12.09.2022
Autor*in
Matthias J. Bensch
ist Klassischer Archäologe. Nach dem Studium in Münster schloss sich u.a. eine Tätigkeit als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am SFB 948 "Helden Heroisierungen Heroismen" an der Universität Freiburg an, in deren Rahmen eine Dissertation zu römischen Heldenfiguren entstand. Er ist seit 2021 Wissenschaftlicher Volontär am LWL-Römermuseum Haltern am See. 2021/2022 war er Sprecher des Arbeitskreises Volontariat des Deutschen Museumsbundes e.V.
Umfrage unter Museumsvolontär:innen
Museum und / oder Familie?
Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist für junge Museumsmacher:innen von hoher Bedeutung. Eine aktuelle Umfrage unter Berufseinsteiger:innen kommt diesbezüglich zu teilweise alarmierenden Ergebnissen. Diese sehen sich vermehrt zur Entscheidung zwischen Karriere und Familie gezwungen. Die Attraktivität der Museen als Arbeitgeber steht auf dem Spiel.
Jedes Jahr beginnen zahlreiche junge Akademiker:innen ein wissenschaftliches Volontariat an deutschen Museen. Das Volontariat soll sie als Ausbildung für eine Karriere an Museen und vergleichbaren Kulturinstitutionen qualifizieren. Die Bewerber:innen-Zahlen sind dabei je nach Tätigkeitsfeld und Ort sehr unterschiedlich, sinken aber aufgrund des demografischen Wandels und veränderter Erwartungen des Museumsnachwuchses in vielen Museen deutlich. Das ehemals sehr gefragte Berufsfeld Museum verliert demnach an Attraktivität, obwohl dringend neues Personal benötigt wird, das die Vielzahl an Mitarbeiter:innen ersetzt, die in den kommenden Jahren in Rente gehen. Deshalb ist es für Museen entscheidend, zu wissen, wie diejenigen ein Volontariat beurteilen, die als aktuelle Volontär:innen bereits erste Einblicke in die Arbeit gewonnen haben.
Neue Studie zur Vereinbarkeit von Familienplanung und Berufseinstieg ins Museum
Der Arbeitskreis Volontariat des Deutschen Museumsbundes e.V. hat im Frühjahr 2022 erstmals eine Umfrage unter Volontär:innen speziell zu der Frage durchgeführt, wie diese die Vereinbarkeit von Berufseinstieg ins Museum und Familienplanung einschätzen. Deren Ergebnisse wurden bei der Jahrestagung des Deutschen Museumsbunds (DMB e.V.) im Mai 2022 vorgestellt.
Der Fokus lag nicht ohne Grund auf genau dieser Frage: Die oder der durchschnittliche wissenschaftliche Volontär:in ist rund 30 Jahre alt und tatsächlich eine Volontärin. Das entspricht nahezu exakt dem Durchschnittsalter von Müttern in Deutschland bei der Geburt des ersten Kindes (Quelle: Statistisches Bundesamt). Zudem ließen Studien wie die von J. Frohne u.a. zur Generation Y im Kultursektor bereits im Vorhinein erahnen, dass Faktoren, die sehr unmittelbar mit dem tendenziell gesteigerten Bedürfnis in dieser Bevölkerungskohorte nach einer Work-Life-Balance zusammenhängen, maßgeblich für die Attraktivität von Arbeitgebern sein könnten. Schon die Resonanz auf die Umfrage hat dies prinzipiell bestätigt. Ganze 231 Personen haben sich beteiligt. Mit Blick auf die in etwa vergleichbare Beteiligung an der jährlichen großen Umfrage zur Situation der Volontär:innen des AK Volontariat des DMB eine hohe Anzahl, die zeigt, dass mit dem Thema offenbar ein Nerv getroffen wurde.
Wer sind die Befragten, welche Rolle spielt Familienplanung für sie und was hat ihre berufliche Situation damit zu tun?
Rund 87% der wissenschaftlichen Volontär:innen sind weiblich, 12% männlich und 1% divers. Das entspricht in etwa dem Bild, das sich aus den jährlichen Evaluationen ergibt. Danach bewegt sich der Anteil von Frauen in den letzten Jahren zwischen 80 und 85 %. Das Durchschnittsalter liegt zwischen 29 und 30 Jahren. Auch das hat sich in den letzten Jahren so eingependelt. Familienplanung spielt für diese Menschen durchaus eine Rolle, was angesichts des Durchschnittsalters kaum überraschen kann. Bemerkenswert ist, dass für knapp 29% der Befragten das Thema sogar brandaktuell ist. Entweder sie haben oder erwarten bereits Nachwuchs oder sie ziehen die Gründung einer Familie noch während ihrer Volontariatszeit in Betracht. Für knapp die Hälfte der Volontär:innen (46%) hat Familienplanung indes vorerst keine Priorität. Und dabei spielt ihre berufliche Situation offenbar eine maßgebliche Rolle. Denn mehr als drei Viertel geben an, dass sie in einer anderen beruflichen Situation, etwa bei einer Festanstellung, wahrscheinlich oder sogar ziemlich sicher anders planen würden.
