29.03.2005

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Autor*in

Elke Tröller
Buchrezension

Das deutsche Theater und die Krise

Jahrbuch für Kulturpolitik 2004, von Bernd Wagner (Hrsg.); Klartext Verlagsgesellschaft; 2004
 
Deutschland hat über 150 Stadttheater - so viele wie sonst kein Land der Welt. Zudem wird jede Theaterkarte mit durchschnittlich 96 Euro bezuschusst. Sind somit die von Theaterakteuren benutzten Schlagworte wie "Abbrennen der Theaterlandschaft" oder "Theatertod" nur Überreaktionen?

Krise oder nicht - mit dieser Frage und der gegenwärtigen Situation des deutschen Theaters befasst sich das aktuelle Jahrbuch für Kulturpolitik 2004 mit dem Titel "Theaterdebatte". Diskutiert wird hierin die Zukunft des deutschen Stadt- und Staatstheatersystem mit seinen Charakteristika Mehrspartenbetrieb, Ensemble und Repertoiresystem. Die Autoren spiegeln dabei die große Bandbreite der beteiligten Akteure wider: Intendanten sind ebenso vertreten wie Theaterregisseure, Kulturpolitiker, Theaterwissenschaftler oder Ministerialbeamte. Gegliedert ist das Jahrbuch in die Rubriken "Theaterdebatte", "Das Theater und sein Publikum", "Strukturen und Reformen", "Theaterlandschaft Deutschland", "Blick über die Grenze" sowie "Theater und Kulturpolitik". Ein Anhang mit Kulturstatistiken, einer Kulturchronik des vergangenen Jahres, Literatur- und Adressdaten rundet den informativen Charakter ab.

Dem großen Umfang des Buches von 441 Seiten entspricht leider auch die qualitative Bandbreite der vorhandenen Beiträge: So äußert sich Antje Vollmer zu "Schulden und Bühne", was jedoch nicht mehr als ein kurzes, dreiseitiges politisches Statement darstellt. Der Beitrag von Klaus Pierwoß über die Auseinandersetzung des Bremer Theaters mit der örtlichen Kulturpolitik zeigt zwar exemplarisch die finanzielle Notlage eines Stadttheaters auf, bleibt jedoch in seiner Schilderung zu sehr den örtlichen Einzelheiten verhaftet, ohne dass übergreifende Lösungsmöglichkeiten deutlich werden. Beide Beispiele sind exemplarisch für das grundsätzliche Problem des Bandes: Er enthält zwar eine Fülle von Beiträgen, diese können jedoch zumeist allein schon aufgrund ihrer Kürze nur oberflächlich ein Thema streifen. Auch fehlt es an streitbaren Ansichten, die der Frage nach der Zukunft des deutschen Theaters echte Impulse geben könnten, und es bleibt die zentrale Frage unbeantwortet, was das Theater einem durch neue Medien, Freizeitindustrie und Globalisierung veränderten kulturellen Rezeptionsverhalten entgegensetzen kann. Stattdessen erschöpft sich die Mehrheit der Aufsätze vielmehr in einer allgemein konsensfähigen Protesthaltung gegen kulturpolitische Etatkürzungen, ohne einmal die eigenen Strukturen des Theaterbetriebs kritisch unter die Lupe zu nehmen. Erfreuliche Ausnahmen stellen dagegen die Beiträge von Peter Iden "Mehr Geld. Aber wofür?" oder Wolfgang J. Ruf "Teure Täuschungsmanöver, zähe Besitzstandswahrung" dar. Iden kritisiert die Selbstinszenierung der Regisseure und fordert ein dementsprechendes Umdenken des Theaterbetriebs. Ruf weist auf mangelhafte Statistiken zu den deutschen Bühnen sowie ineffiziente und unflexible Theaterstrukturen hin.

Im Hinblick auf mögliche Anregungen für organisatorische und strukturelle Veränderungen werden im Jahrbuch auch andere Produktionsformen wie im freien Bereich oder in anderen Ländern betrachtet. Allerdings sind die Äußerungen seitens des freien Theaters recht einfach ("Sorgen müssen wir uns nicht machen - die nächste Bewegung von unten wird nicht lange auf sich warten lassen." Frank Heuel, "Vom Freien Theater lernen?") und der Ländervergleich mit dem französischen, englischen, rumänischen und kubanischen Theatersystem fragwürdig und in der Auswahl zu gering, als dass daraus echte Anregungen gewonnen werden könnten. Vielmehr bekommt man durch die Darstellung den Eindruck, dass in Deutschland auf einem hohen Niveau gejammert wird. - "Von Frankreich und auch von allen anderen Ländern aus gesehen, ist das deutsche Theater immer noch sehr reich." (Patrick Guinand im Gespräch mit Wolfgang J. Ruf, "Ohne einen guten Probenplan läuft nichts im deutschen Theater").

Das deutsche Theater ist in der Krise: In einer Situation, in der es seine Einzigartigkeit selbstbewußt verteidigen und Perspektiven seiner Weiterentwicklung aufweisen müßte, bleibt es sprachlos - auch nach über 400 Buchseiten.
 

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