26.08.2024

Autor*in

Matthias Müller
berät und schult seit 2007 bei der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR) unter anderem Kunst- und Kulturbetriebe, öffentliche und private Akteur*innen sowie Unternehmen zum Umgang mit Rechtsextremismus, Rechtspopulismus, Verschwörungserzählungen, Rassismus und Antisemitismus. Die MBR gibt zudem regelmäßig Publikationen heraus, um Akteur*innen bei der Entwicklung eigener Handlungsstrategien zu unterstützen.
Kristin Oswald
leitet die Online-Redaktion von Kultur Management Network. Sie studierte Geschichte und Archäologie in Jena und Rom sowie Social Media-Marketing in Berlin. Sie ist freiberuflich in der Wissenschaftskommunikation und im Museumsmarketing mit Schwerpunkt online tätig.
Rechte Kulturpolitik

Wichtig sind Vorbereitung und Zusammenhalt

Um die Kulturarbeit zu beeinflussen, nutzen rechte Akteur*innen mitunter subtile Methoden, insbesondere auf parlamentarischer Ebene. Was ihre Ziele sind, wie sie vorgehen und wie sich Kultureinrichtungen darauf einstellen können, erklärt Matthias Müller von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin.
Das Gespräch führte Kristin Oswald.
 
Lieber Herr Müller, Sie arbeiten bei der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus in Berlin (MBR). Was ist die Aufgabe der MBR? 
 
Matthias Müller: Wir beraten Menschen und Organisationen, die sich mit Rechtsextremismus und -populismus, Rassismus, Antisemitismus und Verschwörungsideologien auseinandersetzen müssen oder wollen. Ganz unterschiedliche Personen, Organisationen und Netzwerke aus allen Bereichen der Gesellschaft wenden sich an uns. Aus den Bereichen Kunst und Kultur sind das zum Beispiel Theater, Museen, Gedenkstätten, künstlerische Gruppen, Vereine oder soziokulturelle Zentren und sie kommen in letzter Zeit häufiger auf uns zu. Wir unterstützen sie dabei, zu einer profunden Einschätzung von gesellschaftlichen Phänomenen zu kommen, und geben Anregungen zum Handeln. 
 
Worauf zielt rechte Kulturpolitik ab? 
 
MM: In Kunst und Kultur wird über wichtige und aktuelle politische Fragen gesprochen und es werden gesellschaftliche Konflikte verhandelt. Da versuchen rechte und rechtsextreme Personen, Parteien und Organisationen, Einfluss zu nehmen, weil sie ihre Vorstellungen, ihre Narrative dort wiederfinden wollen. Das meint in erster Linie völkische Politikvorstellungen, etwa dass beim Thema Geschichts- und Erinnerungspolitik die Zeit des Nationalsozialismus weniger kritisch thematisiert wird, sondern stattdessen die vermeintlich "guten und schönen Seiten" der deutschen Geschichte hervorgehoben werden. Es geht also um eine Heroisierung nationaler Kultur und darum, Abstand zu gewinnen von den Errungenschaften der 68er-Bewegung wie der Liberalisierung von geschlechtlichen Identitäten, Frauen- und Minderheitenrechten. Es sollen andere Denkmäler präsentiert, andere Geschichten erzählt, andere Theaterstücke aufgeführt werden, als das jetzt im Konzept einer offenen Gesellschaft passiert. 
 
Bedeutet das auch, dass man zum Beispiel keine ausländischen, queeren, BPOC-Künstler*innen oder -Kulturakteur*innen mehr beschäftigen möchte, dass Kunst aus einem internationalen Kontext eine geringere Rolle spielen soll? Sollen also weiße, deutsche Kulturschaffende weiße, "deutsche" Errungenschaften thematisieren? 
 
