Rückblick "4. Kulturpolitischer Kongress" 2007
Was macht die Kultur im Europa?
Der 4. Kulturpolitische Kongress fand in diesem Jahr im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft statt. So kamen mehr als 500 Teilnehmer aus 36 Ländern am 7. und 8. Juni nach Berlin, um sich über Aspekte der europäischen Kulturpolitik auszutauschen.
Die Zahl hochkarätiger Referenten beeindruckte. Viele bekannte Gesichter der europäischen Kulturpolitik waren zu sehen, so u.a. Jan Figel (EU-Kommissar für Kultur), Gottfried Wagner (Generalsekretär der Europäischen Kulturstiftung), Mary Ann DeVlieg (Generalsekretärin des Informal European Theatre Meeting), Yudhisthir Raj Isar (Präsident des European Forum for the Arts and Heritage), Pius Knüsel (Direktor der Schweizer Kultursstiftung Pro Helvetia) oder Veronika Ratzenböck (Direktorin der Österreichischen Kulturdokumentation), um nur einige zu nennen. Neu war auch die intensive inhaltliche Begleitung des Themas im Vorfeld durch ein eigenes, zweisprachiges Onlineportal. Es bleibt zu hoffen, dass die redaktionelle Pflege nach Ablauf der deutschen EU-Ratspräsidentschaft gesichert ist, um eine dauerhafte Präsenz der Kongressthemen zur europäischen Kulturpolitik zu ermöglichen.
"Die Kulturpolitik in Europa steht vor einem Wendepunkt", erklärt Prof. Dr. Oliver Scheytt, Präsident der Kulturpolitischen Gesellschaft zur Eröffnung. "Die zukünftige europäische Wissensgesellschaft ist auf kulturelle Qualitäten und Qualifikationen angewiesen. Kultur ist nicht in erster Linie Ware oder marktgängige Dienstleistung, vielmehr sind die kulturellen Werte das einigende Band Europas. Eine aktivierende Kulturpolitik setzt auf die Kräfte in der Kultur und der Kreativwirtschaft und den Ausbau der kulturellen Bildung auf allen Ebenen." Beim Publikum stieß vor allem die Rede von Adolf Muschg auf positive Resonanz. Der Schweizer Schriftsteller und ehemaliger Präsident der Akademie der Künste in Berlin sieht Europa als Kosmopolis und seine Stärke gerade in der kulturellen Vielfalt. Hingegen blieben die Vorträge von Bernd Neumann und Jan Figel unter den Erwartungen. Man hätte sich von diesen führenden Vertretern der nationalen respektive europäischen Kulturpolitik mehr Empathie und weniger Allgemeinplätze gewünscht.
Die Kulturamtsleiterin von Berlin-Neukölln, Dr. Dorothea Kolland, stellte dann auch am nächsten Morgen fest, dass sie sich nach dem ersten Kongresstag wie von einem anderen Stern gekommen fühlte. Sie ging sogar so weit, dass man sich auf Seiten der deutschen und europäischen Referenten der Kulturpolitik nicht für die Kulturarbeit vor Ort interessiere. Kolland gehörte zu den Podiumsgästen bei dem möglicherweise spannendsten Panel des Kongresses, das sich der Kulturarbeit in den Städten Europas widmete. Anne Querrien von der Organisation Annales de la Recherche Urbaine aus Paris betonte, besonders in Frankreich gelte Kultur als Gegenkonzept auf den Ausschluss von Bürgern durch den zunehmenden Wettbewerb. Sie erwähnte in diesem Zusammenhang die Besetzung von Stadtteilen durch Künstler und Kreative, denen häufig die Revitalisierung eines ganzen Bezirks - meist frühere Industrieareale - gelingt. Die Verantwortlichen in solchen Städten kommen in der Folge nicht umhin, Abrisspläne zu verwerfen und die neu entstandene Kultur zu bewahren.
Grundsätzlich hat man es mit zwei vermeintlich gegenläufigen Trends zu tun: auf der einen Seite herrscht ein zunehmender Wettbewerb zwischen den Städten. Beim Ringen um Alleinstellungsmerkmale setzt man offenkundig verstärkt auf kulturelle Prestigeprojekte. Dem gegenüber steht das Modell der sozialen Stadt mit ihrer kulturellen Vielfalt. Für Adolf Muschg seien dies im übrigen zwei Konzepte, die sich nicht gegenseitig ausschließen. Man müsse mehr "in Und-Beziehungen denken", so Muschg. Für Dorothea Kolland ist das Thema kulturelle Vielfalt in Berlin gerade erst angekommen. Sie findet es schade, dass man dieses Thema nicht produktiv aufgreift und die Chancen darin erkennt. Multi-Ethnizität sei erst dann ein Problem, wenn sie sich mit fehlender Bildung und Armut paart. Ihre Hoffnungen richteten sich auf das Integrationskonzept der Stadt, welches derzeit im Berliner Senat behandelt wird, aber ihrer Meinung nach in den ersten Entwürfen noch völlig unzureichend ist. Aber nicht nur die Politik sei am Zug. Im Konzerthaus, in der Deutschen Oper oder in den Bibliotheken, so Kolland, diskutiere - abgesehen vielleicht von "Projektchen" und vom Leuchtturmprojekt "Rythm is it!" - kein Mensch über Angebote für Migranten.
