Kunst und Kultur prägen die Identität Österreichs nach innen und nach außen. Umso erstaunlicher ist es, dass im Kulturland Österreich die öffentliche Diskussion um Fragen der Kulturpolitik nur sehr schwach entwickelt ist. Und so dominieren die Bestandsinteressen der großen Kunst- und Kultureinrichtungen die weitgehend intransparenten kulturpolitischen Abläufe, die einer breiten Öffentlichkeit keine entsprechenden Zugänge ermöglicht.
Michael Wimmer versucht in seinem kürzlich erschienenen Buch den Ursachen dieser Konzeptlosigkeit nachzugehen. Aus vorrangig politikwissenschaftlicher Sicht leitet er das heute gelebte Verständnis von Kulturpolitik aus den spezifischen historischen Entstehungsbedingungen eines Kulturbetriebs des ausgehenden 19. Jahrhunderts ab, der sich in erster Linie vordemokratischen Repräsentationsbedürfnissen verpflichtet wusste.
Anhand einer genaueren Analyse der wesentlichen kulturpolitischen Arenen, Verfahren und Akteure wird die strukturelle Defensive der kulturpolitischen EntscheidungsträgerInnen deutlich. Diese sehen sich erheblichen Beharrungskräften einer Verwaltung des überkommenen kulturellen Erbes gegenüber. Und so erscheint der Kulturbetrieb als bis heute nicht in der Demokratie angekommen.
Die aktuellen politischen Entwicklungen lassen darauf schließen, dass Kulturpolitik als eigenständiges Politikfeld heute vor beträchtlichen Herausforderungen steht. Dabei geht es um schleichenden Kompetenzverlust insbesondere der Bundeskulturpolitik sowohl in Richtung gemeinsamer europäischer Zuständigkeiten als auch in Richtung einer wachsenden Bedeutung von Ländern und Gemeinden. Hinzu kommt ein, von wachsender sozialer Ungleichheit begleiteter demographischer Wandel, der das kulturelle NutzerInnenverhalten nachhaltig beeinflusst. Weiters führt die stetige Entwicklung der digitalen Medien zu sich gleichermaßen geänderten Produktions- und Rezeptionsverhältnissen, deren Konsequenzen für den Kunst- und Kulturbereich bis heute nicht durchdacht sind.
Konkret schlägt Wimmer vor, künftige kulturpolitische Schwerpunkte am Bedarf eines neuen Gleichgewichtes zwischen Angebots- und Nachfrageorientierung auszurichten. Die Konsequenz wäre eine Weiterentwicklung des inhaltlich-programmatischen Anspruchs des Kunst- und Kulturbetriebs entlang demokratietauglicher Kriterien wie Toleranz, Neugierde, Mitwirkung, Integration oder Vielfalt.
Der Autor:
Michael Wimmer ist Musikerzieher und Politikwissenschafter. Er berät wichtige kulturpolitische Akteure wie den Europarat, UNESCO und die Europäischen Kommission in kultur- und bildungspolitischen Fragen. Als ehemaliger Leiter des Österreichischen Kulturservice leitet er heute die international angesehene Forschungs- und Beratungseinrichtung EDUCULT Denken und Handeln im Kulturbereich (www.educult.at).