MM: Das ist durchaus vorstellbar. Aber es gibt auch in anderen europäischen Ländern Personen und Parteien, die ähnliche kulturpolitische Vorstellungen wie die AfD oder andere Rechtsextreme haben und Kunstprodukte schaffen, die in diesem politischen Milieu Anklang finden. Die AfD schaut zum Beispiel auf die Kulturpolitik in Ungarn oder in Polen, um einschätzen zu können, ob sie ähnliche Ansätze, ähnliche Politikvorstellungen umsetzen kann. Es gibt eine große Unruhe bei Kunst- und Kulturschaffenden, dass sich ein Erstarken der AfD in der Personalpolitik widerspiegeln wird. Wenn es personelle Alternativen und juristisch-formelle Möglichkeiten gibt, Änderungen im Sinne der AfD zu vollziehen, ist davon auszugehen, dass das versucht oder sukzessive ausgelotet wird. 
 
Für solche Eingriffe in die Kunst- und Wissenschaftsfreiheit bräuchte es eine geänderte Gesetzgebung. Wenn wir an die anstehenden Landtagswahlen denken, bei denen die AfD in drei Bundesländern stärkste Kraft werden könnte: Welchen Einfluss könnte sie auf Kulturpolitik und Kulturarbeit nehmen - nicht nur in den landeseigenen Kultureinrichtungen? 
 
MM: Das ist eine wichtige formale und juristische Frage, die sich Leitungspersonen und Jurist*innen dringend stellen und worst-case-Szenarien durchspielen sollten. Folgen können beispielsweise sein, dass Projekte und Fördervorhaben blockiert oder Gremien nicht besetzt werden können usw. Es wäre deshalb wichtig, jetzt mit allen demokratischen Kräften in den engen Austausch zu gehen, um Verbündete zu finden und ggf. formale Änderungen vornehmen zu können. Beispielsweise nimmt die AfD seit ihrem Einzug in den Deutschen Bundestag und in die Landesparlamente durch Anfragen, Landtagsdebatten und Untersuchungsausschüsse gern Einblick in Förderunterlagen oder auch Vereinssatzungen und sucht dort nach Angriffspunkten gegen Personen und Einrichtungen, die klar Haltung zeigen. Es kann durchaus problematisch sein, wenn Finanzunterlagen, Personalunterlagen, Honorarverträge und Vorgänge offen zugänglich sind. Diese sollte man sich also nochmal anschauen und sich fragen: Wie dokumentieren wir? Welche Unterlagen und Informationen sind einsehbar, die nicht öffentlich sein müssen? Vereine und Einrichtungen, die sich kritisch zur AfD stellen, versucht man mitunter über die Androhung einer Entziehung der Gemeinnützigkeit mundtot zu machen und sie so einzuschüchtern. Wenn sich beispielsweise Kulturvereine, soziokulturelle Zentren oder Theater an den Protesten gegen Rechts in diesem Frühjahr beteiligt haben, behaupten Rechtsextreme: Hier positionieren sich Kunst- und Kulturorganisationen politisch und das verstößt vermeintlich gegen ein für sie geltendes Neutralitätsgebot und deshalb sollte deren Gemeinnützigkeit infrage gestellt werden. Und dann schreiben sie die Finanzämter an und fordern eine Überprüfung, ob die Vorgaben für die Gemeinnützigkeit noch gegeben sind. Es wäre wichtig, das mit in den Blick zu nehmen und Gespräche mit Ämtern, Verwaltungen und Fördergeber*innen darüber zu führen, wie damit umgegangen werden kann. Wir wissen aus Berlin, dass solche Versuche auch abgewehrt werden können. 
 
Zudem sollten Leitungen Gespräche mit dem Team suchen und schauen, wie es den Kolleg*innen und Mitarbeiter*innen geht, wie sie Räume für Kommunikation herstellen und einen Umgang mit Befürchtungen und Ängsten entwickeln können.
 
Gibt es noch andere Arten von Angriffen auf Kultureinrichtungen von rechter Seite? 
 
