19.04.2010

Autor*in

Diana Betzler
forscht und unterrichtet an verschiedenen Hochschulen und Universitäten in den Bereichen Kulturmanagement, Kulturpolitik und Philanthropie. Regelmäßig ist sie als Gutachterin und Evaluatorin von kulturellen Programmen und Kulturpolitiken tätig. 
Rückblick Jubiläumstagung des Forum Kultur und Ökonomie 2010

Kunst macht glücklich. Über Rechtfertigungsstrategien für Kulturförderung

Rückblick Jubiläumstagung des Forum Kultur und Ökonomie 18./19.März 2010, Luzern. Ein Beitrag von Diana Betzler, Projektleiterin und Dozentin am Zentrum für Kulturmanagement der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, Winterthur
Zum zehnjährigen Bestehen hat das Forum Kultur und Ökonomie am 18. und 19. März 2010 nach Luzern zu Vorträgen und Diskussionen über Rechtfertigungsstrategien für die Förderung von Kunst und Kultur geladen. Dieser Einladung sind zahlreiche private und öffentliche Kulturförderer aus der deutsch- und französischsprachigen Schweiz gefolgt; mit den zirka 180 Anwesenden waren rund 2 Mrd. Fördermittel im ausgebuchten Veran­staltungssaal repräsentiert.

Die Argumente zur Legitimation der Kulturförderung werden immer mehr von normativen Werten anderer sozialer Systeme wie Wirtschaft, Soziales und Bildung geprägt und ver­einnahmt: Kunst und Kultur generieren einen Return on Investment, stärken den sozialen Zusammenhalt, schaffen neue Erkenntnisse. Das Forum diskutiert die Auswirkungen die­ser Entwicklung und bringt dabei die Werteebene, die aus der Kunst selbst erwächst, wie­der ins Spiel: Macht Kunst glücklich?

Prof. Dr. Gerhard Schulze, Universität Bamberg, Deutschland, sucht in seinem Referat Geld für Kunst. Skizzen zu einer Rede an den Steuerzahler den verdrossenen, kultur­fernen, Kulturpolitik-skeptischen Steuerzahler als Richter für die Rechtfertigung von Kunst- und Kulturförderung an. Dabei führt er alternativ zur rationalistisch-ökonomischen Bewertung das Glück als soziale Wertekategorie ein, die neue Argumente für die Legiti­mation von Kultur liefern soll. Er geht von der Prämisse aus, dass in der fortgeschrittenen Moderne das Streben nach Glück und Lebenssinn ein Bedürfnis eines je­den Einzelnen darstelle. Glücksgewinn sei demnach auch ein wichtiges Entscheidungskriterium für den Steuerzahler. Schulze unterscheidet zwischen zwei Glücksdimensionen: Glück 1, über­setzt mit fortuna, fortune, good luck, chance, betrifft die äusseren Umstände, die Be­din­gungen, wie beispielsweise die Existenz eines Opernhauses. Glück 2, auch mit felici­tas, happiness, felicity und bliss übersetzt, betrifft das Innenleben; die künstlerische Dar­bie­tung, deren Wirkung nicht so leicht in Worte zu fassen ist. Auf Glück 2 komme es heute immer mehr an. Und gerade das sei schwer zu kommunizieren. Der Mensch sucht das Glück mit zweierlei Handlungsrationa­litäten zu schaffen: Erstens, durch die Form der Er­lebnisrationalität: Um subjektive Ziele im Sinne von Glück 2 zu erreichen, setzen Men­schen situative Mittel ein wie: Konzerte, Urlaubsorte, Konsumgüter. Das Glücksprojekt wird direkt angegangen. Zweitens durch die Form der Selbsttranszendenz: Menschen kontaktieren die Aussenwelt durch Be­geg­nung, Berührt-Werden, Kontaktaufnahme mit etwas anderem, um ihr Innenleben zu mobi­lisieren. Gerade die Glückssuche durch Selbsttranszendenz nehme heute immer mehr zu.

Jedoch wie bewertet der murrende, kulturaphobe Steuerzahler nun die Qualität von Kultur? Zitat Schulze: Alles, was zur Sphäre von Glück 2 gehört, entzieht sich ab einem gewissen Niveau einer intersubjektiv verbindlichen Qualitätsbestimmung. Hier sieht Schulze ein Argumentationsloch klaffen, das unbedingt überbrückt werden müsse und nicht ausgeklammert werden dürfe. Die Handlungsform der Selbsttranszendenz könne beispielsweise durch die drei Kategorien erkunden, bewohnen und mitspielen differen­ziert werden.

