19.04.2010
Zentrum für Kulturmanagement, ZHAW
Autor*in
Diana Betzler
forscht und unterrichtet an verschiedenen Hochschulen und Universitäten in den Bereichen Kulturmanagement, Kulturpolitik und Philanthropie. Regelmäßig ist sie als Gutachterin und Evaluatorin von kulturellen Programmen und Kulturpolitiken tätig.
Rückblick Jubiläumstagung des Forum Kultur und Ökonomie 2010
Kunst macht glücklich. Über Rechtfertigungsstrategien für Kulturförderung
Rückblick Jubiläumstagung des Forum Kultur und Ökonomie
18./19.März 2010, Luzern.
Ein Beitrag von Diana Betzler, Projektleiterin und Dozentin am Zentrum für Kulturmanagement der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, Winterthur
Zum zehnjährigen Bestehen hat das Forum Kultur und Ökonomie am 18. und 19. März 2010 nach Luzern zu Vorträgen und Diskussionen über Rechtfertigungsstrategien für die Förderung von Kunst und Kultur geladen. Dieser Einladung sind zahlreiche private und öffentliche Kulturförderer aus der deutsch- und französischsprachigen Schweiz gefolgt; mit den zirka 180 Anwesenden waren rund 2 Mrd. Fördermittel im ausgebuchten Veranstaltungssaal repräsentiert.
Die Argumente zur Legitimation der Kulturförderung werden immer mehr von normativen Werten anderer sozialer Systeme wie Wirtschaft, Soziales und Bildung geprägt und vereinnahmt: Kunst und Kultur generieren einen Return on Investment, stärken den sozialen Zusammenhalt, schaffen neue Erkenntnisse. Das Forum diskutiert die Auswirkungen dieser Entwicklung und bringt dabei die Werteebene, die aus der Kunst selbst erwächst, wieder ins Spiel: Macht Kunst glücklich?
Prof. Dr. Gerhard Schulze, Universität Bamberg, Deutschland, sucht in seinem Referat Geld für Kunst. Skizzen zu einer Rede an den Steuerzahler den verdrossenen, kulturfernen, Kulturpolitik-skeptischen Steuerzahler als Richter für die Rechtfertigung von Kunst- und Kulturförderung an. Dabei führt er alternativ zur rationalistisch-ökonomischen Bewertung das Glück als soziale Wertekategorie ein, die neue Argumente für die Legitimation von Kultur liefern soll. Er geht von der Prämisse aus, dass in der fortgeschrittenen Moderne das Streben nach Glück und Lebenssinn ein Bedürfnis eines jeden Einzelnen darstelle. Glücksgewinn sei demnach auch ein wichtiges Entscheidungskriterium für den Steuerzahler. Schulze unterscheidet zwischen zwei Glücksdimensionen: Glück 1, übersetzt mit fortuna, fortune, good luck, chance, betrifft die äusseren Umstände, die Bedingungen, wie beispielsweise die Existenz eines Opernhauses. Glück 2, auch mit felicitas, happiness, felicity und bliss übersetzt, betrifft das Innenleben; die künstlerische Darbietung, deren Wirkung nicht so leicht in Worte zu fassen ist. Auf Glück 2 komme es heute immer mehr an. Und gerade das sei schwer zu kommunizieren. Der Mensch sucht das Glück mit zweierlei Handlungsrationalitäten zu schaffen: Erstens, durch die Form der Erlebnisrationalität: Um subjektive Ziele im Sinne von Glück 2 zu erreichen, setzen Menschen situative Mittel ein wie: Konzerte, Urlaubsorte, Konsumgüter. Das Glücksprojekt wird direkt angegangen. Zweitens durch die Form der Selbsttranszendenz: Menschen kontaktieren die Aussenwelt durch Begegnung, Berührt-Werden, Kontaktaufnahme mit etwas anderem, um ihr Innenleben zu mobilisieren. Gerade die Glückssuche durch Selbsttranszendenz nehme heute immer mehr zu.