MM: Als die Identitäre Bewegung noch aktiver war, gab es viele Störungen von Veranstaltungen. Da haben Personen die Bühne gekapert und mit Megafon oder durch lautes Rufen ihre Parolen öffentlich gemacht, Flugblätter geworfen und dergleichen. Solche Störungen von Kunst- und Kulturveranstaltungen gab und gibt es nach dem 7. Oktober 2023 und dem Angriff auf Israel häufiger im Kontext des antiisraelischen Aktivismus. Auf Nachfrage unterstützen wir Einrichtungen bei der Entwickelung von Verhaltenskodexen, Codes of Conduct, Handlungsketten usw. Körperliche Angriffe auf einzelne Kulturschaffende sind seltener, aber es werden immer wieder Personen eingeschüchtert und bedroht, die sich offen, beispielsweise in sozialen Medien, positionieren.
 
Hat sich das in der Häufigkeit in den letzten Jahren verändert? Stellen Sie da eine Enthemmung fest? 
 
MM: Wir hatten es früher eher mit einer Neonaziszene zu tun. Die fiel durch Gewalttaten, Konzerte und Aufmärsche auf. Das hat sich stark verändert. Die AfD hat dieses zersplitterte rechtsextreme Milieu geeint, hat einen weitaus größeren Rückhalt in der Bevölkerung und kann zudem aus dem parlamentarischen Raum heraus agieren. Aktuell gibt es viele Bedrohungen und Angriffe gegen soziokulturelle Einrichtungen oder Festivals, die sich gegen Rechtsextremismus positionieren. Damit einhergehend beobachten wir, dass es wieder eine Zunahme rechter Jugendkulturen gibt, wie in den 1990er-Jahren. Die Einstellungsforschung, aber auch die letzten beiden Wahlen haben gezeigt, dass die Bereitschaft bei jungen Menschen, rechts bis rechtsextrem zu wählen, zugenommen hat. Allgemein betrachtet wird Kunst und Kultur vor allem dann von rechts angefeindet, wenn sie zu Themen wie geschlechtlicher Pluralität, Islam oder Migration und Flucht arbeitet. 
 
Gibt es weitere Kultursparten, die öfter angegriffen werden oder thematisiert werden als andere?
 
MM: Die moderne Kunst ist allgemein etwas, womit die AfD wenig anfangen kann und bei der sie starke Bedenken äußert, ob das überhaupt Kunst sei. Ihre Vorstellungen von Kunst haben einen starken Naturbezug und greifen Motive der Romantik auf. Aber allgemein sind alle Aktivitäten im Bereich von Kunst und Kultur im Fokus, die zu den Identitätsthemen der AfD eine Position einnehmen, die konträr zu deren Vorstellungen stehen. 
 
Was für Folgen kann das mit sich bringen? 
 
MM: Wenn es in Kunst und Kultur zu einer Entpolitisierung kommt, wenn Personen unsicher sind, wie sie Dinge ausdrücken können, wenn sich ein vorauseilender Gehorsam durchsetzt, wenn also die AfD mit ihren Strategien erfolgreich ist, werden wichtige gesellschaftliche Themen und Fragestellungen nicht mehr entsprechend aufgegriffen. Diese Form von Selbstzensur hat eine negative Wirkung. Natürlich gibt es immer Menschen, die weiterhin Gesicht zeigen und Position beziehen. Aber Andere sind vielleicht verunsichert, vorsichtig, beteiligen sich nicht mehr an bestimmten Aktionen, setzen Formate nicht mehr um, zeigen keine Haltung mehr. Sie wollen sich nicht angreifbar machen, weil sie sonst Anfeindungen ausgesetzt sind. 
 
Ist es denn überhaupt möglich, sich nicht angreifbar zu machen? Macht es Sinn, bestimmte Themen und Angriffspunkte zu vermeiden? 
 
