04.09.2019
Buchdetails
Stadtgeschichte, Stadtmarke, Stadtentwicklung: Zur Adaption von Geschichte im Stadtmarketing
von Alfons Kenkmann, Bernadette Spinnen, bcsd e. V.
Verlag: Springer Gabler
Seiten: 175
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Autor*in
Sven Christian Finke-Ennen
studierte Betriebswirtschaft und ist systemischer Business- und Personal Coach. Er berät Kultureinrichtungen und Veranstalter und war Leiter des überregionalen Kulturmarketings der Osnabrück - Marketing und Tourismus GmbH. Seit 2020 ist er bei der Tourismusgesellschaft Osnabrücker Land mbH für die Bereiche Unternehmens- und Destinationsentwicklung sowie Kulturtourismus zuständig.
Buchrezension
Stadtgeschichte, Stadtmarke, Stadtentwicklung. Zur Adaption von Geschichte im Stadtmarketing
Jede Stadt hat ihre Geschichte. Doch diejenigen, die diese Geschichte aufbereiten, stehen nicht zwangsläufig im Einklang mit denen, die sie vermarkten oder Stadtentwicklung betreiben. Dieser schwierigen Beziehung nimmt sich das Buch "Stadtgeschichte, Stadtmarke, Stadtentwicklung” an und zeigt anhand von Best-Practice-Beispielen, wie die Geschichte für Gegenwart und Zukunft einer Stadt in Wert gesetzt werden kann.
Der Trend zur Geschichte ist nicht zu leugnen. Die Frage, wie er seinen Niederschlag in der Stadtgeschichte findet und Mehrwert stiften kann, dürfte in vielen Städten schon länger diskutiert werden. Denn wer Stadtentwicklung betreibt, kann dabei die Stadtgeschichte nicht aus dem Blick lassen. Und wer relevante historische Themen, Ereignisse oder Personen als USP für die Stadtidentität ausmacht, muss sich mit der geeigneten Vermittlung beschäftigen und aushalten können, dass Historiker*innen und Expert*innen des Stadtmarketings qua Profession einen jeweils eigenen, anderen Blick auf die Dinge haben und sich gegebenenfalls annähern müssen. Das Buch, erschienen bei Springer 2019, stellt deshalb die Ergebnisse eines interdisziplinären Kongresses vor, mit dem die Bundesvereinigung City- und Stadtmarketing Deutschland (bcsd e.V.) im Jahr 2015 in Münster das Verhältnis zwischen Stadtgeschichte und Stadtmarketing auslotete.
Neben der Bundesvereinigung selbst sind die Herausgeber*innen Bernadette Spinnen als dessen Vorsitzende sowie Alfons Kenkmann. Beide verkörpern gewissermaßen die Pole, um die es in diesem Buch geht: Spinnen leitet seit 2001 den städtischen Eigenbetrieb Münster Marketing, Prof. Dr. Kenkmann ist seit 2003 Professor für Didaktik der Geschichte an der Universität Leipzig. Es ist den Herausgeber*innen damit gelungen, durch die Reihenfolge der Beiträge einen roten Faden durch das Thema zu ziehen, was sich jedoch erst im Laufe des Lesens erschließt.
Die wichtigsten Beiträge im Überblick
Alfons Kenkmann stellt in seinem einleitenden Beitrag die Frage, ob aus dem aktuellen "Zuviel an Geschichte" die Gefahr der Geschichtsmüdigkeit resultieren könnte. Dem scheint jedoch, so Kenkmann, der aktuelle Geschichtsboom mit seiner Sehnsucht nach Authentizität entgegenzustehen. Wie sich das in der Praxis niederschlägt, erläutert er anhand von Beispielen des Reenactments, also der Inszenierung historischer Lebenswelten, der wachsenden Zahl der Mittelalterspektakel sowie der Rekonstruktion von historischen Baudenkmälern. Auch mit Blick auf die steigende Bedeutung der Vermittlung in historischen Museen konstatiert Kenkmann, dass sich Geschichte heute wesentlich über Emotionen als Erlebnis verkaufen lässt. Dies könne jedoch die Gefahr einer Eventisierung nach sich ziehen: Je erfolgreicher Geschichtskultur erlebbar gemacht werden kann (wie z.B. bei Jubiläen), umso näher liegt die Kommerzialisierung dieser Anlässe, sodass dieser Ansatz nach neuen Marketingkonzepten verlangt, um die historischen Potenziale der Städte glaubwürdig auszuschöpfen. Dabei werden Historiker und Marketingexperten gleichermaßen als Ideengeber und inszenatorische Berater gebraucht.