Jedoch wie bewertet der murrende, kulturaphobe Steuerzahler nun die Qualität von Kultur? Zitat Schulze: Alles, was zur Sphäre von Glück 2 gehört, entzieht sich ab einem gewissen Niveau einer intersubjektiv verbindlichen Qualitätsbestimmung. Hier sieht Schulze ein Argumentationsloch klaffen, das unbedingt überbrückt werden müsse und nicht ausgeklammert werden dürfe. Die Handlungsform der Selbsttranszendenz könne beispielsweise durch die drei Kategorien erkunden, bewohnen und mitspielen differenziert werden.
Schussendlich; dem Steuerzahler dem Kultur völlig gleichgültig ist, könnten noch folgende Argumente hinzugefügt werden: Erstens: Jeder Staatsbürger trägt Lasten von Fremden, profitiert aber wiederum von den Zahlungen anderer, die selbst nichts davon haben (der metaphysische Schadensausgleich nach Thomas Pychon). Zweitens: Kollektivgüter müssen gepflegt werden. Es existiert ein ausgeprägtes europäisches kollektives Gefühl für den Wert des öffentlichen Raumes. Und drittens: Nur Kunst vermag das menschliche Potential zu steigern und damit früher oder später auch Desinteressierte zu erfassen. -----Überhaupt: Wenn alles nichts helfe, schliesst Gerhard Schulze mit einem Augenzwinkern, so bliebe immer noch das Argument, dass es auch einem völlig kunstabgewandten Menschen in einem kultivierten Milieu besser ginge er also glücklicher sei - als in einem barbarischen.
Dr. Eleonora Belfiore, Assistenzprofessorin am Zentrum für kulturpolitische Studien der Universität Warwick, England, berichtet in ihrem Referat Über die Zweckdienlichkeit hinaus: Eine Kritik der politischen Instrumentalisierung der Kultur über Ihre Erkenntnisse bei der Erforschung der stark instrumentalisierten britischen Kulturförderpolitik:
Aufgrund der vermeintlichen Krise des Wohlfahrtsstaates, verbunden mit einer Kürzung von Finanzmitteln und aufgrund der Schwierigkeit der Begründung von Kulturförderentscheidungen im Zusammenhang mit einem zunehmend postmodernen Kulturverständnis, verfolgte die britische Kulturförderung eine Strategie der politischen Anbindung (Gray 2002) der Anbindung an ökonomische und soziale Agenden. Damit einhergehend wurden zunehmend rationalistisch-ökonomische Evaluationsmethoden eingesetzt. Aus der Strategie der Anbindung entstand in Folge eine paradoxe Situation: Kultur wird nur gefördert, wenn sie in Zahlen und Fakten ausgedrückt wird, doch gleichzeitig besteht unter den Entscheidern Zweifel an der methodischen Nachweisbarkeit von kultureller Evidenz. Die Kultur hilft sich in dieser Situation selbst mit pragmatischer Schönrechnerei. Belfiore zitiert hierzu den ehemaligen britischen Kulturminister Smith, der nach seiner Amtszeit schilderte, wie er die Bedürfnisse der Entscheider offensiv mit Zahlen und Fakten befriedigte, um für mehr Gelder zu werben; im Wissen, dass diese Daten nicht die ganze Geschichte erzählen und zum Verständnis des wahren Werts von Kunst und Kulturausreichen. Infolge werden die negativen Auswirkungen der Kulturförderung systematisch ausgeblendet.
Belfiore konstatiert dennoch einen Erfolg in der Legitimation von Kultur durch Instrumentalisierung, denn sie ermögliche die Anbindung an andere Politikbereiche und erschliesse dadurch zusätzliche Ressourcen. Neuere Versuche, die intrinsischen Werte der Kultur wieder ins Spiel zu bringen, seien letztlich gescheitert und führten lediglich zu einer Herausbildung der Dichotomie instrumentelle versus intrinsische Werte der Kultur. Diese Diskussion biete keinen alternativen Ansatz für Legitimierung von Kultur, sondern mache lediglich den Mangel an entsprechenden Wirkungsmechanismen evident. Belfiore sieht eine Schwierigkeit, den Wert von Kunst und Kultur so auszudrücken und zu operationalisieren, dass er als Richtschnur für die Politikgestaltung verwendet werden könne.
