10.05.2012
Autor*in
Armin Klein
war bis 2017 Professor für Kulturmanagement und Kulturwissenschaft an der PH Ludwigsburg. Er ist Autor zahlreicher Standardwerke zum Kulturmanagement und Mitherausgeber des International Journal of Arts Management. Seit seiner Emeritierung 2017 ist er Berater für Kulturbetriebe und gibt Seminare und Workshops im Fortbildungsbereich.
Stephan Opitz
Dieter Haselbach
ist habilitierter Soziologe und arbeitet seit über 20 Jahren als Kulturberater und -forscher. Er unterrichtet regelmäßig an deutschen und internationalen Hochschulen. Seit 2014 ist er Direktor des Zentrums für Kulturforschung. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen in der Entwicklung von Planungsprozessen und Strategien für Institutionen, Change Management in der öffentlichen Verwaltung sowie Führungs- und Konfliktcoaching.
Pius Knüsel
studierte Germanistik, Philosophie und Literaturkritik. Anschließend war er unter anderem als Journalist und Kulturredakteur tätig, bevor er Leiter Kultursponsoring der Credit Suisse Bank und Direktor der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia wurde. Heute ist er Direktor der Volkshochschule Zürich, Publizist und Kulturvermittler und lehrt Kulturmanagement, Kulturpolitik und Kulturkritik an Schweizer Hochschulen.
Kulturförderung
Der Kulturinfarkt - Interview mit den Autoren (Teil IV)
Das Buch "Der Kulturinfarkt" löste eine lautstarke Debatte über die Zukunft der Kulturförderung aus. Wir trafen die Autoren zum Exklusivinterview und veröffentlichen dies als Serie hier auf unserem Portal.
Das Interview führte Dirk Heinze.
KMN: Wie sieht nun der Weg aus, über den wir zur kulturellen Grundversorgung einerseits, zu künstlerischer Exzellenz und besserer Auslastung der Häuser gelangen? Dafür braucht es Kriterien. Ist Qualität Ihr Kriterium, oder eine bestimmte infrastrukturelle Dichte? Eine Leuchtturmpolitik haben Sie gerade ausgeschlossen.
Autorenteam: Deutschland wie auch die Schweiz hat so viel kulturelles Potenzial in der Fläche, dass man eine bunte, schicke Kulturlandschaft daraus entwickeln kann. Möglicherweise ist es so, dass gerade in der Metropole der Subventionsbedarf hinsichtlich der kostspieligen Institutionen viel geringer ist, da das kulturelle Leben ohnehin dichter ist. Das hat sicher damit zu tun, dass viel mehr Menschen in Schulen und Universitäten gehen und interessante Berufe ausüben können und dies zu anderen Subventionsverhältnissen führt.
Das Handelsblatt hat dies in seiner Ausgabe vom 30.3. sehr schön durchgerechnet. In Metropolen passiert vieles auf Märkten, was sich in der Fläche kaum tragen kann. Die Diskussion wird kulturpolitisch doch in wesentlichen Teilen in den Kommunen stattfinden, weil sie Träger der meisten Angebote sind. Es muss dort eine unverstellte, vorurteilsfreie Diskussion darüber geführt werden, was man im Rahmen der Möglichkeiten tun und was man an Besonderheiten beitragen kann. Anstatt wir in jeder Kommune ein möglichst vollständiges Angebot vorhalten, kann es gerade in den sog. Metropolregionen nach entsprechender kulturpolitischer Abstimmung zu einem individuellen Angebot kommen, dass diese Besonderheiten in sich trägt. Die Panik, alles müsse bleiben wie es ist, hilft nicht.
In Ihrer Frage steckt auch ein Managementanteil. Es braucht in jeder Disziplin Leitinstitutionen, wo man beispielsweise sagt, der Begriff vom heutigen Theater funktioniert so. Damit stellen sich 3 Fragen: Müsste man diese Institution aus der staatlichen Obhut entlassen, subventionieren wir es als eigenständige, eigenverantwortliche Unternehmen, und trage ich dafür Sorge, dass sie einen vernünftigen Eigenfinanzierungsgrad erreichen? 14 % Eigenfinanzierung heißt doch entweder, die Publikumsbasis ist zu schwach oder es engagiert sich auch ökonomisch viel zu wenig für sein Haus. Nichts ist legitimer als 30 % Eigenfinanzierungsquto zu fordern. Theater, wenn es teuer ist, soll es auch teuer sein. Mit einer entsprechend teuren Eintrittskarte weiß auch das Publikum, was es bekommt und was es wert ist.