Bei der Anschlussfrage, welche Aspekte genau für die Planungen ausschlaggebend sind, zeigt sich, dass insbesondere die Befristung ein maßgeblicher Faktor ist. Viele rechnen damit, dass sie nach dem Volontariat für eine neue Stelle den Wohnort wechseln müssen und bewerten dies verständlicherweise als ungünstig für die Gründung einer Familie. Ebenfalls ein wesentlicher Faktor ist das geringe Einkommen. Für manche sind andere Aspekte bedeutsam, etwa die hohe Arbeitsbelastung. Nur wenige sind sich indes unsicher, ob sie die eingeschlagene professionelle Laufbahn überhaupt weiterverfolgen sollen, und streben evtl. eine berufliche Neuorientierung an.
Durchaus brisant wird es im Hinblick auf die Befürchtungen, die manche Volontär:innen offenbar hegen, falls sie während des Volontariats schwanger werden und / oder in Elternzeit gehen. Zwar ist sich eine leichte Mehrheit über ihre rechtliche Situation im Klaren, nämlich dass die Volontär:innen als Auszubildende ein Recht darauf haben, ihre Verträge während der Elternzeit ruhen zu lassen. Aber wenn dies passiert, rechnen insbesondere Frauen mit negativen Konsequenzen, Männer hingegen so gut wie nie. Diese geschlechtsspezifischen Unterschiede überraschen kaum, hat doch die jüngste jährliche Umfrage des AK Volontariat ergeben, dass mehr als jede zehnte Volontärin (auf ein Gendern kann hier getrost verzichtet werden!) nach eigenen Angaben bereits Diskriminierungserfahrungen während des Volontariats gemacht hat, die ganz überwiegend sexistischer Natur waren.
Ein weiterer Faktor in den Planungen mancher Volontär:innen ist die Notwendigkeit einer wissenschaftlichen Weiterqualifikation. Neun von zehn haben einen Master-Abschluss. Den geringen Rest machen überwiegend Promovierte aus. Für einige Berufsbilder im Museum wird die Promotion aber immer noch erwartet. Für Personen, die das anstreben, schließt sich demnach an das Volontariat noch eine - im Bestfall einer Förderung - rund drei- bis vierjährige Promotionsphase an. Wollen das die Volontär:innen? Die meisten sind unschlüssig (ca. 44%). Rund 30% möchten nicht promovieren. Etwa 26% streben demgegenüber die Promotion an und arbeiten z.T. schon während des Volontariats an ihr.
Welche berufliche oder akademische Qualifikationsphase bzw. welche weitere Phase der beruflichen Laufbahn scheint den jetzigen Volontär:innen am geeignetsten, um sich der Familienplanung zu widmen? Kaum überraschend halten die meisten erst eine Festanstellung für einen geeigneten Zeitpunkt. Bemerkenswert ist, dass die Zeit der Promotion und sogar das Studium als deutlich bessere Zeiträume erachtet werden als jene in befristeten Arbeitsverhältnissen und das wissenschaftliche Volontariat, das sogar als schlechtester Zeitpunkt erachtet wird. Ausgerechnet die Phasen also, in denen sich die Befragten befinden (Volontariat), und die sich wohl für die allermeisten anschließen (befristete Stelle) werden für die familienunfreundlichsten gehalten.
Die Konsequenz, die viele Volontär:innen daraus ziehen, ist nur folgerichtig, aber höchst alarmierend, und sollte kultur- und familienpolitische Entscheidungsträger:innen sowie Museumsleitungen hellhörig werden lassen: Nicht einmal jede:r Fünfte (ca. 19%) ist nicht bereit, die Familienplanung nötigenfalls aufzugeben, um beruflich im Museum oder anderen Kultureinrichtungen Fuß zu fassen. Eine erschreckend deutliche Mehrheit zieht dies also in Betracht. Fast ein Viertel der Befragten (ca. 23%) hält es angesichts der eigenen Einschätzung der Arbeitsmarktsituation sogar für gut denkbar, dass eine Entscheidung gegen die Familie nötig sein wird.
Maßnahmen für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Arbeit im Museum
Was können und sollten Museen tun, damit Berufsanfänger:innen weniger pessimistisch über eine Vereinbarkeit von beruflicher Laufbahn und Familiengründung denken? Die Volontär:innen selbst sind keineswegs ratlos: Als effektive Maßnahme bewerten sie etwa Lohnerhöhungen. Die vom DMB empfohlenen 50% von TVöD E13 sind in vielen größeren Städten kaum genug für den eigenen Lebensunterhalt, geschweige denn für den einer Familie. Leider bekommen noch keineswegs alle der - wohlgemerkt in Vollzeit angestellten - Volontär:innen überhaupt diese Vergütung, manche müssen mit noch weniger auskommen. "Jeder Monat ist ein finanzieller Kampf", heißt es in einem Statement eines Volontärs, "[w]ie soll man da Familie planen lol?".