Zum weiteren Voranbringen der stockenden Diskussion empfiehlt Belfiore erstens, zu einer realistischeren Einschätzung der evidenzbasierten Politikgestaltung zu gelangen, und sich des ideologischen Charakters der Politikgestaltung bewusst zu werden. Zweitens müsse Akzeptanz darüber erwachsen, dass in der politisch-ideologischen Diskussion über die Funktion von Kunst und Kultur in der Gesellschaft nicht immer ein politischer Konsens erzielt werden könne. Belfiore weist in diesem Zusammenhang auf ihre historischen Untersuchungen hin, die zeigen, dass die Debatten um Instrumentalisierung und den Wert der Kultur bereits Jahrtausende alt sind. Drittens fordert Belfiore mehr Offenheit und Ehrlichkeit in der politischen Arena und damit die Möglichkeit, auch negative Auswirkungen von Kultur zu diskutieren. ----- Kunst könne eben nicht immer nur glücklich machen.
Michael Söndermann, Büro für Kulturwirtschaft, Köln, formuliert in seinem Referat Argumente, zu mehr Geld zu kommen acht Thesen zur Verteidigung des Begriffes Kultur- und Kreativwirtschaft: Erstens: Die drei Sektoren öffentliche Hand, Zivilgesellschaft und Kulturwirtschaft können ohne einander nicht existieren. Zweitens: Es ist unabdingbar, dass der Begriff Kultur fest im Verständnis der Kultur- und Kreativwirtschaft verankert ist. Drittens: Es braucht eine Kulturwirtschaftspolitik, die hilft, die Kultur- und Kreativwirtschaft regional zu verankern. Viertens: Die Künstler-, Kultur- und Kreativberufe müssen gefördert werden. Fünftens: Der öffentliche und der private Kultursektor müssen klar voneinander getrennt betrachtet werden. Sechstens: Auch in der Kultur- und Kreativwirtschaft entstehen hochwertige Kulturgüter, die von der Kulturförderung wahrgenommen werden müssen. Siebtens: Die Kultur- und Kreativwirtschaft kann nur in einem Tandem aus Kultur- und Wirtschaftspolitik befördert werden. Und achtens: Die Förderung muss an die kleinen Selbständigen und Freelancer herankommen, denn sie tragen in Zukunft die Kultur- und Kreativwirtschaft. ----- Nicht nur die öffentliche Kulturförderung muss sich legitimieren. Auch die Kultur- und Kreativwirtschaft, denn sie ist ein Teil des gesamten Kultursektors.
Dr. Pierre Keller, Direktor der kantonalen Kunsthochschule Lausanne, ECAL, hebt in seinem Referat Reflexionen eines Praktikers, anhand zahlreicher, überzeugend schöner, künstlerisch hochwertiger Beispiele das Innovationspotential hervor, das eine enge Zusammenarbeit mit der Wirtschaft im künstlerischen Produktionsprozess im Bereich des Designs freisetzt: Möbelproduzenten, Keramik- und Sportartikelhersteller produzieren und verkaufen Sondereditionen der jungen Designkünstler und die Kunsthochschule Lausanne organisiert Ausstellungen der in Kooperation hergestellten Produkte ---- Kunst macht glücklich, auch mit weniger öffentlicher Förderung.
Corinna Carduff, Zürcher Hochschule der Künste, betont in ihrem Referat Wozu Kunst? Zur Funktion und Förderung der Künste heute die Rückkehr der genuinen Funktion von Kunst: ihre Wirkung auf die Sinne. Postmoderne Utopisten sprechen von der Auflösung der Kunst in einer kulturalisierten Welt. Heute erkennbare Auflösungserscheinungen sind die Hybridisierung von Genres und Disziplinen, die Durchlässigkeit von high und low Culture, ein Verschwinden der klassischen Kunstkritik, die Auflösung des traditionellen Künstlerbildes. Beobachtbar ist auch das Zurücktreten der Kunst als Gegenpol und Kritiker der Gesellschaft, denn Kunst sieht sich heute immer mehr als Teil der Gesellschaft selbst. Heute setzt sich die Kunst wieder mehr mit ihrer Wirkung auf die Sinne auseinander. Kunst ist gestaltete Wahrnehmung und wirkt bewusstseinserweiternd, intensivierend, wahrnehmungsverändernd. Kunst kann ästhetisch gewonnene Erkenntnisse evozieren, die sich intuitiv und emotional manifestieren, aber auch reflektiv, begrifflich, sprachlich. Sie schärft Wahrnehmungs- und Erkenntnisfähigkeit. ----- Die Legitimation von Kunst ergibt sich aus der Kunst selbst; nur sie evoziert eine derartige Wirkung auf die Sinne.
