Rückblick Tagung zu Kultur- und Kreativwirtschaft 2007
4. Jahrestagung Kulturwirtschaft
Ein Rückblick.
Es war bereits das vierte Mal, dass man sich in Berlin auf nationaler Ebene zum Thema Kultur- und Kreativwirtschaft zusammenfand. Diesmal kam auf die Veranstalter, die Friedrich-Naumann- Stiftung und das Büro für Kulturpolitik und Kulturwirtschaft, die Herausforderung zu, im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft die europäische Dimension des Themas aufzuzeigen. Dazu waren am 3. und 4. Mai 2007 Teilnehmer und Referenten aus insgesamt 27 Ländern nach Berlin gekommen. Und wie so häufig, wenn ein Thema von der nationalen zur europäischen Ebene aufsteigt, beherrscht Vielstimmigkeit und Praxisferne die Reden. Die Zuhörer waren gefordert, den Faden auch angesichts verschiedener zugrunde liegender Kulturbegriffe nicht zu verlieren. Dabei muss man sicher berücksichtigen, dass es unterschiedliche Ausgangslagen in den einzelnen EU-Ländern gibt. Während man sich in Großbritannien bereits seit 1988 mit Kulturindustrie und Kreativwirtschaft beschäftigt und dazu inzwischen ein eigenes Ministerium geschaffen hat, hat man es in Polen oder Ungarn noch eher mit einem traditionellen Begriff von Kultur und Kreativität zu tun. Rednern wie Andy C. Pratt aus London oder Bernd Fesel aus Bonn gelang es dennoch, die verschiedenen Ansätze zu einem gedanklichen Knoten zu verknüpfen und erste europäische Perspektiven in dieser Entwicklung zu zeichnen. Die Hoffnung aber, das Kultur- und Kreativwirtschaft bereits jetzt der Motor eines starken Europas wird, wurde aber dennoch eher gedämpft. So wird das europäische Schiff die nordamerikanische oder asiatisch-pazifische Kreativwirtschaftsflotte eher von hinten grüßen dürfen. Zumal dieser Tanker seinen Treibstoff, nämlich die durchaus sprudelnden Ideen und Innovationen, zum Teil noch an die Akteure außerhalb Europas verschenkt. Möglicherweise sollten bei einer Fortsetzung der Konferenz auch mehr die Praktiker zu Wort kommen, um die Faszination und Praxisrelevanz des Themas noch greifbarer zu machen.
Denn das Thema Kultur- und Kreativwirtschaft ist derzeit en vogue - daher auch sicherlich nicht vor der Gefahr übertriebener Erwartungen geschützt. Hans-Joachim Otto, Vorsitzender des Ausschusses für Kultur und Medien im Deutschen Bundestag, zeigte sich in seiner Rede zu Beginn der Tagung erfreut, dass vor einigen Tagen erstmals der deutsche Bundestag über Kulturwirtschaft debattierte (lesen Sie dazu unser Interview mit Hans-Joachim Otto in der letzten Ausgabe von KM). Sowohl die Parteien der Koalition als auch FDP und Bündnis 90/Die Grünen brachten Anträge ein, die zeigen, dass endlich Kulturwirtschaft in der Bundespolitik angekommen ist. Nachdem viele Bundesländer und allen voran der Nachbar Österreich Kulturwirtschaftsberichte erstellt haben, wird nun offenbar mit Hochdruck an der Erstellung eines Kulturwirtschaftsberichts auf Bundesebene gearbeitet. Es muss darum gehen, so Otto, die spezifischen Wirkungsmechanismen von Kultur- und Kreativwirtschaft zu kennen, um dann die entsprechenden politischen Rahmenbedingungen zu schaffen. Erstmals liege nun sogar auf europäischer Ebene belastbares Zahlenmaterial vor, sagte der FDP-Politiker mit Verweis auf die europäische Studie "The Economy of Culture in Europe (verfolgen Sie dazu unsere Berichterstattung im Arts Management Network). Es ginge aber nicht nur um Zahlen, sondern abseits von den Berichten um das Überzeugen der Entscheidungsträger auf kommunaler und Länderebene, dass die Kulturund Kreativwirtschaft eine Wachstumsbranche mit vielen Arbeitsplätzen ist. Im europäischen Vergleich wächst aber leider der deutsche Kreativsektor deutlich langsamer (4,9% statt 8,1%), wie die genannte, von der EU-Kommission in Auftrag gegebene Studie zeige. Hoffnung gebe die absolute Größe der Beschäftigten und der Umsatz dieses Sektors. Bernd Fesel vom Büro für Kulturpolitik und Kulturwirtschaft: Deutschland hat neben England einen der größten Kultur- und Kreativsektoren Europas, doch in Wachstum und Ertragskraft hinkt er hinterher. Die Ertragsschwäche der einzelnen kleinen und mittelständigen Akteure des Kreativsektors müsste zuerst abgebaut werden, um dann zu mehr Wachstum zu kommen.
