20.06.2024

Buchdetails

K – Kulturarbeit: Progressive Desillusionierung und professionelle Amateure
von Michael Hirsch
Verlag: Textem
Seiten: 136
 

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Autor*in

Daniel Ivanov
hat einen Doppel-B.A. in Soziologie und Europäische Ethnologie/Volkskunde abgeschlossen und beendet gerade sein Masterstudium. Sein bevorzugter Zugang ist qualitative Forschung; thematisch u.a. Religionssoziologie. 
Buchrezension

K – Kulturarbeit. Progressive Desillusionierung und professionelle Amateure

Oftmals erschöpfen falsche Hoffnungen auf Erfolg die Kulturschaffenden, anstatt sie zu einem guten Leben zu führen. Sie benötigen deshalb eine "progressive Desillusionierung", eine Dosis Realität, was sowohl soziale Umverteilung als auch kulturelle Umwertung bedeuten müsse. Das fordert zumindest Michael Hirsch im Buch "K-Kulturarbeit".
 
Idee des Essays
 
Michael Hirsch ist freier Autor, Philosoph, Politikwissenschaftler und Kulturtheoretiker. In seinem Text "Kulturarbeit. Progressive Desillusionierung und professionelle Amateure" (2022) aus der Reihe "Kleine Stimmungs-Atlanten" des Textem-Verlages bringt der Philosoph seine Überlegungen in kompakten 135 Seiten mit 13 Kapiteln zu Papier. Das Buch ist Hirsch zufolge die Summe seiner Lektüre, seiner vielen Unterhaltungen mit Bekannten aus dem Kulturbetrieb sowie seiner eigenen praktischen Erfahrungen. 
 
Zum Layout des Buches gehört die Abbildung eines Esels, auf dessen Rücken eine Konstruktion angebracht wurde, die ihm eine Karotte vor das Maul hält. Das Bild repräsentiert Hirschs Ausgangsthese, die er als "Unbehagen in der Kulturarbeit" bezeichnet. Allgemein meint dieses Unbehagen die falsche Hoffnung von Arbeiter*innen - gemeint sind vor allem freischaffende Künstler*innen, allerdings gelten viele Aspekte auch für Kulturmanager*innen -, durch Leistung im Kulturbetrieb zu einer etablierten Existenz gelangen zu können. Der Aufstiegsmythos gelte als Norm für die Mehrheit, gehe aber nur für eine Minderheit tatsächlich in Erfüllung. Dieser Widerspruch, den Hirsch mit der Kulturwissenschaftlerin Lauren Berlant als "grausamen Optimismus" bezeichnet, mache das "falsche Leben" aus, das von permanenter Überforderung gekennzeichnet sei. Verinnerlichte Zwänge zur Mehrarbeit und Überproduktion führten zu einer Vorstellung, in der das Beschäftigt-Sein mit Wichtig-Sein in Verbindung gebracht werde, was wiederum ein schlechtes Gewissen zur Folge habe, wenn man sich nicht an die Norm hält. Es werde ein Berufsethos gefördert, demzufolge nur eine ausschließliche Beschäftigung mit Kultur, mindestens in Vollzeit, als vollwertig anerkannt wird. Hirsch schreibt keineswegs allein den Individuen die Verantwortung dafür zu. Stattdessen reproduzieren auch objektive Zwänge, wie prekäre Arbeitsverhältnisse, Konkurrenzzwang und Verlohnarbeitlichung, das, was der Autor als das falsche Leben versteht.  
 
Dem stellt Hirsch die "progressive Desillusionierung" entgegen. Für diese ist der Augenblick kennzeichnend, an dem der Esel zögert, der Erfolgskarotte weiter hinterherzulaufen, wenn man auf das oben erwähnte Bild zurückkommen möchte. Um sich vom Lohnarbeitsregime und den damit einhergehenden Hoffnungen zu befreien, müssten sowohl eine soziale Umverteilung als auch eine kulturelle Umdeutung eintreten. Diese sind nicht ohne Weiteres zu realisieren, doch soll daraus eine vom Lohnregime emanzipierte Sozialfigur hervortreten, die bereits im Titel anklingt: der "professionelle Amateur". 
 