Adrienne Goehler, ehem. Senatorin für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Berlin, betont mit ihrem Referat Künstler prägen die gesellschaftliche und ökonomische Realität von morgen die gesellschaftliche Relevanz des künstlerischen Tuns. Die Politik scheint diese Wirkung in Zeiten der Wirtschafts- und Finanzkrise zu übersehen. Kunst kann aber helfen, in einer Situation, in der die Strukturen klassischer Erwerbsarbeit nicht mehr greifen, neue Handlungsfelder und Handlungskonzepte zu eröffnen: Die Fähigkeit, immer wieder anzufangen, zu experimentieren, auszuprobieren, zu verwerfen, Ambivalenzen auszuhalten, kompetitiv, selbstbestimmt, wechselhaft, projektorientiert, im Netzwerk und in Kombination von Eigenarbeit und bezahlter Arbeit, sind Arbeits- und Denkweisen, von denen andere Handlungsfelder lernen können. Für die Förderpolitik wünscht sich Adrienne Goehler ein Weniger an kurzfristiger, projektorientierter Förderung, mehr Förderung von Kunst an Schulen, mehr Förderung von künstlerischer Arbeit im sozialen Raum, die Förderung neuer gesellschaftlicher Allianzen, mehr Fokus auf Nachhaltigkeit und Ökologie und mehr grenzüberschreitende Kulturförderung. ---- Kunst kann mehr als glücklich machen, sie kann die gesellschaftlichen Verhältnisse verbessern.
Stéphanie Vanhooydonck, Bundesamt für Statistik (BFS), präsentiert in ihrem Referat Was die Leute wirklich wollen die erste Studie über das Kulturverhalten in der Schweiz seit 20 Jahren. Erfasst wurden die Besuche von kulturellen Einrichtungen und die kulturellen Aktivitäten als Amateur. Vgl. http://www.bfs.admin.ch ---- Diese Studie kann der Kulturförderung als Legitimationsgrundlage für einzelne Schwerpunktsetzungen und für die Legitimierung der Kulturförderung als Ganzes dienen oder auch schaden?
Jean-Frédéric Jauslin, Direktor des Bundesamt für Kultur (BAK) blickt auf ein reges und im Internationalen Vergleich grosszügig gefördertes Kulturleben und formuliert in seinem Referat Eine Plattform für die Kultur die Vision einer koordinierten Kulturförderung in der Schweiz. Eine nationale Kulturkonferenz könnte unter Einbezug aller drei Politikebenen Gemeinden und Städte, Kantone, und Bund, zukünftig gemeinsam neue Impulse für die Schweizerische Kulturszene setzen, innovative Projekte ebenenübergreifend organisieren und neue Kulturförderschwerpunkte setzen. Eine verbesserte Koordination zwischen den drei Politikebenen soll zu einem noch effektiveren Einsatz der bestehenden Mittel verhelfen. ---- Ein weiterer Legitimationsbedarf ist in seinem Vortrag nicht explizit fomuliert.
Philip Ursprung, Kunsthistoriker und Professor an der Universität Zürich, verweist in seinem Referat Kairos, der günstige Augenblick (wer zu spät kommt, den bestraft das Leben), auf die dynamischen Aspekte und die Bedeutung des timings in der Geschichte der Kunst und Kulturpolitik. Glückszustände werden erreicht durch das Zusammenspiel verschiedenster Akteure zum richtigen Zeitpunkt. Eine glückliche Kunstpolitik, eine glückliche Kunst und glückliche Menschen hängen untrennbar miteinander zusammen. Ursprung zeigt am Werk des Performancekünstlers Alan Kapprow, wie Kunst mit dem Leben in Verbindung gesetzt wird und er erzählt dabei die persönliche Geschichte, wie künstlerische Interventionen Kapprows bei ihm selbst Augenblicke des Glücks erschuf. --- Eine wichtige Voraussetzung für die Entstehung von Glückmomenten ist, der Kunst den Rücken freizuhalten, sie nicht zu stören und ihr Raum zu geben.