Bernadette Spinnen betreibt in ihrem Beitrag klassische Persona-Arbeit. Anhand der fiktiven "Christine", die nach ihrer Habilitation auf Jobsuche geht, beschreibt Spinnen die möglichen Auswahlkriterien für eine Standortwahl hochqualifizierter Arbeitskräfte. Natürlich entscheidet sich Christine für eine Stadt mit besonderer Stadtgeschichte - in diesem Fall die einer Hansestadt. Spinnen geht dabei der Frage nach, ob die historische Identität einer Stadt bewusst im Sinne eines Marketingkonzepts gesetzt werden kann. Schlussendlich rät sie, vorsichtig damit umzugehen; zu heikel und zugleich gefragt sei das Gut einer authentischen Identität in der digitalen Massengesellschaft. Eine Identität ist häufig eine Setzung infolge einer politischen Entscheidung und nicht aus sich selbst heraus entstanden. Beispiele z.B. aus der Zeit des Nationalsozialismus haben gezeigt, wohin das führen kann.
Jeder der weiteren Beiträge der beteiligten Autor*innen hätte eine ausführliche Würdigung verdient, jedoch können im Folgenden nur die Kernthemen der Beiträge erwähnt werden:
Gerold Leppa stellt am Beispiel "seines" Braunschweigs das Verhältnis von Stadtgeschichte und Stadtmarketing dar. Er erläutert die Markenarchitektur der "Löwenstadt", die als Hansestadt, Residenzstadt und aktuell Stadt der Wissenschaft verschiedene Kapitel der Stadtgeschichte bemüht, wobei das Storytelling zu Begebenheiten wie Persönlichkeiten eine wichtige Rolle spielt und die Identität stärkt - immer als Gratwanderung mit der Stadtgeschichte in Bezug auf Pointierung und Reduktion.
Können historische Forschungsthemen für die Öffentlichkeit interessant sein? Ja, meint Viola van Melis, vorausgesetzt die Prinzipien der Wissenschaftskommunikation werden befolgt: Die Aufbereitung soll journalistischen Standards genügen, die Relevanz muss offensichtlich sein und es darf nicht übermäßig vereinfacht oder übertrieben werden. Anhand eines Pilotprojekts der Universität Münster stellt van Melis dar, wie die Vermittlung historischer Inhalte gelingen kann.
Mit Public History stellt Irmgard Zündorf ein Feld vor, auf dem sich Wissenschaft und Öffentlichkeit über Geschichtspräsentationen austauschen, ohne die Deutung den Marketingverantwortlichen zu überlassen. Aber interessiert sich die Öffentlichkeit nur dann für Geschichte, wenn Spektakuläres geboten wird? Wurde (Stadt-)Geschichte nicht in allen Zeiten verbogen und bewusst fehlgedeutet, um zur Identitätsstiftung zu taugen? Wie weit darf man im Stadtmarketing gehen, um Geschichte öffentlich interessant zu machen? Diesen Fragen geht Gerd Althoff anhand von Beispielen aus verschiedenen Städten nach und kommt zu dem Schluss, dass Geschichte nicht zwingend nur als Erfolgsgeschichte auf Interesse stoßen kann.
Wenn von Stadtidentität gesprochen wird, liegt das Thema "Heimat" nicht fern. Karl Jasper erläutert, über welche Stellschrauben in der nordrhein-westfälischen Stadtentwicklungspolitik versucht wird, Heimat als ein mit allen Sinnen zu spürendes Lebensgefühl zu erhalten, neu zu erfinden und im Stadtmarketing zu nutzen, beispielsweise über die Entwicklung historischer Ortskerne, den Umgang mit Baudenkmälern oder Bürgerbeteiligung bei der Stadterneuerung .
