und Coach für Unternehmensentwicklung und Dozentin im Kultur- und Medienmanagement tätig. In ihrer Dissertation bringt sie zwei noch junge Forschungsfelder zusammen, das Kultur- und das Konfliktmanagement.
Rückblick Tagung Deutscher Orchestertag 2013

Gesundheitsthemen in Zeiten großer Orchesterprobleme - Bericht vom Deutschen Orchestertag 2013 in Berlin

Der Titel des diesjährigen Deutschen Orchestertages, dem Branchentreffen deutschsprachiger Orchestermanager/innen, mutet zunächst befremdlich an, wenn aktuell immer wieder von Kürzungen, Kündigungen, Budgetproblemen und sogar von drohenden Orchesterschließungen berichtet wird. Wie wichtig aber gerade die Themen Gesundheit, Gesundheitsvorsorge und -fürsorge in so schwierigen Zeiten sind, wurde in den verschiedenen Vorträgen und Workshops immer wieder deutlich. Unter dem Titel Man lebt nur einmal. Gesundheit für alle wurden Erfahrungen aus verschiedenen Bereichen der Wirtschaft vorgetragen: beispielsweise Medizinische Perspektiven für Manager und Musiker von Frau Prof. Dr. Claudia Spahn, der Leiterin des Freiburger Instituts für Musikermedizin (FIM), neue Entwicklungen im betrieblichen Gesundheitsmanagement durch den Leiter des Gesundheitsmanagements der Deutschen Bahn, Dr. Christian Gravert, und die Zusammenhänge und Wechselwirkungen zwischen körperlichem, geistigem und sozialem Wohlergehen, veranschaulicht von Nicole Pathé vom Bonner Institut für Persönlichkeitsentwicklung und Personalberatung pingcom.
Nach der Begrüßung durch Anselm Rose, geschäftsführender Gesellschafter der Deutscher Orchestertag GmbH, startete Frau Prof. Dr. Spahn mit ihrem Vortrag zum Thema: Wollen wir nicht alle gesund sein? Medizinische Perspektiven für Manager und Musiker. Sie richtete ihren Blickwinkel nicht nur auf Musiker, sondern auch auf Manager und stellt die gemeinsamen Ideale heraus: die Förderung und der Erhalt der klassischen Musikkultur fördert auch den Gesundheitsaspekt.
Innerhalb des von ihr vorgestellten systemischen Anforderungs- und Ressourcenmodells wird eine Balance zwischen externen Anforderungen und eigenen Ressourcen angestrebt, dazu kommt das individuelle Verhalten. Betrachtet man die gesundheitsrelevanten Bedürfnisbereiche, sind viele Parallelen bei Musikern und Managern vorhanden, beispielsweise die physiologischen Bedürfnisse wie Ergonomie, Erholungspausen und Bewegungsangebote sowie die Speisenangebote, das Bedürfnis nach Orientierung, Sicherheit und Partizipation, Vermeidung von Monotonie, Gelegenheit zum Informationsaustausch. Auch die Bedürfnisse nach Wertschätzung, Bindung und gutem Betriebsklima, vertrauensvoller Zusammenarbeit, Anerkennung erbrachter Leistungen und guter Bezahlung wollen befriedigt werden, damit Probleme so gering wie möglich gehalten werden. Bezogen auf die Position des Orchestermanagers wünscht Spahn mehr Kommunikation zwischen Orchestermitgliedern und -managern sowie mit Intendant und Generalmusikdirektor, aber auch einen Ausbau von Netzwerken mit Hochschulen, Deutschem Bühnenverein (DBV) und Deutscher Orchestervereinigung (DOV). Bei der Einstellung neuer Orchestermitglieder verwies sie auf bereits in einzelnen Fällen praktizierte Modelle, bei denen nicht nur die künstlerische Kompetenz eine Rolle spielt, sondern auch Faktoren wie Sozial- und Kommunikationskompetenz sowie das Wissen über betriebliche Abläufe. Bei Konzertmeister-Ausschreibungen spielt zunehmend das Thema Personalverantwortung eine Rolle, denn für diese Führungspositionen innerhalb des Orchesters sind die meisten Bewerber nicht ausgebildet.
In der anschließenden Diskussion im Plenum war das Thema befristete Verträge im Management versus unbefristete Verträge der Musikerinnen und Musiker sehr wichtig, denn die von Frau Spahn vorgetragenen Faktoren sind in diesem Ungleichgewicht nur schwer umsetzbar und bieten kaum Möglichkeit, die gewünschte Balance im Arbeitsalltag zu verwirklichen. Hier ist viel Strukturierungsbedarf vorhanden.
 
Ein praktisches Beispiel zur Umsetzung stellte Dr. Gravert in seinem Vortrag Neue Entwicklungen im Betrieblichen Gesundheitsmanagement vor. Er ist Arzt und seit 10 Jahren Leiter des Gesundheitsmanagements der Deutschen Bahn. Gerade dieses fachfremde Beispiel zeigte mögliche Wege für den Umgang mit Gesundheit in Orchestern und Theatern. Die Rahmenbedingungen, die Verankerung in der Betriebsstruktur und in den Verträgen der Mitarbeiter/innen zeigen einen Weg, wie mit alters- und gesundheitsbedingten Entwicklungen innerhalb eines Unternehmens umgegangen werden kann. Auch die Veränderung hin zur Multigrafie verändert den Umgang mit Mitarbeitern. Leistungsfähigkeit ist auch im Alter möglich, wenn die Art der Tätigkeit, die Qualifikation, der Gesundheitszustand, Motivation und Arbeitsgestaltung bzw. -umfeld stimmen. Um das zu erreichen, hat die Deutsche Bahn Programme entwickelt und setzt regelmäßig Perspektivgespräche an, um nachzusteuern. Beeindruckend ist auch die unbefristete Beschäftigungssicherung nach 2 Jahren sowie Programme zur Inklusion behinderter Menschen nach der UN-Behindertenrechtskommission. Für das Programm CLARA (Clever und Aktiv in Richtung Alter) wird fachliche Beratung durch das Institut für Gerontologie an der Uni Heidelberg in Anspruch genommen.
 