Schussendlich; dem Steuerzahler dem Kultur völlig gleichgültig ist, könnten noch fol­gende Argumente hinzu­gefügt werden: Erstens: Jeder Staatsbürger trägt Lasten von Fremden, profitiert aber wie­derum von den Zahlungen anderer, die selbst nichts davon haben (der metaphysische Schadensausgleich nach Thomas Pychon). Zweitens: Kollek­tivgüter müssen gepflegt werden. Es existiert ein ausgeprägtes europäisches kollektives Gefühl für den Wert des öffentlichen Raumes. Und drittens: Nur Kunst vermag das menschliche Potential zu steigern und da­mit früher oder später auch Desinteressierte zu erfassen. -----Überhaupt: Wenn alles nichts helfe, schliesst Gerhard Schulze mit einem Augenzwinkern, so bliebe immer noch das Argument, dass es auch einem völlig kunstab­gewandten Menschen in einem kulti­vierten Milieu bes­ser ginge er also glücklicher sei - als in einem barbarischen.

Dr. Eleonora Belfiore, Assistenzprofessorin am Zentrum für kulturpolitische Studien der Universität Warwick, England, berichtet in ihrem Referat Über die Zweckdienlichkeit hin­aus: Eine Kritik der politischen Instrumentalisierung der Kultur über Ihre Erkenntnisse bei der Erforschung der stark instrumentalisierten britischen Kulturförderpolitik:

Aufgrund der vermeintlichen Krise des Wohlfahrtsstaates, verbunden mit einer Kürzung von Finanzmitteln und aufgrund der Schwierigkeit der Begründung von Kulturförderent­scheidungen im Zusammenhang mit einem zunehmend postmodernen Kulturverständnis, verfolgte die briti­sche Kulturförderung eine Strategie der politischen Anbindung (Gray 2002) der Anbin­dung an ökonomische und soziale Agenden. Damit einhergehend wur­den zunehmend rationalistisch-ökonomische Evaluationsmethoden eingesetzt. Aus der Strategie der Anbindung entstand in Folge eine paradoxe Situation: Kultur wird nur geför­dert, wenn sie in Zahlen und Fakten ausgedrückt wird, doch gleichzeitig besteht unter den Entscheidern Zweifel an der methodischen Nachweisbarkeit von kultureller Evidenz. Die Kultur hilft sich in dieser Situation selbst mit pragmatischer Schönrechnerei. Belfiore zitiert hierzu den ehemaligen britischen Kulturminister Smith, der nach seiner Amtszeit schil­derte, wie er die Bedürfnisse der Entscheider offensiv mit Zahlen und Fakten befrie­digte, um für mehr Gelder zu werben; im Wissen, dass diese Daten nicht die ganze Ge­schichte erzählen und zum Verständnis des wahren Werts von Kunst und Kul­turausreichen. Infolge werden die negativen Auswirkungen der Kulturförderung syste­matisch ausgeblendet.

Belfiore konstatiert dennoch einen Erfolg in der Legitimation von Kultur durch Instru­men­talisierung, denn sie ermögliche die Anbindung an andere Politikbereiche und er­schliesse dadurch zusätzliche Ressourcen. Neuere Versuche, die intrinsischen Werte der Kultur wieder ins Spiel zu bringen, seien letztlich gescheitert und führten lediglich zu einer Her­ausbildung der Dichotomie instrumentelle versus intrinsische Werte der Kultur. Diese Diskussion biete keinen alternativen Ansatz für Legitimierung von Kultur, sondern mache lediglich den Mangel an entsprechenden Wir­kungsmechanismen evident. Belfiore sieht eine Schwierigkeit, den Wert von Kunst und Kultur so auszudrücken und zu operationali­sieren, dass er als Richtschnur für die Politikgestaltung verwendet werden könne.

Zum weiteren Voranbringen der stockenden Diskussion empfiehlt Belfiore erstens, zu einer realistischeren Einschätzung der evidenzbasierten Politikgestaltung zu gelangen, und sich des ideologischen Charakters der Politikgestaltung bewusst zu werden. Zwei­tens müsse Akzeptanz darüber erwachsen, dass in der politisch-ideologischen Diskus­sion über die Funktion von Kunst und Kultur in der Gesellschaft nicht immer ein politischer Konsens erzielt werden könne. Belfiore weist in die­sem Zusammenhang auf ihre histori­schen Untersuchungen hin, die zeigen, dass die De­batten um Instrumentalisie­rung und den Wert der Kultur bereits Jahrtausende alt sind. Drittens fordert Belfiore mehr Offenheit und Ehrlichkeit in der politischen Arena und damit die Möglichkeit, auch nega­tive Auswir­kungen von Kultur zu diskutieren. ----- Kunst könne eben nicht immer nur glücklich ma­chen.

