08.09.2008
Autor*in
Wolfgang Bergmann
Wolfgang Bergmann war seit 2001 Leiter des ZDFTheaterkanals. Der 46jährige studierte Ethnologe, Publizist und Germanist organisiert u.a. die Theaterarbeit im ZDF, insbesondere für 3sat und ARTE. Er ist Autor und Herausgeber, Mitglied der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste und leitet seit dem 1. November 2007 die neue Theaterakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg.
Rolf Schlenker
Rolf Schlenker Jahrgang 1954, ist seit 1999 Redakteur für Wissenschaftsdokumentationen beim Südwestrundfunk Baden-Baden, wo er seinerzeit als Volontär begann. Für seine Dokumentationen wurde der Germanist und Politikwissenschaftler vielfach mit wichtigen Preisen ausgezeichnet und hatte 2008 u.a. die Projektleitung der ARD-Reihe "Deutschland, Deine Künstler".
Kultur in Europa
Mit großen Netzen fischen
Gespräch mit Wolfgang Bergmann und Rolf Schlenker, Produzenten der ARTE-Programmreihe "Europas Erbe Die großen Dramatiker". Sie stellt die Frage, ob es einen gemeinsamen Nenner gibt, der die europäische Kultur zusammenhält, und welche großen Dramatiker dazugehören.
Aus einer Liste mit 50 europäischen Dramatikern wurden zwischen Juni und Oktober 2007 von den Zuschauern per Postkarte und via Internet die zehn beliebtesten europäischen Dramatiker ermittelt. Das Ergebnis: jeweils eine Sendung zu Sophokles, Shakespeare, Molière, Schiller, Goethe, Ibsen, Tschechow sowie Brecht, Sartre und Beckett. Diese Liste wurde entwickelt nach der Aufführungshäufigkeit der Dramatiker in Europa, nach der Einschätzung des Internationalen Theaterinstitutes (ITI) sowie aus einer weiteren Auflistung des internationalen Theaterforums des Theatertreffens in Berlin 2007.
Das Gespräch führte Uta Petersen.
KM Magazin: Herr Bergmann, Sie sind u.a. Leiter des ZDF-Theaterkanals und der Theaterakademie Baden-Württemberg und Initiator dieser Sendereihe. Können Sie beschreiben, wie diese Idee zu den großen Dramatikern in Ihnen gereift ist?
Wolfgang Bergmann: Wir haben ganz gute Erfahrungen mit Sendereihen gemacht, die dem Publikum einen Überblick verschaffen zu spannenden Themen aus der Welt des Theaters. Ich denke da an unsere sechsteilige Reihe "Das Jahrhundert des Theaters", die so etwas wie ein filmisches Standard- Werk geworden ist. Genau hier wollen wir anknüpfen mit "Europas Erbe: Die großen Dramatiker". 2500 Jahre Theatergeschichte entlang der Biografien großer Autoren.
Aber das Projekt geht darüber hinaus. Denn wir haben ein spielerisches Element mit eingeführt, indem das Publikum bestimmen darf, welche Köpfe von besonderem Interesse sind. "Voting" für Dramatiker klingt ein wenig paradox, knüpft aber an die gute alte griechische Theatertradition der Dionysien* nahtlos an. Das war nichts anderes als die öffentliche Wahl des Star- Dichters. So hat alles einmal angefangen!
KM: Von der Idee bis zur Fertigstellung der Programmreihe hat es knapp drei Jahre gedauert. Wie haben Sie Ihre Arbeit begonnen, in welchen Schritten sind Sie vorgegangen?
WB: Erstmal musste ich mich von meiner Idee selbst überzeugen, ob das denn die richtige Form für Kulturfernsehen ist. Schließlich handelt es sich um eine durchaus ungewöhnliche Herangehensweise auf diesem Sektor. Und dann war es aufgrund der Finanzierung notwendig, die Kollegen von der ARD mit ins Boot zu bekommen. Da bin ich Klaus Wenger sehr dankbar, dem ARDKoordinator für Arte, der da viel Überzeugungsarbeit geleistet hat. Und Martina Zöllner, der Projektleiterin beim SWR, mit der ich das Ding angeschoben habe, bevor Rolf Schlenker sie dann abgelöst hat. Und dem Internationalen Theaterinstitut und dem Berliner Forum junger Bühnenangehöriger, die bei der Vorauswahl, der 50er-Bestenliste tolle Arbeit geleistet haben.