Nicole Pathé holte die Teilnehmer des Deutschen Orchestertages wieder in die Thematik ihrer eigenen Verantwortung. Mit ihrem Vortrag Gesundheit steckt an zeigte sie, dass jeder selbst dafür sorgt, dass er sich wohl fühlt, egal ob Energieräuber oder Energielieferanten, Stress- oder Wohlfühlzonen den Tagesablauf bestimmen. Nicole Pathé optimierte Tagesabläufe, Arbeitsabläufe, Arbeitszeit und gab Tipps für den Feierabend. Und wenn andere von der positiven Ausstrahlung angesteckt werden, wenn Anerkennung auch ausgesprochen wird, dann fühlen wir uns nicht nur selbst wohl, sondern tragen auch zum Wohlbefinden anderer bei.
 
Nach diesen sehr unterschiedlichen Aspekten des Gesundheitsthemas lernten die Teilnehmer unter Anleitung von Eva Heßling, Biologin, Heilpraktikerin und Dozentin für Gesundheit und Kommunikation, Übungen kennen, die im Arbeitsalltag angewendet werden können, um das Thema Gesundheitsvorsorge aktiv umzusetzen.
 
Der zweite Tag begann mit einem Bericht von Rolf Bolwin, dem Geschäftsführenden Direktor des Deutschen Bühnenvereins über Die Tarifsituation der Orchester nach dem BAG-Urteil. Seit dem 25. September 2013 gibt es ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts zu einem heftig umstrittenen Punkt bei den Tarifverhandlungen, der automatischen Anpassung der Gehälter des Tarifvertrages für Kulturorchester (TVK) bei Lohnerhöhungen im öffentlichen Dienst. Problematisch ist eine automatisierte Anpassung durch unterschiedliche Zuständigkeiten, denn der Tarifvertrag für die deutschen Kulturorchester ist ein Flächentarifvertrag, der bundesweit zwischen den beiden Tarifvertragsparteien, der Deutschen Orchestervereinigung (DOV) und dem Deutschen Bühnenverein (DBV), verhandelt wird, während die Gehälter im öffentlichen Dienst auf Länderebene festgelegt werden. Bolwin ist erfreut darüber, dass das BAG-Urteil die Meinung des DBV bestätigt und die Gehälter der Musiker/innen deutscher Kulturorchester analog den Steigerungen im öffentlichen Dienst angepasst werden und damit der Flächentarifvertrag erhalten bleibt. Es ist offen, ob die Zulagen ebenfalls Steigerungen unterliegen. Derzeit verhandeln DBV und DOV über die Nachzahlungen für die seit einigen Jahren eingefrorenen Tarifsteigerungen, damit die Umsetzung bei allen Orchestern bis zum 28. Februar 2014 stattfinden kann, egal, ob sie dem TVÖD oder dem TVL unterliegen. Während der für beide Seiten eingeräumten Widerspruchsfrist besteht Friedenspflicht, sodass bis 30. September 2014 keine Warnstreiks durchgeführt werden dürfen. Eine Streikmöglichkeit besteht erst danach, falls keine Einigung erzielt wird und nur bei den Orchestern, bei denen keine Lösung gefunden wurde. Bolwin rechnet damit, dass einige Orchester Haustarifverträge mit Lohnverzicht abschließen müssen wegen fehlender Budgets bzw. fehlender Rücklagen für die Nachzahlungen.
Ein weiteres Thema in Bolwins Bericht zur aktuellen Situation im Theater- und Orchestermanagement war das Immaterielle Kulturerbe und die Möglichkeit, alle deutschen Orchester und Theater auf die Unesco-Liste zu bringen. Damit sich nicht alle einzeln für die Liste vorschlagen, rät der Bühnenverein der Kultusministerkonferenz, die Vielfalt der Ausdrucksformen der deutschen Theater und Orchester als immaterielles Kulturerbe vorzuschlagen. Er verfolgt damit das Ziel politischer Verpflichtungen, damit sich die Politik nicht aus der Verantwortung zieht und sich für alle Theater und Orchester einsetzt.
 
Im weiteren Verlauf des 2. Tages des Deutschen Orchestertages gab es zwei Blöcke mit verschiedenen Workshops zum Thema Gesundheit und Beruf, u.a.:
 
  • Work-Life-Balance: Stressmanagement als Führungsaufgabe mit Claudia Kunze, Berlin
  • Gesundheit für alle! Gesundheitsmanagement im Kulturbetrieb mit Frank Fiedler, Hamburg, Motio Verbund GmbH
  • Fit for leading! Warum auch Sie Sich um Ihre Gesundheit kümmern sollten! mit Dr. Ralf Lindschulten (Sportwissenschaftler), Hannover
Insgesamt waren es bereichernde Anregungen hochkarätiger Referenten zur breit aufgestellten Thematik Gesundheit, die alle Orchestermanager/innen sowohl für die Mitarbeiter als auch für sich selbst in ihren Arbeitsalltag mitnehmen konnten. Leider war die Zahl der Teilnehmer des 11. Deutschen Orchestertages geringer als in den Vorjahren. Macht sich hier die immer schwierigere Situation einiger Orchester bemerkbar oder war die vielfältige Bedeutung des Themas nicht für alle klar?
 

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