Michael Söndermann, Büro für Kulturwirtschaft, Köln, formuliert in seinem Referat Argu­mente, zu mehr Geld zu kommen acht Thesen zur Verteidigung des Begriffes Kultur- und Kreativwirtschaft: Erstens: Die drei Sektoren öffentliche Hand, Zivilgesellschaft und Kul­turwirtschaft können ohne einander nicht existieren. Zweitens: Es ist unabdingbar, dass der Begriff Kultur fest im Verständnis der Kultur- und Kreativwirtschaft verankert ist. Drittens: Es braucht eine Kulturwirtschaftspolitik, die hilft, die Kultur- und Kreativwirtschaft regional zu verankern. Viertens: Die Künstler-, Kultur- und Kreativberufe müssen gefördert werden. Fünftens: Der öffentliche und der private Kultursektor müssen klar voneinander getrennt betrachtet werden. Sechstens: Auch in der Kultur- und Kreativwirtschaft entste­hen hochwertige Kulturgüter, die von der Kulturförderung wahrgenommen werden müs­sen. Siebtens: Die Kultur- und Kreativwirtschaft kann nur in einem Tandem aus Kultur- und Wirtschaftspolitik befördert werden. Und achtens: Die Förderung muss an die kleinen Selbständigen und Freelancer herankommen, denn sie tragen in Zukunft die Kultur- und Kreativwirtschaft. ----- Nicht nur die öffentliche Kulturförderung muss sich legitimieren. Auch die Kul­tur- und Kreativwirtschaft, denn sie ist ein Teil des gesamten Kultursektors.

Dr. Pierre Keller, Direktor der kantonalen Kunsthochschule Lausanne, ECAL, hebt in sei­nem Referat Reflexionen eines Praktikers, anhand zahlreicher, überzeugend schöner, künstlerisch hochwertiger Beispiele das Innovationspotential hervor, das eine enge Zu­sammenarbeit mit der Wirtschaft im künstlerischen Produktionsprozess im Bereich des Designs freisetzt: Möbelproduzenten, Keramik- und Sportartikelhersteller produzieren und verkaufen Sondereditionen der jungen Designkünstler und die Kunsthochschule Lau­sanne organisiert Ausstellungen der in Kooperation hergestellten Produkte ---- Kunst macht glücklich, auch mit weniger öffentlicher Förderung.

Corinna Carduff, Zürcher Hochschule der Künste, betont in ihrem Referat Wozu Kunst? Zur Funktion und Förderung der Künste heute die Rückkehr der genuinen Funktion von Kunst: ihre Wirkung auf die Sinne. Postmoderne Utopisten sprechen von der Auflösung der Kunst in einer kulturalisierten Welt. Heute erkennbare Auflösungserscheinungen sind die Hybridisierung von Genres und Disziplinen, die Durchlässigkeit von high und low Cul­ture, ein Verschwinden der klassischen Kunstkritik, die Auflösung des traditionellen Künstlerbildes. Beobachtbar ist auch das Zurücktreten der Kunst als Gegenpol und Kriti­ker der Gesellschaft, denn Kunst sieht sich heute immer mehr als Teil der Gesellschaft selbst. Heute setzt sich die Kunst wieder mehr mit ihrer Wirkung auf die Sinne auseinan­der. Kunst ist gestaltete Wahrnehmung und wirkt bewusstseinserweiternd, intensivierend, wahrnehmungsverändernd. Kunst kann ästhetisch gewonnene Erkenntnisse evozieren, die sich intuitiv und emotional manifestieren, aber auch reflektiv, begrifflich, sprachlich. Sie schärft Wahrnehmungs- und Erkenntnisfähigkeit. ----- Die Legitimation von Kunst er­gibt sich aus der Kunst selbst; nur sie evoziert eine derartige Wirkung auf die Sinne.