KM: ...also ausgiebiges Networking?
WB: Ja! Das Netzwerk hat geglüht, um diese Sendereihe möglich zu machen. Das Team, das sich die Arbeit untereinander aufgeteilt hat, ist natürlich erheblich größer. Dazu gehören auch Kolleginnen die insbesondere bei der redaktionellen Betreuung der Dokumentationen gemeinsam mit der Produktionsfirma großartige Arbeit geleistet haben. Mir bleibt am Ende nur, hier und da Hinweis zu geben, wenn das Schifflein einmal in schwere See gerät.
KM: Herr Schlenker, Sie sind seit 1999 Tätigkeit als Redakteur für Wissenschaftsdokumentationen beim SWR und haben sich die Arbeit an diesem Projekt mit Herrn Bergmann aufgeteilt. Was war Ihr Aufgabenschwerpunkt?
Rolf Schlenker: Der Schwerpunkt lag auf den dokumentarischen Teilen, also der Auftaktsendung und der 10 Dokumentationen. Da das Projekt sehr schnell in Zeitnot kam haben wir die redaktionelle Betreuung der Dokumentationen zwischen ZDF und ARD aufgeteilt, nachdem wir gemeinsam in einem "Piloten" inhaltliche und formale Kriterien festgelegt hatten.
KM: Wie ging es weiter?
RS: Zunächst wurden der "unique selling point" der Reihe festgelegt: Sie sollte mit lockerer Hand gestrickt sein und dennoch einem fachlichen Blick standhalten können, wir haben uns für die Bestandteile "Comic" und "Newenactment" entschieden und haben den Einsatz dieser Stilmittel und die Erzählhaltung in den Dokumentationen festgelegt.
KM: Haben Sie für alle Dramatiker ausreichend Material vorgefunden? Wie hoch ist der Anteil neu gedrehter Sequenzen?
WB: Ja und nein. Material gibt es in Hülle und Fülle. Aber das Original- Filmmaterial über Sophokles ist rar (lacht). Deshalb haben wir zum Teil mit Comics und Zeichnungen gearbeitet, zum Teil aber auch mit nachempfundenen Inszenierungen biografischer Momentaufnahmen der Dramatiker, die gar nicht vorgeben authentisch zu sein, sondern assoziative Übersetzungen in die Jetztzeit darstellen. Das klingt ein bisschen aufgeblasen, tut aber beim Anschauen gar nicht weh, macht Spaß! Die neu gedrehten Anteile machen so etwa die Hälfte aus.
KM: Sind Sie bei Ihrer Arbeit auf bisher unbekanntes, unveröffentlichtes Material oder Texte gestoßen?
WB: Ja, wie Sophokles an der Weintraube erstickt, hat so noch niemand gesehen!!!
KM: Durch die einzelnen Dokumentationen führen international bekannte Künstlerpersönlichkeiten. Beim Tschechow-Abend am 16.9. ist es zum Beispiel die französische Schauspielerin Juliette Binoche. Nach ihrer eigenen Erfahrung ist es der Autor der Wahrheit und der Demut. Welches Publikum erhoffen Sie sich? Können Prominente möglicherweise neuen Zugang zu den Dramatikern erleichtern oder erneuern?
RS: Die teilweise clipartige Machart der Dokumentationen zeigt, dass sie auch ein jüngeres Publikum ansprechen will. Dazu gehört, dass man mit großer Selbstverständlichkeit mit Promis arbeitet, allerdings nur dann, wenn sie einen nachweislichen Bezug zu dem vorgestellten Dramatiker haben.
WB: Es ging uns nicht in erster Linie um Prominenz. Kompetenz und ein breites Spektrum der Paten war uns genauso wichtig. Wir wollen zeigen, wie weit die Theatertradition in Wirklichkeit in unsere Gesellschaft hineinreicht und das aus dem Munde prominenter Köpfe aus ganz unterschiedlichen Bereichen erzählt bekommen. Damit tun wir das, was Fernsehen nur tun kann für dieses Genre: mit großen Netzen fischen!