Der professionelle Amateur
 
Professionelle Amateur*innen weigern sich, dem Druck nachzugeben, "ihre Nützlichkeit und ihren Fleiß, ihre Produktivität und Professionalität zu demonstrieren" (S. 97). Es stellt sich aber die Frage, wer sich es leisten kann und will, ein*e professionelle*r Amateur*in zu werden, denn das würde bedeuten, sich auf eigene Gefahr aus dem Spiel der inflationären Leistungsanforderungen herauszuhalten. Dieses Spiel bringe zwar viele Verlierer*innen, aber dennoch auch einige wenige Gewinner*innen hervor und überdecke gleichzeitig die Scham, ungenügend zu sein. 
 
Was Hirsch damit meint, wird deutlicher, wenn man sich fragt, inwiefern jemand wie der Knotenkünstler Jens Risch - ein Prototyp eines professionellen Amateurs - sich als Vorbild für ein gelungenes künstlerisches Arbeitsleben eignet. Risch verzichtet konsequent auf Nebenjobs, um sich ausschließlich seiner künstlerischen Arbeit zu widmen, die er vier Stunden täglich ausführt. Bevor seine Ehefrau den Haushalt mitfinanzierte, lebte er ein paar Jahre lang von Hartz IV. "Haben Sie sich geschämt, als Sie den Antrag ausgefüllt haben?", "Haben Sie Ihrer Partnerin gegenüber manchmal ein schlechtes Gewissen?", fragt der Journalist Tobias Haberl, der mit Risch ein Gespräch für die Süddeutsche Zeitung geführt hat. Diese Fragen repräsentieren das von Hirsch beschriebene Lohn- und Leistungsparadigma, aber auch die aktuelle Arbeitskultur. Ist Rischs Lebensführung unter den heutigen Umständen überhaupt als etwas anderes als eine Ausnahme denkbar? Wenn Hirsch den Knotenkünstler als Gegenentwurf präsentiert, will er vermutlich das utopische Bewusstsein des Lesenden wecken, das auf ein vermeintlich besseres Leben neben dem Lohnregime gerichtet werden soll. Dem Lebensstil von Risch stellt Hirsch die Mythologie von künstlerischem Erfolg gegenüber, die sich in der Anmerkung des Comiczeichners Felix (Flix) Görmann gegenüber der Süddeutschen Zeitung (Nr. 239/Oktober 2022) ausdrücken soll: "Der ganz große Bestseller kann auch mit 85 noch kommen. Das ist für mich eine riesige Motivation weiterzumachen."   
 
Forschung zum kulturellen Arbeitsmarkt
 
Die Forschung zur wirtschaftlichen Lage des Kulturbereichs zeigt, dass "atypische Beschäftigungsverhältnisse" zunehmen und die Normalität der Vollzeitbeschäftigung mit einer "neuen hybriden Normalität" ablösen, in der die Kunstproduktion die Existenz nicht vollständig finanzieren kann. Das betrifft insbesondere die Solo-Selbstständigen und viele professionellen Künstler*innen, aber auch Teilzeit-Mitarbeiter*innen mit kulturmanagerialen Aufgaben. Der Anteil allein der Soloselbstständigen im Kulturbereich ist dreimal so hoch wie in der Gesamtwirtschaft. Darüber hinaus verzeichnen in der Kulturwirtschaft die größten Selbstständigen und Unternehmen das höchste wirtschaftliche Wachstum und die kleinen Solo-Selbstständigen die größten Verluste. Hirsch beklagt zum Beispiel die "großzügige Förderung von ‚Leuchtturmprojekten‘ wie dem Humboldt Forum (…) im dreistelligen Millionenbereich" (S. 26), während kleinere Kulturproduzent*innen eine mickrige Bewässerung erhalten würden. Als Reaktion auf die damit verbundenen arbeits- und sozialpolitischen Herausforderungen des kulturellen Arbeitsmarktes gab der Deutsche Bundestag 2020 seinen Willen kund, Solo-Selbstständige und atypisch Beschäftigte besser abzusichern (Söndermann 2022). 
 
Eine Utopie, die motiviert?
 
