17.12.2010

Autor*in

Gunther Wildner
Kommentar

Popkomm 2010 - morbide in die Zukunft

Die zunehmende Bedeutungslosigkeit tut weh - Creative Industries-Wichtigkeit und -Boom hin oder her. Zwar kann sich die Popkomm eine gewisse mediale Aufmerksamkeit erhalten (siehe z.B. die Tageszeitungsberichterstattung in Deutschland), doch das bleibt eine trügerische: Beim Zugrundegehen zusehen und scharf kommentieren - das lässt sich genüsslich über Jahre gewinnbringend medial ausschlachten.
Im öffentlichen Bewusstsein scheint die Messe keine besondere Rolle zu spielen. Wer ins Taxi steigt und "Popkomm" sagt, erntet fragende Blicke: Was das ist und wo sie heuer stattfindet, hat sich selbst in sich informiert zu haltenden Kreisen nicht herumgesprochen: "Nein, ich meine nicht die IFA! Ist schon recht, wir fahren nach Tempelhof ..."

Und hier ist die Messe dann doch noch zweifach richtig angekommen:

Erstens in der körperlich fühlbaren Morbidität des aufgelassenen Flughafens - ein sinkendes Schiff läuft in einen musealen Hafen ein - ein Fass ohne Boden furs Schwelgen im Retro-Chic einer Trendbranche, die ihre Wurzeln zunehmend verspielt und vergessen hat.

Zweitens ist die Popkomm gut in der Berlin Music Week (BMW) aufgehoben, diese scheint vielmehr der Rettungsanker für die Zukunft der Messe zu sein. Mit dem Rücken zur Wand hat man in Berlin erkannt, dass man Kräfte bündeln und zusammenschließen muss, um zu überleben, um sich Gehör zu verschaffen. Und so bietet die BMW neben der Popkomm (inklusive einer kleinen Jazzkomm), den Popkomm-Kongress, der als a2n firmiert (gestartet 2009), Showcases/Konzerte direkt auf der Messe, in anliegenden Klubs und in der Kulturbrauerei, und das zweitägige Berlin Festival, ebenfalls auf dem Tempelhofgelände. Und erstmalig wurde am dritten Tag die Messe für Besucher, also ganz normale Musikinteressierte, geöffnet. Der Zustrom war aber so gering, dass kein Unterschied zu den vorhergehenden Messetagen feststellbar war. Der Großteil der Aussteller zeigte sich jedenfalls zufrieden: Zwar wünscht sich benahe jeder noch mehr internationale Teilnehmer, jedoch wurden die Qualität der getätigten Gespräche und Abschlüsse sehr positiv beschrieben. Es hatten sich freilich im Vorfeld die Erwartungen nach der letztjährigen Absage sehr realistisch und niederschwellig gestaltet.

Mit der Location Flughafen Tempelhof ist man grundsätzlich gut unterwegs, Organisation, Programmhefteabstimmung, Informationsmöglichkeiten etc. müssen definitiv verbessert werden. Will man zwischen den drei verschiedenen Kongressräumlichkeiten wechseln, durchmisst man weitere Flughafengänge, stimmungsvoll, aber wenig praktikabel. Die Anordnung der Ländergemeinschaftsstände an einem Ort bewährt sich auf alle Fälle, hier navigiert der Besucher problemlos ohne viel Nachdenken.

Die Jazzer saßen im Kammerl gleich links ums Eck, Frisör genannt - kuschelige Talks und Akustik-Showcases. So suchte dieses Genre in Form der Jazzkomm die Nähe zur Gesamtbranche, es war ein wichtiger und richtiger Anfang. Der Besuch der Veranstaltungen und Showcases war manchmal beschämend bescheiden, manchmal besser. Viel Optimierungsarbeit steht bevor, jedoch hat man mit der BMW ein Gefäß gefunden, das die Popkomm & Jazzkomm längerfristig über Wasser halten könnte.

Die Branche selbst sieht sich gesamt gesehen einem Messe/Kongress-Overkill in Deutschland gegenüber, den niemand mehr aufnehmen bzw. abreisen kann. Hier wird eine Flurbereinigung Not tun und über kurz oder lang von selber eintreten, in den Boxring steigen neben der Popkomm:


Reeperbahn Campus + Festival: http://campus.reeperbahnfestival.com



usw.

Wobei festzuhalten bleibt, dass die wichtigste internationale Musikrechtemesse für den Mittelstand wohl noch länger die MIDEM bleiben wird.






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