MM: Auf keinen Fall. Wir plädieren stattdessen dafür, dass die Kultureinrichtungen sich klar für eine offene, demokratische Gesellschaft einsetzen, dass sie sich mit anderen darüber austauschen, weshalb Themen wichtig sind, und dass sie Räume geben für Gruppen, die bisher mit ihren Anliegen nicht in die Mitte der Gesellschaft vorgedrungen sind. Auch in konservativen gesellschaftlichen Bereichen gilt es für Verständnis zu werben, damit es der AfD, trotz einer gewissen Stärke, nicht gelingt zu punkten, damit deren Argumente nicht verfangen. Wir brauchen eher ein Mehr an politischer Diskussion, Debatte und Kritik als ein Weniger, ein Wegducken und eine Ängstlichkeit. Denn der einzige Weg, sich als Kultureinrichtung nicht angreifbar zu machen, wäre, sich der Doktrin oder den Vorstellungen rechter Akteur*innen zu unterwerfen. 
 
Zu Ihren Beratungen gehört auch, Kulturschaffenden Handlungsweisen an die Hand zu geben, um mit entsprechenden Vorfällen und Entwicklungen umzugehen. Was ist hier besonders wichtig? Wie kann man sich darauf vorbereiten, Ziel eines Angriffs oder einer Einflussnahme zu werden?
 
MM: Ein wichtiges Fundament ist, für sich klar zu haben: Wofür stehen wir im Sinne einer offenen Gesellschaft und einer demokratischen Kunst und Kultur? Sich das wirklich deutlich zu machen, durchzudeklinieren, eine Nabelschau zu betreiben. Als zweiter Schritt wäre angebracht, sich mit den Vorstellungen rechter Kunst- und Kulturpolitik, aktuellen Strategien und Gefahren auseinanderzusetzen und Kritik daran zu formulieren, um diesen Argumenten etwas entgegensetzen zu können. Und der dritte Schritt wäre eine Einbeziehung unterschiedlicher Personen. Einerseits alle mitzunehmen, die in den Häusern arbeiten, auch Handwerker*innen, Technik- und Servicepersonal, Tresenkräfte, Hausmeister etc., wenn es darum geht, sich auf Angriffe und Anfeindungen vorzubereiten. Auch sollte man Kommunikation herstellen zu anderen Häusern und zu verantwortlichen Personen in Verwaltung und Politik, dort den Rückhalt suchen und Szenarien, bekannte Beispiele und Entwicklungen durchspielen. Und schließlich - wie schon angesprochen - die formalen Dinge in den Blick zu nehmen, Gremien, Satzungen, Unterlagen. 
 
Es geht also darum, zu antizipieren, auf den verschiedenen Ebenen vorauszudenken und nicht erst zu reagieren, wenn es zu spät ist? 
 
MM: Genau. Inzwischen befassen sich viele Projekte und Medien damit, was passiert, wenn die AfD regiert. Da geht es eher selten um Kunst und Kultur, aber das treibt auch viele Menschen um. Selbst wenn die AfD nicht stärkste Kraft in den Landtagen werden sollte, müssen wir uns darauf einstellen, dass sie weiterhin Wege suchen wird, um erfolgreich zu sein. Unseren Einsatz für Demokratie und Menschenrechte braucht es jeden Tag. Und das tun viele Menschen, auch im Kulturbereich. Unsere Handreichungen für den Kunst- und Kulturbereich sind stark nachgefragt. Vor allem braucht es Menschen, die das Thema ernst nehmen, eine klare Haltung haben, etwas ändern wollen. Gerade in den Ländern, in denen jetzt gewählt wird - Sachsen, Thüringen und Brandenburg -, muss auch im Kunst- und Kulturbereich dagegen gehalten werden. Da ist es wichtig, sich vorzubereiten und gut aufgestellt zu sein, sich miteinander zu solidarisieren, Erfahrungen zu teilen, sich zusammenzuschließen und sich mit breiten Schultern aufzustellen, damit Angriffe nicht erfolgreich sein können. 
 
Publikationen der MBR für den Kulturbereich:
 
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