KM: Die meisten von uns haben sich ja im Deutschunterricht mit Dramatikertexten herumgequält, teilweise wurde einem die Freude daran auf lange Zeit verdorben. Glauben Sie, dass auch die Literatur nach neuen Präsentationsformen verlangt?
WB: Na klar. Deshalb haben wir diesen Fernsehclub der toten Dichter ja gegründet. Und das macht Lust auf mehr, da sind wir uns ganz sicher.
RS: Ich glaube ebenfalls, dass die Literatur auf jeden Fall nach neuen Präsentationsformen verlangt. Es ist doch für Neueinsteiger hochgradig faszinierend, wenn man ungewöhnliche Bezüge zum Heute herstellen kann, z.B. dass da ein William Shakespeare in Richard III in einer Art und Weise auf die Royals einprügelt, wie sie rund 400 Jahre später dem englischen Boulevardblatt "The Sun" alle Ehre machen würde oder dass Henrik Ibsen um 1880 Frauenfiguren erschuf, die mit einer so überzeugenden Selbstverständlichkeit ihre Rechte einforderten, dass man nicht glauben will, dass bis zur Emanzipation der Frau nochmals gut 100 Jahre ins Land gehen mussten.
KM: 43 Minuten sind ja eine Sendedauer, die gut zu verkraften ist. Nähern Sie sich damit den allgemeinen Verkürzungen in den Medien an? Könnte man dem Zuschauer mehr zutrauen?
RS: Es ist viel reizvoller, den Grundzug eines Dramatikers mit knappen Mitteln herauszuarbeiten als in einer Archivmaterialschlacht den Zuschauer mit Fakten zu überfluten.
WB: Also, das ist ein großartiges Format. Vergessen sie nicht die 90minütige Auftaktsendung und die fast zwei Stunden am Schluss. Zusammen fast 14 Stunden Dramatiker-Fernsehen das hat es noch nie gegeben!
KM: Nach Abschluss der 13-tägigen Programmreihe wird am 20.9. aus den 10 Dramatikern erneut der beliebteste Dramatiker ermittelt in einer großen Live-Finalshow "King of Drama, als Countdown, mit vielen Prominenten beinahe wie "Deutschland sucht den Superstar". Warum ist diese erneute Selektierung notwendig? Ist das eine Anpassung an das prominente Sendeformat?
RS: Das Ranking ist natürlich ein reizvolles Spiel mit bekannten Fernsehformen und soll natürlich schon auch ein bisschen Aufmerksamkeit erregen. Wie mein Kollege Bergmann bereits sagte: "Voting" für Dramatiker knüpft an die gute alte griechische Theatertradition der Dionysien an. Mit der öffentlichen Wahl des Star-Dichters hat alles einmal angefangen! Darüber hinaus gilt aber: Ein Ranking ist nichts anderes als die Entscheidung eines jeden Theaterbesuchers z.B. lieber Schiller als Goethe zu mögen bei diesen Emotionen setzt die Idee den "King of Drama" zu suchen an. Im übrigen: So funktionieren auch Theaterintendanten dann nämlich, wenn sie sich Gedanken über die Sitzauslastung ihres Hauses machen und lieber dieses Stück als jenes auf den Spielplan setzen.
KM: Diese Programmreihe ist EINE Form, Literatur und Theater zu vermitteln. Können Sie sich noch andere innovative Vermittlungsformen vorstellen?
RS: Ja. Ich könnte mir beispielsweise ein Remake der guten alten "Theatersport"-Idee vorstellen
WB: Wir sind ständig dabei und denken über innovative Vermittlungsformen nach. Aber was wir noch alles im Köcher haben, verraten wir erst demnächst, in diesem Theater...
KM: Herr Bergman, Herr Schlenker, ich bedanke mich für das Gespräch.
* Dionysien: Festspiele im antiken Griechenland zu Ehren des Gottes Dionysos, des Gottes der Ekstase, des Rausches, der Verwandlung, des Weins. Aus dem aus kultischen Gesang-, Tanz- und Opferriten entwickelten sich die griechische Tragödie und Komödie.
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