Für noch effektiver halten die Volontär:innen eine bessere Transparenz der Arbeitgeber im Hinblick auf Elternzeit-Regelungen. Das effektivste Mittel aber wären in ihren Augen konkretere Übernahme-Perspektiven nach dem Volontariat (ggf. in Anlehnung an ein Tenure-Track-System, wie es an Universitäten Anwendung findet). Volontär:innen, die sich durch gute Leistungen bewähren, wollen eine Perspektive in den Museen haben, in denen sie ausgebildet werden; Karrierechancen, die ihnen mehr Sicherheit und die Möglichkeit geben würden, ihren (geplanten) Familien ein Zuhause zu geben.
Die Maßnahmen, die die Volontär:innen im Weiteren selbst vorschlagen, betreffen bspw. eine Reduzierung der Arbeitszeit. Teilzeit-Modelle im Volontariat wären für viele, die bereits Eltern sind, eine notwendige Voraussetzung, um überhaupt den Einstieg ins Museum zu schaffen. Auch die Möglichkeit zu Home Office und flexible Arbeitszeitmodelle sind sehr erwünscht und wären enorm hilfreich, nicht nur für Eltern.
Und schließlich wird eine Stärkung der Rechtsverbindlichkeit des wissenschaftlichen Volontariats als wichtiges Mittel eingeschätzt. Eine solche Verbindlichkeit sollte die Auszubildenden, die Volontär:innen ja sind, davor schützen, in Spezialvolontariaten als kostengünstiger Ersatz für fehlende Stellen missbraucht zu werden und dabei so spezialisiert ausgebildet zu werden, dass es sie in ihrem weiteren Berufsweg massiv einschränkt. Als positives Vorbild wurde mehrmals die 2019 in Kraft getretene Verwaltungsvorschrift Volontariat der Staatlichen Museen Baden-Württembergs genannt, die die Museen zu einer Ausbildung nach den Empfehlungen des DMB verpflichtet.
Museen als attraktive Arbeitgeber?
Die nackten Zahlen sind schon beunruhigend genug. Noch eindrücklicher wird die teils beklemmende Situation der wissenschaftlichen Volontär:innen an Museen jedoch in Anbetracht der persönlichen Statements der Menschen dahinter. Es ist von Verzweiflung die Rede, von Frustration und Resignation, nicht von Vereinbarkeit zwischen Museum und Familie, sondern von Entscheidung zwischen ihnen.
Auch wenn es kaum möglich ist, dem in nur wenigen Worten gerecht zu werden, sei eine Essenz daraus im Folgenden zusammengefasst: Die Auszubildenden, die als Volontär:innen an die Museen kommen, sind keine 18-Jährigen mehr. Es sind Menschen, die auch privat oftmals vor neuen Lebensabschnitten stehen, für die sie Stabilität und eine gesunde Work-Life-Balance benötigen. Die Strukturen, die sie vorfinden, sind aber nicht geeignet, um ihnen das zu bieten. Was sie nach dem Volontariat erwartet, ist oftmals auch nicht die erwünschte Stabilität, sondern jahrelanges Projekte-Hopping, befristete und Teilzeitstellen, mehrfache Wohnortswechsel, ggf. sogar die Notwendigkeit einer akademischen Weiterqualifikation. Es sind Umstände, die diese Menschen zu Entscheidungen zwingen, weil sie - insbesondere Frauen - wahrscheinlich zu Recht fürchten, diskriminiert zu werden und ihre Chance auf eine Festanstellung zu gefährden, wenn sie schwanger werden, in Elternzeit gehen oder Care-Arbeit mit Beruf vereinen müssen. "Eine Entscheidung für eine Karriere im Museum", so die Einschätzung einer befragten Volontärin, "ist meiner Ansicht nach aktuell eine Entscheidung gegen eine konventionelle Familienplanung."
Museen und die kulturpolitischen Entscheidungsträger:innen hinter ihnen sollten aufmerksam werden. Die Umfrage und die Entwicklung des Arbeitsmarktes lassen erahnen, dass hochqualifizierte junge Kräfte trotz des in vielen Augen attraktiven Betätigungsfeldes die Museen schon jetzt als Arbeitgeber zunehmend unattraktiv finden und ihnen vermehrt den Rücken zukehren, weil sie für sich dort keine Zukunft sehen, in der sie ihre beruflichen Ziele und familiäres Glück miteinander vereinbaren können. Unter denen, die bleiben, werden dringend auch Perspektiven von Müttern und Vätern gebraucht, damit Museen auch in Zukunft gesellschaftlich anschlussfähig bleiben können.
Der Dank des Autors gilt allen Teilnehmer:innen an der Umfrage sowie den Mitgliedern des Arbeitskreises Volontariat des DMB e.V. 2021/2022, unter ihnen besonders Marvin Gedigk, die die Konzeption und die Auswertung der Umfrage beratend unterstützt haben und sich für ihre Verbreitung engagiert haben.
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