Eine kleine Anekdote dazu: im Staatstheater Karlsruhe wurde neulich Wolfgang Rihm gespielt, eine Textcollage von Hölderlin. Der Saal war etwa zu zwei Dritteln gefüllt. Nach der Pause sind davon zwei Drittel gegangen. Das ist dann nur noch Selbstbespiegelung! Was ökonomisch völlig verantwortungslos ist: sie haben 10 Schauspieler auf der Bühne und 20 Musiker im Orchestergraben. Das Publikum ist schreiend rausgegangen. Das kann sicherlich einmal passieren. Aber man darf es nicht zum Prinzip machen.
Thomas Steinfeld hat in der Süddeutschen kürzlich die richtige Frage gestellt: was hat mehr zur Durchsetzung zeitgenössischer Musik beigetragen: das Label ecm oder die Donaueschinger Musiktage? Und erst vor kurzem stand in der gleichen Zeitung ein Artikel unmittelbar unter dem zum Kulturinfarkt: "Corso-Verlag muss schließen". Ein wunderbarer Verlag mit wunderbaren Büchern. Im Beitrag wird erinnert daran, dass andere Verlage wie Aufbau oder Eichborn schließen mussten. Alle sind sich einig darüber, dass das Produkt gut war. Aber die Ökonomie hat nicht gestimmt. Soll der Staat jetzt eine Auffanggesellschaft gründen, wie es bei Schlecker geplant war?
KMN: Kommen wir zurück auf die Ausgestaltung der kulturellen Landschaft, wie Sie sie sich wünschen. Es klang ein wenig der Gedanke der Umverteilung durch.
Autorenteam: Man kann sich sicherlich regional spezialisieren, anstatt das "Vollpaket" anzubieten und damit unter der Last ächzen. Angesichts der gestiegenen Mobilität ist es den Menschen auch durchaus zumutbar, wenn sie für den Opernbesuch einmal 70 km fahren müssen. Dafür haben sie vielleicht ein Museum vor Ort, das sich spezialisiert hat, das wiederum Leute von anderswo anzieht. Dennoch sollte man dies nicht ausschließlich in Institutionen denken. Die Entwicklung in der Schweiz ist so, dass man sich in der Fläche, wenn man sich profilieren will, ein Thema sucht, was mit der Region verbunden ist. Dann gründet man ein Festival, also etwas Ephemeres, was aufkommt und dann, wenn das Interesse daran schwindet, einfach nicht mehr stattfindet. Es wächst mit der Beteiligung der Bürger. Dabei sind die Künstler sehr professionell, gehören zu den Besten. Das Festival "Alpentöne" beispielsweise beschäftigt sich mit anspruchsvoller Musik aus dem Alpenraum. Auslöser waren zwei Entwicklungen, wie sie überall vorkommen können: nach dem Autobahnbau verlor die Kantonshauptstadt Altdorf ihre Rolle als Zwischenstation für den Durchreiseverkehr, die Übernachtungszahlen brachen entsprechend ein. Und dann schloss die Armee noch die Munitionsfabrik. Man erfand ein Festival, das für die eigene Bevölkerung konzipiert ist. Indem man dort also etwas für sich gemacht hat, ist die halbe Schweiz darauf aufmerksam geworden. Es ist keine aufwändige Infrastruktur nötig, die über das ganze Jahr hinweg unterhalten werden muss. Aller zwei Jahre im Sommer ist für 3 Tage Uris Kantonshauptstadt jedoch die Schweizer Musikhauptstadt, und sie bieten den Leuten vor Ort offenkundig so viel "Nahrung", dass sie problemlos zwei Jahre davon leben können.
KMN: Hat bei Ihren Überlegungen der öffentliche Kulturauftrag noch eine Bedeutung?