In zahlreichen Workshops diskutierten die Teilnehmenden angeregt mit den Referenten und Referentinnen. Fast schient es, sie seien sich einig, dass der Wert der Kunst wieder stärker als Legitimationsargument für Kulturförderung in den Fokus gerückt werden sollte. Das organisationale Feld der Kulturförderung hat sich also geeinigt; Legitimation braucht aber die Verständigung des Kulturfördersystems mit seiner Umwelt. Es bleibt zu wünschen übrig, dass die Politik, die Wirtschaft, der Steuerzahler und Bürger und konsequenterweise auch der Künstler selbst den von der Kulturförderung formulierten Glücksfaktor Kunst verstehen, verteidigen und internalisieren werden.
Die Argumente zur Legitimation der Kulturförderung werden immer mehr von normativen Werten anderer sozialer Systeme wie Wirtschaft, Soziales und Bildung geprägt und vereinnahmt: Kunst und Kultur generieren einen Return on Investment, stärken den sozialen Zusammenhalt, schaffen neue Erkenntnisse. Das Forum diskutiert die Auswirkungen dieser Entwicklung und bringt dabei die Werteebene, die aus der Kunst selbst erwächst, wieder ins Spiel: Macht Kunst glücklich?
Prof. Dr. Gerhard Schulze, Universität Bamberg, Deutschland, sucht in seinem Referat Geld für Kunst. Skizzen zu einer Rede an den Steuerzahler den verdrossenen, kulturfernen, Kulturpolitik-skeptischen Steuerzahler als Richter für die Rechtfertigung von Kunst- und Kulturförderung an. Dabei führt er alternativ zur rationalistisch-ökonomischen Bewertung das Glück als soziale Wertekategorie ein, die neue Argumente für die Legitimation von Kultur liefern soll. Er geht von der Prämisse aus, dass in der fortgeschrittenen Moderne das Streben nach Glück und Lebenssinn ein Bedürfnis eines jeden Einzelnen darstelle. Glücksgewinn sei demnach auch ein wichtiges Entscheidungskriterium für den Steuerzahler. Schulze unterscheidet zwischen zwei Glücksdimensionen: Glück 1, übersetzt mit fortuna, fortune, good luck, chance, betrifft die äusseren Umstände, die Bedingungen, wie beispielsweise die Existenz eines Opernhauses. Glück 2, auch mit felicitas, happiness, felicity und bliss übersetzt, betrifft das Innenleben; die künstlerische Darbietung, deren Wirkung nicht so leicht in Worte zu fassen ist. Auf Glück 2 komme es heute immer mehr an. Und gerade das sei schwer zu kommunizieren. Der Mensch sucht das Glück mit zweierlei Handlungsrationalitäten zu schaffen: Erstens, durch die Form der Erlebnisrationalität: Um subjektive Ziele im Sinne von Glück 2 zu erreichen, setzen Menschen situative Mittel ein wie: Konzerte, Urlaubsorte, Konsumgüter. Das Glücksprojekt wird direkt angegangen. Zweitens durch die Form der Selbsttranszendenz: Menschen kontaktieren die Aussenwelt durch Begegnung, Berührt-Werden, Kontaktaufnahme mit etwas anderem, um ihr Innenleben zu mobilisieren. Gerade die Glückssuche durch Selbsttranszendenz nehme heute immer mehr zu.
Jedoch wie bewertet der murrende, kulturaphobe Steuerzahler nun die Qualität von Kultur? Zitat Schulze: Alles, was zur Sphäre von Glück 2 gehört, entzieht sich ab einem gewissen Niveau einer intersubjektiv verbindlichen Qualitätsbestimmung. Hier sieht Schulze ein Argumentationsloch klaffen, das unbedingt überbrückt werden müsse und nicht ausgeklammert werden dürfe. Die Handlungsform der Selbsttranszendenz könne beispielsweise durch die drei Kategorien erkunden, bewohnen und mitspielen differenziert werden.
