17.02.2009

Autor*in

Leo Hemetsberger
Pause

Ein nicht zu unterschätzendes Phänomen

Der Begriff Pause kommt vom altgriechischen pausis. Er bedeutete aktiv das zur Ruhe bringen, beendigen einer Tätigkeit, wird imperativistisch als "Lass ab, Still, Halt ein!" verwendet. Passiv ist es als "Befreit werden, frei sein, sich beruhigen" gebräuchlich.
Werden wir nicht im Rahmen frühkindlicher musischer Ausbildung mit den zählbaren Pauseneinheiten der Notensprache bekannt gemacht, der diskreten Zäsur im Kontinuum des harmonischen Maßes, dann erfolgt die Bekanntschaft mit dem Begriff Pause meist durch äußere Autorität, im schulischen Kontext, als zugestandene genau abgesteckte mehr oder weniger frei gestaltbare Lebenszeit zwischen den Lerneinheiten der pädagogischen Institutionen, oder wir erfahren die Pause als verordneten willkürlichen Abbruch eines Spiels. Wild herum laufende, freudig schreiende Kinder werden aus ihrer Versunkenheit im Spiel heraus gerissen, aus elterlicher Sorge um die Gesundheit oder vor der Steigerung in die unkontrollierbare Raserei, wofür die bacchantischen Mäandern als Sinnbild standen, denen Pentheus durch die List des Dionysos zum Opfer fiel, von der eigenen Mutter zerrissen. Das "nicht so wild, jetzt macht einmal eine Pause" holt die jungen Menschen in den vermeintlich sicheren Zustand der rationalen Abwägung ihres Tuns zurück. Aber ist damit wirklich viel gewonnen? Löst sich die Begeisterung nicht meist im Aufbrechen von Widersprüchen, führt das Ausreizen im Umschlagen nicht meist von selbst in ruhigeres Fahrwasser? Ohne in erzieherische Überlegungen abzugleiten, die Motive für solche Unterbrechungen sind zu betrachten, ob die verordnete Pause etwa bloß ein Mittel für die eigene Ruhe ist.
 
