18.03.2012

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Autor*in

Dirk Heinze
Buchrezension

Ehrliche Debatten müssen sein!

Das erst am Dienstag erscheinende Buch "Der Kulturinfarkt" löste durch einen SPIEGEL Artikel heftige Reaktionen aus. Wir haben das Buch bereits gelesen und veröffentlichen hier unsere ersten Eindrücke.
 
Schon nach wenigen Seiten wird deutlich, dass das Buch mehr ist als Polemik. Sie dient nur an vielen Stellen als Stilmittel, um die Notwendigkeit eines kulturpolitischen Diskurses deutlich zu machen. Die Autoren führen allerdings eine Debatte weiter, die bereits zum 56. Kulturpolitischen Kolloqium in Loccum vor einem Jahr angestoßen wurde: Wie sieht die Zukunft der immer weiter wachsenden kulturellen Infrastruktur vor dem Hintergrund veränderter gesellschaftlicher Rahmenbedingungen aus? Die Lektüre ist spannender als ein Krimi, da sich praktisch jeder Leser an den Beobachtungen, Thesen und Schlussfolgerungen reiben, durch persönliche Eindrücke entweder bestätigt oder widerlegt sehen kann. Vor allem aber ist es ein Sachbuch und kein Fachbuch als Anleitung zum geordneten Kulturabbau.
 
Die vier Autoren "möchten den Patienten therapieren" (S. 13). Der Hilfsbedürftige ist in ihrer Wahrnehmung der deutsche Kulturbetrieb, den sie erwiesenermaßen bestens kennen. Sie fordern mehr unternehmerisches Denken und Handeln, mehr Orientierung an Markt und Nachfrage, und vor allem eine Beschäftigung mit den wirklichen gesellschaftlichen Herausforderungen: "Einwanderung, globaler Austausch, Medienrevolutionen. Sie verändern den Alltag, aber nicht den Kulturbetrieb" (S. 25).
 
Knüsel, Haselbach, Klein und Opitz nehmen eine ausführliche Bestandsaufnahme vor. Die schier unglaubliche Ausdehnung des Kultursektors in den letzten 35 Jahren: sieben mal mehr Bibliotheken, achtmal mehr Musikschulen, mindestens sieben mal mehr Museen. Problem 1 dabei: die steigenden Kosten. Problem 2: die nicht gewachsenen Nutzerzahlen. Für die Autoren geschah der Ausbau "planlos" im Gefühl, etwas Richtiges, Gutes zu tun. Weder Folgekosten wurden in Betracht gezogen, noch die erhofften Ziele und die Wirkung dieses Wachstums.
 
Einen breiten Raum nimmt im Buch die Beschäftigung mit den Denkweisen innerhalb des Kulturbetriebs und der handelnden Kulturpolitiker ein. Es ist insofern auch eine kultursoziologische Betrachtung. Die eine soziologische Betrachtung scheint die nach dem Bürger und seiner Mündigkeit zu sein. Wird er seitens der Kulturpolitik ernst genommen oder - wie die Autoren vermuten - erzogen und bevormundet? "Der demokratische Staat mutet dem Bürger eine Mündigkeit im Urteilen und Gestalten seines Lebens zu, welche Kulturpolitik ihm abspricht" (S. 25).
 
Eine weitere Beobachtung ist die nach der Staatsnähe, von dem der Kulturbetrieb hierzulande geprägt sei: sowohl was das Bedürfnis nach öffentlichen Stellen als auch nach Subventionen betrifft. Dies erzeuge Marktferne und damit mangelnde Innovation: "Die staatliche Förderung erlaubt ihnen, sich vom Wettbewerb abzukehren" (S. 64). Die damit ausgelöste, weitestgehende Loslösung von der Nachfrage ist bei weitem kein deutsches, sondern ein europäisches Problem, wie eines der vielen internationalen Zitate im Buch belegt: "Europa interessiert sich nicht ausreichend für die Popkultur, fürs Entertainment, die Kreativindustrien, für den Markt und die ethnische Vielfalt, deshalb erlebt es eine große kulturelle Stagnation" (Steven Erlanger von der New York Times, siehe S. 71). Nicht nur die Einbeziehung vieler solcher globalen Stimmen hat uns spontan beeindruckt, sondern auch der ganzheitliche Ansatz, der Aspekte von Bildung, Wirtschaft, Medien und vor allem von Politik und Staates einfließen lässt in eine Gesamtbetrachtung auf die Kultur im Lande.
 
Keine Frage: nicht alles, was die Herren Knüsel, Haselbach, Klein und Opitz an Argumenten und Beispielen zusammengetragen haben, ist neu. In der Komprimierung auf rund 280 Seiten ist das Buch dennoch geeignet, endlich die Grundsatzdebatte im Kulturbetrieb anzustoßen, die längst überfällig ist. Nicht immer werden dies Veränderungen im Sinne der Autoren sein, denn auch sie argumentieren aus individueller Sicht ihrer Generation und aus ihren Lebenserfahrungen. Da werden ganz andere Stimmen hinzutreten müssen, deren Sicht auf die Dinge wichtig sind für die Verortung und Zukunftsperspektiven.
 
Wir setzen unsere Einordnung dieses Buchs, was sehr viele weitere Facetten besitzt, auch unter Einbeziehung der ersten Reaktionen von Verbänden und Presse, in den nächsten Tagen fort - auf dem Portal, im KM Magazin und den sozialen Netzwerken.
 
 

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