Schussendlich; dem Steuerzahler dem Kultur völlig gleichgültig ist, könnten noch folgende Argumente hinzugefügt werden: Erstens: Jeder Staatsbürger trägt Lasten von Fremden, profitiert aber wiederum von den Zahlungen anderer, die selbst nichts davon haben (der metaphysische Schadensausgleich nach Thomas Pychon). Zweitens: Kollektivgüter müssen gepflegt werden. Es existiert ein ausgeprägtes europäisches kollektives Gefühl für den Wert des öffentlichen Raumes. Und drittens: Nur Kunst vermag das menschliche Potential zu steigern und damit früher oder später auch Desinteressierte zu erfassen. -----Überhaupt: Wenn alles nichts helfe, schliesst Gerhard Schulze mit einem Augenzwinkern, so bliebe immer noch das Argument, dass es auch einem völlig kunstabgewandten Menschen in einem kultivierten Milieu besser ginge er also glücklicher sei - als in einem barbarischen.
Dr. Eleonora Belfiore, Assistenzprofessorin am Zentrum für kulturpolitische Studien der Universität Warwick, England, berichtet in ihrem Referat Über die Zweckdienlichkeit hinaus: Eine Kritik der politischen Instrumentalisierung der Kultur über Ihre Erkenntnisse bei der Erforschung der stark instrumentalisierten britischen Kulturförderpolitik:
Aufgrund der vermeintlichen Krise des Wohlfahrtsstaates, verbunden mit einer Kürzung von Finanzmitteln und aufgrund der Schwierigkeit der Begründung von Kulturförderentscheidungen im Zusammenhang mit einem zunehmend postmodernen Kulturverständnis, verfolgte die britische Kulturförderung eine Strategie der politischen Anbindung (Gray 2002) der Anbindung an ökonomische und soziale Agenden. Damit einhergehend wurden zunehmend rationalistisch-ökonomische Evaluationsmethoden eingesetzt. Aus der Strategie der Anbindung entstand in Folge eine paradoxe Situation: Kultur wird nur gefördert, wenn sie in Zahlen und Fakten ausgedrückt wird, doch gleichzeitig besteht unter den Entscheidern Zweifel an der methodischen Nachweisbarkeit von kultureller Evidenz. Die Kultur hilft sich in dieser Situation selbst mit pragmatischer Schönrechnerei. Belfiore zitiert hierzu den ehemaligen britischen Kulturminister Smith, der nach seiner Amtszeit schilderte, wie er die Bedürfnisse der Entscheider offensiv mit Zahlen und Fakten befriedigte, um für mehr Gelder zu werben; im Wissen, dass diese Daten nicht die ganze Geschichte erzählen und zum Verständnis des wahren Werts von Kunst und Kulturausreichen. Infolge werden die negativen Auswirkungen der Kulturförderung systematisch ausgeblendet.
Belfiore konstatiert dennoch einen Erfolg in der Legitimation von Kultur durch Instrumentalisierung, denn sie ermögliche die Anbindung an andere Politikbereiche und erschliesse dadurch zusätzliche Ressourcen. Neuere Versuche, die intrinsischen Werte der Kultur wieder ins Spiel zu bringen, seien letztlich gescheitert und führten lediglich zu einer Herausbildung der Dichotomie instrumentelle versus intrinsische Werte der Kultur. Diese Diskussion biete keinen alternativen Ansatz für Legitimierung von Kultur, sondern mache lediglich den Mangel an entsprechenden Wirkungsmechanismen evident. Belfiore sieht eine Schwierigkeit, den Wert von Kunst und Kultur so auszudrücken und zu operationalisieren, dass er als Richtschnur für die Politikgestaltung verwendet werden könne.