Adrienne Goehler, ehem. Senatorin für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Berlin, betont mit ihrem Referat Künstler prägen die gesellschaftliche und ökonomische Realität von morgen die gesellschaftliche Relevanz des künstleri­schen Tuns. Die Politik scheint diese Wirkung in Zeiten der Wirt­schafts- und Fi­nanzkrise zu übersehen. Kunst kann aber helfen, in einer Situation, in der die Strukturen klassischer Erwerbsarbeit nicht mehr greifen, neue Handlungs­felder und Handlungskonzepte zu eröffnen: Die Fähigkeit, immer wieder anzu­fangen, zu experimentieren, auszuprobieren, zu verwerfen, Ambivalenzen auszu­halten, kom­petitiv, selbstbestimmt, wechselhaft, projektorientiert, im Netzwerk und in Kombi­nation von Eigenarbeit und bezahlter Arbeit, sind Arbeits- und Denkwei­sen, von denen andere Handlungsfelder lernen können. Für die Förderpolitik wünscht sich Adrienne Goehler ein Weniger an kurzfristiger, projektorientierter Förderung, mehr Förderung von Kunst an Schulen, mehr Förde­rung von künstlerischer Arbeit im sozialen Raum, die Förderung neuer gesellschaftli­cher Allianzen, mehr Fokus auf Nachhaltigkeit und Ökologie und mehr grenzüber­schreitende Kulturförderung. ---- Kunst kann mehr als glücklich machen, sie kann die gesellschaftlichen Verhält­nisse verbessern.

Stéphanie Vanhooydonck, Bundesamt für Statistik (BFS), präsentiert in ihrem Referat Was die Leute wirklich wollen die erste Studie über das Kulturverhalten in der Schweiz seit 20 Jahren. Erfasst wurden die Besuche von kulturellen Ein­richtungen und die kulturellen Aktivitäten als Amateur. Vgl. http://www.bfs.admin.ch ---- Diese Studie kann der Kulturförde­rung als Legitimati­onsgrundlage für einzelne Schwerpunktsetzungen und für die Legitimierung der Kulturförderung als Ganzes dienen oder auch schaden?

Jean-Frédéric Jauslin, Direktor des Bundesamt für Kultur (BAK) blickt auf ein re­ges und im Internationalen Vergleich gross­zügig gefördertes Kulturleben und formuliert in sei­nem Referat Eine Plattform für die Kultur die Vision einer koordi­nierten Kulturför­derung in der Schweiz. Eine nationale Kulturkonferenz könnte unter Einbezug aller drei Politikebenen Gemeinden und Städte, Kantone, und Bund, zukünftig gemein­sam neue Impulse für die Schweizerische Kulturszene set­zen, innovative Projekte ebenenübergreifend organisieren und neue Kulturförder­schwerpunkte setzen. Eine verbesserte Koordination zwischen den drei Politik­ebenen soll zu einem noch effektiveren Einsatz der bestehenden Mittel ver­helfen. ---- Ein weiterer Legitimationsbedarf ist in seinem Vortrag nicht explizit fomuliert.

Philip Ursprung, Kunsthistoriker und Professor an der Universität Zürich, verweist in seinem Referat Kairos, der günstige Augenblick (wer zu spät kommt, den be­straft das Leben), auf die dynamischen Aspekte und die Bedeutung des timings in der Geschichte der Kunst und Kulturpolitik. Glückszustände werden erreicht durch das Zusammenspiel verschiedenster Akteure zum richtigen Zeitpunkt. Eine glück­liche Kunstpolitik, eine glückliche Kunst und glückliche Menschen hän­gen un­trennbar miteinander zusammen. Ursprung zeigt am Werk des Performan­ce­künstlers Alan Kapprow, wie Kunst mit dem Leben in Verbindung gesetzt wird und er erzählt dabei die persönliche Geschichte, wie künstlerische Interventionen Kapprows bei ihm selbst Augenblicke des Glücks erschuf. --- Eine wichtige Vor­aussetzung für die Entstehung von Glückmomenten ist, der Kunst den Rücken freizuhalten, sie nicht zu stören und ihr Raum zu geben.

In zahlreichen Workshops diskutierten die Teilnehmenden angeregt mit den Refe­renten und Referentinnen. Fast schient es, sie seien sich einig, dass der Wert der Kunst wieder stärker als Legitima­tionsargument für Kulturförderung in den Fokus gerückt werden sollte. Das organi­sationale Feld der Kulturförderung hat sich also geeinigt; Legitimation braucht aber die Verständigung des Kulturfördersystems mit seiner Umwelt. Es bleibt zu wünschen übrig, dass die Politik, die Wirtschaft, der Steuerzahler und Bürger und konsequenterweise auch der Künstler selbst den von der Kulturförderung formulierten Glücksfaktor Kunst verstehen, verteidigen und internalisieren werden.
 

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