Autorenteam: Diesen öffentlichen Auftrag gibt es in Deutschland allenfalls als Proklamation in 15 von 16 Landesverfassungen. Sie sind höchst unscharf, wenn sie lauten, wir unterstützen und fördern Bibliotheken, Volkshochschulen, Theater und Museen. Vom Grundgesetz ist diesbezüglich wenig abzuleiten. Es gibt einen Satz, der die Kunst, Lehre und Wissenschaft frei stellt, und einen anderen zum Kulturgutschutz, wo das kulturelle Erbe quasi vor der Abwanderung bewahrt werden soll. Das finden wir vollkommen ausreichend, wenngleich der Streit über ein Staatsziel Kultur noch nicht ausgefochten ist. Unser ordnungspolitische Ansatz hingegen, der die öffentlich-rechtlichen, meritorischen und privaten Interessen benennt, ist neu. Auf die Stellen im Buch, die Schnittstellen zur Bildung, zur Ausbildung, zum kulturellen Erbe oder zur Kulturwirtschaft berühren, ist man in der bisherigen Rezeption noch nicht eingangen.
Ein Bibliotheksverband aus Österreich meinte, das Buch hätte sie zur Fantasie angeregt. Und die Kunst hat ja die symbolische Kraft, einen zur Fantasie zu leiten. Umso mehr fragen wir uns, warum wir so staatsgläubig sind. Wir haben doch so eine bunte Landschaft, die wir nur zulassen müssen. Eine Studentin initiiert mit europäischen Strukturmitteln ein Projekt im Westerwald. Sie stellt ihr Projekt - ein Musikmuseum - dem Staatssekretär in Wiesbaden, vor. Er sagte: "Ich kann ihnen aber kein Geld geben", worauf die Studentin entgegnete, sie wolle kein Geld, da sie bereits Stifter und Sponsoren habe, sondern ihm das Projekt lediglich vorstellen.
Wir haben in der Bundesrepublik doch viele solcher Beispiele. Nehmen Sie das Festspielhaus Baden-Baden, ein wunderbares Programm, 30 Mill. Euro Etat, die sich selbst finanzieren. Wir haben das Städel-Museum Frankfurt, betriebswirtschaftlich hervorragend gesteuert von einem Kulturmanager und Kulturwissenschaftler, verankert seit der Gründung durch ein bürgerschaftliches Engagement. Wir müssen das nur zulassen. In der Kultur gibt es so einen Hass auf Ökonomie und Markt nach dem Motto: Was gefällt, hat schon verloren.
Wir legen dazu noch ein ökonomisches Argument drauf. Der große Teil unseres kulturellen Erbes wird meritorisch gefördert. Wenn wir diese Förderung unter den ökonomischen Umständen betrachten, auf die Gründe, Mittel und Ziele sowie die Wirkung auf die Märkte schauen, in denen sie stattfinden, können wir auf viel entspanntere Weise über kulturökonomische Zusammenhänge, über die öffentliche Kulturförderung und den öffentlichen Kulturauftrag diskutieren.
Die Frage nach dem öffentlichen Kulturauftrag führt schnell zum ersten groben Missverständnis, das Kultur nur entsteht unter öffentlicher Beihilfe. Das kann es ja wohl nicht sein. Julian Schütt schreibt in der ZEIT, wir wollten die Kultur abschaffen. Das kann man ja gar nicht. Es gibt die Kultur, die einfach da ist. Wir alle leben in einer Kulturnation, ohne das der Staat bereits den Finger rühren würde. Die Frage ist vielmehr, was der Staat mit seinen Eingriffen erreichen möchte. Soll er bestimmte Traditionen besonders pflegen, weil sie uns wichtig sind, oder geht es darum, die Bürgerschaft zu zivilisieren, so wie es die Franzosen verstehen, wenn sie über Kulturpolitik reden. Geht es um allgemeine Bildung, oder darum, gewissermaßen die "kollektiven Emotionen zu bewirtschaften". Das sind sehr unterschiedliche Aspekte.
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Teil 5 der Interviewserie erscheint am 17.5.
Rezension des Buchs www.kulturmanagement.net/beitraege/prm/39/kind__0/v__d/ni__2186/index.html
Kommentar von Prof. Birgit Mandel: www.kulturmanagement.net/beitraege/prm/39/kind__0/v__d/ni__2190/index.html
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