Zum weiteren Voranbringen der stockenden Diskussion empfiehlt Belfiore erstens, zu einer realistischeren Einschätzung der evidenzbasierten Politikgestaltung zu gelangen, und sich des ideologischen Charakters der Politikgestaltung bewusst zu werden. Zweitens müsse Akzeptanz darüber erwachsen, dass in der politisch-ideologischen Diskussion über die Funktion von Kunst und Kultur in der Gesellschaft nicht immer ein politischer Konsens erzielt werden könne. Belfiore weist in diesem Zusammenhang auf ihre historischen Untersuchungen hin, die zeigen, dass die Debatten um Instrumentalisierung und den Wert der Kultur bereits Jahrtausende alt sind. Drittens fordert Belfiore mehr Offenheit und Ehrlichkeit in der politischen Arena und damit die Möglichkeit, auch negative Auswirkungen von Kultur zu diskutieren. ----- Kunst könne eben nicht immer nur glücklich machen.
Michael Söndermann, Büro für Kulturwirtschaft, Köln, formuliert in seinem Referat Argumente, zu mehr Geld zu kommen acht Thesen zur Verteidigung des Begriffes Kultur- und Kreativwirtschaft: Erstens: Die drei Sektoren öffentliche Hand, Zivilgesellschaft und Kulturwirtschaft können ohne einander nicht existieren. Zweitens: Es ist unabdingbar, dass der Begriff Kultur fest im Verständnis der Kultur- und Kreativwirtschaft verankert ist. Drittens: Es braucht eine Kulturwirtschaftspolitik, die hilft, die Kultur- und Kreativwirtschaft regional zu verankern. Viertens: Die Künstler-, Kultur- und Kreativberufe müssen gefördert werden. Fünftens: Der öffentliche und der private Kultursektor müssen klar voneinander getrennt betrachtet werden. Sechstens: Auch in der Kultur- und Kreativwirtschaft entstehen hochwertige Kulturgüter, die von der Kulturförderung wahrgenommen werden müssen. Siebtens: Die Kultur- und Kreativwirtschaft kann nur in einem Tandem aus Kultur- und Wirtschaftspolitik befördert werden. Und achtens: Die Förderung muss an die kleinen Selbständigen und Freelancer herankommen, denn sie tragen in Zukunft die Kultur- und Kreativwirtschaft. ----- Nicht nur die öffentliche Kulturförderung muss sich legitimieren. Auch die Kultur- und Kreativwirtschaft, denn sie ist ein Teil des gesamten Kultursektors.
Dr. Pierre Keller, Direktor der kantonalen Kunsthochschule Lausanne, ECAL, hebt in seinem Referat Reflexionen eines Praktikers, anhand zahlreicher, überzeugend schöner, künstlerisch hochwertiger Beispiele das Innovationspotential hervor, das eine enge Zusammenarbeit mit der Wirtschaft im künstlerischen Produktionsprozess im Bereich des Designs freisetzt: Möbelproduzenten, Keramik- und Sportartikelhersteller produzieren und verkaufen Sondereditionen der jungen Designkünstler und die Kunsthochschule Lausanne organisiert Ausstellungen der in Kooperation hergestellten Produkte ---- Kunst macht glücklich, auch mit weniger öffentlicher Förderung.
Corinna Carduff, Zürcher Hochschule der Künste, betont in ihrem Referat Wozu Kunst? Zur Funktion und Förderung der Künste heute die Rückkehr der genuinen Funktion von Kunst: ihre Wirkung auf die Sinne. Postmoderne Utopisten sprechen von der Auflösung der Kunst in einer kulturalisierten Welt. Heute erkennbare Auflösungserscheinungen sind die Hybridisierung von Genres und Disziplinen, die Durchlässigkeit von high und low Culture, ein Verschwinden der klassischen Kunstkritik, die Auflösung des traditionellen Künstlerbildes. Beobachtbar ist auch das Zurücktreten der Kunst als Gegenpol und Kritiker der Gesellschaft, denn Kunst sieht sich heute immer mehr als Teil der Gesellschaft selbst. Heute setzt sich die Kunst wieder mehr mit ihrer Wirkung auf die Sinne auseinander. Kunst ist gestaltete Wahrnehmung und wirkt bewusstseinserweiternd, intensivierend, wahrnehmungsverändernd. Kunst kann ästhetisch gewonnene Erkenntnisse evozieren, die sich intuitiv und emotional manifestieren, aber auch reflektiv, begrifflich, sprachlich. Sie schärft Wahrnehmungs- und Erkenntnisfähigkeit. ----- Die Legitimation von Kunst ergibt sich aus der Kunst selbst; nur sie evoziert eine derartige Wirkung auf die Sinne.