Zu kurz kam bei der Jahrestagung der eigentlich notwendige Dialog, zumal gerade am ersten Tag durch das überziehen der vorgegebenen Redezeit die vorgesehen Publikumsnachfragen meist ausfallen mussten. Die 7 Gesprächsrunden (Panels) am zweiten Tag konnten nicht den Bedarf stillen, ins Gespräch zu kommen und die unterschiedlichen Ansätze in der Kulturwirtschaft miteinander zu diskutieren. Die Runden selbst waren hochrangig besetzt und spannend. So wurde in einem der Gesprächsrunden deutlich, wie groß die Chancen gerade für Regionen wie Aachen (D), Utrecht (NL) oder Angers (F) sind, die durch Kooperationen Zugang zu den Vorteilen des internationalen Kreativmarkes erhielten, die sonst in Metropolen kulminieren. Ein anderes Panel beklagte, dass die schon erwähnte EU-Studie eine Branchenbetrachtung für den Bereich Architektur schuldig blieb und es somit auch keine Politikempfehlungen gäbe. Dies stehe im Gegensatz zur weltweiten Beachtung europäischer Architekten, was erhebliche Nachteile im Wettbewerb um die neuen wachstumsstarken Architektur- und Baumärkte in Asien, Russland und Südamerika mit sich bringe.
Hervorzuheben ist der Vortrag von Andy C. Pratt von der London School of Economics and Political Science. Der Vorsprung, den die Briten zweifelsohne in der Entwicklung einer dynamischen Kreativszene und in der Schaffung zukunftsfähiger Strukturen für den Kulturbetrieb haben, ist beträchlich. Pratt beschrieb die Situation, dass es nicht mehr genüge, nur in den Abteilungen für Kultur zu handeln, sondern in einem positiven Sinne zwischen den Stühlen zu sitzen. Neues entsteht, wenn die Akteure aus Kultur, Bildung, Politik, Medien und Wirtschaft zusammentreffen und gemeinsam Projekte entwickeln. Andy Pratt stellte das zunehmende Interesse und den Konsum von Kultur in jeder Form heraus. Dem Anspruch der Eliten allein darüber zu bestimmen, was Kultur sei, erteilte er eine Absage. Danach benannte er die drei Grundlagen der britischen Creative Industries:
1. Dezentralisierung, Schaffung von sog. urbanen Autoritäten, Evaluierung und erfolgsabhängige Unterstützung
2. Investionen (z.B. aus Lotteriemitteln) durch regionale Instanzen (arm length bodies) wie dem Arts Council oder regionalen Entwicklungsagenturen durchgeführt werden
3. Strategische Führung durch Angebote wie Weiterbildungen und Beratungen (Creative Economy Programs)
Probleme gibt es vor allem dadurch, dass es sich bei der Zielgruppe der zu fördernden Einrichtungen um größtenteils kleinere Firmen und Organisationen handelt, die vorwiegend in Projekten arbeiten und daher umso stärker auf schnelle Refinanzierung und ständigen Innovationsfluss angewiesen sind. Zu all dem steht ein Publikum und Markt, der stark von Moden und Trends bestimmt wird. So ist es beispielsweise im Bereich der Filmförderung wichtig, zu welcher Zeit genau der Film in die Kinos kommt.
Die globale Sicht auf die Dinge vermittelte Simon Ellis, Head of Science Culture and Communicatinos beim UNESCO Statistikinstitut im kanadischen Montréal. Er sprach vor allem die gesellschaftlichen Lebensbedingungen sowie die Bedeutung des Urheberschutzes an. Im Anschluss wies Michael Söndermann auf die Unkenntnis der Sektoren hin. Für ihn seien die zahlreichen Freelancer der eigentliche Humus der Kreativwirtschaft, von dem die zwei anderen Sektoren, die kleinen und mittleren Unternehmen sowie die sog. Majors profitierten. Söndermann erwähnte zudem den Jahresbericht 2006 der UNCTAD (Ständige Konferenz der UNO zu Handel und Entwicklung), der u.a. betont, dass die Kultur- und Kreativwirtschaft in den einzelnen Ländern unterschiedliche Schwerpunkte setzen sollten. Während in Europa beispielsweise das Kunsthandwerk nur eine Nebenrolle spielt, ist dieser Bereich in Afrika der entscheidende. Was den Anteil der Beschäftigten in den Kulturwirtschaft betrifft, so fällt auf, dass dieser in Europa durchschnittlich bei 3 Prozent liegt und sich relativ gleichmäßig verteilt im Gegensatz zu USA und China, wo es sich viel stärker auf die Wirtschaftszentren konzentriert. Alle Studien belegen zudem die Führung von Großbritannien und Skandinavien, was für Michael Söndermann durchaus auch ein Beleg auf eine vollzogene Modernisierung der Arbeitswelt ist.
Alles in allem liegt die Leistung der Konferenz im Zusammenbringen der Akteure auf der politischen und wissenschaftlichen Ebene Europas. Gerade nach Erscheinen der Studie zur ökonomischen Bedeutung der Kultur in Europa ist die Debatte über die richtige Bewertung der Ergebnisse dieser Studie überaus wichtig, um die künftigen politischen Handlungslinien zu bestimmen. Bei aller Notwendigkeit des europäischen Dialogs darf aber sicher nicht verkannt werden, dass es einen spürbaren Wettbewerb innerhalb Europas um die führenden Standorte der Kultur- und Kreativwirtschaft gibt, der vor allem dort gewonnen wird, wo die Politik die richtigen Rahmenbedingungen setzt und eine Modernisierung der gesamten Arbeitswelt vollzogen worden ist. Hier gibt es ein noch immer spürbares Nord-Süd-Gefälle. Man darf gespannt sein, ob die Zeichen der Zeit auch erkannt worden sind, die schlummernden ökonomischen Kräfte der vielerorts lebendigen Kreativszene wachzurütteln. Man darf aber auch fragen, ob die Politik sich nicht auch zu sehr entfremdet hat von den handelnden Akteuren der kreativen Klasse, die auf solchen Konferenzen wie die in Berlin eben selten anzutreffen sind.
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