Für Hirsch können solche löblichen Maßnahmen keine nachhaltige Lösung für die Entwicklung des Kulturbetriebs darstellen. Deswegen überrascht es nicht, dass er als Voraussetzung für die Überwindung der gegebenen Arbeitsverhältnisse eine bessere Verteilung von Arbeit und Lohn ersehnt. Dazu gehört es, die bisherige Normalität einer Vollzeitbeschäftigung abzulösen, um dadurch den Wettbewerb um Stellen bei gleichzeitiger Überproduktion zu reduzieren. Hirsch denkt hier etwa an Modelle wie Job-Sharing oder radikal verkürzte Arbeitszeiten, die ausgeglichen werden durch einen fairen Zugang zu subsistenzsichernden Lohnarbeiten und Leistungen des Sozialstaates. "Weniger arbeiten, damit alle arbeiten, und besser leben", zitiert er Andre Gorz‘ "Auswege aus dem Kapitalismus".
 
Trotzdem stellt Hirsch die kulturelle Umdeutung an zweite Stelle und die soziale Umverteilung an erste. Man solle emanzipatorische Berufsvorstellungen verbreiten, welche die prekäre Lage der Kulturschaffenden offenlegen. Zugleich soll die "Angst vor der eigenen sittlichen Minderwertigkeit" (S. 65) und der damit einhergehende Erfolgs- und Professionalisierungszwang - gemeint ist die Über-identifikation mit dem Kulturbereich und dem künstlerischen Selbstbild - überwunden werden. 
 
Fazit
 
Würde eine solche kognitive Befreiung zu einer Befreiung auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene führen? Der Text erhofft es sich zumindest. Mit nur 135 Seiten bietet der Band jedoch kaum Platz für eine tiefgehende Ausführung. Als Manifest eignet sich sein Text schon eher. Das gab Hirsch in einem Gespräch beim Chaos Computer Club auch so zu. Hier bezieht er erstens eine klare Stellung zu der aktuellen Lage im Kulturbetrieb und findet treffend-einprägsame Benennungen für altbekannte Unbequemlichkeiten. Zweitens versucht er nachdrücklich, eine Vision eines guten und richtigen Lebens zu mobilisieren, denn glaubwürdige alternative Entwürfe fehlen oftmals in scharfsinnigen Kulturanalysen. In dieser Hinsicht wirkt der Aufsatz des Autors erfrischend.  
 
Der konkrete Weg zu diesem besseren Leben bleibt jedoch nur angedeutet, wird nicht ausgeführt. Eine elaborierte Auseinandersetzung bietet zwar Hirschs Habilitationsschrift "Die Überwindung der Arbeitsgesellschaft. Eine politische Theorie der Arbeit" von 2014, Springer VS. Die Frage, wie sich seine Vision konkret umsetzen lässt, was also eine gerechtere Verteilung der Arbeit in der praktischen Übersetzung für die Arbeit im und des Kulturbereichs bedeuten würden, müssen die Leser*innen dennoch selbst beantworten. Das gilt insbesondere in Bezug auf all jene, die Rahmenbedingungen für Kunst und Kultur schaffen und ebenfalls von Prekariat und atypischen Beschäftigungsverhältnisse betroffen sind. Ob auch diese Tätigkeiten in Teilzeit und per staatlicher Unterstützung geschehen sollen und was das für sie und die Institutionen bedeuten würde, lässt Hirsch offen. So spricht er allgemein von Kulturarbeiter*innen, aber unterscheidet nicht zwischen freien und angestellten Künstler*innen sowie anderen Kulturschaffenden, obwohl die Arbeitsbedingungen und Aufgaben hier mitunter starke Unterschiede aufweisen. 
 
Ebenfalls unbeachtet lässt Hirsch den im Kulturbereich immer stärkeren Fachkräftemangel - wohl auch, weil sich dieser bei Erscheinen des Buches noch nicht so stark abzeichnete. Gepaart mit einer Desillusionierung in Folge der Pandemie und steigenden Anforderungen gerade junger Kulturschaffender, reduziert dieser den Wettbewerb um Stellen und fördert damit - hoffentlich - bessere Arbeitsbedingungen. Einige von Hirschs Forderungen scheinen also bereits Realität zu werden. Ob sie in professionellen Amateur*innen resultieren, bleibt abzuwarten.
 
Literatur
 
Söndermann, Michael (2022): Zwischen Wachstum und Krise. Anmerkungen zu Arbeitsmarktstrukturen des Kultur- und Kreativsektors auf Basis kulturstatistischer Analysen. In: Kröger, Franz/Mohr, Henning/Sievers, Norbert/Weiß, Ralf (Hrsg.): Jahrbuch für Kulturpolitik 2021/22. Kultur der Nachhaltigkeit. transcript Verlag, Bielefeld. S. 519-530. 

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