Adrienne Goehler, ehem. Senatorin für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Berlin, betont mit ihrem Referat Künstler prägen die gesellschaftliche und ökonomische Realität von morgen die gesellschaftliche Relevanz des künstlerischen Tuns. Die Politik scheint diese Wirkung in Zeiten der Wirtschafts- und Finanzkrise zu übersehen. Kunst kann aber helfen, in einer Situation, in der die Strukturen klassischer Erwerbsarbeit nicht mehr greifen, neue Handlungsfelder und Handlungskonzepte zu eröffnen: Die Fähigkeit, immer wieder anzufangen, zu experimentieren, auszuprobieren, zu verwerfen, Ambivalenzen auszuhalten, kompetitiv, selbstbestimmt, wechselhaft, projektorientiert, im Netzwerk und in Kombination von Eigenarbeit und bezahlter Arbeit, sind Arbeits- und Denkweisen, von denen andere Handlungsfelder lernen können. Für die Förderpolitik wünscht sich Adrienne Goehler ein Weniger an kurzfristiger, projektorientierter Förderung, mehr Förderung von Kunst an Schulen, mehr Förderung von künstlerischer Arbeit im sozialen Raum, die Förderung neuer gesellschaftlicher Allianzen, mehr Fokus auf Nachhaltigkeit und Ökologie und mehr grenzüberschreitende Kulturförderung. ---- Kunst kann mehr als glücklich machen, sie kann die gesellschaftlichen Verhältnisse verbessern.
Stéphanie Vanhooydonck, Bundesamt für Statistik (BFS), präsentiert in ihrem Referat Was die Leute wirklich wollen die erste Studie über das Kulturverhalten in der Schweiz seit 20 Jahren. Erfasst wurden die Besuche von kulturellen Einrichtungen und die kulturellen Aktivitäten als Amateur. Vgl. http://www.bfs.admin.ch ---- Diese Studie kann der Kulturförderung als Legitimationsgrundlage für einzelne Schwerpunktsetzungen und für die Legitimierung der Kulturförderung als Ganzes dienen oder auch schaden?
Jean-Frédéric Jauslin, Direktor des Bundesamt für Kultur (BAK) blickt auf ein reges und im Internationalen Vergleich grosszügig gefördertes Kulturleben und formuliert in seinem Referat Eine Plattform für die Kultur die Vision einer koordinierten Kulturförderung in der Schweiz. Eine nationale Kulturkonferenz könnte unter Einbezug aller drei Politikebenen Gemeinden und Städte, Kantone, und Bund, zukünftig gemeinsam neue Impulse für die Schweizerische Kulturszene setzen, innovative Projekte ebenenübergreifend organisieren und neue Kulturförderschwerpunkte setzen. Eine verbesserte Koordination zwischen den drei Politikebenen soll zu einem noch effektiveren Einsatz der bestehenden Mittel verhelfen. ---- Ein weiterer Legitimationsbedarf ist in seinem Vortrag nicht explizit fomuliert.
Philip Ursprung, Kunsthistoriker und Professor an der Universität Zürich, verweist in seinem Referat Kairos, der günstige Augenblick (wer zu spät kommt, den bestraft das Leben), auf die dynamischen Aspekte und die Bedeutung des timings in der Geschichte der Kunst und Kulturpolitik. Glückszustände werden erreicht durch das Zusammenspiel verschiedenster Akteure zum richtigen Zeitpunkt. Eine glückliche Kunstpolitik, eine glückliche Kunst und glückliche Menschen hängen untrennbar miteinander zusammen. Ursprung zeigt am Werk des Performancekünstlers Alan Kapprow, wie Kunst mit dem Leben in Verbindung gesetzt wird und er erzählt dabei die persönliche Geschichte, wie künstlerische Interventionen Kapprows bei ihm selbst Augenblicke des Glücks erschuf. --- Eine wichtige Voraussetzung für die Entstehung von Glückmomenten ist, der Kunst den Rücken freizuhalten, sie nicht zu stören und ihr Raum zu geben.
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