Dass diese Position keineswegs nur auf Zustimmung stößt, zeigten auch Wortmeldungen aus dem Publikum. Aachens Kulturdezernent äußerte sein Unwohlsein darüber, mit einer solchen Akzentverschiebung "zur Stabsstelle des Sozialamts degradiert" zu werden. Die Kulturamtsleiterin von Idar-Oberstein erwähnte in diesem Zusammenhang, durchaus schon Programme für Russlanddeutsche durchgeführt zu haben, beklagte aber ihren kleinen Etat, der sie hindere, mehr zu machen. Kolland erwiderte, die Vertreter der Kultur hätten durchaus einen anderen Auftrag als die Sozial- oder Bildungsdezernenten. Die Kultur sei vielmehr ein chancenreiches Medium zur Umsetzung der Ziele. Statt dass die Kunst und Kultur immer nur von der Gesellschaft verlange, akzeptiert zu werden, sei es an der Zeit, dass die Kultur an die Gesellschaft etwas zurückgibt. Wie könnte Kulturarbeit vor Ort noch besser aussehen? Eine Anregung kam aus dem Forum, die traditionellen Städtepartnerschaften zu evaluieren, um Empfehlungen an die Kommunen zu geben. Bettina Heinrichs vom Deutschen Städtetag gestand ein, dass Städtepartnerschaften derzeit nicht evaluiert werden. Ihrer Ansicht nach wären Städtepartnerschaften ohnehin nur ein Aspekt des Kulturaustauschs.
Der Kongress zeigte deutlicher als je zuvor die höhere Aufmerksamkeit, die die Kultur in den letzten 1-2 Jahren in der europäischen Öffentlichkeit erreicht hat. Er stand somit in einer Linie mit den Konferenzen "Europa eine Seele geben" von Berlin und Budapest sowie den diesjährigen Kongressen zur kulturellen Vielfalt im April in Essen und zur Kultur- und Kreativwirtschaft im Mai in Berlin (KM berichtete). Wichtige Aspekte wie das Missverhältnis zwischen der Subventionierung der europäischen Landwirtschaft und der Kulturförderung oder die Veränderungen der Medienlandschaft durch neue Übertragungswege wurden lebhaft diskutiert. Die Gefahr besteht nun aber, dass sich die verantwortlichen Kulturpolitiker allzu sehr auf die Kraft ihrer Worte verlassen und weniger auf ihre Aufgabe konzentrieren, diese hohen Ansprüche in politisches Handeln umzusetzen. Die Aneinanderreihung von Allgemeinplätzen insbesondere in den Reden des ersten Tages geben Anlass zur Sorge, dass sich so mancher Kulturpolitiker von den Problemen und Interessen der Verantwortlichen vor Ort entfremdet hat.
Zum Kongress erschien auch das "Jahrbuch für Kulturpolitik". Es wird in 2007 zum siebten Mal von der Kulturpolitischen Gesellschaft herausgegeben und widmet sich ebenfalls dem Thema Europa. Daneben finden sich Informationen zum "Kultursektor als Beschäftigungs- und Wirtschaftsfaktor", eine kulturpolitische Chronik, eine Bibliographie kulturpolitischer Neuerscheinungen sowie Hinweise auf wichtige Adressen und Websites.
"Die Kulturpolitik in Europa steht vor einem Wendepunkt", erklärt Prof. Dr. Oliver Scheytt, Präsident der Kulturpolitischen Gesellschaft zur Eröffnung. "Die zukünftige europäische Wissensgesellschaft ist auf kulturelle Qualitäten und Qualifikationen angewiesen. Kultur ist nicht in erster Linie Ware oder marktgängige Dienstleistung, vielmehr sind die kulturellen Werte das einigende Band Europas. Eine aktivierende Kulturpolitik setzt auf die Kräfte in der Kultur und der Kreativwirtschaft und den Ausbau der kulturellen Bildung auf allen Ebenen." Beim Publikum stieß vor allem die Rede von Adolf Muschg auf positive Resonanz. Der Schweizer Schriftsteller und ehemaliger Präsident der Akademie der Künste in Berlin sieht Europa als Kosmopolis und seine Stärke gerade in der kulturellen Vielfalt. Hingegen blieben die Vorträge von Bernd Neumann und Jan Figel unter den Erwartungen. Man hätte sich von diesen führenden Vertretern der nationalen respektive europäischen Kulturpolitik mehr Empathie und weniger Allgemeinplätze gewünscht.