Charlotte Brühl-Gramer analysiert die Veränderungen im Stadtimage Nürnbergs im Wandel der Geschichte. Vom altdeutschen Nürnberg über die Stadt der Reichsparteitage und der Nürnberger Prozesse bis zur Stadt des Friedens und der Menschenrechte - dem liegt ein bewusster Paradigmenwechsel über gesteuerte Umdeutungen der Vorstellungsbilder von negativ zu positiv besetzten Imagefaktoren zugrunde.
Frank Pritsche setzt sich mit der Markenentwicklung der Stadt Leipzig auseinander. Wie wurde die Marke "Stadt der Friedlichen Revolution" aufgebaut? Um diese zukunftsfähig zu gestalten, musste es, so Pritsche, den Verantwortlichen gelingen, die Erinnerung an die Ereignisse rund um das Ende der DDR mit neuen, aktuellen Formaten und didaktischen Methoden lebendig zu halten. Dazu zählen u.a. die Konzeption von Erinnerungsveranstaltungen und Marketingkampagnen, aber auch die Einordung der Stadt- in gesamtdeutsche Geschichte. Über Bürgerumfragen wurden zudem die Anliegen der Stadtbevölkerung mit Blick auf den Bezug zur Friedlichen Revolution untersucht. Pritsche belegt seine Ausführungen anschauliche mit Auszügen aus empirischen Studien.
Schließlich der Blick nach Berlin und zu dessen Festkultur. Wie und warum haben sich Stadtfeste in der Hauptstadt seit der Nachkriegszeit vom Heimatfest zum Stadtevent verändert? Cornelia Kühn erklärt in ihrem Beitrag, dass die Versicherung der eigenen Tradition und Identität bei dieser Entwicklung von dem Wunsch nach dem Erleben anderer Welten überlagert wurde.
Magdeburg und Otto: Die vormals eher geschichtslose Landeshauptstadt schärfte ihr Profil nach der Jahrtausendwende über die Ausstellungsreihe zur Geschichte Otto´s des Großen. Matthias Puhle stellt dar, wie Magdeburg seitdem in den Otto-Stadt-Kampagnen erfolgreich Geschichte und Gegenwart verbindet und damit ihr Image aufwertet.
Fazit
Für wen ist dieses Buch interessant? Natürlich für alle Teilnehmer*innen des Kongresses 2015 in Münster als umfassende Dokumentation. Aber auch anderen Verantwortlichen in den Bereichen Stadtgeschichte und Stadtmarketing mag der Band wichtige Inspirationen für ihre Arbeit geben. Es wirbt für den Dialog zwischen Marketing und historischer Wissenschaft, in dem es beide Positionen ohne Wertung beleuchtet. Einen vertieften Einblick sollte man dabei nicht erwarten; das überfordert ein solch kompaktes Format. Dennoch macht das Buch Mut, sich dem Thema intensiver zu widmen und, so noch nicht geschehen, in breiter Beteiligung herauszufinden, wie und wo die Stadtgeschichte effektiv zur Profilierung der Stadtidentität herangezogen werden kann.
Die Beiträge liefern fundierte Anreize für Diskurse und Reflexionen - und setzen dabei auf Verständigung der Professionen. Die Autor*innen belegen zudem ihre Ausführungen nachvollziehbar mit praktischen Beispielen. Wer allerdings auf belastbare Fakten Wert legt, wird nur in einem Beitrag fündig. Dafür sind die umfangreichen Literatur-/Quellenangaben eine wahre Fundgrube für alle, die sich mit dem Thema vertieft auseinandersetzen wollen.
An den Viten der Autor*innen ist abzulesen, dass sie überwiegend im wissenschaftlichen Kontext beschäftigt sind. Vielleicht hätte die Erweiterung um die eine oder den anderen Praktiker*in aus dem Stadtmarketing diese Perspektive noch weiten können. Trotzdem insgesamt
Ein zusätzlicher Mehrwert: Wer sich die Print-Ausgabe zulegt, kann per Coupon im Buch auch auf das E-Book zugreifen.
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