Wo wird eine Pause dazwischen eingeschoben und welche Wertigkeit werden den so getrennten Zeitspannen zugeschrieben? Oder spricht man zwar von einer Pause, möchte aber einen Abschluss setzen, um etwas Neues oder Wichtigeres zu beginnen. Bei physisch anstrengender Arbeit dient die Unterbrechung der körperlichen Regeneration, um im Sinne des Lohnarbeitskontextes wieder voll verfügbar zu sein. Die Pause soll die Anspannung lösen, "was man ohne alle Frage nach des Tages Müh und Plage auch von Herzen gönnen kann." (1) weil Erschöpfung im Sinne der Ressourcenoptimierung nachhaltig ineffizient ist. Die Pause beschreibt auch ein schöpferisches Innehalten, als dessen Urbild lange der Sonntag gegolten hat, wo Gott "ruhte am siebenten Tage von allen seinen Werken, die er gemacht hatte."(2)
Ist eine Pause das nur nicht mehr Tun des Vorherigen und noch nicht Tun des nachher Beginnenden, ein bloßes Vakuum, dessen plötzliches Ende March Hare, das weiße Kaninchen in Alice in Wonderland "Oh dear! Oh dear! I shall be late!" vielleicht nicht versäumen will; um sich nicht zu exponieren, rechtzeitig am richtigen Ort zu sein oder er weilt deshalb in Eile, um nicht bei sich zu sein? "Noch ein letzter großer Schluck im Stehen, die Pause ist schon aus, wir müssen jetzt gehen." Wie schön, dass wir Veranstaltungsbesucher als träge Masse durch den konditionierten Reflex des dreimaligen Aufrufs zeitgerecht an die Bühne gelotst werden.
Dieses Nichtsein, das Dazwischen, ist es im Rückblick die nicht mehr vorhandene Zeit - da hab ich Pause gemacht, gegessen, getrunken, ins Narrenkastl geschaut; Einatmen und Ausatmen; gespürt wie die Anstrengung langsam von mir abfiel - und was passiert eigentlich auf jenen Fortbildungsseminaren, wenn man sich nachher nur mehr an die schönen Pausen erinnert?
Ist die Unterbrechung des gewohnten Tuns, um die Betonung noch ein wenig weiter zu verschieben, nicht die eigentlich anzustrebende Sphäre, von der Aristoteles sagt, "die Glückseligkeit scheint in der Muße zu bestehen. Wir opfern unsere Muße, um Muße zu habenund somit wäre dies die vollendete Glückseligkeit des Menschen, wenn sie auch noch die volle Länge eines Lebens dauert, da nichts, was zur Glückseligkeit gehört, unvollkommen sein darf."(3) Die Pause soll also der Dauerzustand sein, womit sie sich selbst aufhebt und keine mehr ist. Der Sinn des menschlichen Lebenslaufes wäre somit der bewusste temporäre Verzicht auf den idealen Zustand, der Tausch wertloser gegen wertvolle Zeit? Man habe sich die Mittel zu generieren, die gewährleisten, dass der eigentliche Zweck erreichbar wird, die schönste Zeit im Jahr, pauschal, sicher, vorhersehbar und mit Geld zurück Garantie. Aber steht das in einer akzeptablen Relation, oder ist es nur "ein träumerisches Taumeln durch die vier Lebensalter hindurch zum Tode, unter Begleitung einer Reihe trivialer Gedanken?"(4) Doch gesteht Aristoteles zu, dass jeder sich für seine Ziele entscheiden kann, die Menschen sind unterschiedlich und nicht jeder erkennt bzw. hat die reine Tätigkeit des vernünftigen Denkens, die Philosophie, als höchste Lebenslust. Die Lüste sind in ihrer Art auch unterschiedlich beständig. Viele lassen sich vom Vexierspiel der unmittelbar sinnlich, oft fleischlichen Freuden blenden "und im Genuss verschmacht ich nach Begierde."(5) Wir arbeiten also um der Muße willen sie ist der Angelpunkt menschlichen Glücks und ein Zustand der Seele, der mit der Kontemplation und Meditation verwandt ist, sie hat nichts mit Müßiggang oder Langeweile zu tun.
In der Pause vom alltäglichen Zeit verkaufen, um der besonderen Momente willen, sitzen wir dann im verdunkelten Zuschauerraum und geben uns der theoría hin, die in ihrer begrifflichen Mehrfachbedeutung von der Beobachtung und Untersuchung, der Teilhabe an einem Spektakel bis zur rein spekulativen Gottesschau im dialektischen Diskurs oder der mystischen Kontemplation das Innerste und Wesentliche der condicio humana durch Teilnahme, also Entäußerung und Reinigung unserer selbst, mit umfasst. Das Herausgerissenwerden aus dieser konzentrierten Versunkenheit, dem Ende der Ekstase, in der Pause der Vorstellung, bringt uns wieder zu uns zurück, und die niederen Bedürfnisse, Wasser rein, Wasser raus, bahnen sich ihren Weg.
Eine der schönsten Pausen ist für mich John Cages Musikstück 433" (Four minutes, thirtythree seconds), uraufgeführt 1952. Noch mehr als in Ionescos Warten auf Godot, wo die Verbindung von endloser Zeit und fehlendem Sinn im absurden Dialog für die Zuschauer als ablaufendes Bühnengeschehen in einem narrativen Zusammenhang dargestellt wird, wirft uns Cage im rein auditiven Erlebnis, dem Nichtsein der erwarteten Musik, als Tacet (lat. er/sie/es schweigt), unmittelbar in den Reichtum erstens der subjektiven Erfahrung, der möglichen Kontextualisierung des Unerwarteten, der Neugierde, des Ärgers über die Enttäuschung, Verachtung dieser künstlerischen Idee, weiter ins Innehalten, Aufmerken, hin zum Gewahr werden und zur Achtsamkeit, ein wahrer rites de passage.
Betrachten wir noch kurz den Moment des Überganges, die Grenze zwischen dem Sein und Sollen, die als Nichtseiende weder am Ende noch am Beginn festhaltbar, die weder am einen Ufer noch am anderen genau bezeichnet werden kann (weshalb Grenzen so oft in die Mitte des Flusses verlegt wurden), sondern das Besondere dabei ist die Ausdehnung des reinen Dazwischenseins. Die Stille vor dem Beginn der Aufführung des Werkes, die Disziplin des Auditoriums, die gewohnte Konzentration, ein letztes Räuspern und dann wird kein einziger Ton gespielt. Man will sich mitreißen lassen vom Strom der, egal ob tonal oder atonal, unfassbaren Dynamik und Energie des verklingenden Schalls, spürbares Raum - Zeit Erleben, dafür hat man schließlich bezahlt und so implodiert das Obacht gebende Subjekt und seine Anspannung zersplittert in die enttäuschte erwartete Reaktion auf das konventionelle ritualisierte Verhalten und das führt zu persönlicher Verstörung. Wird man das erste Mal von diesem Erlebnis, der unerwarteten Pause überrumpelt, dann denkt man nachher vielleicht, was möglicherweise in sinnvoller Weise zu tun gewesen wäre, in diesen nicht seienden Momenten, darüber lässt es sich nett plaudern. Und wie ist es beim zweiten Hören des Stücks, brave Wiederholung der kontemplativen Übung mit der intellektualisierenden Betonung gewisser Aspekte, und bejahendes Kopfnicken zwischen Eingeweihten? Entschuldigen Sie bitte, sollte ich diesen Kunstgenuss, falls er Ihnen live bisher unbekannt war, jetzt etwas zerredet haben, aber vielleicht ist ja die Pause bis zur nächsten Aufführung lange genug und Sie haben meine Überlegungen dazu schon längst in Lethe, den Fluss des Vergessens ertränkt; doch geht die Mnemosyne oft seltsame Wege
(1) Wilhelm Busch, Max und Moritz, 4. Streich
(2) 1 Moses 2.2
(3) Aristoteles, Nikomachische Ethik, 1177b
(4) Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung, S. 659.
(5) Goethe Faust 3249
DR. LEO HEMETSBERGER leitet den Universitätslehrgang für Kultur und Organisation am Institut für Kulturkonzepte, coacht Unternehmen, unterstützt Künstler bei Konzepten, Projekten und der Öffentlichkeitsarbeit, arbeitet als Trainer und Supervisor. Er studierte Philosophie und Politikwissenschaft, ist Diplom-Lebensberater, NLP/ÖTZ Master Practitioner, hat eine Philosophische Praxis in Baden, organisiert die Kunstplattform www.philart.at, unterrichtet Philosophie und Politik und Ethik an einer Fachhochschule. Er schreibt Werksinterpretationen, Presse-, Ausstellungs- und Katalogtexte und hält Eröffnungsreden zu zeitgenössischer bildender Kunst.
 

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