Die Kulturamtsleiterin von Berlin-Neukölln, Dr. Dorothea Kolland, stellte dann auch am nächsten Morgen fest, dass sie sich nach dem ersten Kongresstag wie von einem anderen Stern gekommen fühlte. Sie ging sogar so weit, dass man sich auf Seiten der deutschen und europäischen Referenten der Kulturpolitik nicht für die Kulturarbeit vor Ort interessiere. Kolland gehörte zu den Podiumsgästen bei dem möglicherweise spannendsten Panel des Kongresses, das sich der Kulturarbeit in den Städten Europas widmete. Anne Querrien von der Organisation Annales de la Recherche Urbaine aus Paris betonte, besonders in Frankreich gelte Kultur als Gegenkonzept auf den Ausschluss von Bürgern durch den zunehmenden Wettbewerb. Sie erwähnte in diesem Zusammenhang die Besetzung von Stadtteilen durch Künstler und Kreative, denen häufig die Revitalisierung eines ganzen Bezirks - meist frühere Industrieareale - gelingt. Die Verantwortlichen in solchen Städten kommen in der Folge nicht umhin, Abrisspläne zu verwerfen und die neu entstandene Kultur zu bewahren.
Grundsätzlich hat man es mit zwei vermeintlich gegenläufigen Trends zu tun: auf der einen Seite herrscht ein zunehmender Wettbewerb zwischen den Städten. Beim Ringen um Alleinstellungsmerkmale setzt man offenkundig verstärkt auf kulturelle Prestigeprojekte. Dem gegenüber steht das Modell der sozialen Stadt mit ihrer kulturellen Vielfalt. Für Adolf Muschg seien dies im übrigen zwei Konzepte, die sich nicht gegenseitig ausschließen. Man müsse mehr "in Und-Beziehungen denken", so Muschg. Für Dorothea Kolland ist das Thema kulturelle Vielfalt in Berlin gerade erst angekommen. Sie findet es schade, dass man dieses Thema nicht produktiv aufgreift und die Chancen darin erkennt. Multi-Ethnizität sei erst dann ein Problem, wenn sie sich mit fehlender Bildung und Armut paart. Ihre Hoffnungen richteten sich auf das Integrationskonzept der Stadt, welches derzeit im Berliner Senat behandelt wird, aber ihrer Meinung nach in den ersten Entwürfen noch völlig unzureichend ist. Aber nicht nur die Politik sei am Zug. Im Konzerthaus, in der Deutschen Oper oder in den Bibliotheken, so Kolland, diskutiere - abgesehen vielleicht von "Projektchen" und vom Leuchtturmprojekt "Rythm is it!" - kein Mensch über Angebote für Migranten.
Dass diese Position keineswegs nur auf Zustimmung stößt, zeigten auch Wortmeldungen aus dem Publikum. Aachens Kulturdezernent äußerte sein Unwohlsein darüber, mit einer solchen Akzentverschiebung "zur Stabsstelle des Sozialamts degradiert" zu werden. Die Kulturamtsleiterin von Idar-Oberstein erwähnte in diesem Zusammenhang, durchaus schon Programme für Russlanddeutsche durchgeführt zu haben, beklagte aber ihren kleinen Etat, der sie hindere, mehr zu machen. Kolland erwiderte, die Vertreter der Kultur hätten durchaus einen anderen Auftrag als die Sozial- oder Bildungsdezernenten. Die Kultur sei vielmehr ein chancenreiches Medium zur Umsetzung der Ziele. Statt dass die Kunst und Kultur immer nur von der Gesellschaft verlange, akzeptiert zu werden, sei es an der Zeit, dass die Kultur an die Gesellschaft etwas zurückgibt. Wie könnte Kulturarbeit vor Ort noch besser aussehen? Eine Anregung kam aus dem Forum, die traditionellen Städtepartnerschaften zu evaluieren, um Empfehlungen an die Kommunen zu geben. Bettina Heinrichs vom Deutschen Städtetag gestand ein, dass Städtepartnerschaften derzeit nicht evaluiert werden. Ihrer Ansicht nach wären Städtepartnerschaften ohnehin nur ein Aspekt des Kulturaustauschs.
Der Kongress zeigte deutlicher als je zuvor die höhere Aufmerksamkeit, die die Kultur in den letzten 1-2 Jahren in der europäischen Öffentlichkeit erreicht hat. Er stand somit in einer Linie mit den Konferenzen "Europa eine Seele geben" von Berlin und Budapest sowie den diesjährigen Kongressen zur kulturellen Vielfalt im April in Essen und zur Kultur- und Kreativwirtschaft im Mai in Berlin (KM berichtete). Wichtige Aspekte wie das Missverhältnis zwischen der Subventionierung der europäischen Landwirtschaft und der Kulturförderung oder die Veränderungen der Medienlandschaft durch neue Übertragungswege wurden lebhaft diskutiert. Die Gefahr besteht nun aber, dass sich die verantwortlichen Kulturpolitiker allzu sehr auf die Kraft ihrer Worte verlassen und weniger auf ihre Aufgabe konzentrieren, diese hohen Ansprüche in politisches Handeln umzusetzen. Die Aneinanderreihung von Allgemeinplätzen insbesondere in den Reden des ersten Tages geben Anlass zur Sorge, dass sich so mancher Kulturpolitiker von den Problemen und Interessen der Verantwortlichen vor Ort entfremdet hat.
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